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Klaus-Peter Hufer
Mut zur Demokratie – Nicht zuschauen, sondern handeln

Wochenschau Verlag (ISBN 978-3-7344-1688-0), 14,90 € von Kurt-Helmuth Eimuth


Der Befund treibt Tausende auf die Straße. Unser politisches System ist bedroht, wenn 20-30% den einfachen Antworten hinterherlaufen. Klaus-Peter Hufer, Professor für Erwachsenenbildung an der Universität Duisburg-Essen, fordert dagegen mehr „Mut zur Demokratie“, so der Titel seines Buches. Hufer führt seit über 25 Jahren Workshops durch. In Rollenspielen fordert er dazu auf, sich gegen Stammtischparolen wie „Die da oben machen doch, was sie wollen“ oder „Politik ist ein schmutziges Geschäft“ zu wehren. Die Erfahrung zeige, dass die Gruppe, die die Parolen vertritt, den Diskurs dominiert. Schnell würden die Äußerungen nicht nur antidemokratisch, sondern auch sexistisch, antisemitisch und rassistisch. Ziel der Workshops und wohl auch des hier vorgelegten Buches ist es, angemessene Antworten zu finden.

Der Autor zeigt die geistesgeschichtliche Entwicklung der Idee Demokratie auf. Von Platon und Aristoteles über Morus und Rousseau. Kenntnisreich zitiert er deren Werke. „In Demokratien gibt es Spannungen aufgrund der unterschiedlichen, auch gegensätzlichen Meinungen, Ziele und Lebensweisen der Menschen, die in ihnen leben.“ Doch dies sei nicht schlimm. Im Gegenteil: „Daraus ergeben sich Konflikte, die das Lebenselixier einer vitalen Demokratie sind.“ Es gehe darum, solche Gegensätze auszuhalten, einen Konsens zu suchen oder auch das eigene Interesse vom Allgemeinwohl zu unterscheiden.

Das Buch ist dabei immer wieder unterbrochen von Reflexionsfragen und zahlreichen Bezügen zum Alltag, zur Lebenswelt. Demokratie fände nicht nur im System (Staat, Institutionen) statt, sondern eben auch in der individuellen Lebenswelt. So sei eine demokratische Gesellschaft quasi ein Ping-Pong-Spiel zwischen Lebenswelt und System. Etwa wenn durch einen Neubau mein Blickfeld eingeschränkt würde, aber auf der anderen Seite Wohnungsbau dringend erforderlich sei. Dann beginnen die Aushandlungsprozesse. „Das Leben in einer Demokratie ist eine hochkomplexe Anforderung an alle, an jede und jeden. Demokratie ist kein Ich-Projekt oder ein Erst-Komm-ich-Unternehmen. Demokratie ist eine Zumutung.“

Hufer analysiert die Megatrends der Verunsicherungen: Individualisierung, Globalisierung, Migration, Ökonomisierung und Digitalisierung. Unbeachtet bisher, dass die Individualisierung oftmals mit Einsamkeit einhergeht. Menschen, die sich einsam fühlen, haben ein höheres Krisenempfinden und sind anfälliger für Populismus und rechtsextreme Einstellungen. „Einsamkeit kann also ein ‚Sprengstoff‘ für die Demokratie sein.“

Aufgrund der Megatrends geht der Einfluss der „Ligaturen“, wie es der Soziologe Ralf Dahrendorf nannte, zurück. Jene Institutionen, die durch tiefe kulturelle Bindungen den Menschen einen Weg durch die Welt der Optionen hilft zu finden. Hier müsse die Zivilgesellschaft einspringen. Eine der Ligaturen sind die Kirchen. Ihr Einfluss ist geschrumpft. Wäre es nicht trotzdem ihre Aufgabe zumindest eine Plattform für den Diskurs zu sein?

