Nach seinem Umzug in den Norden entdeckt unser früheres Redaktionsmitglied Kurt-Helmuth Eimuth dort mancherlei Initiative, die auch für die Kirche in Frankfurt und Offenbach inspirierend sein könnte. Zum Beispiel differenzierte und abgestimmte Gottesdienstzeiten, wie es sie seit kurzem in Lübeck gibt.
Warum nicht von Norddeutschland lernen? Die evangelischen Innenstadtkirchen in Lübeck haben seit einiger Zeit ihre Gottesdienstzeiten aufeinander abgestimmt. So können sie ein zeitlich differenziertes, den unterschiedlichen Lebensgewohnheiten besser angepasstes Angebot machen.
Im Kern geht es darum, dass die verschiedenen Gemeinden zu unterschiedlichen Zeiten Gottesdienste anbieten. So feiert die Gemeinde St. Jakobi ihren immer samstags um 17 Uhr, im Dom findet der Gottesdienst sonntags um 10 Uhr statt, in St. Marien um 12 Uhr und in der vierten Kirche bleibt es ebenfalls noch beim 10-Uhr-Sonntagsgottesdienst.
Aber es geht nicht nur um mehr zeitliche Auswahl. Mit wechselnden Formaten will man auch „spirituelle Wanderer“ erreichen, wie es in der Begründung heißt. Ein differenziertes Angebot trage auch den veränderten Lebensgewohnheiten der Menschen Rechnung.
Gleichzeitig kann man auf diese Weise auch den Personaleinsatz effektiver gestalten. Eine Pastorin oder ein Pastor, aber auch die Kirchenmusiker:innen können an einem Wochenende drei Gottesdienste feiern. Auch im Norden ist ja der Mitgliederrückgang der Kirchen ebenfalls zu spüren. Die Folge sind zurückgehende Kirchensteuereinnahmen und eine Reduzierung des Personals.
Wäre das nicht auch ein Modell für Frankfurt oder Offenbach? Auch hier werden ähnliche Ideen seit Jahrzehnten intern diskutiert, aber zur Umsetzung kam es bisher nicht. Nur vereinzelt finden sich Ansätze, etwa wenn in den Sommerferien im Frankfurter Nordend die Gemeinden sich mit ihrem Gottesdienstangebot abwechseln.
Ein zeitlich und inhaltlich differenziertes Angebot der Stadtkirche wäre sicher einen Versuch wert. Ob Frauen- Taizé- oder Gospelgottesdienste – thematisch und formal zugeschnittene Gottesdienste finden dort, wo sie sporadisch angeboten werden, Zuspruch.
Aber für ein größeres Konzept müsste man von der althergebrachten Überlieferung etwas Abstand nehmen, wonach der Sonntagsgottesdienst der Sammel- und Mittelpunkt der Ortsgemeinde mit all ihren unterschiedlichen Gruppen ist. Die derzeit neu entstehenden Nachbarschaftsräume, also die verstärkte Zusammenarbeit von Gemeinden, könnten der Idee einen neuen Schub geben.
Und leider steht da ja noch etwas im Raum: Auch die Notwendigkeit des Energieeinsparens könnte eine verstärkte Konzentration von Angeboten erfordern, um Heizkosten zu sparen.
Zugegen: Auch ich fahre gerne Auto. Der Blick auf die Preistafeln der Tankstellen schockiert. Über 2 Euro. Selbst Diesel. Vor einigen Wochen noch unvorstellbar. Scheinbar alles aufgrund der Verteuerung der russischen Öllieferungen.
Nur: das Benzin, das heute an den Tankstellen verlauft wird, wurde vor zwei2 oder drei Monaten gekauft. Zum damaligen Preis. Und auch heute gibt es keine Verknappung. Noch liefern alle Länder vertragsgemäß, auch Russland. Die Verteuerung ist also reine Spekulation und sichert allen Ölkonzernen, ob russisch oder amerikanisch, satte Extragewinne.
Doch was tun? Keine Frage. Die Situation belastet Privathaushalte genauso wie die Wirtschaft. Die Idee des Finanzministers Christian Lindner, der einen Tankrabatt fordert, ist populistisch, ungerecht und klimaschädlich. Vor allem sichert er die Extragewinne der Ölmultis. Unterstützung hingegen bedürfen die, deren Budget zu klein ist, die Teuerung abzufedern. Dies ist bestimmt nicht der SUV-Fahrer, der jetzt für sein Viertonnen-Fahrzeug für eine Tankfüllung 130 Euro statt 90 Euro zahlt.
