Archiv für 1. Oktober 2009

Martin Luther als Musical

Evangelisches Frankfurt Oktober 2009

Martin Luther als Musical

Katakombe bringt das Leben des Reformators auf die Bühne

Nein, es war nicht der Hang zu religiösen Themen, der das Privattheater Katakombe veranlasste, sich mit dem Reformator Martin Luther zu beschäftigen. „Wir haben von der Uraufführung in Erfurt in der Zeitung gelesen und fanden es interessant“, erzählt die Regisseurin Carola Moritz. „Wir sind immer auf der Suche nach interessanten Themen.“ Das Stück zum Lutherjahr wurde auf den Erfurter Domstufen monströs aufgeführt. Es sei dort, so Moritz, ein richtiges Freilichtspektakel gewesen. „Da drohte der Inhalt etwas unterzugehen.“ Doch die Katakombe-Künstler ließen sich nicht abschrecken. Sie erarbeiteten eine Textfassung, die auf ihr kleines Theater zugeschnitten ist, und peppten die Musik auf.

Dazwischen verwenden sie immer wieder Originaltexte Luthers. Die Produktion heißt „Martin L.“, um sich nicht sklavisch an Luthers Biographie halten zu müssen. Da­rin kommt nämlich keine Liebesgeschichte mit einer Erfurter Schönheit namens Ursula vor. „Zu einem Musical gehört aber eine Liebesgeschichte“, ist Moritz überzeugt. So kann das Liebesduett „Bleib bei mir“ in künstlerischer Freiheit zum Ohrwurm werden. Doch das berühmte Gewitter, in dem Martin gelobt, ein Mönch zu werden, durchkreuzt die Heiratspläne: Martin geht ins Kloster, und auch Ursula wählt das Ordensleben und wird Nonne.

Während der Bauernaufstände kreuzen sich ihre Wege noch einmal. Die historischen Daten, auf die das Stück Bezug nimmt, sind korrekt: der Ablasshandel des Dominikanermönchs Tetzel, der Reichstag zu Worms, wo Luther sich weigert, seine theologischen Ansichten zu widerrufen, sein Exil auf der Wartburg, die deutschen Bauernaufstände mit der Reizfigur Thomas Müntzer, der in seinen sozialkritischen Ansichten noch viel radikaler ist als Luther.

Das Musical zeigt die Jugend- und Studienjahre des Reformators bis zu den Bauernkriegen. Die fiktive Figur des Jörg – Luthers zweifelndem Alter Ego – führt durch das Stück und blickt aus heutiger Sicht auf Martin L., stellt die Fragen nach dem Weg, den Luthers Ideen genommen haben, und nach ihrer heutigen Bedeutung.

Die Evangelische Kirche in Hessen und Nassau unterstützt die Produktion, die ab Oktober in der Alten Nikolaikirche am Römerberg gezeigt wird. Weitere Aufführungen in ganz Deutschland sind geplant. Erfahrung mit religiösen Themen und einer Kirche als Spielort hat das Ensemble der Katakombe. Vor bald zwanzig Jahren spielte man „Jesus Christ Superstar“ in der Peterskirche.

Karten und Informationen über die Aufführungsdaten gibt es bei der Katakombe unter Telefon 069 491725, per E-Mail an info@katakombe.de, im Internet unter www.katakombe.de sowie bei den bekannten Vorverkaufsstellen. Für das Stück verlost „Evangelisches Frankfurt“ drei mal zwei Karten. Zur Teilnahme einfach E-Mail, Fax oder Postkarte mit Namen und dem Datum der gewünschten Vorstellung schicken (Adressen im Impressum). Einsendeschluss ist der 16. Oktober.

Kurt-Helmuth Eimuth

„Sitzungen nur bis zehn Uhr“

Evangelisches Frankfurt Oktober 2009

„Sitzungen nur bis zehn Uhr“

Rita Meinecke ist Gerichtspräsidentin und Kirchenvorsteherin

In den hohen Räumen des Altbaus im Frankfurter Nordend wirkt sie noch zierlicher und gar nicht so, wie man sich die Chefin eines großen Gerichts vorstellt. Rita Meinecke ist seit 2007 Präsidentin des Frankfurter Sozialgerichts. Ihre Antworten sind nachdenklich, und doch ist in jedem Satz, in jedem Wort etwas von der Kraft einer Frau zu spüren, die genau weiß, was sie will.