Die Handlungsweise von autoritären Politikern (männlich!) beschreibt Hufer so: „Sicher ist, dass Minderheitenrechte infrage gestellt, Lebensstile attackiert oder sogar verboten werden. Autoritäre und rechte Politiker wollen die Kontrolle über die Medien und die Justiz übernehmen und versuchen, Zugewanderte auszugrenzen und abzuschieben. Sie werden internationale Abkommen kündigen.“ Und die Gewaltenteilung aufheben. Eine präzise Beschreibung des Fahrplans von Trump. Hufer hält dies mit Blick auf die Landes- und Kommunalparlamente – durchaus für eine Blaupause für Deutschland.

Dem könne man nur mit einem nachhaltigen und wirkungsvollen Engagement entgegentreten. „Demokratie ist ein dauerhafter Prozess. Sie beginnt im Alltag und setzt sich von da aus fort bis in die höchsten Institutionen des Staates.“ Er fordert dazu auf, Mut zu haben, den Parolen auch im privaten Umfeld entgegenzutreten. Er listet eine Reihe von Institutionen auf, die faktenbasierte Informationen bereithalten wie etwa die Bundeszentrale für politische Bildung.

Hufer zeigt Wege zum Mut zur Demokratie ebenso auf wie die soziologischen wie philosophischen Ursprünge der Staatsform Demokratie. Er begreift Demokratie als lebenslanges Lernen. „Anders gesagt: Durch die Komplexität der Verhältnisse werden unterkomplexe Antworten attraktiv. Komplexität muss erklärt werden, doch es ist mühsam.“

Kurt-Helmuth Eimuth

Meinetwegen: nenn es Gott

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Die spirituelle Botschaft von AC/DC bis Led Zeppelin

Religionsverfassungsrecht

Das Magazin 5/35 1.10.2023

Huber: Ethik der Digitalisierung

Politisch, aber mit Zuversicht: die neue CD der Band Habakuk

von Kurt-Helmuth Eimuth

16. Februar 2023

Wie alle Kulturschaffenden wurde auch die Band Habakuk von der Corona-Pandemie hart getroffen, besonders von Absagen für Auftritte beim Ökumenischen Kirchentag in ihrer Heimatstadt Frankfurt. Doch Bandleader Eugen Eckert hält mit Hoffnung dagegen: Jetzt gibt es eine neue CD – „Überall“.

D ie Erfahrungen in der Pandemie waren beängstigend: „Schwere Krankheitsverläufe, überfüllte Intensivstationen und ein herzzerreißendes Sterben ohne Chance zum persönlichen Abschied“. So düster die Erinnerungen desto heller die Hoffnung, die Texter, Musiker und Pfarrer Eugen Eckert auf der neuesten CD der Band Habakuk dagegenhält.

„Wir haben uns vorgenommen, nicht im Klagen stecken zu bleiben“, schreibt Eckert im Klappentext, „denn wunderbare Dinge sind geblieben.“ So lobt der titelgebende Song „Überall“ die Schönheit der Schöpfung Gottes. „Frisches Wasser, frische Luft, Vogelstimmen, erstes Lachen, fester Boden, Apfelduft.“

Doch vor der Wirklichkeit schließt man nicht die Augen. Im Lied „Es hat sich angekündigt“ setzt sich die Band mit dem Virus und der Zerbrechlichkeit der Welt auseinander. Besonders empathisch „Atemzug um Atemzug“, das die Situation von Menschen mit Atemnot aufgreift und dabei auch den Pflegenden dankt. „Er (der Virus) hat das auch bei mir probiert. Ich kam davon, ich blieb am Leben, weil du nie aufgabst, du mich pflegst.“ Und an die weltweiten Verflechtungen erinnert ein anderer Song mit der Textzeile: „Was wir Global anpflanzen, das ernten wir global.“

Deutlich bezieht Eckert im Lied zum Motto des Ökumenischen Kirchentages Stellung. „Schau hin“ ist das politischste Lied. Ausländerhass, die Bedrohung der Schöpfung und die Gier des Kapitals („Ein Bankhaus lügt, Cum-Ex betrügt!“) werden benannt, und es wird zum Widerstand aufgefordert. Die Musik ist bei so kraftvollen Zeilen sogar etwas zu harmonisch geraten.

