Die Bergpredigt
11.3.1999
Einer der bekanntesten und wichtigsten Texte des NT ist die Bergpredigt.
Für viele ist sie der Inbegriff der Botschaft Jesu und das Dokument, das den Kern des christlichen Glaubens unüberbietbar zum Ausdruck bringt. Wer sich auf sie beruft, beruft sich auf Jesus selbst und ist sich bewußt, im Geiste Jesu zu handeln.
Die Bergpredigt ist ein Text, der entscheidende Elemente der Verkündigung Jesu überliefert. Doch muß man sich klar machen, daß es sich hier nicht um eine Predigt Jesu, sondern um eine Redekomposition des Evangelisten Matthäus handelt. Eine parallele Rede findet sich bei Lukas (6, 20-49). Der Grundbestand der Bergpredigt/Feldrede stammt aus der Spruchquelle. Mt hat diesen zu einem großen Redekomplex ausgebaut.
An verschiedenen Stellen muß man damit rechnen, daß Mt die Worte Jesu auch inhaltlich verändert wiedergibt. Z.B. Bei Lukas werden die Armen wie andere Gruppen von Leidenden und Benachteiligten unmittelbar angesprochen („Ihr“); Matthäus spricht von „Armen im Geiste“ und formuliert allgemein: „Selig sind dienjenigen, die…“.
Die Forderungen, die Jesus in der Bergpredigt erhebt, kennzeichnet eine nicht überbietbare Radikalität.
Schon früh hat sich in der Kirchengeschichte die Frage der Erfüllbarkeit der Bergpredigt erhoben.
Eher die Randgruppen haben sich entschieden auf die Bergpredigt berufen. Die Mönchsorden des Mittelalters, die sog. Täufer in der Zeit der Reformation, Freikirchen wie etwa die Quäker oder die Mennoniten.
Bereits in urchristlicher Zeit ist die Problematik der Bergpredigt sichtbar in einer Schrift aus dem ersten Jahrhundert, der Didache, dort heißt es: „Wenn du das ganze Joch des Herrn tragen kannst, wirst du vollkommen sein; kannst du das aber nicht, dann halte, was du kannst“. Nicht alle Gemeindeglieder werden hier auf Jesu radikale Forderung verpflichtet, sonden die „Vollkommenen“.
Dies nun führt zum Umgang mit der Bergpredigt im Mittelalter. Die Zehn Gebote werden für allgemein verbindlich erklärt. Sie zu halten ist nötig für das Heil. Daneben gibt es aber die „Vollkommenen“, die sich an die Bergpredigt halten und damit besondere Verdienste erwerben. Zu diesen zählen z.B. die Bettelmönche, allen voran Franziskus von Assisi, dessen Leben und Lehre ganz durch die Bergpredigt bestimmt ist: Besitzverzicht, Verwirklichung von Barmherzigkeit und Demut, Feindesliebe, Frieden stiften, nicht richten, nicht sorgen.
Die böhmischen Brüder, eine Reformbewegung im Mittelalter haben sich ebenfalls ganz entschieden auf die Bergpredigt berufen. Die Bergpredigt war für sie Lebensgesetz und für alle Glieder verbindlich. Besonders hervorgehoben wurden die Gebote: Nicht zürnen, nicht begehren, sich nicht scheiden lassen, nicht schwören, dem Übel nicht widerstehen, die Feinde lieben.
Für Luther richtet sich die Bergpredigt an alle Christen. Im Zentrum seines Interesses steht die Einstellung zum irdischen Besitz, das Verhalten zum Nächsten und die Bereitschaft zum Leiden. Er war überzeugt, daß das Befolgen der Bergpredigt die Christen gleichsam zu Narren macht und in Verfolgungssituationen hineinführt. An der Verbindlichkeit der Bergpredigt macht er keine Abstiche. Dennoch wird sie für ihn zum asketischen Ideal. Er sieht mit Nüchternheit die Realitäten der Welt und nimmt sie mit ihrem Recht und ihren Ordnungen, ihren Mächten und Strukturen und ihren Gefahren ernst. Für die Christen gilt, dem Bösen zu widerstehen, mit Vernunft für Recht zu sorgen und vor Gewalt und Zerstörung zu schützen.
