Zeitreise mit Margot Käßmann

von Kurt-Helmuth Eimuth 20. September 2018

Zum 60. Geburtstag erschien eine Biografie der prominenten Theologin. 

Uwe Birnstein: Margot Käßmann. Bene 2018, 224 Seiten, 19,99 Euro.
Uwe Birnstein: Margot Käßmann. Bene 2018, 224 Seiten, 19,99 Euro.

Sie ist die wohl bekannteste und beliebteste Theologin Deutschlands: Zum 60. Geburtstag von Margot Käßmann erschien nun ihre Biografie. Verfasst hat sie der Theologe und Journalist Uwe Birnstein, der seit sieben Jahren ihr Berater ist.

Für ihn und für die Leserinnen und Leser hat Margot Käßmann tiefe Einblicke gewährt. Zahlreiche Fotografien und Zitate aus dem Tagebuch lassen Geschichte, Kirchengeschichte und Familiengeschichte lebendig werden. Käßmanns Auseinandersetzung mit Martin Luther King als Jugendliche und ihre Begegnung mit Nelson Mandela lassen die Wurzeln ihres Pazifismus erahnen.

Wie ein roter Faden zieht sich die Erfahrung durch ihr Leben, als Frau benachteiligt worden zu sein. Immer wieder versuchten Männer, sie auszutricksen. Zum Beispiel der damalige Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, Eduard Lohse, der 1983 ihre Wahl in den Zentralausschuss des Ökumenischen Rates verhindern wollte. 

Auch dass die Kirche wie selbstverständlich von ihr verlangte, ehrenamtlich als Pfarrerin zu arbeiten, während sie ihrem Mann eine volle Stelle gab, gehört zu diesen Erfahrungen. Immer wieder stieß sie auf Vorbehalte: „Wie wollen Sie das mit vier Kindern schaffen?“ 

Ausführlich beschreibt Birnstein auch die Krebsdiagnose, den Rücktritt vom Amt der EKD-Ratsvorsitzenden und ihre letzte Tätigkeit als Luther-Botschafterin.

Uwe Birnstein ist nicht nur eine Biografie über eine populäre Frau gelungen. Vielmehr ist das Buch eine Zeitreise, spannend erzählt und voller Hintergrundinformationen über die jeweiligen gesellschaftspolitischen Auseinandersetzungen. Das klingt ernst, ist auch ernstm ist aber doch mit lockerer Feder geschrieben, sodass der Leser und die Leserin oft lachen können.

Die Kirche als Plattform für offenen Meinungsaustausch

von Kurt-Helmuth Eimuth 19. September 2018

Die Kirche muss sich neuen Gegebenheiten anpassen. Sie ist zu einer Kirche in der Minderheit geworden. Organisatorisch und strategisch muss sie sich neu aufstellen. Wie das gelingen kann und welche Energie dabei entfaltet werden kann, zeigen beispielhaft drei Projekte in Frankfurt.

Kurt-Helmuth Eimuth ist Mitglied in der Redaktion des EFO-Magazins.  |  Foto: Tamara Jung
Kurt-Helmuth Eimuth ist Mitglied in der Redaktion des EFO-Magazins. | Foto: Tamara Jung

Der Abgesang scheint allgegenwärtig: Der Kirche laufen die Mitglieder weg, es fehle an Geld, zudem drohe bald ein Mangel an Pfarrerinnen und Pfarrern. Der Bedeutungsverlust der Kirchen sei unaufhaltsam, sowohl der evangelischen als auch der katholischen.

Unbestritten: Die Kirche muss sich neuen Gegebenheiten anpassen. Sie ist zu einer Kirche in der Minderheit geworden. Organisatorisch und strategisch muss sie sich neu aufstellen. Wie das gelingen kann und welche Energie dabei entfaltet werden kann, zeigen beispielhaft drei Projekte in Frankfurt:

Die Evangelische Akademie, direkt am Römerberg in umgebauten Räumen gut untergebracht, pflegt den Dialog mit sonst der Kirche eher fernstehenden Zielgruppen. Sie ist ein Forum für den Austausch zu Themen wie Flüchtlingspolitik oder Ethik in der Medizin, aber auch Plattform für unterschiedliche Akteurinnen und Akteure.