Die neue CD, erschienen im 48. Jahr des Bestehens der Band, ist musikalisch reif aber keineswegs abgehangen. Sie bietet flotte, abwechslungsreiche Musik mit Texten zum Nachdenken, die trotz aller benannten Widrigkeiten Zuversicht verbreiten. So etwa im Osterlied, aber auch in den an den Psalmen angelehnten Texten.

Mein persönlicher Hit ist der einzige auf Englisch gesungene Song „Be an angel“. Bei zunächst einfacher Klavierbegleitung singt Laura Doernbach hinreißend: „Be an angel. Just be an angel. It’s the best thing you can do.“ Wäre er auf einem großen Label erschienen, hätte der Song die Chance, in die Charts zu kommen.

Die CD „Überall“ kann für 15 Euro plus 3,40 Euro Versand überwww.habakuk-musik.de bestellt werden.

Für eine Ethik der Digitalisierung

Ethik & Werte

von Kurt-Helmuth Eimuth

9. Januar 2023

Wie intelligent ist sie wirklich, die „künstliche Intelligenz“? Um das herauszufinden, experimentierte unser Autor mit dem künstlichen Intelligenz-Modell ChatGPT, das seit kurzem frei im Internet zugänglich ist, und sprach mit dem ehemaligen Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche in Deutschland, Wolfgang Huber, der gerade ein Buch über digitale Ethik geschrieben hat.

Wolfgang Huber: Menschen, Götter und Maschinen, C.H.Beck 2022, 207 Seiten, 18 Euro.
Wolfgang Huber: Menschen, Götter und Maschinen, C.H.Beck 2022, 207 Seiten, 18 Euro.

Von künstlicher Intelligenz (KI) haben wir alle schon mal gehört. Wir wissen, sie findet Anwendung in der Medizin, beim Analysieren von Röntgenbildern etwa – und das ist gut so, denn die KI ermüdet nicht, anders als die Augen des Arztes. Eine KI schätzt auch unsere Zahlungsfähigkeit bei der Kreditvergabe ein – hoffentlich hat noch ein Bankmitarbeiter oder -mitarbeiterin das letzte Wort. KI-Programme, genauer gesagt: speziell trainierte Algorithmen, haben längst zum Sprung in unser aller Alltag angesetzt. Dabei geht es nicht bloß um autonom gesteuerte Einparkhilfen.

Eine neue KI, das Dialogprogramm ChatGPT, steht neuerdings frei zugänglich für alle im Internet. Der Chatbot erstellt Texte, Nachrichten, Kommentare oder zeichnet Bilder, die kaum von anderen Kunstwerken zu unterscheiden sind. Er hilft auch bei der Planung von Seminaren, das habe ich selbst ausprobiert: Zur Vorbereitung eines Hochschulkurses über Partizipation im Kindergarten fertigte die KI mir eine Literaturliste an, spuckte eine Liste mit Filmen aus und gab didaktische Tipps. Und vergaß auch nicht den freundlichen Hinweis, dass man bei einem Seminar über Partizipation diese auch selbst praktizieren müsse.

Und was hält die KI von diesem Text, den Sie gerade lesen? Antwort: „Der Text gibt einen Überblick über die vielfältigen Anwendungsmöglichkeiten von künstlicher Intelligenz (KI). Er erwähnt Beispiele aus verschiedenen Bereichen wie Medizin, Finanzen und Alltag. Der Autor scheint positiv über die Verwendung von KI zu denken und betont ihre Fähigkeit, menschenähnlich zu arbeiten und handeln.“

Keine Frage: Computerprogramme sind heutzutage fähig, in gutem Deutsch (oder vielen anderen Sprachen) Artikel zu schreiben, Analysen zu erstellen oder Überschriften zu finden. Sie können sogar Kritik. Jedenfalls empfiehlt mir die KI in ihrer Artikelanalyse: „Insgesamt ist der Text etwas allgemein gehalten und könnte durch die Hinzufügung von mehr Details und der Berücksichtigung von Ethikaspekten vertieft werden.“

