Archiv für 23. Januar 2018

Die Liebe kam für Bonhoeffer nur an zweiter Stelle

 

„Jahrzehntelang die Braut eines Heiligen zu sein, erweist sich nicht gerade als Vergnügen. Das können Sie mir glauben.“ Diese Worte spricht Maria von Wedemeyer in dem Roman des hessischen Theologen und Kabarettisten Fabian Vogt („Duo Camillo“). Es geht um die Liebesgeschichte zwischen dem Theologen und Widerstandskämpfer gegen den Nationalsozialismus Dietrich Bonhoeffer und der 18 Jahre jüngeren Wedemeyer. Der Text basiert auf einem Briefwechsel des Paares – Bonhoeffer war kurz nach ihrer Verlobung im Januar 1943 verhaftet worden.

Es ist ein einfühlsamer, bewegender und in die Tiefe menschlicher Existenz vordringender Roman. Bonhoeffer waren Professuren im Ausland angeboten worden, aber er kehrte immer wieder nach Deutschland zurück, „weil er,“ so Wedemeyer im Roman, „der Überzeugung war, dass nur derjenige das Recht hat, Verantwortung in einem erneuerten Nachkriegsdeutschland zu übernehmen, der auch bereit war, die dunklen Tage gemeinsam durchzustehen.“

Eine Art des Denkens, die Bonhoeffer bis zum Ende durchhielt. Als er kurz vor Kriegsende zum Tode verurteilt wurde, verweigerte er sich Versuchen, ihn zu befreien. So wurde er am 9. April 1945 im Konzentrationslager Flossenbürg erhängt.

Wohl nicht ganz zu Unrecht resumiert Maria von Wedemeyer im Roman: „Ich blieb in seinem Leben am Ende eben doch nur die zweite Liebe. Womöglich der wichtigste Faktor in seiner menschlichen Sehnsucht nach Erfüllung, aber im Angesicht Gottes eben nicht heilsnotwendig.“

Kurt-Helmuth Eimuth

Die Schule hat zu Ihnen gepasst

Würdigung von Marion Eimuth durch Schulamtsdirektor Jan Schäfer

Liebe Marion Eimuth,

in diesem Gottesdienst verschieden wir Sie aus Ihrem aktiven Dienst als Pfarrerin in den Ruhestand.

Vor einigen Wochen haben wir uns getroffen, um diesen Gottesdienst zusammen vorzubereiten. Ich bin dankbar für unsere Begegnung. Zusammen mit ihrem Mann und Pfarrer Thorsten Peters haben wir auf ihren Berufsweg zurückgeblickt.

Schulamtsdirektor i.K. Pfarrer Jan Schäfer in der Gethsemanekirche bei der Entpflichttung von Marion Eimuth

Wir

haben einige Male miteinander Tränen vergossen. Weil es eben ganz besondere Umstände sind. Das wissen alle. Und, dass Sie sich diesen Übergang sicher ganz anders gewünscht hätten. Aber, wir haben auch zusammen gelacht. Beides liegt eng zusammen: Das betrübt sein und die Dankbarkeit und die Freude.

Dass wir hier in der Gethsemanekirche sind, ist stimmig. Seit Jahrzehnten ist das Ihre Heimatgemeinde. Hier waren Sie lange Jahre Kirchenvorsteherin und Mitglied im Chor. Hier im Stadtteil leben Sie seit vielen Jahren.

Ihr beruflicher Weg als Pfarrerin war ganz sicher kein typischer Weg in das Pfarramt. Aber ein interessanter und spannender Weg, der Ihrer Persönlichkeit sehr entspricht.

Bei unserem Gespräch bei Ihnen zu Hause habe ich durch Sie und durch Ihren Mann vieles von Ihnen neu erfahren. Obwohl wir im Schuldienst ja einige Jahre Kollegen waren.

Sie stammen aus dem Hessischen Hinterland. Ganz genau aus dem Ort Steinperf in der Nähe von Biedenkopf. Das haben Sie mit Pfarrer Peters gemeinsam. Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass die Menschen dort eher fromm und gottesfürchtig sind.