Am Standort der Matthäuskirche, zwischen Hauptbahnhof und Messe gelegen, soll bald ebenfalls ein Ort für gesellschaftliche Auseinandersetzungen und neue Formen des Planens, der Kooperation und der Bürgerbeteiligung entstehen, die „Neue Matthäuskirche“. Wie Stadtdekan Achim Knecht sagte: „Der Turm der Matthäuskirche ist ein Symbol für die kritische Kraft des Evangeliums gegenüber den Kräften, die sonst in Wirtschaft, Gesellschaft und Politik bestimmend sind.“

Und als drittes Projekt ist da das neue Gemeindehaus der Paulsgemeinde und der indonesischen Kristusgemeinde, mitten in der Neuen Altstadt, im Haus „Klein Nürnberg“. Es wird wohl noch bis nächstes Jahr dauern, bis der Innenausbau fertiggestellt ist. Doch auch an diesem Standort eröffnen sich neue Möglichkeiten des Kontaktes.

Die evangelische Kirche in Frankfurt nutzt also ihre Chance, den Dialog mit der Zivilgesellschaft zu führen. Da sie im politischen Diskurs keine eigenen parteipolitischen Interessen hat, können dort wirklich ergebnisoffen Meinungen ausgetauscht werden. Das stärkt die Demokratie, gerade in polarisierenden Zeiten wie diesen.

Die Sonntagsruhe ist seit Jahrhunderten umstritten

von Kurt-Helmuth Eimuth 19. September 2018

Dieses Jahr gibt es in Frankfurt keine verkaufsoffenen Sonntage. Gewerkschaften und die katholische Arbeitnehmerbewegung haben gegen entsprechende Pläne erfolgreich geklagt.

Spaziergang statt Shopping? Der freie Sonntag ist alte Tradition. | Foto: Rolf Oeser
Spaziergang statt Shopping? Der freie Sonntag ist alte Tradition. | Foto: Rolf Oeser

Der Einzelhandel ist gebeutelt. Die Konkurrenz aus dem Netz ist groß, dort kann man rund um die Uhr nach Lust und Laune Waren bestellen. Es wird immer schwerer, Kundschaft in die Geschäfte zu locken, wenn die nicht grade mitten auf der Zeil liegen. Und sonntags, wenn die ganze Familie mal Zeit fürs gemeinsame Shoppen hätte, darf man nicht öffnen.

Ein verkaufsoffener Sonntag war in Frankfurt immer ein Garant für hohen Umsatz. In diesem Jahr aber bleiben die Geschäfte an allen Sonntagen geschlossen. Die Gewerkschaften und die katholische Arbeitnehmerschaft hatten gegen Öffnungspläne geklagt. Und in der Tat stellten die Gerichte fest, dass die gesetzlichen Auflagen zur Sonntagsöffnung nicht eingehalten wurden. Eigentlich dürfen Kommunen in Hessen bis zu vier verkaufsoffene Sonntage genehmigen, aber nur aus besonderem Anlass. Um nicht wieder in die juristische Bredouille zu kommen, hat der Dachverband der Gewerbevereine in diesem Jahr ganz auf eine Sonntagsöffnung verzichtet.

Die Härte der Auseinandersetzung zwischen den Unternehmen auf der einen und den Gewerkschaften und Kirchen auf der anderen Seite zeigt, dass es in diesem Konflikt um etwas Grundsätzliches geht. „Der Sonntag und die staatlich anerkannten Feiertage bleiben als Tage der Arbeitsruhe und der seelischen Erhebung gesetzlich geschützt.“ So steht es bereits in der Weimarer Reichsverfassung von 1919. Wörtlich wurde diese Feststellung dann später in das Grundgesetz übernommen.

Das Gesetz schreibt eine fast 2000 Jahre alte Tradition fest. Bereits im Jahr 321 ordnete der römische Kaiser Konstantin die christliche Sonntagsruhe an und verbot jegliche Arbeit außer der Feldarbeit. Mit dem Ende des weströmischen Reiches ungefähr ab dem Jahr 480 und den daran anschließenden Machtkämpfen verlor jedoch der Sonntag in Mitteleuropa seine Bedeutung als arbeitsfreier Tag wieder. Im Frühmittelalter gab es keine Sonntagsruhe.