Im Luthertum gibt es ein Verständnis von besonderer Art. Hier wird die Frage der Erfüllbarkeit der radikalen Forderungen Jesu nicht nur verneint. In der Nicht-Erfüllbarkeit liegt vielmehr ihr eigentlicher Sinn. Durch sie soll sich der Mensch seiner Verlorenheit und Erlösungsbedürftigkeit bewußt werden. Jegliche Art menschlicher Selbstgerechtigkeit wird der Boden entzogen.
Die liberale Theologie des 19. Jahrhunderts löst das Problem ganz anders. Im Sinne eines Gesetzes sei die Bergpredigt mißverstanden. Worauf Jesus abzielt, ist die Gesinnung. Gemeint ist: Der Mensch ist bis in das innerste Wesen hinein in Anspruch genommen; mit äußerem Tun, einzelnen Taten, und seien sie noch so bewunderungswürdig, kann man dem, was Jesus fordert, nicht gerecht werden.
Albert Schweitzer (1906) hat erkannt, daß die Verkündigung Jesu durch und durch eschatologisch, d.h. durch die Nähe der Gottesherrschaft bestimmt. Die Forderungen Jesu sind nur durch die Naherwartung zu verstehen. In diesem Sinne sind die Weisungen der Bergpredigt aber „zeitgebunden“. Nachdem die Naherwartung sich nicht erfüllt hat, ist die „Zeit“ ihrer Gültigkeit vorbei. Für die Gestaltung eines christlichen Lebens in der Welt und Zeit, wie sie heute erfahren wird, können sie so nicht gelten.
Anders die Religiösen Sozialisten, sie betonen, daß es der Bergpredigt auf entschiedenes Tun ankommt. Für Leonhard Ragaz ist die Bergpredigt eine große Hilfe angesichts der desolaten Weltlage, des Zusammenbruches unserer Kultur. Für Ragaz ist die Bergpredigt revolutionär im Blick auf den Umsturz der Werte, Gesetze und Regeln, die im gesellschaftlich-politischen Leben gelten.
Für Mahatma Gandhi war sie Anstoß zu seinem Programm der Gewaltlosigkeit bzw. des gewaltlosen Kampfes gegen die Unterdrückung.
Für Martin Luther King führte das Gebot der Feindesliebe zu der Einsicht, daß nicht Haß und Gewalt den gerechten Kampf gegen die Rassentrennung mitbestimmen dürfen.
Mt 5, 17-48 Die Antithesen
Einem Gesetz des AT wird das „Ich aber sage euch“ von Jesus gegenübergestellt.
Die Antithesen beziehen sich auf Forderungen der Tora. Sie wollen diese aber nicht aufheben, sondern „erfüllen“. Matthäus denkt dabei aber nicht, oder nicht ausschließlich daran, daß Jesus die Tora „erfüllt“, indem er sie befolgt.
„Erfüllen“ bedeutet: „interpretieren“. In Jesu Interpretation gehen die Forderungen der Tora an die Wurzel menschlicher Existenz, konfrontieren sie mit dem unverstellten Willen Gottes.
Die Inhalte und Bedeutung der Bergpredigt sind Konkretionen der „Liebe“.
Ragaz:
Du sollst da Böse nicht mit seinen eigenen Mitteln bekämpfen. Du sollst nicht Unrecht mit Unrecht, Lüge mit Lüge, Gewalt mit Gewalt bekriegen. Du sollst dem Bösen nicht auf der gleichen Ebene entgegenstehen. Du sollst dich nicht an der Regel der Welt orientieren, sondern an Gott. Du sollst größer sein als das Böse. Du darfst dich nicht in dein bloßes Recht, das Rache-Recht ist, verstricken.