„Kirche muss wieder Spaß machen“, stand kürzlich auf dem Programmheft einer Veranstaltung namens „Great Ding-Dong“. Zu diesem ökume-nischen Jugendfestival in Speyer mit Freeclimbing am Dom, Techno-Messen und Modenschau kamen die Jugendlichen in Massen. Ist das die Zukunft der Kirche – die frohe Botschaft verpackt als „Event“ in der „Fun-Gesellschaft“? – von Kurt-Helmuth Eimuth
Man traf sich am Ostermontag in Frankfurts Innenstadt. Die einen mit langer Tradition und unvermindertem Engagement – es war ein Grüppchen von fünfhundert Ostermarschiererinnen und -marschierern, die sich da auf dem Paulsplatz versammelten. Nur wenige hundert Meter entfernt starteten 80.000 Menschen zum zweiten „Goethespaziergang“, einem überaus erfolgreichen neuen Eventangebot der Stadt. Eine typische Situation in einer an Spaß und Unterhaltung orientierten Gesellschaft. Aber mal ehrlich: Auch ich stehe nicht mehr inmitten der Friedensbewegten und hätte wohl eher bei Nina Hagens Versuch der Vertonung der Texte des großen Frankfurter Dichters vorbeigeschaut, als mich nochmals der Richtigkeit des Anliegens der Abrüstung zu versichern.
Die Zeiten ändern sich und die Menschen in ihnen eben auch. Die Geschichte des Christentums hätte ohne seine Anpassungsfähigkeit sicher nicht diese beispiellose Erfolgsbilanz vorzuweisen. Immerhin begann das „Unternehmen Kirche“ ganz bescheiden mit einem Dutzend Menschen, und vor 2000 Jahren war nicht absehbar, dass die Christusbewegung einmal zu einem „Global Player“ in Sachen Religion werden würde.
Doch derzeit stecken die Kirchen in einer konjunkturellen Delle. Die Analyse zeigt: Es handelt sich nicht um eine kurzfristige Absatzschwäche, sondern um eine strukturelle Krise. Das hat zwei Gründe: Zum einen haben sie ihr religiöses Monopol verloren, und zum anderen ist Religion per se weniger gefragt. Dafür finden sich religiös anmutende Rituale und Verhaltensweisen inzwischen auch ganz woanders: Jugendliche Massen singen bei Popkonzerten mit Inbrunst ihre Hymnen und entzünden Feuerzeug oder Wunderkerze. Auf der Internationalen Automobilausstellung wird das Auto als Allerheiligstes präsentiert, und die Werbung verspricht „magische Kräfte“ durch den Genuss eines Magenbitters.
Der Mensch ist offenbar unheilbar religiös. Die Voraussage, dass Religion bald tot sein würde, hat sich als falsch erwiesen. Religiöse Bedürfnisse gibt es immer, und sie werden auch gestillt – entweder in einem säkularen Umfeld oder von einem der zahlreichen Anbieter auf dem religiösen Markt. In dieser Situation müssen sich die Kirchen fragen, was – um einen Ausdruck aus dem Marketing-Deutsch zu gebrauchen – ihr „Kerngeschäft“ ist. Die Kirche hat letztlich nicht mehr (aber auch nicht weniger) anzubieten als ihre Überzeugung, die gute Botschaft. Diesen Bereich gilt es zu stärken.
Der Zeitgeist verlangt nach so genannten „Events“, hier strömen die Massen, wie etwa beim alljährlichen Wolkenkratzerfestival in Frankfurt, an dem sich auch die Kirchen beteiligen (Foto oben). Auch Gottesdienste mit Event-Charakter wie „Go Special“ im hessischen Niederhöchstadt boomen (Foto unten). – Fotos: Oeser, epd-Bild/Neetz
Religion wird dadurch zur Religion, dass sie neben einer Überzeugung und einem auf das Jenseits ausgerichteten Glaubensgebäude auch einen Ritus hat, der aufgrund von Glaubensüberzeugungen zelebriert wird.