Erst im Mittelalter wurden die kirchlichen Gebote wieder stärker beachtet und auch der Sonntag als Ruhetag befolgt. Martin Luther war der Sonntag als Ruhetag deshalb wichtig, weil sich die Menschen an diesem Tag mit dem Glauben beschäftigen konnten.

Bis ins 18. Jahrhundert wurde der Sonntag allgemein beachtet. Im Zuge der Industrialisierung jedoch geriet der arbeitsfreie Tag aus wirtschaftlichen Gründen erneut unter Druck: Die teuren Maschinen sollten weiterlaufen. Erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts wurden die ersten Arbeitsgesetze eingeführt, die den Sonntag als arbeitsfreien Tag festschrieben.

Beim Streit um den Sonntag ging es also meist um die Gewichtung zwischen wirtschaftlichen
Interessen und Lebensqualität. Wenn die Wirtschaft auch am Sonntag brummt, sei es in der Produktion oder im Handel, steigt das Bruttosozialprodukt. Dem halten die Gewerkschaften und die Kirchen die soziale Qualität des Sonntags entgegen: Man fürchtet, dass der Sonntag als Tag der Ruhe, der Familie, der Freizeit und auch der Gottesdienste ausgehöhlt wird. Will man darauf im 21. Jahrhundert wirklich wieder verzichten?

Sonntagsruhe: Eine Gesellschaft braucht Rhythmus.

von Kurt-Helmuth Eimuth 22. August 2018

Unser Leben ist Rhythmus. Von Beginn an. Einatmen und Ausatmen, der Rhythmus des Lebens. Nicht nur die einzelnen Menschen, auch Gesellschaften brauchen einen Rhythmus: Warum wir den Sonntag als freien Tag nicht aufgeben sollten. Ein Kommentar. 

Kurt-Helmuth Eimuth ist Mitglied in der Redaktion des EFO-Magazins.  |  Foto: Tamara Jung
Kurt-Helmuth Eimuth ist Mitglied in der Redaktion des EFO-Magazins. | Foto: Tamara Jung

Unser Leben ist Rhythmus. Von Beginn an. Einatmen und Ausatmen, der Rhythmus des Lebens. Wir folgen dem Rhythmus von Tag und Nacht und erleben den Kreislauf der Jahreszeiten. 

Die Natur kennt nur rhythmische Verläufe. Die Sterne, die Sonne, ja das ganze Universum basiert auf einem Rhythmus. Die Rhythmen sind geprägt von einer Polarität, einer Spannung zwischen Aus- und Einatmen; dazwischen eine kurze Phase der Ruhe. Der Umkehrpunkt ist auch ein Punkt des Ausgewogenseins. In der Polarität des Rhythmus ist das Innehalten verankert. Der Rhythmus trägt die Idee der Pause in sich.

Und so wie der Rhythmus Symbol für alles Lebendige ist, ist er auch Symbol dafür, dass das Leben ohne Ruhen nicht existieren kann. Der Takt zwischen Ein- und Ausatmen eröffnet Raum für Anderes.

Dies gilt nicht nur für das Individuum, sondern auch für die Gesellschaft als Ganzes. Der Takt braucht die Unterbrechung, sonst ist er nicht zu erkennen. Und so sehr wir uns über volle Straßenbahnen und Busse im Berufsverkehr ärgern, so sind sie doch Zeichen dafür, dass es einen gesellschaftlichen Rhythmus gibt: Tagsüber wird gearbeitet, dann gibt es Privatleben, dann Nachtruhe, und dann geht es wieder los.

Auch der Wochenryhthmus ist ein Takt, der ein gesellschaftliches Innehalten ermöglicht. Treffen, Verabredungen und Veranstaltungen können gut organisiert werden, wenn alle zur selben Zeit „frei“ haben. Doch wir geraten immer mehr aus dem Takt. Die Technik macht‘s möglich: Online wird rund um die Uhr eingekauft, und der moderne Mensch arbeitet auch mal am Wochenende zwischendurch am Computer. Mails, nicht nur private, werden dauernd gecheckt.