Das nehme ich mir zu Herzen und vereinbare ein Interview mit Wolfgang Huber, Autor des Buches „Menschen, Götter und Maschinen. Eine Ethik der Digitalisierung“. In der Ethik, so der Theologe und frühere Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, müssten die großen menschlichen Handlungsfelder thematisiert werden. Dies sei bei der Digitalisierung aber kaum geschehen, sagt Huber: „Man hat sie stiefmütterlich behandelt.“ Sich selbst will er da gar nicht ausnehmen.

Doch die Gesellschaft müsse Verantwortung dafür tragen, allen Menschen einen fairen Zugang zur Digitalisierung zu ermöglichen. Er sei nicht etwa ein Gegner dieser Technik, die er gerne auch selbst nutzt. Doch es komme auf die Art ihres Einsatzes an. Ob sie etwa gegen die Würde des Menschen verstößt.

Huber sieht Anzeichen dafür, dass sich die Menschheit selbst vergöttlicht. „Menschen vergessen den Unterschied zwischen Gott und den Menschen.“ Manche hätten die Idee, mit Hilfe der Digitalisierung unsterblich werden zu können, was aber, falls es funktionieren sollte, den kommenden Generation das Lebensrecht absprechen würde. Huber setzt sich mit dem israelitischen Historiker Yuval Noah Harari auseinander, der davon spricht, dass sich der Homo sapiens zu einem Homo deus, zu einem Gott gewordenen Menschen, wandele. Die Folge sei eine Spaltung der Gesellschaft zwischen einer zu Übermenschen mutierten Elite und der breiten Masse.

Huber ist überzeugt: „Um der Humanität willen ist es wichtig, dass die Unterscheidung zwischen Gott und Mensch nicht nur vorausgesetzt, sondern auch lebensweltlich dargestellt und erfahren wird. Das ist die Aufgabe der Religion, in besonderer Weise die Aufgabe christlicher Kirchen.“

Und was sagt die KI jetzt zu diesem Text? Antwort: „Wolfgang Huber, ein deutscher Theologe und Professor für Systematische Theologie, argumentiert in seinem Buch, dass die Menschheit den Unterschied zwischen Gott und Mensch wahren und lebensweltlich darstellen muss, um eine Spaltung der Gesellschaft in eine Übermenschen-Elite und die breite Masse zu verhindern.“ Wohl wahr.


Zu ChatGPT: https://chat.openai.com/chat

Jugendkrimis gegen Rassismus

Das Magazin für evangelische Pfarrer:innen 01. Dezember 2022

Hymnen der weltweiten Friedensbewegung

von Kurt-Helmuth Eimuth

9. November 2022

Wann wäre ein Buch zur musikalischen Friedenskultur zeitgemäßer gewesen als jetzt? Uwe Birnstein, Journalist, Theologe und Musiker, hat 25 Friedenslieder und ihre Entstehungs- und Wirkungsgeschichten in einem Band vereint. Ausgewählt hat er sie vor allem biographisch: Es sind Lieder, die er selbst schon in den 1970er- und 1980er-Jahren am Lagerfeuer gesungen hat, ergänzt durch einige neuere.

Uwe Birnstein: Hits from Heaven. Wie die Songs des Friedens unsere Hoffnung nähren. Neue Stadt Verlag, 121 Seiten, 18 Euro.
Uwe Birnstein: Hits from Heaven. Wie die Songs des Friedens unsere Hoffnung nähren. Neue Stadt Verlag, 121 Seiten, 18 Euro.