Sie haben die Handelsschule besucht und dann zunächst etwas Richtiges gelernt. Nämlich den Beruf der Buchhalterin und in diesem Beruf dann noch ein Jahr gearbeitet.

Mit 18 Jahren sind sie von Steinperf weggegangen, nach Darmstadt. Sie sind in eine Frauen-WG gezogen und haben an der Evangelischen Fachhochschule das Studium der Gemeindepädagogik begonnen.

Ihr Anerkennungsjahr haben Sie im Frankfurter Stadtjugendpfarramt geleistet – 1976/77, da waren Sie 22 Jahre alt. Das war – vor allem der Ort „Stadtjugendpfarramt“ – eine wichtige Entscheidung, wegweisend für Ihr weiteres Leben. Denn dort sind Sie Kurt-Helmuth Eimuth begegnet. Der Beginn einer lebenslangen Liebe.

Ihre erste Stelle als Gemeindepädagogin hatten Sie in der St. Katharinengemeinde. In dieser Gemeinde haben Sie für sich das entdeckt, was wir heute neu-theologisch gern theologisieren nennen. Theologische Fragen haben Sie mehr und mehr interessiert. Vielleicht auch, weil Sie mit den Antworten der damals männlichen Pfarrkollegen oftmals eher unglücklich und unzufrieden waren.

Also haben Sie nach 2 Jahren in der Gemeinde entschieden: ‚Ich studiere Theologie!‘. Hebräisch und Griechisch haben Sie zusammen mit Ihrem Mann in Frankfurt gelernt. Dann sind Sie für 2 Semester nach Heidelberg und schließlich nach Mainz.

Dazwischen haben Sie 1981 geheiratet. 1983 kann Ihre Tochter Anne-Elisabeth zur Welt. 1989 haben Sie das erste Examen abgelegt und anschließend Ihr Vikariat in der Gemeinde Cantate Domino bei Pfarrer Hermann Düringer. Daran schloss sich ein Spezial-Vikariat im Pfarramt für Frauenarbeit an.

1994 sind Sie zum Diakonischen Werk der EKHN gegangen, als theologische Referentin. 1996 wurden Sie auf dieser Stelle als Pfarrerin ordiniert und beim DW bis 2002 tätig.

Und dann, 2002, noch einmal eine berufliche Weiterentwicklung. Jetzt in Richtung Schule. Mit Beginn des Schuljahres 2002/2003 wurden Sie Pfarrerin im Schuldienst, an der Georg-Kerchensteiner-Schule in Obertshausen.

Die Arbeit an der Schule, vor allen mit den jungen Erwachsenen im Übergang in den Beruf, bei den ersten Schritten in ein selbstständiges Leben, hat Ihnen große Freude gemacht.

Hier waren Sie als Pfarrerin und Seelsorgerin an der richtigen Stelle. Auch wenn Sie offiziell keinen Auftrag zur Seelsorge hatten, haben Sie sich immer als Seelsorgerin an der Schule verstanden.

Und die Mädchen und Jungen und Frauen und Männer an der Schule haben Ihren Rat und das Gespräch mit Ihnen als Seelsorgerin dankbar gesucht. Sie waren froh, dass Sie da waren.

Meistens haben Sie nicht nur die Evangelischen unterrichtet, sondern die ganze Klasse. Schülerinnen und Schüler aus unterschiedlichen sozialen Milieus, mit und ohne Glauben an Gott.

Auf einem wichtigen Lebensabschnitt haben Sie Ihnen das Angebot gemacht, über die existenziellen Fragen des Lebens zu sprechen.

Die Schule hat zu Ihnen gepasst, und Sie zur Schule. Daneben haben Sie sich im Dekanat Rodgau engagiert: Sie waren Mitglied des Dekanatssynodalvorstandes und in der Synode. Und weiter auch hier in Ihrer Gemeinde in Frankfurt aktiv, z. B. auch beim Feiern von Gottesdiensten.