Und dann kommt der Aufschrei nach der Work-Life-Balance, nach dem Gleichgewicht zwischen Arbeit und Privatem. Aber die Technik lässt diese Bereiche ineinanderfließen. Arbeit und Privates ist in vielen Bereichen nicht zu trennen. Insbesondere wenn die Arbeit Spaß macht oder Teil des eigenen Lebenswerks ist.

Hier braucht es neue Formen des Rhythmus, hier braucht es einen anderen Takt. Vielleicht war es ja eine gute Idee, als Stadtkirchenpfarrer Jeffrey Myers vor ein paar Jahren anbot, Smartphones während des Urlaubs sicher zu verwahren. Die besten Möglichkeiten und Formen, für sich einen Rhythmus zu finden, muss jeder und jede suchen.

Doch keineswegs sollten wir den Wochenrhythmus mit einem arbeitsfreien Sonntag als Gesellschaft aufgeben. Er ist eine Form von Lebensqualität, ganz egal ob man religiös oder ist oder nicht.

Reformationstag wird in Hessen kein Feiertag

von Kurt-Helmuth Eimuth 9. Juli 2018

In den norddeutschen Bundesländern ist der Reformationstag am 31. Oktober jetzt dauerhaft ein gesetzlicher Feiertag. In Hessen ist dazu jedoch keine Initiative in Sicht. Dabei gibt es auch hier nur zehn Feiertage – und nicht, wie in Bayern, dreizehn.

Im Süden Deutschlands gibt es deutlich mehr gesetzliche Feiertage als im Norden. Aber jetzt holt der Norden mit Hilfe des Reformationstags auf: Die Stadtstaaten Hamburg und Bremen sowie die Länder Schleswig-Holstein und Niedersachsen haben beschlossen, dass der Reformationstag gesetzlicher Feiertag wird. In den fünf ostdeutschen Bundesländern ist das ohnehin schon der Fall.

In Hessen allerdings ist derzeit keine entsprechende Gesetzesinitiative geplant. Die Staatskanzlei habe bereits abgewunken, sagt der Beauftragte der evangelischen Kirchen in Hessen am Sitz der Landesregierung, Jörn Dulige. Auch die Kirchen seien in dieser Angelegenheit nicht vorstellig geworden. In der Kirchenleitung würde man gegebenenfalls eher die Wiedereinführung des Buß- und Bettags im November als gesetzlichen Feiertag bevorzugen. Dieser war 1995 als arbeitsfreier Tag abgeschafft worden, um die Arbeitgeber dafür zu entschädigen, dass sie Beiträge für die neu eingeführte Pflegeversicherung aufbringen müssen.

Die Diskussion um den Reformationstag war durch das 500-Jährige Reformationsjubiläum im vorigen Jahr angestoßen worden, als der Reformationstag einmalig bundesweit zum Feiertag erklärt worden war. Auch der Frankfurter Bürgermeister und Kirchendezernent Uwe Becker (CDU) hat sich dafür ausgesprochen, den Reformationstag zu einem gesetzlichen Feiertag zu machen. Nun behalten nur die Länder im Norden den gesetzlichen Feiertag am 31. Oktober. Allerdings gibt es hier auch Nachholbedarf in Sachen Feiertage: Hamburg etwa hatte bisher nur neun Feiertage während es in Bayern hingegen dreizehn gibt. Auch Hessen mit seinen zehn Feiertagen gehört hier eher zu den Schlusslichtern.

Evangelische Kirche arbeitet Misshandlung von Heimkindern auf

von Kurt-Helmuth Eimuth 27. Juni 2018

Heimerziehung im Nachkriegdeutschland bedeutete oftmals Schläge, Isolierung, Falschmedikation und Demütigung. Die evangelische Kirche hat Betroffenen zugehört, Dokumente zusammengetragen und Fachleute befragt. Eine Wanderausstellung und ein Film fassen die Ergebnisse zusammen.