Gefördert müssen die werden, die auf staatliche Unterstützung angewiesen sind. Hartz Vier, Wohngeld, Bafög oder auch Kindergeld müssen angehoben werden. Hier bedarf es eines Ausgleichs. Auch die Anhebung des Mindestlohns sollte in den Blick genommen werden.
Und die Wirtschaft? Sie bekommt die Mehrwertsteuer über die Steuerverrechnung wieder zurück. Ein kleiner Ausgleich. Und klar. Der Handwerksbetrieb wird die steigenden Spritpreise an die Kunden weitergeben. Und genau da liegt der Hase im Pfeffer. Die Ampelkoalition spricht zwar von dem größten wirtschaftlichen Transformationsprozess der Geschichte, doch sie tat immer so, als sei dieser zum Nulltarif zu erhalten. Der Ausstieg aus einer Wirtschaft, die auf fossilen Brennstoffen basiert, kostet Geld. Ja, es wird teuer. Auch für Privathaushalte. Im Jahr geben deutsche Haushalte rund 15,4 Prozent der gesamten Konsumausgaben für Nahrungsmittel, Getränke und Tabakwaren aus. Um das Jahr 1900 lagen die Ausgaben der deutschen Haushalte für die wichtigsten Konsumgüter noch über der Hälfte aller Konsumausgaben. Selbst 1970 lag der Anteil noch bei einem Viertel. In den vergangenen zehn Jahren blieb der Ausgabenanteil jedoch auf einem relativ konstanten, niedrigem Niveau.
Fazit: Der heutige Anstieg der Spritpreise ist erst der Anfang einer notwendigen Wende. Einer Wende hin zu einer klimaneutralen Gesellschaft. Dies wird Einschnitte in unseren Lebensstandard bedeuten. Das größte Versäumnis der Politik ist es, die Notwendigkeit des Umsteuerns zu sehen, aber so zu tun, als könnten wir alle so weiterleben wie bisher. Wir werden an einigen Stellen Neues mit Freude entdecken, aber auch an anderer Stelle Verzicht ertragen müssen. Genau wie bei der Corona-Krise versagt die Politik in ihrer Kommunikation. Es wird nicht ohne Opfer gehen. Aber um der Schöpfung Willen muss der Umstieg vollzogen werden. Gottes Schöpfung zu bewahren, ist unser Auftrag. Ganz zu schweigen von der Verpflichtung der zukünftigen Generation gegenüber.
Populistische Vorschläge á la Lindner sind rückwärtsgewandt.
In Köln dürfen islamische Gemeinden jetzt offiziell einen Muezzin-Ruf zum Freitagsgebet per Lautsprecher senden. Das ist auch richtig so.
Die Stadt Köln hat islamischen Gemeinden einen Muezzin-Ruf zum mittäglichen Freitagsgebet per Lautsprecher erlaubt. Zehn Gemeinden bekundeten Interesse. In der islamischen Welt kündigt der Ruf des Muezzins vom Minarett, dem Turm der Moschee, die Zeit zum Gebet an. Fünf Gebete Richtung Mekka am Tag schreibt der Koran vor, das Gemeinschaftsgebet der Männer in der Moschee ist nur freitags Pflicht. Eigentlich bedarf es hierzu gar keiner Erlaubnis, da es als Teil der grundgesetzlich garantierten Religionsfreiheit angesehen wird.
In Deutschland leben schätzungsweise über fünf Millionen Muslime. Deshalb ist es sicher ein Zeichen von Toleranz, wenn der Muezzin-Ruf ebenso wie das christliche Glockengeläut ermöglicht wird. Die Frankfurter Bürgermeisterin Nargess Eskandari-Grünberg weist darauf hin, dass das Bundesgesetz beim Gebetsruf des Muezzin, wie auch bei Kirchenglocken, kein Genehmigungsverfahren vorsieht. Bislang beabsichtige aber wohl keine Moscheegemeinde in Frankfurt, einen Muezzin-Ruf einzuführen. In Offenbach übrigens auch nicht. Nur während des Versammlungsverbotes in der Corona-Pandemie hatten einige Moscheegemeinden um Genehmigung gebeten, manche, unter anderem die in Frankfurt-Hausen, haben den Ruf auch ertönen lassen. Von Beschwerden ist nichts bekannt geworden. „In Frankfurt gibt es ein friedliches und nachbarschaftliches Miteinander – gerade dort, wo sakrale Gebäude stehen“, sagt Bürgermeisterin Eskandari-Grünberg, die auch Dezernentin für Diversität, Antidiskriminierung und gesellschaftlichen Zusammenhalt ist.