Natürlich ist „Blowing in the Wind“ von Bob Dylan dabei. Über dessen Manager kam der Song zu Peter, Paul and Mary, die damit gleich einen Hit landeten. Dylan selbst sang sein Werk erst später. Das Lied wurde zur Hymne der Protestbewegung. Es ist, schreibt Birnstein, eine Aufforderung, sich mit dem Unfrieden der Welt nicht abzufinden. Doch als Protestler fühlte Dylan sich nicht wohl und spielte lieber rockige Songs. Zum Leidwesen der Fans.

Geradezu eine weltumspannende und vereinende Hymne wurde John Lennons „Imagine“, laut Birnstein „ein Gebetbuch, ein Gedicht seiner Liebsten Yoko Ono und viel Love, Love im Herzen“. Die Idee, dass man sich den Frieden nur fest genug vorstellen muss, ihn „imaginieren“ oder, christlich gesprochen, für ihn beten muss, damit er sich einstellen kann, ist eine faszinierende Vorstellung. Die wundervoll einfachen Klavier-Akkorde können Millionen Menschen überall auf der Welt heute mitsingen. Doch für Christ:innen hat der Song eine quer liegende Liedzeile. Denn Lennon postuliert ausdrücklich eine Welt ohne Religion. Gemeint sei damit, wie Birnstein mit zahlreichen Aussagen Lennons belegt, jedoch eine Welt ohne institutionalisierte Religion. Leider habe Lennon mit seiner Kritik an den Kirchen teilweise recht gehabt, denn auch heute rechtfertigen immer noch einige einen „heiligen Krieg“.

Auch deutschsprachige Lieder kommen in dem Buch vor, Reinhard Meys „Nein, meine Söhne geb‘ ich nicht“, Marlene Dietrichs „Sag mir wo die Blumen stehen“, Herbert Grönemeyers „Stück vom Himmel“ oder Udo Lindenbergs „Wozu sind Kriege da“. Und natürlich das naive Liedchen „99 Luftballons“ von Nena. Es verdankt seine Entstehung einem Konzert der Rolling Stones in der Berliner Waldbühne 1982. Hunderte bunte Luftballons stiegen zu Beginn auf, im Publikum war auch Nena mit ihrer Band. Deren Gitarrist Carlo Karges schrieb daraufhin den Text in, wie Birnstein es nennt „knalliger Pop-Poesie.“ Die 99 Luftballon erklommen die Hitparaden der ganzen Welt.

Es gäbe noch vieles mehr zu erzählen. Spannende Geschichten über Donovan, Bob Marley, The Byrds oder Joan Baez und ihre Lieder. Ein Werk beeindruckt besonders: „Hey Hey Rise Up“ des ukrainischen Sängers Andriy Khlyvnyuk. Als Russland die Ukraine angriff, brach er seine US-Tournee ab und kehrte zurück, um sein Land mit der Waffe zu verteidigen. Drei Tage später veröffentlichte er ein Video: Khlyvnyuk steht in Uniform auf dem menschenleeren Sophienplatz in Kiew und singt ein ukrainisches Widerstandslied, das auf ein altes Volkslied zurückgeht. Das Video erreichte auch David Gilmour von Pink Floyd, der daraufhin beschloss, das Lied mit einer eigenen Pink-Floyd-Komposition zu unterlegen. Inzwischen wurde der Song in dieser Version über elf Millionen Mal angeklickt.

Uwe Birnstein lässt einen schwelgen in Erinnerungen und Ermutigungen. Denn die Playlist seines Lebens ist die Playlist einer ganzen Generation. Die Entstehungsgeschichten sind immer auch Deutungen und Interpretationen, bei denen der Theologe Birnstein gerne auch auf die biblischen Bezüge verweist. Schade, dass keine CD beigelegt werden kann, aber übers Internet sind die Songs ja leicht zu finden. Und bei all den Krisenmeldungen, machen sie damals wie heute Mut.

Energiewende und Klimanotstand: Grünes Schrumpfen als politisches Ziel

Politik & Welt

von Kurt-Helmuth Eimuth

25. Oktober 2022

Zwei aktuelle Bücher beschäftigen sich mit der Frage, wie der Wandel zu einer ökologisch nachhaltigen Wirtschaft funktionieren kann. Und sind sich einig in dem Fazit: Ohne Schrumpfen wird es nicht gehen.