Foto

So räumt Meinecke gleich mit einem Vorurteil auf. „Wir sind nicht die Sozialtanten der Nation, sondern wir sprechen Recht bei strittigen Fragen der Rentenversicherung, Krankenversicherung, Arbeitslosenversicherung, auch bei Fragen des Elterngelds, und des Schwerbehinderten- und Versorgungsrechts.“ Auch alle Streitigkeiten rund um das Arbeitslosengeld II, auch Hartz IV genannt, gehören dazu. Beide Begriffe mag die Richterin nicht. „Hier geht es um Grundsicherung und nicht um eine Leistung aus der Arbeitslosenversicherung.“

Rita Meinecke ist im katholischen Hildesheim aufgewachsen. Ihre Mutter wurde bei der Heirat mit einem Protestanten evangelisch. Es war selbstverständlich, dass die Tochter in die Jungschar der Gemeinde und später auch zum Flötenkreis ging. In Hildesheim war man kirchlich, gleich ob evangelisch oder katholisch.

Als Tochter von Gewerbetreibenden wusste Rita Meinecke, dass der Beruf auch seine Frau ernähren muss. „Mir war wichtig, einen Beruf zu finden, mit dem man Geld verdienen kann.“ Einige Semester Sozialwissenschaften eröffneten da keine Perspektive. Es blieb die Jurisprudenz.

Geblieben ist aber auch die Liebe zur Kunstgeschichte und zur Archäologie. „In Hildesheim gibt es ein wunderbares ägyptisches Museum. Da habe ich in den Semesterferien gejobbt.“ Während sie das erzählt, entdeckt man jenes Funkeln in den Augen, das die Begeisterung verrät.

Gerne hätten sie es in Hildesheim gesehen, wenn Rita Meinecke geblieben wäre. Über der elterlichen Bäckerei im Zentrum der Stadt wären auch für die junge Juristin Räume für eine Anwaltskanzlei gewesen. Und da sie als Tochter von Selbstständigen früh auf eigenen Beinen stand, war das durchaus eine reizvolle Option. Doch schließlich zog es sie aus persönlichen Gründen nach Gießen. In der mittelhessischen Kleinstadt übernahm sie das Richteramt am So­zialgericht.

Mit der Karriere ging es dann steil bergauf: Landessozialgericht, später Direktorin des Sozialgerichts in Darmstadt. Und jetzt Frankfurt. In den vergangenen 18 Monaten hat sie den Umzug des Gerichts in die Gutleutkaserne organisiert, bei laufendem Betrieb. Zur Zeit sind 10 000 Verfahren anhängig. Und wenn man weiß, dass Gerichtsakten 30 Jahre aufbewahrt werden müssen, ahnt man, welche Leistung hier vollbracht wurde.

Kirche und kirchliches Engagement lagen Rita Meinecke nicht fern. „Aber es bedurfte des Anstoßes.“ Der Anstoß kam über den evangelischen Kindergarten. Die junge Mutter engagierte sich und wurde gefragt, ob sie im Kirchenvorstand mitarbeiten will. Das war vor zwölf Jahren. Auch für die nächste Wahlperiode steht sie der Katharinengemeinde zur Verfügung. Darüber hinaus gehört sie dem Dekanatssynodalvorstand, dem Satzungs- und Geschäfts­ordnungsausschuss und der Kindertagesstätten-Kommission des Evangelischen Regionalverbandes an. Doch ihre Passion bleibt der Kindergarten. „Die Arbeit mit Kindern ist die Zukunft der Kirche. Auch für den neuen Kirchenvorstand konnten Mitglieder aus der Elternschaft gewonnen werden.“

Von der Kirche wünscht sich Meinecke, dass sie schonender mit der Zeit der Ehrenamtlichen umgeht. „Als der Dekan mich fragte, ob ich bereit wäre, mich in den Dekanatssynodalvorstand wählen zu lassen, sagte ich: Nur wenn die Sitzungen um zehn Uhr beendet sind.“

Kurt-Helmuth Eimuth

Die „Religionifizierung“ des Alltags

Evangelisches Frankfurt Oktober 2009

Die „Religionifizierung“ des Alltags

Wenn es für „Gottes Willen“ keinen Interpretationsspielraum mehr gibt, ist das religiöser Fundamentalismus. Als christliche Bewegung entstand er vor hundert Jahren in den USA.

Sie kommen modern und locker daher. „Es sieht eher aus, als würde Thomas Gottschalk predigen“, sagt Lutz Lemhöfer, Weltanschauungsbeauftragter des Katholischen Bistums Limburg. Dieses Kompliment macht Lemhöfer christlichen Gemeinden, die er dem Bereich des Fundamentalismus zuordnet. In Frankfurt sind hier die Ichthys-Gemeinde in Nied und das Christliche Zentrum im Riederwald zu nennen. Von Fundamentalismus spricht Lemhöfer, wenn die Verkündigung sich als direkt biblisch versteht und keinen Interpretationsspielraum lässt. Bibelwort und unmittelbare Eingebungen bestimmen dabei nicht nur das Glaubensleben, sondern den ganzen Alltag.