Auch Kirchenglocken können als störend empfunden werden. Erst kürzlich musste ein Gericht sich mit der Klage einer Nachbarin der evangelischen Kirche in Merzhausen bei Usingen beschäftigen. Sie fühlte sich gestört. Die Glocken dürfen aber weiterhin zum Gottesdienst rufen. Glockengeläut wird von vielen auch als eine Form akustischer Beheimatung empfunden. Wenn sich die 50 Glocken der zehn Frankfurter Innenstadtkirchen im Geläut vereinen, lockt das immer Tausende an. Das Große Stadtgeläut erklingt am Samstag vor dem 1. Advent, 27. November, um 16.30 Uhr, sowie am Heiligen Abend, 24. Dezember, um 17 Uhr.
Religiöse Grundüberzeugungen spielen auch in Parteien eine Rolle. So tragen CDU und die CSU ihre religiöse Orientierung schon im Namen: das große C steht für Christlich. Aber auch Fundamentalisten und eine Politsekte finden sich auf der langen Liste der 40 zur Wahl stehenden Parteien.
Da wäre zum Beispiel die Partei „Bündnis C – Christen für Deutschland“ (Bündnis C). Sie entstand im Frühjahr 2015 durch den Zusammenschluss der christlich-fundamentalistisch orientierten Parteien „Partei Bibeltreuer Christen“ (PBC) und „AUF – Partei für Arbeit, Umwelt und Familie – Christen für Deutschland“ (AUF). Nach eigenen Angaben orientieren sie sich am biblischen Menschenbild und christlichen Grundsätzen, wobei dahinter ein sehr fundamentalistisches Bibelverständnis steht. Konkret steht die Partei für eine Förderung traditioneller Familienformen: In der Familien- und Sozialpolitik setzt sie sich für eine stärkere finanzielle Unterstützung von Familien aus, die aus Mutter, Vater und Kindern bestehen. So soll etwa ein „Erziehungsgehalt“ für betreuende Eltern gezahlt werden. Die Partei tritt außerdem für ein Verbot von Abtreibungen sowie Leihmutterschaft ein und lehnt Sterbehilfe ab. Die Partei sagt, sie möchte die Umwelt als Gottes Schöpfung bewahren. Zudem unterstützt das Bündnis C die Unterstützung Deutschlands für den Staat Israel und fordert eine Verlegung der deutschen Botschaft nach Jerusalem, was die Anerkennung Jerusalems als Hauptstadt Israels bedeutet. Außerdem will sie den Ausstieg aus dem Atomabkommen mit dem Iran. Das Bündnis C möchte zwar das Asylrecht behalten, spricht sich aber für die Kontrolle der Außengrenzen der EU aus.
Als Psychokult wurde hin und wieder die Bürgerrechtsbewegung Solidarität (BüSo) eingestuft. Mit ihrer Spitzenkandidatin Helga Zepp-LaRouche ist sie eine alte Bekannte bei Wahlen, auch wenn ihr Stimmenanteil nie über 0,5 Prozent hinauskam. Die BüSo entstand 1992 in inhaltlicher und personeller Kontinuität aus ihren Vorläufern der „Patrioten für Deutschland“ und der „Europäischen Arbeiter-Partei“. Von kirchlichen Sektenbeauftragten wurde sie im extremistischen Parteienspektrum verortet und ebenso wie die LaRouche-Bewegung als Psycho-Kult bzw. Politsekte eingeschätzt, weil sie Endzeitvisionen hege und einen radikalen Gesellschaftsumbau anstrebe. Hinzu komme die für Sekten typische rigide Kontrolle der Mitglieder und der Personenkult um das Ehepaar LaRouche. Die BüSo warnt vor dem Zusammenbruch des globalen Finanzsystems, das nur durch eine neue Weltwirtschaftsordnung mit regierungskontrollierten Nationalbanken gerettet werden kann. Für Deutschland fordert BüSo die Kündigung der EU-Verträge und die Wiedereinführung der D-Mark.
