Archiv für 16. April 2019

Pflegekrise: Das eine Patentrezept zu ihrer Lösung gibt es nicht

von Kurt-Helmuth Eimuth 16. April 2019

„Von einer Gesellschaft in Sorge zu einer sorgenden Gemeinschaft“ war der Titel eines Studientags zum Thema Pflege in der Evangelischen Akademie Frankfurt. Dabei wollte man vor allem Perspektiven für die Pflege aufzeigen, sagte Martin Niederauer von der Diakonie Hessen. Der derzeitige Diskurs, der sich vor allem auf Personal und Geld konzentriere, zeige die qualitativen und ethischen Folgen der Krise in der Pflege auf.

Die stellvertretende Kirchenpräsidentin Ulrike Scherf (links) beim "Pflegetag" in der Evangelischen Akademie neben der Fernsehjournalistin Constanze Angermann, die die Diakonie als Pflegebotschafterin unterstützt. | Foto: Kurt-Helmuth Eimuth
Die stellvertretende Kirchenpräsidentin Ulrike Scherf (links) beim „Pflegetag“ in der Evangelischen Akademie neben der Fernsehjournalistin Constanze Angermann, die die Diakonie als Pflegebotschafterin unterstützt. | Foto: Kurt-Helmuth Eimuth

„Von einer Gesellschaft in Sorge zu einer sorgenden Gemeinschaft“ war der Titel eines Studientags zum Thema Pflege in der Evangelischen Akademie Frankfurt. Dabei wollte man vor allem Perspektiven für die Pflege aufzeigen, sagte Martin Niederauer von der Diakonie Hessen. Der derzeitige Diskurs, der sich vor allem auf Personal und Geld konzentriere, zeige die qualitativen und ethischen Folgen der Krise in der Pflege auf.

Gudrun Born pflegte ihren Mann 17 Jahre lang. „Die Situation ist plötzlich da, man übernimmt die Pflege ohne zu wissen, was auf einen zukommt.“ Pflegende Angehörige hätten keine Zeit zur Trauer, denn sie müssen funktionieren und der Erkrankte soll ja schließlich ermuntert werden. „Sie dürfen als Angehöriger nicht weinen“, berichtet Born. Die Pflegenden würden „gnadenlos ausgenutzt“.

Die stellvertretende Kirchenpräsidentin der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau Ulrike Scherf betonte, dass die Gewinnung von Fachkräften das Problem nicht lösen würde. Die Sorge-Arbeit hätte eine eher geringe Anerkennung. Doch leisteten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auch in Kirche und Diakonie sowie pflegende Angehörige hier Großartiges. Scherf plädierte für eine Ethik der Achtsamkeit. Dabei gelte es auch achtsam gegenüber sich selbst zu sein. Das biblische Gebot der Nächstenliebe beinhalte auch diese beiden Aspekte: achtsam gegenüber dem Nächsten und gegenüber sich selbst.

Doch um Perspektiven entwickeln zu können, muss es eine Bestandsaufnahme geben. Für Jens-Peter Kruse, Vorsitzender der Evangelischen Arbeitsgemeinschaft für Altenarbeit in der Evangelischen Kirche Deutschlands, steht fest: „Ein Weiter-So wird nicht möglich sein.“ In Zukunft werde jeder und jede vom Thema Pflege berührt werden, denn es wachse nicht nur der Anteil der Pflegebedürftigen aufgrund der demographischen Entwicklung. Gleichzeitig steige die Zahl der Berufstätigen. 76 Prozent würden in der Familie versorgt, davon fünfzig Prozent ohne professionelle Unterstützung durch einen Pflegedienst. „Damit ist die Familie der größte Pflegedienst in Deutschland“, so die Soziologin Tine Haubner von der Universität Jena.

Kruse plädierte für eine Stärkung lokaler Strukturen und nachbarschaftlichen Engagements, weil einheitliche, zentrale Lösungen den jeweiligen Verhältnissen vor Ort nicht gerecht würden. „Soziale Netzwerke in den Kommunen sind gefragt.“ Diese Hilfesysteme müssten gut auf einander abgestimmt sein. „Wir brauchen einen Wohlfahrtsmix“, forderte Kruse. Allerdings sah auch Kruse, dass weder Staat noch Politik Mitmenschlichkeit verordnen können. Der Staat lebe von der moralischen Instanz der Zivilgesellschaft.