Lemhöfer spricht von einer „Religionifizierung des Alltags“. Während in den großen Kirchen Raum für unterschiedliche Auslegungen der Botschaft sei, werde in solchen Gruppen jede Alltagserfahrung unmittelbar religiös gedeutet: Ob ein Bewerbungsgespräch erfolgreich ist oder nicht, entscheidet nicht die Qualifikation oder der Gesprächsverlauf, sondern es hängt allein davon ab, ob es Gottes Wille ist, dass die Bewerberin die Stelle bekommen soll.

Der Begriff Fundamentalismus ist abgeleitet von einer gleichnamigen Zeitschriftenreihe: Zwischen 1910 und 1915 wurde in den USA mit kräftiger Unterstützung kalifornischer Ölmillionäre eine theologisch konservative Schriftenreihe herausgegeben und kostenlos an nichtkatholische Pastoren, Evangelisten, Missionare und Theologen verteilt. Ihr Titel lautete: „The Fundamentals“ – die Fundamente. Kritisch wandte sie sich gegen die historisch-kritische Erforschung der Bibel, aber auch gegen das moderne Weltbild der Natur- und Sozialwissenschaften, nicht zuletzt gegen die Evolutionstheorie von Darwin.

Neben dem wörtlichen Bibelverständnis (Wortfundamentalismus) gewinnt auch die unbedingt gültige Autorität persönlicher Erfahrungen und Offenbarungen, die dem Heiligen Geist zugeschrieben werden, an Bedeutung (Geistfundamentalismus). Der Gemeindeleiter, durch den Gott seinen Willen verkündet, gilt als höchste Autorität.

Von besonderer Bedeutung sind Heilungsdienste. Dies reicht vom „Befreiungsdienst“, bei dem angeblich okkulte Mächte den Körper verlassen, bis hin zu Spontanheilungen, bei denen selbst verkürzte Beine wieder wachsen sollen. An erster Stelle ist hier Reinhard Bonnke und seine Organisation „Christus für alle Nationen“ zu nennen, die ihre Zentrale in Frankfurt hat: Von Seckbach aus werden Großevangelisationen vor allem in Afrika gesteuert. Bis zu einer Million Menschen sollen an diesen Massenspektakeln teilnehmen. Bonnke wörtlich: „Tumore weicht in Jesu Namen! Alle Infektionen, Neurosen, ich breche die Kette aller Depressionen, in Jesu Namen! Die Freude am Herrn wird deine Stärke sein und deine Medizin sein.“ Neben den zweifelhaften Wunderheilungen wird Bonnke vorgeworfen, dass er Vorurteile zwischen Muslimen und Christen schürt.

Seit einigen Jahren hat die so genannte Healing-Rooms-Bewegung auch in Deutschland vermehrt Zuspruch gefunden, auch im Rhein-Main-Gebiet. Ähnlich wie in einer Arztpraxis kommen Ratsuchende dorthin, jedoch in der Hoffnung, durch Gebete geheilt zu werden. Gesundheit gilt als ein „Recht“ der Kreatur, und Krankheit wird in die Nähe einer Strafe für sündiges Verhalten gerückt.

Kurt Helmuth Eimuth

Unaufgeregter Einblick in die Fundi-Szene

Weitgehend unbemerkt ist eine Form des Christentums auf dem Vormarsch, das mit Begriffen wie „evangelikal“ und „fundamentalistisch“ schnell in eine Schublade gesteckt wird. Nicht nur wegen der wachsenden Zahl solcher Gruppen, man schätzt 700 000 Mitglieder in Deutschland, lohnt der Blick auf Inhalt und Ausrichtung.

Oda Lambrecht und Christian Baars werfen in ihrem Buch „Mission Gottesreich“ einen differenzierten Blick auf die Szene. Anhand der Themen Sexualität und Wissenschaftsverständnis, Schulpflicht, Missionsbefehl und der Stellung zu Israel zeigen sie Grundpfeiler eines christlichen Fundamentalismus auf, vor dem man erschrickt. In einem eigenen Kapitel geht es um Kinder, die in solchen Gruppen aufwachsen. Sie leben in einer ständigen inneren Zerrissenheit, da sie quasi in einer Parallelwelt erzogen werden. Kultur, Mode, Kino oder Tanz der „normalen“ Welt bleiben ihnen verschlossen. Dadurch würden die Kinder zu „sozialen Märtyrern“ erzogen.

Ein unaufgeregtes und auch durch seine Quellenvielfalt überzeugendes Buch, das sich dem christlichen Fundamentalismus weniger theologisch als phänomenologisch nähert.

Kurt-Helmuth Eimuth

Oda Lambrecht, Christian Baars: Mission Gottesreich – Fundamentalistische Christen in Deutschland, 245 Seiten, Ch. Links-Verlag 2009, 16,90 Euro. Evangelisches Frankfurt verlost fünf Exemplare, bitte E-Mail, Postkarte oder Fax schicken.

Nachtrag: Das Buch „Mission Gottesreich“ gewannen Birgit Koller, Olaf Lewerenz, Hartmut Menhorn, Anke Rapsch und Margit Scherf.