Vom Verfassungsschutz als rechtsextremistisch eingeschätzt wird die Partei „Der Dritte Weg“. Sie ist geprägt von Antisemitismus, Rassismus und einem völkischen Menschenbild. Uwe Becker, Anitsemitismusbeauftragter des Landes Hessen und bis vor kurzem Frankfurts Bürgermeister, ist angesichts einer „Wahlwerbung“ dieser Partei, die zur Hinrichtung der politischen Gegner aufruft, ganz klar: „Der Dritte Weg ist ein rechtsextremistischer und nationalsozialistischer Mob und gehört verboten“.
Die größte Gruppe von Menschen, die in der Pflege tätig sind, gingen bei der jüngsten Reform leer aus: die Angehörigen. Unser Autor, selbst pflegender Angehöriger, nennt fünf Punkte, die dringend nötig wären, um die Situation kurzfristig zu verbessern.
Die Pflegeversicherung wurde in Deutschland 1995 eingeführt, gegen den Widerstand der Wirtschaft, die eine weitere Belastung durch Sozialabgaben ablehnte. Als Kompromiss wurde ein gesetzlicher Feiertag, der evangelische Buß- und Bettag abgeschafft. Heute profitieren rund 4,1 Millionen Menschen von ihr.
Doch Vorsicht: Die Pflegeversicherung ist anders als die Krankenversicherung nur eine Teilkaskoversicherung. Das heißt, ein erheblicher Teil der Pflegekosten muss selbst aufgebracht werden. So übersteigen zum Beispiel die Heimkosten den Zuschuss der Pflegeversicherung oft erheblich, und auch bei der ambulanten Pflege ist der Zuschuss der Pflegekasse schnell aufgebraucht.
Rund 3,3 Millionen pflegebedürftige Menschen werden derzeit zuhause versorgt, davon 2,1 Millionen ausschließlich von ihren Angehörigen. Die von der Regierung im Koalitionsvertrag vereinbarte Verbesserung und Entbürokratisierung der Pflege wurde im letzten Moment bei der Pflegereform im Juni wieder gestrichen. Das Diakonische Werk Hessen Nassau stellte fest: „Die notwendige, umfassende Reform des Pflegesystems ist nicht erreicht! Eine demografiefeste und für alle Menschen bezahlbare Pflege ist nicht in Sicht.“
Was wäre zu tun? Unser Autor, selbst pflegender Angehöriger, hat die wichtigsten fünf Punkte zusammengetragen:
Erstens: Die Pflegeversicherung muss die entstehenden Kosten in ähnlicher Höhe wie die Krankenversicherung abdecken. Für die Grundversorgung muss vollumfänglich gesorgt sein: Vollkasko statt Teilkasko.
Zweitens: Die Abrechnung muss entbürokratisiert werden. Eigentlich war bei der jüngsten Pflegereform geplant, Tages- und Nachtpflege, Kurzzeitpflege und Verhinderungspflege zu einem Budget zusammenzufassen. Das wäre ein erster Schritt gewesen. So wie die Abrechnungsmodalitäten jetzt sind, verhindern sie, dass zahlreiche Anspruchsberechtigte die ihnen zustehenden Leistungen in Anspruch nehmen. Dies ist zutiefst unsozial.
Drittens: Das Pflegegeld ist jährlich an die Inflationsrate anzupassen. Der relativ neue Entlastungsbetrag (125 Euro monatlich) kann derzeit zur Bezahlung von zertifizierten Dienstleistern genutzt werden, dazu kann auch die Reinigung der Wohnung gehören. Allerdings: Es finden sich kaum Angebote hierfür bei den Anbietern. Hinzu kommt, dass die Ausführungsbestimmungen in den 16 Bundesländern unterschiedlich sind. Selbst Nachbar:innen müssen sich erst qualifizieren, wenn sie einen Obolus aus diesem Budget erhalten sollen. Einfacher und eine wirkliche Entlastung wäre es, wenn das Pflegegeld um den Entlastungsbetrag aufgestockt würde.
Viertens: Pflegende Angehörige sollten die Möglichkeit erhalten, ihre Berufstätigkeit vorübergehend einzuschränken oder aufzugeben, ohne zu verarmen und ihre Arbeitsstelle zu verlieren. Für entsprechende Regelungen könnte das Elterngeld Pate stehen.