Kinderheim der Diakonie in Hephata, Treysa: Aufnahme aus den 1960er Jahren. | Foto: Dietmar Wegewitz/Flickr.com (cc by-sa)
Kinderheim der Diakonie in Hephata, Treysa: Aufnahme aus den 1960er Jahren. | Foto: Dietmar Wegewitz/Flickr.com (cc by-sa)

Die Situation in den Kinderheimen der 1950er und 1960er Jahren war vielerorts geprägt von Brutalität und Demütigung, auch in den Heimen der evangelischen Kirche. „Es gab Heime, die waren nicht schlimm und es gab Heime, die waren schlimm“, so die Historikerin Anette Neff von der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN). 

Die Landeskirche hat vor sechs Jahren begonnen, die Geschichte der Heimkinder in der Nachkriegszeit aufzuarbeiten. Daraus sind jetzt eine Wanderausstellung und ein 80-minütiger Dokumentarfilm entstanden. Doch besteht auch weiterhin die Möglichkeit, sich als Betroffener oder Betroffene an die Kirche zu wenden. Film und Ausstellung sollen ermutigen, das Gespräch zu suchen. Denn dass Betroffene zu Wort kommen, ist der Schlüssel der Aufarbeitung. 

„Das Gespräch und die Anerkennung waren wichtig“, konstatiert Petra Knötzele, die Leiterin des Aufarbeitungsprojektes. Und genau so ist der Film „Kopf Herz Tisch³“ von Filmemacherin Sonja Toepfer konzipiert. Interviews  mit Betroffenen, mit ehemaligen Heimkindern,  werden Aussagen von Verantwortlichen und Fachleuten gegenübergestellt. Auf erklärende Kommentare verzichtet der Film ganz. Die Schilderungen der Zeitzeugen und Zeitzeuginnen werden allenfalls mit eingeblendeten Originaltexten ergänzt. 

So entsteht ein facettenreiches Bild einer dunklen Zeit, in der Machtausübung gegenüber Kindern gang und gäbe waren. Demütigung, Schläge, Medikamente, Isolierung und all jene schrecklichen Dinge, die man eher in einem Folterzentrum vermutet als in einem Kinderheim.

Der Film dokumentiert auf erschreckende Weise, dass Handlungsmuster der Vorkriegszeit wie etwa die Einteilung in „gesund und krank“ oder „normal und abweichend“ auch noch in den 1960er Jahren gängig waren. Diese Denkmuster reichten weit in der Geschichte zurück, wurden dann aber im Nationalsozialismus auf die Spitze getrieben. „Die Nazis haben dann das Töten hinzugefügt“, erläutert Neff. Die Historikerin weist aber auch darauf hin, dass solche Unterscheidungen in Bezug auf den Wert des menschlichen Lebens im Grundsatz auch bis heute gemacht werden, zum Beispiel bei Abtreibungen wegen einer Behinderung des Kindes. 

Auch die Medizin hat in zahlreichen Fällen, die der Film dokumentiert, eine unrühmliche Rolle gespielt. Einer der Zeitzeugen, der Kinderarzt und Psychiater Hans von Lüpke, bescheinigt der Medizin ein veraltetes Denkmodell. „Erst kommt die Organmedizin, dann das Psychische“, kritisiert er. Dabei hänge beides wechselseitig miteinander zusammen. 

Heute setze sich die Kirche dafür ein, dass überall dort, wo Menschen in Abhängigkeit untergebracht sind, ob im Kinder- oder im Altenheim, eine respektvolle und menschliche Haltung eingenommen werde, sagt Petra Knötzele. Deshalb sollen die Ausstellung und der Film auch in der pädagigischen und pflegerischen Aus- und Fortbildung eingesetzt werden. Der Film kann demnächst auch als DVD gerkauft werden, der Erlös soll dann ehemaligen Heimkindern zugute kommen. 

Gesucht: zeitgemäße Formen für eine moderne Demokratie

von Kurt-Helmuth Eimuth 25. Juni 2018

Könnten Demokratie-Konvente statt verengter Filterbubbles offene Echokammern entstehen lassen? Beim Sommerfest der Evangelischen Akademie Frankfurt ging es um neue Ideen für politische Beteiligung.

