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Pflegereform: Die pflegenden Angehörigen schauen in die Röhre

von Kurt-Helmuth Eimuth 15. Juni 2021

Während professionelle Pflegekräfte durch die Pflegereform auf mehr Geld hoffen können, gehen Angehörige leer aus: Anders als im Entwurf vorgesehen wird das Pflegegeld für sie doch nicht angehoben. Und, was fast noch schlimmer ist: Auch das versprochene Pflegebudget wird es nicht geben, die Abrechnungsmodalitäten bleiben also weiterhin ein bürokratischer Kraftakt. Das ist zutiefst unsozial.

Kurt-Helmuth Eimuth ist Mitglied in der Redaktion des EFO-Magazins. | Foto: Tamara Jung
Kurt-Helmuth Eimuth ist Mitglied in der Redaktion des EFO-Magazins. | Foto: Tamara Jung

Kurz vor dem Ende der Legislaturperiode hat die regierende große Koalition im Bund doch noch ein Gesetz hinbekommen, das auf eine faire Bezahlung von Pflegekräften abzielt. Allerdings sind von der Öffentlichkeit fast unbemerkt diejenigen Teile des Gesetzesentwurfes gestrichen worden, die die ehrenamtliche Pflegearbeit der Angehörigen gestärkt hätten. Dies betrifft vor allem das Pflegegeld, aber auch die Vereinfachung der Abrechnungsmodalitäten.

Auf Anfrage hin teilte das Bundesgesundheitsministerium zur Begründung mit: „Aufgrund der pandemiebedingten Umstände war es nicht mehr möglich, einen eigenständigen Gesetzgebungsprozess zur Pflegereform in Gang zu setzen.“ Das klingt aber vorgeschoben. Noch wenige Wochen vor der Entscheidung im Bundestag stand ja zumindest eine Anhebung des Pflegegeldes im Entwurf.

Pflegegeld erhalten die Pflegebedürftigen, um damit etwa Aufwandsentschädigungen für ehrenamtliche Betreuung auszugleichen. Oft wird es genutzt, um pflegende Angehörigen, die ihren Beruf aufgegeben haben, damit sie die 24-Stunden-Pflege zu Hause stemmen können, zu entschädigen.

Diese Form der Pflege, die häusliche Pflege, ist keine Kleinigkeit, sondern sie ist das Rückgrat unseres Pflegesystems: Rund 2,9 Millionen Menschen sind in Deutschland pflegebedürftig. Davon werden 2,08 Millionen zu Hause versorgt, 1,39 Millionen davon von Angehörigen und Bekannten. Demgegenüber stehen 783 000 Pflegebedürftige, die in Einrichtungen gepflegt werden.

Die pflegende Care-Arbeit zu Hause, meist von Frauen geleistet, wurde also im Kern bei dieser Reform nicht berücksichtigt. Lediglich das Budget für die ambulanten Dienste wurde erhöht, um auch hier Kostensteigerungen, die durch verbesserte Zahlung der Pflegekräfte entstehen, auszugleichen. Die professionelle Hilfe wurde gestärkt, aber der größte Bereich der Pflege ging leer aus. Und dies ist keine Kleinigkeit. Seit Januar 2017 wurde das Pflegegeld nicht erhöht. Die fünfprozentige Steigerung, die im Entwurf noch vorgesehen war, wäre also mehr als angemessen gewesen.

Noch im Koalitionsvertrag hatte man zudem versprochen, verschiedene Leistungen in einem Entlastungsbudget zusammenzufassen. „Damit können wir“ so hieß es im Koalitionsvertrag vor vier Jahren, „erheblich zur Entbürokratisierung in der ambulanten Pflege beitragen, die häusliche Versorgung stärken und pflegende Angehörige entlasten.“ Das wäre schön gewesen.

Für die Angehörigen ist es oft ein Ritt durch Instanzen und Verordnungen. Ein kleines Beispiel: Der Bund beschließt einen monatlichen Betrag für ambulante Pflege von 125 Euro. Die Ausführungsbestimmungen überlässt er den Ländern. Das heißt, es gibt 16 verschiedene Ausführungsbestimmungen. In Hessen lässt man sich Zeit. Es dauert fast zwei Jahre, bis die Ausführungsbestimmungen kommen, erst dann können Angehörige das Geld bekommen. Zu Pandemiezeiten wird in Hessen per Verordnung die Möglichkeit des Zugriffes erweitert, wenn man nachweist, dass man einen Hol- und Bringdienst bezahlt. Nur wer informiert die Angehörigen? Das Hessische Sozialministerium verweist auf die Internetseite und schreibt auf Anfrage: „Auf dieser Plattform wird beispielsweise auch informiert, dass das Leistungsangebot der Unterstützungsleistungen im Alltag bis zum 30.06.2021 um die sogenannten „Dienstleistungen bis zu Haustür“ erweitert wurde.“

Interessehalber habe ich selbst das einmal ausprobiert und diese Dienstleistung abgerechnet: Weder die Krankenkasse noch die Beihilfe kannten offenbar diese Erweiterung und verweigerten die Zahlung. Diese Erfahrung machen pflegende Angehörige immer wieder: Bevor sie Geld, das ihnen rechtlich zusteht, auch bekommen, müssen sie ein langes Procedere absolvieren mit Einspruch, Begründung und viel Geduld.