Fünftens: Die derzeit je nach Pflegegrad verpflichtende halb- oder vierteljährliche Pflegeberatung ist sicher hilfreich und auch im Sinne der Pflegenden eine Kontrolle. Doch sollten die Berater:innen auch in Sachen Finanzierung kompetent sein. So könnte die Beratung wirklich einen Lotsendienst erfüllen.
Während professionelle Pflegekräfte durch die Pflegereform auf mehr Geld hoffen können, gehen Angehörige leer aus: Anders als im Entwurf vorgesehen wird das Pflegegeld für sie doch nicht angehoben. Und, was fast noch schlimmer ist: Auch das versprochene Pflegebudget wird es nicht geben, die Abrechnungsmodalitäten bleiben also weiterhin ein bürokratischer Kraftakt. Das ist zutiefst unsozial.
Kurz vor dem Ende der Legislaturperiode hat die regierende große Koalition im Bund doch noch ein Gesetz hinbekommen, das auf eine faire Bezahlung von Pflegekräften abzielt. Allerdings sind von der Öffentlichkeit fast unbemerkt diejenigen Teile des Gesetzesentwurfes gestrichen worden, die die ehrenamtliche Pflegearbeit der Angehörigen gestärkt hätten. Dies betrifft vor allem das Pflegegeld, aber auch die Vereinfachung der Abrechnungsmodalitäten.
Auf Anfrage hin teilte das Bundesgesundheitsministerium zur Begründung mit: „Aufgrund der pandemiebedingten Umstände war es nicht mehr möglich, einen eigenständigen Gesetzgebungsprozess zur Pflegereform in Gang zu setzen.“ Das klingt aber vorgeschoben. Noch wenige Wochen vor der Entscheidung im Bundestag stand ja zumindest eine Anhebung des Pflegegeldes im Entwurf.
Pflegegeld erhalten die Pflegebedürftigen, um damit etwa Aufwandsentschädigungen für ehrenamtliche Betreuung auszugleichen. Oft wird es genutzt, um pflegende Angehörigen, die ihren Beruf aufgegeben haben, damit sie die 24-Stunden-Pflege zu Hause stemmen können, zu entschädigen.
Diese Form der Pflege, die häusliche Pflege, ist keine Kleinigkeit, sondern sie ist das Rückgrat unseres Pflegesystems: Rund 2,9 Millionen Menschen sind in Deutschland pflegebedürftig. Davon werden 2,08 Millionen zu Hause versorgt, 1,39 Millionen davon von Angehörigen und Bekannten. Demgegenüber stehen 783 000 Pflegebedürftige, die in Einrichtungen gepflegt werden.
Die pflegende Care-Arbeit zu Hause, meist von Frauen geleistet, wurde also im Kern bei dieser Reform nicht berücksichtigt. Lediglich das Budget für die ambulanten Dienste wurde erhöht, um auch hier Kostensteigerungen, die durch verbesserte Zahlung der Pflegekräfte entstehen, auszugleichen. Die professionelle Hilfe wurde gestärkt, aber der größte Bereich der Pflege ging leer aus. Und dies ist keine Kleinigkeit. Seit Januar 2017 wurde das Pflegegeld nicht erhöht. Die fünfprozentige Steigerung, die im Entwurf noch vorgesehen war, wäre also mehr als angemessen gewesen.
Noch im Koalitionsvertrag hatte man zudem versprochen, verschiedene Leistungen in einem Entlastungsbudget zusammenzufassen. „Damit können wir“ so hieß es im Koalitionsvertrag vor vier Jahren, „erheblich zur Entbürokratisierung in der ambulanten Pflege beitragen, die häusliche Versorgung stärken und pflegende Angehörige entlasten.“ Das wäre schön gewesen.