Kurt-Helmuth Eimuth ist Mitglied in der Redaktion des EFO-Magazins.  |  Foto: Tamara Jung
Kurt-Helmuth Eimuth ist Mitglied in der Redaktion des EFO-Magazins. | Foto: Tamara Jung

Die erste Generation baut auf, die zweite Generation führt fort, die dritte Generation verkauft, lautet ein Sprichwort. Die Demokratie wird zwar derzeit nicht gerade verkauft, aber doch irgendwie links liegengelassen: Ihre Institutionen werden abschätzig behandelt, Politikerinnen und Politiker verächtlich gemacht. Zwar setzen sich vor allem auf kommunaler Ebene viele tausende Menschen ehrenamtlich für das Gemeinwohl ein, und streiten dabei auch über Ziele und Wege. Aber das wird wenig wahrgenommen.

Was bedeutet es, eine Europäische Union zu haben? Die EU war und ist ein gewaltiges Instrument, das den Frieden in Europa sichert. Noch nie ist in Deutschland eine Generation aufgewachsen, die keinen Krieg erlebte. Die EU sichert Frieden und damit Wohlstand. Ein Wert, der für die heutige Generation zur Selbstverständlichkeit geworden ist.

Aber die Welt hat sich gewandelt. Die alten Institutionen und Handlungsmuster der Demokratie bedürfen der Ergänzung und der Veränderung. Neue Kommunikationsformen sind entstanden. Ja, es geht auch um soziale Medien, um digitale Kommunikation. Es geht aber auch um die persönliche Einbindung von Menschen, um das Entwickeln von Ideen und Visionen.  

Die Evangelische Akademie Frankfurt hat bei ihrem Sommerempfang die Idee eines Demokratiekonvents vorgestellt: Zufällig ausgeloste Menschen der Stadt mit den unterschiedlichsten Hintergründen kommen einmal im Jahr zusammen und tauschen sich aus. Sie erarbeiten gemeinsam Lösungsvorschläge für gesellschaftliche Herausforderungen. Als Gegenmodell zur „Filterblase“ des eigenen Milieus soll so eine „Echokammer“ entstehen, die unterschiedliche Menschen und Meinungen an einen Tisch bringt. 

Mit der „Jungen Akademie“ und all ihren Workshops und kreativen Formen und Methoden spricht man gezielt Menschen an, die sich jenseits eingefahrener Wege für das Gemeinwohl engagieren wollen. Die Demokratie braucht zeitgemäße Formen der Beteiligung, und sie müssen heute anders aussehen als vor 70 Jahren. Nur wenn möglichst viele in die Meinungsbildung einbezogen werden, lässt sich dem Gefühl, dass „die sowieso machen, was sie wollen“ etwas entgegensetzen. 

Info-Gespräch im Landtag

Marion Eimuth vor dem Hessischen Landtag

Auf Einladung des Abgeordneten Michael Siebel (SPD) konnten wir heute (20.6.2018) ein Fachgespräch zu den Regelungen im Pflege-Dschungel mit der gesundheitspolitischen Sprecherin der Fraktion Daniela Sommer führen. Beide waren kompetente Gesprächspartner und -partnerin. Sommer hatte gut zwei Jahre für eine niedrigschwellige Verordnung zum Entlastungsbetrag gekämpft.
Wir konnten noch die Idee einer Erweiterung der Pflegeprofession einbringen. Warum nicht Menschen mit einfacher Pflegegrundschulung als Selbstständige in der Pflege arbeiten lassen? Wem das zu abstrus vorkommt, schaue auf die Organisation der Kinderbetreuung. Die Kindertagespflege ergänzt nach dem Gesetz gleichwertig die Kinderbetreuung in den Kitas. Auch hier arbeiten Menschen mit einer 165-stündigen Grundausbildung. warum diese Modell nicht auf die Pflege übertragen? Es lohnt sich hier weiterzudenken. Ich hoffe, es war eine Initialzündung.
Kurt-Helmuth Eimuth

Weiterhin im Vorstand des Institutes für Kommunikation

Der Vorstand des Institutes für Kommunikation Hessen mit seinem Vorsitzenden Michael Siebel (MdL).