Lange Jahre haben Sie junge Menschen bei Ihren existentiellen Fragen begleitet – und auf einmal – quasi aus heiterem Himmel – brach die Frage nach dem Leben, und nach dem was Leben ausmacht, in Ihr eigenes Leben. Im August 2015 traf Sie ein Schlaganfall. Ihr Leben veränderte sich von einem Tag auf den anderen. Für Sie, für Ihren Mann, Ihre Familie, Ihre Freunde war alles anders.

In den vergangenen 2 ½ Jahren haben Sie einen schweren Weg zurückgelegt. Mit Hilfe, mit Unterstützung und mit Liebe sind Sie ihn gegangen und haben sich Stück für Stück ins Leben zurückgekämpft. Und vielleicht kommt es auch Ihnen manchmal wie ein kleines Wunder vor, dass Sie bei all dem Schweren und Belastenden heute hier mit uns allen Gottesdienst feiern.

Heute werde Sie von allen dienstlichen Aufgaben entbunden. Und damit verbunden feiern wir Sie, liebe Marion Eimuth.

Und sagen – und das tue ich aus tiefstem Herzen – danke! Dank für all das, wie Sie durch Ihre Gaben und Fähigkeiten vielen, vielen anderen Menschen Freude und Lebensmut schenken konnten.

Anderen haben Sie die Gewissheit gegeben, nicht allein im Leben zu stehen, sondern sich getragen zu fühlen. Das durften auch Sie erleben – ganz besonders in den vergangenen 2 Jahren – und ganz sicher auch in der Zukunft. Liebende Menschen tragen Sie!

Ich möchte Ihnen deshalb ein Wort aus dem Alten Testament zusprechen. Es drückt diesen Gedanken der Bewahrung und des Getragen- und Gehaltenwerdens aus. Ein Wort, das Mut macht und das davon spricht, dass Gott uns nicht fallen lässt. Nicht in guten Zeiten und nicht in schweren Zeiten.

Nähme ich Flügel der Morgenröte und bliebe am äußersten Meer, so würde auch dort deine Hand mich führen und deine Rechte mich halten. (Psalm 139.9.10)

Liebe Marion Eimuth, bleiben Sie von Gott geführt und in ihm gehalten. Amen.

Verabschiedungsteil/ Ruhestandsversetzung

(Verantwortlich: Jan)

(Jan bittet Marion Eimuth nach vorn)

  • Entpflichtung

Liebe Marion Eimuth,

Du hast 21 Jahre lang den Dienst als Pfarrerin der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau geleistet – davon die letzten fast 14 Jahre als Pfarrerin im Schuldienst.

Dabei warst Du gebunden an die Ordinationsverpflichtung nach dem Bekenntnis und den Ordnungen unserer Kirche.

Wir danken Gott für deinen Dienst, für den Einsatz deiner Gaben und Kräfte, für deine Treue und Liebe.

Nicht alles im Dienst einer Pfarrerin liegt vor Augen. Vieles geschieht im Verborgenen. Und doch können Früchte deines Wirkens wahrgenommen werden. In der Begegnung mit Menschen in der Gemeinde, in der diakonischen Arbeit und in der Schule. Dafür sind wir dankbar.

Mit dem Eintritt in den Ruhestand beginnt für dich eine neue Lebensphase. Du bist nun frei von den dienstlichen Pflichten als Pfarrerin, als Pfarrerin im Schuldienst.

Auf Grund deiner Ordination bleibst du aber berufen, das Evangelium von Jesus Christus zu predigen, zu taufen und die Feier des Heiligen Abendmahls zu leiten.

Und, dass das trotz Deiner Krankheit in deinem Leben wieder möglich werden möge, wünschen wir Dir von Herzen und bleiben Dir dabei in Gebet und Fürbitte verbunden.

  • Entlastungsgebet

Lasst uns beten.

Gott, du beschenkst deine Kirche mit guten Gaben.

Und mit Menschen, die sich durch dich zum Dienst an den Menschen berufen fühlen.

Wir danken dir für alles, was du durch Marion Eimuth gewirkt hast.