Für die Angehörigen ist es oft ein Ritt durch Instanzen und Verordnungen. Ein kleines Beispiel: Der Bund beschließt einen monatlichen Betrag für ambulante Pflege von 125 Euro. Die Ausführungsbestimmungen überlässt er den Ländern. Das heißt, es gibt 16 verschiedene Ausführungsbestimmungen. In Hessen lässt man sich Zeit. Es dauert fast zwei Jahre, bis die Ausführungsbestimmungen kommen, erst dann können Angehörige das Geld bekommen. Zu Pandemiezeiten wird in Hessen per Verordnung die Möglichkeit des Zugriffes erweitert, wenn man nachweist, dass man einen Hol- und Bringdienst bezahlt. Nur wer informiert die Angehörigen? Das Hessische Sozialministerium verweist auf die Internetseite und schreibt auf Anfrage: „Auf dieser Plattform wird beispielsweise auch informiert, dass das Leistungsangebot der Unterstützungsleistungen im Alltag bis zum 30.06.2021 um die sogenannten „Dienstleistungen bis zu Haustür“ erweitert wurde.“
Interessehalber habe ich selbst das einmal ausprobiert und diese Dienstleistung abgerechnet: Weder die Krankenkasse noch die Beihilfe kannten offenbar diese Erweiterung und verweigerten die Zahlung. Diese Erfahrung machen pflegende Angehörige immer wieder: Bevor sie Geld, das ihnen rechtlich zusteht, auch bekommen, müssen sie ein langes Procedere absolvieren mit Einspruch, Begründung und viel Geduld.
In der Tat hätte das in der Pflegereform ursprünglich versprochene Entlastungsbudget, dessen Ziel es war, das alles zu vereinfachen, viel Geld gekostet. Aber nicht, weil neue Leistungen hinzugekommen wären, sondern weil mehr Menschen die Hilfen, die ihnen zustehen, auch in Anspruch genommen hätten. 2016 gab man für solche Leistungen 2,6 Milliarden Euro aus. Würde nur ein Viertel der Anspruchsberechtigen die Leistungen des einst anvisierten Entlastungsbudget abrufen, würde es zehn Milliarden Euro kosten.
Es beschleicht einen der Verdacht, dass die bürokratischen Hürden auch dazu dienen, Geld zu sparen. Oder ist das zu einfach gedacht? Mitnichten. Auf eine Anfrage unsererseits im Jahr 2018 teilte das Gesundheitsministerium genau das mit: Eine pauschale Abrechnung sei nicht möglich, weil das den Finanzrahmen sprengen würde.
Der derzeitige bürokratische Pflegedschungel ist also gewollt oder, wie die Jurist:innen sagen, er wird billigend in Kauf genommen. Aber er ist zutiefst unsozial. Denn es können sich nur diejenigen zu ihrem Recht verhelfen, die neben der eigentlich Pflegearbeit sich auch noch Woche für Woche viele Stunden Zeit haben, und die nötige bürokratische Kompetenz, um sich mit Krankenkassen, Pflegekassen und Abrechnungsvorschriften und dergleichen auseinanderzusetzen.
Trotz einiger Verbesserungen im professionellen Care-Bereich, die bei den Pflegekräften hoffentlich auch ankommen, sind der Bundesgesundheitsminister und die Große Koalition mit diesem Gesetzentwurf ihrem eigenen Anspruch nicht gerecht geworden. In die Röhre schauen die pflegenden Angehörigen.
Wie soll gespart werden? Und wie setzt man Prioritäten? Beim Strategie-Projekt „ekhn 2030“ ist die Vision bisher noch unklar.
„Den traditionellen Pfarrherrn gibt es nicht mehr, Pfarrerinnen und Pfarrer arbeiten heute lieber in Teams. Aufgaben werden nicht mehr starr nach Zuständigkeiten zugeteilt, sondern nach Gaben und Kompetenzen in Absprache aufgeteilt“ – so entwirft der Propst für Rhein-Main, Oliver Albrecht, Perspektiven für die Zukunft der Kirchengemeinden.
Auf den ersten Blick klingt der geplante „Professionenmix“, den das Strategie-Projekt der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau entwirft, gut. Verwaltungsleute, Pfarrpersonen, Pädagoginnen und Kirchenmusiker, die eng und gemeindeübergreifend zusammenarbeiten: Das ist eine schöne Vorstellung. Aber wird es klappen? Wie viel Zeit und Energie wird dann wieder verbraucht für Absprachen und Koordination, Zeit, die woanders fehlt?