Der Medienpädagogik bin ich weiterhin verpflichtet. Medienbildung ist eine Schlüsselqualifikation, die bereits im Kindergarten gelernt werden sollte. Deshalb engagiere ich mich seit 2006 im Vorstand des Institutes für Kommunikation Hessen, das gerade im Elementarbereich tolle Projekte durchführt. Kurt-Helmuth Eimuth

Den Stummen eine Stimme – Zum 35. Todestag der Familie Jürges

Der tragische Tod dieser Pfarrfamilie wurde Teil des kollektiven Gedächtnis der Stadt

Pfarrer Martin Jürges Foto: Kurt-Helmuth Eimuth

Sie wollen am Pfingstmontag nach dem Gottesdienst einen Familienausflug ins Grüne unternehmen. Am 22. Mai 1983 herrscht Bilderbuchwetter. Im Stadtwald am Oberforsthaus vergnügen sich die ersten schon beim Volksfest und 400.000 Menschen sind auf dem militärischen Teil des Frankfurter Flughafens, der Rhein-Main-Air-Base, fasziniert von der todbringenden Technik der Starfighter. Als sich bei der Flugschau einer der Militärjets aus der Formation löst, fährt der hellblaue Kombi der Familie Jürges auf dem Autobahnzubringer am Waldstadion. Brennende Wrackteile der abstürzenden Kampfmaschine treffen den Wagen. Die ganze Straße scheint zu brennen. Martin Jürges (40), seine Frau Irmtraud (38), sein Sohn Jan (11), seine Tochter Katharina (1) und seine Mutter Erna (77) verbrennen im Auto. Die 19jährige Nichte Gesine Wagner, Patin der kleinen Katharina, erliegt 81 Tage später in einer Offenbacher Spezialklinik ihren schweren Verletzungen.

Die erste Todesanzeige erscheint am 24. Mai 1983, unterzeichnet von „deutschen und ausländischen Bewohnern des Gutleutviertels“. Sie bescheinigt dem Pfarrer, der erst zwei Jahre in der Gemeinde tätig war: „Martin Jürges war seinen Mitmenschen ohne Ansehen des Alters, des Standes, der Religion, der Nationalität verbunden. Er gab ihnen Halt.“

Tatsächlich konnte dieser Mann in kürzester Zeit, der Gemeinde und dem Viertel etwas von seinem Lebensmut, seinem Optimismus und seinen Visionen vermitteln. Mit dem ihm eigenen Organisationsgeschick und seiner Überzeugungskraft erreichte er es, dass die Gutleutgemeinde ein neues Haus in der Gutleutstraße 131 bekam. Nach den Vorstellungen von Irmtraud und Martin Jürges wurde aus dem Bürogbäude ein Pfarrhaus, ein Gemeindestützpunkt und bot zudem noch dem Kindergarten Platz. Heute beherbergt es die Kaffeestube Gutleut. Das Kaffeestuben-Restaurant ist seit 1991 zu einer festen Einrichtung für wohnsitzlose und arme Menschen des Gutleutviertels geworden. Der Platz vor dem Behördenzentrum wurde nach der Pfarrfamilie benannt.

Martin Jürges und seine Ehefrau arbeiteten zuvor im Stadtjugendpfarramt, er als Stadtjugendpfarrer, sie als Sozialarbeiterin, zuständig für Jugendreisen. Die aktive Mitwirkung am Kirchentag, die Förderung der Gruppe „Habakuk“, die Ausrichtung der Sacro-Pop- Festivals, die Schulung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die Einmischung in die Frankfurter Kommunalpolitik mit der Initiative „PO – Politisch Obdachlose“, die Untersuchung alternativer Lebensstile, die aktive Jugendpolitik, die praktizierte Ökumene – alles Stichworte, die die Breite und den Aktionsradius dieser besonderen Pfarrfamilie andeuten.
Kurt-Helmuth Eimuth

Weitere Infos unter www.familie-jürges.de