In der Tat hätte das in der Pflegereform ursprünglich versprochene Entlastungsbudget, dessen Ziel es war, das alles zu vereinfachen, viel Geld gekostet. Aber nicht, weil neue Leistungen hinzugekommen wären, sondern weil mehr Menschen die Hilfen, die ihnen zustehen, auch in Anspruch genommen hätten. 2016 gab man für solche Leistungen 2,6 Milliarden Euro aus. Würde nur ein Viertel der Anspruchsberechtigen die Leistungen des einst anvisierten Entlastungsbudget abrufen, würde es zehn Milliarden Euro kosten.

Es beschleicht einen der Verdacht, dass die bürokratischen Hürden auch dazu dienen, Geld zu sparen. Oder ist das zu einfach gedacht? Mitnichten. Auf eine Anfrage unsererseits im Jahr 2018 teilte das Gesundheitsministerium genau das mit: Eine pauschale Abrechnung sei nicht möglich, weil das den Finanzrahmen sprengen würde.

Der derzeitige bürokratische Pflegedschungel ist also gewollt oder, wie die Jurist:innen sagen, er wird billigend in Kauf genommen. Aber er ist zutiefst unsozial. Denn es können sich nur diejenigen zu ihrem Recht verhelfen, die neben der eigentlich Pflegearbeit sich auch noch Woche für Woche viele Stunden Zeit haben, und die nötige bürokratische Kompetenz, um sich mit Krankenkassen, Pflegekassen und Abrechnungsvorschriften und dergleichen auseinanderzusetzen.

Trotz einiger Verbesserungen im professionellen Care-Bereich, die bei den Pflegekräften hoffentlich auch ankommen, sind der Bundesgesundheitsminister und die Große Koalition mit diesem Gesetzentwurf ihrem eigenen Anspruch nicht gerecht geworden. In die Röhre schauen die pflegenden Angehörigen.

Lauterbach: Regelung zur Suizidhilfe noch in dieser Legislatur notwendig

Der Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach (SPD) ist Mitglied einer interfraktionellen Initiative, die einen Entwurf für eine Neufassung des Gesetzes zur Suizidhilfe verfasst hat.  |  Foto: Pressefoto
Der Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach (SPD) ist Mitglied einer interfraktionellen Initiative, die einen Entwurf für eine Neufassung des Gesetzes zur Suizidhilfe verfasst hat. | Foto: Pressefoto

von Kurt-Helmuth Eimuth 31. März 2021

Über 700 Teilnehmende verfolgten online eine Diskussion über die Neufassung des Paragrafen 217 „Suizidhilfe“ der Evangelischen Akademie Frankfurt. Dies lag sicher auch an dem prominenten Gesprächsteilnehmer: Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach (SPD) erläuterte den auch von ihm initiierten interfraktionellen Gesetzentwurf.

Vor einem Jahr hat das Bundesverfassungsgericht die bisherige Fassung des Paragrafen 217, der das Thema Suizidhilfe regelt, für nichtig erklärt hat. Das Gericht stellte fest, dass es ein grundsätzliches Recht auf Suizid und Suizidhilfe gibt. Auch in den Kirchen wird seither kontrovers darüber diskutiert.

Eine interfraktionelle Initiative hat nun den Entwurf für eine Neufassung des Gesetzes vorgelegt. Auch der SPD-Politiker Karl Lauterbach gehört zu den Initiatoren. Beim Online-Gespräch der Evangelischen Akademie fasste er die Absicht seiner Gesetzesinitiative so zusammen: „Der assistierte Suizid soll möglich gemacht werden für Menschen mit unheilbarer Erkrankung und großem Leidensdruck.“

Bei dem Entwurf orientierte man sich offensichtlich an den Regelungen zum § 218, also dem Paragrafen, der den Umgang mit Schwangerschaftsabbrüchen regelt: Ein Beratungsgespräch muss dem Suizid vorausgehen und erst nach zehn Tagen kann die Assistenz durchgeführt werden. Die Berater:in darf nicht dieselbe Person sein, die die Suizidhilfe durchführt und soll aus zu definierenden Berufsgruppen wie Medizin, Psychologie oder Sozialpädagogik kommen.

Die Beratung, so Lauterbach, solle verhindern, dass etwa psychisch Erkrankte den Suizid begehen. Die freie Willensbildung müsse in der Beratung festgestellt werden. Hierzu bedürfe es eines bundesweiten engmaschigen Netzes an Beratungsstellen. Lauterbach: „Ich würde es begrüßen, wenn sich die Kirchen daran beteiligten.“

Allerdings können Mediziner:innen bei einer solchen Regelung bisher nicht tätig werden, da das Standesrecht ihnen die Mitwirkung an einem assistierten Suizid verbietet.

Den Einwand, es müsse statt Suizidhilfe mehr Angebote zur Suizidprävention geben, lässt Lauterbach nicht gelten. Im Gegenteil: „Ein Ausbau der Suizidprävention wäre ganz im Sinne des Antrages.“ Denn bei den Beratungsstellen gehe es ja gerade darum, Alternativen auszuloten, und dazu gehöre es auch, etwa die Palliativversorgung bekannter zu machen.

Für Lauterbach ist „jeder verhinderte Suizid ein Gewinn.“ Die derzeitige rechtliche Situation sei „sehr problematisch“, denn sie begünstige Sterbehilfevereine. Lauterbach: „Ich halte es für notwendig, es noch in dieser Legislatur zu regeln.“