Es ist wahrlich eine Herkulesaufgabe, die angesichts der zurückgehenden Mitgliederzahlen vor der Kirche liegt. Wo soll man den Rotstift ansetzen? Überall ein bisschen? Die Erfahrung zeigt, dass das Gießkannenprinzip nicht hilft und die Arbeit eher schwächt. Die Alternative ist Prioritätensetzung. Aber genau damit tun sich Synoden, die Kirchenparlamente, schwer. Ein Beispiel ist das Frankfurter Bibelhaus, wo man sich nicht recht entscheiden kann, ob man es nun erhalten oder schließen will: Vorläufig soll es weiter Zuschüsse bekommen, aber weniger als bisher. Das ist nichts Halbes und nichts Ganzes.
Ein anderes Thema ist die hochgradige Fremdfinanzierung bestimmter kirchlicher Arbeitsfelder. Kindertagesstätten etwa werden heute zu mindestens 85 Prozent aus staatlichen Geldern und Elternbeiträgen refinanziert. Wer eine Million an Eigenmitteln kürzt, muss also insgesamt sieben Millionen einsparen. Oder man strebt eine vollständige Fremdfinanzierung an. Als die Kirche im 19. Jahrhundert Krankenpflege und Kindergärten gründete, war das etwas Neues. Heute aber sollten diese Aufgaben von der öffentlichen Hand finanziert werden.
Bei allen Konzepten ist auch zu bedenken, dass nicht in erster Linie eigene Fehler verantwortlich für den Bedeutungsverlust der Kirchen sind, sondern der religiöse Traditionsabbruch in den Familien. Wer nicht von klein auf in eine christliche Kultur eingeübt ist, knüpft auch weniger Beziehungen zu einer Gemeinde – egal, was diese leistet oder anbietet.
Das einzige, was da hilft, ist Beziehungsarbeit. Die große Stärke der Kirche liegt darin, dass sie immer noch in allen Stadtteilen präsent ist. Warum überlässt man es nicht den Gemeinden, sich stärker selbst zu verwalten? Schließlich wird auch jeder Sportverein mit Vereinsheim und Sportanlagen ehrenamtlich geführt. Passende Lösungen können nur lokal gefunden werden.
Die Synode der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN) hat bei ihrer Tagung im April eine Resolution zur Pflege beschlossen. Gut, dass sich das Kirchenparlament mit dieser uns alle betreffenden Situation auseinandersetzt. Leider bleibt das Papier zu unkonkret. So wurde eine Chance vertan.
Allein im Laufe des Jahres 2020 haben in Deutschland 9.000 Pflegekräfte ihren Beruf verlassen. Der Mangel an Pflegefachkräften wird immer größer. Das geht uns alle an, und sei es nur, dass wir mal wegen eines Beinbruchs ins Krankenhaus müssen. „Die Arbeitsbedingungen für Pflegekräfte machen den Beruf unattraktiv“, stellt die EKHN-Synode in ihrer Resolution fest. Nur, was folgt daraus? Fordert die Kirche andere Pflegeschlüssel und bessere Bezahlung? Setzt sie sich dafür ein, dass in evangelischen Krankenhäusern und Pflegeheimen familienfreundliche Arbeitszeitmodelle und bessere Bezahlung eingeführt werden? Gibt es Modellprojekte, die mögliche Verbesserungen ausloten?
Der Hinweis, dass Einrichtungen in diakonischer Trägerschaft gemessen an anderen Tarifverträgen ihre Fachkräfte relativ gut bezahlen, reicht nicht. Von einer Institution, die gerade in diesem Bereich ein so großer und wichtiger Arbeitgeber ist, wäre da mehr zu erwarten.
In der ambulanten Pflege sieht es nicht besser aus. Von den rund 3,5 Millionen pflegebedürftigen Menschen werden gut drei Viertel zu Hause versorgt, wie eine Datenerhebung des Statistischen Bundesamtes im Jahr 2017 ergeben hat. 1,76 Millionen werden demnach allein durch Angehörige gepflegt. Die Kirchensynode schreibt dazu in ihrer Resolution: „Die wesentliche Säule der Pflegeversorgung, die Familie, wird brüchig, weil die Übernahme von Sorgetätigkeiten Frauen zunehmend in die Armut führt, die Zahl der Kinder zurückgegangen und die der Kinderlosen gestiegen ist.“
Auch hier mangelt es an einer Konkretisierung. Zum Beispiel hätte man die Regierungsparteien auffordern können, die zahllosen verschiedenen Fördertatbestände zusammenzuführen, um Hilfen und Zuschüsse transparenter und für die Pflegenden unbürokratischer zu machen. Eigentlich war das im Koalitionsvertrag verabredet, umgesetzt ist es aber noch nicht. Nur ein Fünftel der pflegenden Angehörigen nehmen derzeit die Förderung für Kurzeitpflege in Anspruch. Und eine neu eingeführte monatliche Entlastung von 120 Euro ist an Bedingungen der Bundesländer geknüpft, die dazu führen, dass sie kaum eine wirkliche Entlastung bedeutet.