Ulrike Herrmann: Das Ende des Kapitalismus, Kiepenheuer und Witsch, 341 Seiten, 24 Euro. Achim Wambach: Klima muss sich lohnen, Herder, 16 Euro.
Ulrike Herrmann: Das Ende des Kapitalismus, Kiepenheuer und Witsch, 341 Seiten, 24 Euro. Achim Wambach: Klima muss sich lohnen, Herder, 16 Euro.

Angesichts eines im Nachkriegsdeutschland noch nie da gewesenen Wohlstandsverlustes und einer allseits augenfälligen Klimakrise, die längst auch hierzulande durch Trockenheit, Hitze und Starkregen als Bedrohung erlebt wird, stellt sich die Frage: Wie geht es weiter? Das Zukunftsversprechen der Nachkriegsgeneration „Unsere Kinder sollen es besser haben“ ist für die Generationen, die nach 1980 geboren wurde, nicht mehr einlösbar.

Derzeit ist die Rede von Transformation zu einer nachhaltigen Wirtschaft. E-Autos ersetzen die Diesel und die Gasheizung wird durch Wärmepumpen ersetzt. Und wenn das Geld nicht reicht, gibt es einen Wumms oder auch einen Doppelwumms. In dieser Situation hat die TAZ-Journalistin Ulrike Herrmann ein viel beachtetes Buch vorgelegt.

Es hilft nur Schrumpfen, schreibt sie in ihrem aktuellen Buch „Das Ende des Kapitalismus“. Dabei sieht sich Herrmann gar nicht per se als Kapitalismus-Gegnerin, schließlich habe kein anderes Wirtschaftssystem eine solche Dynamik entfaltet. Aber die Antriebsfeder des Kapitalismus ist das Wachstum. „Ohne ständige Expansion bricht der Kapitalismus zusammen. In einer endlichen Welt kann man aber nicht unendlich wachsen.“ Herrmann rechnet vor, dass schon heute der ökologische Fußabdruck in Deutschland drei Mal so groß sei, wie es für unser Ökosystem verträglich wäre, in den USA fünf Mal, in Katar 18 mal so groß.

Solche Energieverbräuche könnten auf ökologisch nachhaltige Weise nicht hergestellt werden, schreibt Herrmann. Grünes Wachstum, der Traum aller bürgerlichen Parteien, sei nicht erwirtschaftbar. „Diese Aussage mag zunächst überraschen, schließlich schickt die Sonne 5.000-mal mehr Energie zur Erde, als die acht Milliarden Menschen benötigen würden, wenn sie alle den Lebensstandard der Europäer genießen könnten. […] Solarpaneele und Windräder liefern jedoch nur Strom, wenn die Sonne scheint und der Wind weht. Um für Flauten und Dunkelheit vorzusorgen, muss Energie gespeichert werden – und dieser Zwischenschritt ist so aufwendig, dass Ökostrom knapp bleiben wird.“

In der Folge wird es laut Herrmann kein Wachstum geben. Im Gegenteil. Auch das E-Auto sei ein Irrweg. In der Zukunft müssten wir mit weniger Autos, weniger, sogar besser keinen Flügen, und weniger Quadratmetern Wohnfläche pro Person auskommen: Grünes Schrumpfen statt grünes Wachstum.

