Von Kurt-Helmuth Eimuth – 8. Februar 2016
Kurt-Helmuth Eimuth ist Mitglied der Redaktion von „Evangelisches Frankfurt“. Foto: Rolf Oeser
Die Polizei soll es also richten. Nach den sexualisierten Übergriffen gegen Frauen am Kölner Hauptbahnhof fordern viele mehr Polizistinnen und Polizisten. Keine Frage: Wo Menschen bedroht, beklaut oder gar Opfer sexueller Gewalt werden, muss die Polizei einschreiten. Dazu muss sie personell und materiell gut ausgestattet sein – die jetzt zu Tage tretenden Defizite sind auch das Ergebnis der Sparwut derer, die so gerne einen schlanken Staat wollten.
Aber die Ausschreitungen in Köln stehen keineswegs isoliert. Seit Jahren erleben wir einen schleichenden Prozess der Entsolidarisierung, der Ich-Bezogenheit. Die Gesellschaft scheint auseinanderzufallen. Sie ist schon lange keine Werte-Gemeinschaft mehr. Eine Branche wie die der „Security“ gab es vor vier Jahrzehnten nicht, da sind höchstens nachts einige Männer der Wach- und Schließgesellschaft durch leere Büroräume gelaufen. Heute gibt es kaum noch einen Kaufhauseingang ohne Security.
Eine funktionierende Gesellschaft benötigt Verbindlichkeit. Wenn nur ein Prozent sich nicht an Regeln hält, wird es schwierig – man muss sich nur einmal das Chaos vorstellen, wenn jedes hundertste Auto bei Rot über die Ampel fahren würde. So ähnlich ist es auch mit anderen Regeln: Sie müssen beachtet werden, auch wenn keine Polizei in der Nähe ist. Regeln lernt man vor allem in der Familie, aber auch in der Schule. Erwachsene, die in ein fremdes Land kommen, müssen sich in die dortigen Regeln erst einfinden. Vieles ist zunächst fremd, es bedarf der Erklärung und Einübung.
Vorfälle wie die in Köln zeigen, dass der Respekt vor der Würde anderer Menschen oft fehlt. Aber ein Blick in die Kriminalstatistik belegt auch, dass dies keineswegs nur ein Problem „nordafrikanischer“ Männer ist. Wir brauchen in vielerlei Hinsicht mehr selbstverständliche Rücksichtnahme im Alltag, mehr Achtsamkeit im Umgang miteinander. Sicher: Die Polizei soll und muss helfen, wenn das Kind in den Brunnen gefallen ist. Aber wir alle müssen dafür sorgen, dass es gar nicht erst hineinfällt.
„Behandle andere Menschen so, wie du von ihnen gern behandelt werden möchtest“ – diese so genannte „Goldene Regel“ gilt in allen Weltreligionen. Insofern kann die Religion helfen, eine Gesellschaft zu einer menschlichen zu machen. Sicher brauchen wir eine starke Polizei. Aber vor allem brauchen wir verbindliche Werte. Die Polizei wird Werte nicht vermitteln können.
Beitrag von Kurt-Helmuth Eimuth, veröffentlicht am 8. Februar 2016 in der Rubrik Meinungen, erschienen in der Ausgabe 2016/1 – Februar.