Man hätte auch gerne gewusst, wie die EKHN in Zukunft mit ihren eigenen ambulanten Pflegediensten umgehen will. Denn als Teil eines Pflegemarktes stehen auch die kirchlichen Anbieter hier unter einem erheblichen Finanzierungsdruck.
Grundsätzlich stellt die Synode fest, dass Pflege eine „gesamtgesellschaftliche Aufgabe“ sei und man eine umfassende „Struktur- und Finanzreform“ brauche. Dem wird kaum jemand widersprechen. Doch die Gelegenheit, Ross und Reiter zu nennen, wird leider nicht genutzt. Ein zum großen Teil privatwirtschaftlich organisiertes Pflegesystem muss nicht nur das Wohl der Patientinnen und Patienten im Blick haben, sondern auch die Rendite – inzwischen sind europaweit agierende Aktiengesellschaften auf dem Pflegemarkt aktiv. „Wir brauchen eine Finanz- und Strukturreform, die gewährleistet, dass Pflegeleistungen an allen Orten in gleicher Weise finanziell gefördert und qualitativ hochstehend erbracht werden, also unabhängig davon, wo die Pflege geleistet wird“, heißt es in der Resolution dazu. In der Tat: Die Ökonomisierung des Gesundheitswesens war ein Fehler, der kaum rückgängig gemacht werden kann. Allenfalls ist er zu stoppen. Aber genau deshalb bleiben Resolutionen wie diese zu allgemein.
Und dann spricht die Synode noch einen wichtigen Punkt an, der vielen gar nicht klar ist, nämlich das „Teilkaskoprinzip“ der Pflege. Darunter ist zu verstehen, dass im jetzigen System nur ein Teil der Pflegekosten übernommen wird. Die Pflegeversicherung ist, anders als die Krankenversicherung, keine Vollkaskoversicherung, sondern übernimmt nur einen Teil der tatsächlich anfallenden Kosten. Völlig zu Recht heißt es in der Resolution, dass dieses Prinzip überholt ist und „durch ein solidarisches Finanzierungssystem abgelöst werden“ muss. Aber auch hier drückt man sich vor der Konkretion: Will man also eine Erhöhung des Pflegebeitrags? Soll die Pflege über Steuern finanziert werden? Oder gibt es noch eine andere Idee?
Die hessen-nassauische Kirchensynode hat in ihrer Resolution zur Pflege alle wichtigen Fragen angesprochen – aber sie hat keine Lösungen aufgezeigt. Es wird nicht einmal gesagt, an wen sich die Resolution überhaupt richtet. Damit wurde eine Chance vertan.
Das Wort Osterruhe kommt sicher in die engere Wahl zum Wort des Jahres. Wir wissen, sie kommt nicht. Sie ist aber auch im christlichen Festkreis nicht vorgesehen. Denn Ostern ist das Fest des Jubels. Da läuten die Glocken wieder, da rufen die Christ:innen „Hallelujah“. Dass, was die Politik meinte, eine Ruhe von Gründonnerstag an, wäre eine Kar-Ruhe. Dem Neuen Testament zufolge verbrachte Jesus die Nacht zum Karfreitag in Todesangst, während seine Jünger schliefen. Daran erinnert der Name Gründonnerstag, der sich nicht von der Farbe Grün ableitet, sondern vermutlich vom althochdeutschen „Grunen“, dem „Greinen“ oder „Weinen“. Auch die Bezeichnung der Karwoche stammt wohl aus dem Althochdeutschen. „Kara“ bedeutet Klage, Trauer, die am Todestag Jesu (Karfreitag) im Mittelpunkt des Gottesdienstes steht. Und am Ostersonntag wird eben an die Auferstehung erinnert. An die Überwindung des Todes durch das Leben. Alles andere als ein Grund zum Leisetreten.
Die Idee war ein politischer Fehlgriff, das ist klar. Sie war aber auch eine sprachliche Verirrung. Nun gut, kann nachts um halbfrei passieren.