Als Referenz nennt Herrmann das Jahr 1978. Auf dieses Niveau müsse die Wirtschaftsleistung sinken, um zukunftsfähig zu sein. Es war ein Jahr, in dem die Menschen durchaus gut gelebt haben: „Seit 1978 hat sich die reale Wirtschaftsleistung in der Bundesrepublik verdoppelt, aber die Zufriedenheit ist seither nicht gestiegen. Auch früher lebte es sich gut.“

Klimaneutrales Leben könne eine hohe Qualität haben. Herrmann träumt von einer Welt, „die schöner, leiser, grüner, gesünder, stressfreier, nachhaltiger und gerechter sein wird“. Und fast theologisch fügt sie hinzu: „Der Sinn des Lebens ist nicht, ständig mehr zu konsumieren.“ Schließlich würden sich viele Deutsche von ihren Besitztümern so erdrückt fühlen, dass die Branche der Ratgeber etwa mit dem Dauerbrenner „Simplify your life“ boomt. Herrmann entwirft keine Vision von einem „grünen Bullerbü“. Technische Entwicklung soll es weiter geben. Die entscheidende Frage sei nur: Wie schaffen wir die Transformation?

Für Frankfurt, führte Ulrike Herrmann kürzlich im Haus am Dom aus, sei dies vor allem am Flughafen und in der Finanzbranche zu spüren. Denn die Folge eines solchen wirtschaftlichen Schrumpfungsprozesses sei der Verlust an Arbeitsplätzen. Arbeit beispielsweise in der ökologischen Landwirtschaft oder zum Aufforsten der Wälder sei genug da, nur eben andere und weitaus schlechter bezahlte.

Als Lösung zieht Herrmann die durch Rationierung gekennzeichnete britische Kriegswirtschaft von 1939 heran. Damals teilte die Regierung den privaten Unternehmen Rohstoffe, Kredite und Arbeitskräfte zu. Die Einwohner:innen bekamen eine feste Menge Lebensmittel, Extras wie Möbel konnten über ein persönliches „Punktebudget“ bezahlt werden. Es war ein gerechtes und darum allseits akzeptiertes System, das die Menschen im Vereinten Königreich so liebten, dass sie es noch bis 1954 beibehielten. „Der Konsum fiel damals um ein Drittel – und zwar in kürzester Zeit. Der deutsche Verbrauch muss ähnlich drastisch sinken, wenn das Klima gerettet werden soll“, ist Herrmann überzeugt.

Man mag an manchen Zahlen Zweifel anmelden, doch dass die Klimakrise ohne Verzicht nicht in Grenzen zu halten sein wird, erscheint mehr als plausibel. Die Frage, wie dieser Wohlstandsverlust politisch zu bewältigen ist, bleibt offen. Doch Ulrike Herrmann sieht durchaus die Gefahren, dass ein solcher Kurs zu größeren Gefahren am rechten Rand führt. Es bleibt zu hoffen, dass endlich ein gesellschaftlicher Diskurs über „die Grenzen des Wachstums“, wie sie der Club of Rome schon 1972 beschrieb, beginnt.

Ganz anders geht der Volkswirtschaftler Achim Wambach an das Thema heran. Sein Credo: Der Weg aus der Klimakrise muss sich lohnen, denn der Gewinn ist die Antriebskraft des Kapitalismus. Dabei will er die Marktkräfte nutzen und entfesseln. Der Weg aus der Klimakrise führt nur über eine Reduktion des CO²-Ausstoßes. Der Hochschullehrer entlarvt die Mär, dass zur Verwirklichung der Klimaziele allein das Verhalten der Verbraucherinnen und Verbraucher verantwortlich sei.

Der sogenannte ökologische Fußabdruck, auf den auch Herrmann Bezug nimmt, wurde ganz bewusst von Seiten der Industrie protegiert, um von der politischen Verantwortung abzulenken. Dabei, so Wambach im Gespräch, benötigen wir eine effiziente Klimapolitik, die den Verbrauch klimaschädlicher Gase so verteuert, dass es eben für die Unternehmen billiger wird, klimaneutral zu produzieren. Dies geschieht über den Emissionshandel, der auch für Kraftstoffe und Wärme eingeführt werden sollte. Nur wird durch diese Verteuerung, die wir gerade aus Gründen des russischen Angriffskrieges erleben, auch ein massiver Wohlstandsverlust herbeigeführt. Auch hier wird es zu einem Schrumpfen kommen.