Zur Religion gehören nicht nur inhaltliche Überzeugungen, die sich an den Verstand richten, sondern vor allem auch Emotionen. Die Menschen suchen nicht in erster Linie eine Lehre, sondern ein Gefühl, das sie trägt. Sie suchen einen Weg zu Gott, weil sie spüren, dass ihre eigene Existenz begrenzt ist. Sie suchen einen Weg, um mit ihrer eigenen Endlichkeit umzugehen, gerade in einer Welt des scheinbar Perfekten. Es ist die Aufgabe der Kirche, Wege für eine solche Suche zu öffnen. Und in der Tat erfreut.
sich die Kirche dort, wo solche Wege angeboten werden, eines deutlichen Zulaufs – vom „Kloster zur Probe“ bis zum meditativen Tanz. Viele Menschen finden durch solche Angebote wieder Zugang zum Glauben, gelegentlich auch zur Kirche. Das ist kein Aufruf zur bloßen Innerlichkeit, denn selbstverständlich bilden das Ora et Labora, das Beten und Arbeiten, Kontemplation und Kampf, wie es in der ökumenischen Gemeinschaft von Taizé heißt, eine Einheit.
Dabei kommt der Bildung eine besondere Bedeutung zu. Im Kindergarten können die alten Geschichten von Gott und der Welt in kindgerechter Sprache erzählt werden, können Kinder die biblischen Geschichten nachspielen und sie zu ihrer eigenen Lebenssituation in Beziehung setzen. Eine wichtige Rolle haben dabei natürlich auch die Pfarrerinnen und Pfarrer. In den vergangenen Jahrzehnten übernahmen sie jedoch zunehmend andere, eher ausbildungsferne Aufgaben. Einige sind zu Managern ihrer Gemeinden geworden, haben Kompetenzen in Spezialgebieten wie dem Abrech- nungswesen oder dem Sozialgesetzbuch erworben und sind nebenbei auch noch Bauleiter. Kirchengemeinden stehen in der Gefahr, zuweilen mehr Sozialstation als spirituelles Zentrum zu sein. Das Angebot an Gottesdiensten ist nämlich vergleichsweise schmal: Sonntags morgens, 10 Uhr, klassische Form – anderes ist selten zu haben.
An Ideen fehlt es nicht. Schon Jahrzehnte alt ist der Vorschlag, am Wochenende von Freitagabend bis Sonntagabend in der Stadt Gottesdienste mit unterschiedlicher Prägung anzubieten: Erstens hat sich das Wochenendverhalten der Menschen geändert, außerdem haben sie unterschiedliche Vorlieben. Für die einen ein Gospelgottesdienst, für die anderen ein Schweige-Gottesdienst, Sakro-Pop, ja auch Techno-Gottesdienste sind denkbar und wünschenswert.
Eine einzelne Gemeinde ist damit überfordert. Aber angesichts all der Sonderpfarrstellen, die es ja längst gibt, kann nicht ein Mangel an Pfarrstellen das Problem sein. Solche Ideen stehen einfach nicht ganz oben auf der Tagesordnung. Dabei zeigen die Erfolge von Go-Special in Niederhöchstadt, die monatlichen Frauengottesdienste und auch die charismatischen Gottesdienste mit ihrer problematischen fundamentalistischen Ausrichtung, dass solche Zielgruppenangebote angenommen werden.
In der katholischen Kirche werden solche Fragen klar strategisch entschieden. So will man in Bremen durch die Etablierung eines Klosters mitten in der Stadt ein spirituelles Zentrum schaffen. Welche Chancen ein solches Zentrum hat, kann man bereits in der katholischen Liebfrauenkirche in Frankfurt sehen. Sie ist mit ihren zahlreichen Gottesdiensten, der Möglichkeit zum Aufstellen einer Kerze, dem Internet-Auftritt und ihrer Hilfe für Obdachlose wirklich ein spirituelles Zentrum geworden.
Der Kirchentag hat es immer vermocht, die beiden Seiten von Religion zu vereinen – er war immer „Kampf und Kontemplation gleichzeitig. Und es deutet alles darauf hin, dass auch der Frankfurter Kirchentag 2001 gleichzeitig politisch und spirituell sein wird. Er ist eben durchaus ein Mega-Event, aber auch ein riesiger, fünf Tage dauernder Gottesdienst.
Kurt-Helmuth Eimuth
Evangelisches Frankfurt, Ausgabe Juni 2001 · 25. Jahrgang · Nr. 4