Die Entwicklung der Pflege seit Einführung der Pflegeversicherung 1995 beleuchtete Tine Haubner wesentlich kritischer. Schon in ihrer Konzeption reflektiere sie auf den Beitrag pflegender Angehöriger, hier vor allem der Partner und Töchter. Solche familienbasierte Systeme müssten als rückständig bezeichnet werden. Sie basierten auf einer prekär bezahlten Sorge-Arbeit, so die Soziologin.

Die Situation der pflegenden Angehörigen ist gekennzeichnet von Überlastung und gleichzeitig finanziellen Einbußen. Jede zweite Pflegeperson ist zwischen 40 und 64 Jahren und 68 Prozent versuchen Beruf und Pflege zu vereinbaren. Die Mehrheit ist bis zu 40 Stunden in der Woche in die Pflege eingebunden. Die durchschnittliche Pflegedauer beträgt zwischen fünf und acht Jahren. Die Folge sind oftmals Depression, Beziehungsprobleme aber auch körperliche Auswirkungen wie Bluthochdruck oder die Schwächung des Immunsystems sind nachgewiesen.

Ein Patentrezept aus der Pflegekrise wurde auch bei diesem Studientag nicht gefunden. Es zeichnete sich nur klar ab, so Stefan Heuser in seinem Tagungsresümee, dass „Nachbarschaft keine Alternative zur professionellen Hilfe ist.“ Sie ist allenfalls eine Ergänzung. Angehörige plädierten vor allem für eine Vereinfachung der Bürokratie und der Zuständigkeiten. Durch größere Transparenz der Förderungen könnten auch mehr Menschen diese in Anspruch nehmen. Aber das kostet Geld.

Musik verbindet, weckt Gefühle, bestimmt den Takt des Lebens

von Kurt-Helmuth Eimuth 2. April 2019

Kirchenmusik lockt oft mehr Publikum an als Gottesdienste. 67 000 Konzerte finden pro Jahr in deutschen evangelischen Kirchen statt, insgesamt 7,6 Millionen Menschen besuchen sie.

Musik lockt viele Menschen in die Kirchen - hier beim Abendgottesdienst in der Friedenskirche in Offenbach. | Foto: Ilona Surrey
Musik lockt viele Menschen in die Kirchen – hier beim Abendgottesdienst in der Friedenskirche in Offenbach. | Foto: Ilona Surrey

Welche Macht Musik hat, das kann man vor jedem Fußballspiel im Waldstation erleben: „Im Herzen von Europa liegt mein Frankfurt am Main. Die Bundesliga gibt sich hier gar oft ein Stell-Dich-ein.“ So erklingt es aus Tausenden Kehlen. Musik verbindet, Musik stellt Gemeinschaft her.

Musik gehört einfach zu uns. Zu unserem Jahrgang, zu unserer Beziehung, zu unserem Milieu. Eigentlich läuft doch immer Musik. Im Auto, unterwegs mit Kopfhörer oder als Begleitmedium in der Wohnung.

In den 1970er Jahren war die Aufteilung noch einfach: Stones oder Beatles? Heute läuft deren Musik im Altenheim – es ist eben die Musik dieser Generation. Musik steht für ein prägendes Lebensgefühl, das bleibt. Es ist wahr, dass Musik „mehr als Worte“ sagt. Musik drückt Gefühle aus. Trauer. Liebe. Kaum ein Paar, das nicht „sein Lied“ hat. Das Lied zum ersten Tanz, das Lied, das man beim ersten Kuss gehört hat. Musik kann aber auch für politische Ziele eingesetzt werden. In allen Armeen der Welt wird gesungen und musiziert. Marschmusik.

Dass Musik „wirkt“, lässt sich sogar wissenschaftlich nachweisen: Beim Musizieren oder Musikhören werden Endorphine ausgeschüttet, also körpereigene Glückshormone. Erwiesen ist auch, dass Musik das logische Denken fördert. Deshalb ist Musizieren schon im Kindergarten wichtig.

Für die Theologin Margot Käßmann ist die Musik auch „eine der tragenden Säulen evangelischer Spiritualität“. Schon Martin Luther war nicht nur Bibelübersetzer, sondern schrieb auch Lieder, die heute noch gesungen werden. Jedes Jahr finden in Deutschland 67 000 kirchenmusikalische Veranstaltungen in evangelischen Kirchen statt. Sie werden von 7,6 Millionen Menschen besucht – sonntagsmorgens beim Gottesdienst sind die Kirchen oft nicht so voll.

Die Vielfalt christlicher Musik will die Evangelische Kirche in Hessen und Nassau mit ihrer aktuellen „Impulspost“ nahebringen, die allen Kirchenmitgliedern in diesen Wochen in die Briefkästen geschickt wird.