Lass sie spüren, wie viel Segen ihr Dienst gebracht hat.

Wir bitten dich: Lass ihre Mühe nicht vergeblich sein.

Wandle in Segen, was nicht gelungen ist,

vergib, was sie schuldig geblieben ist.

Und vergib uns, was wir ihr gegenüber versäumt haben.

Gib Marion Eimuth Kraft und neuen Mut für das Zukünftige.

Geleite sie auf ihrem Weg und schenke ihr den Mut, Schritt für Schritt ihren Weg in das neue Leben zu gehen, auch dabei auch das alte wiederzuerlangen.

Halte deine Hand über sie, jetzt und allezeit und in Ewigkeit.

  • Segen zum Abschied (mit Handauflegen)

Gott segne dir den Blick zurück und den Schritt nach vorn.

Gott bewahre in dir die Erfahrungen an diesem Ort.

Gott begleite dich auf dem Weg, der vor dir liegt

Und lasse dein Vertrauen zu ihm wachsen.

So segne dich der barmherzige Gott,

der Vater, der Sohn und der Heilige Geist.

Augenzwinkernder Humor und bodenständige Aufrichtigkeit

Grußwort von Oberstudiendirektor Dirk Ruber

Sehr verehrte Damen und Herren,

Dirk Ruber würdigt Marion Eimuth

mein Name ist Dirk Ruber, ich bin Leiter der Georg-Kerschensteiner-Schule in Obertshausen im Landkreis Offenbach, einer beruflichen Schule mit 2300 Schülerinnen und Schülern und 130 Lehrkräften, verteilt auf verschiedene Schulformen im Voll- und Teilzeitbereich. Davon umfasst unser Berufliches Gymnasium mit den Fachrichtungen Wirtschaft und Verwaltung, Ernährung und Gesundheit aktuell ca. 500 Schülerinnen und Schüler. In dieser Schulform, dem Beruflichen Gymnasium, wirktest Du, liebe Marion, 14 Jahre lang als Religionslehrerin mit Leib und Seele … wobei die Seele bei Religionslehrkräften wahrscheinlich ein stärkeres Gewicht einnimmt als bei den eher „weltlich“ ausgerichteten Kolleginnen und Kollegen. Obwohl – eigentlich bist Du ja auch eine Berufsschullehrerin, denn als gelernte Industriekauffrau und einem anschließenden Jahr Berufserfahrung in der Buchhaltung der Firma „Filter-Schmidt“ in Steffenberg-Niedereisenhausen bringst Du beste Voraussetzungen für eine berufliche Schule mit dem Schwerpunkt Wirtschaft und Verwaltung mit. An dieser Stelle muss ich einfach erwähnen, dass auch mir Steffenberg-Niedereisenhausen sehr vertraut ist, denn Marion und ich waren im Marburger Hinterland fast Nachbarn – beide aufgewachsen in kleinen Dörfern, Marion in Steinperf – ich in Frechenhausen, nur wenige Kilometer voneinander entfernt. Jahrelang habe ich das nicht gewusst – bis Marion einmal morgens auf dem Weg zur Schule mit ihrem schnittigen MX-5-Cabrio sehr rasant vor mir her durch die Kurven brauste und ich sie auf dem Lehrerparkplatz fragte, wo sie so Autofahren gelernt habe, das würde ich eigentlich nur aus dem Hinterland kennen (das steckt da einfach in den Genen … da fahren alle sehr sportlich Auto …) Liebe Marion, als bekennendem Schnellfahrer war mir das außerordentlich sympathisch … auch das ist ein Teil Deines erfrischenden, liebenswerten Wesens. Gepaart mit höchster fachlicher und pädagogischer Kompetenz wurdest du so sehr schnell von der gesamten Schulgemeinde wertgeschätzt und bist ein Teil der GKS geworden – man hatte einfach das Gefühl, Du gehörtest hierher und warst schon immer da … Ich musste tatsächlich in Deiner Akte nachschauen, wann Du an die Schule gekommen bist, weil auch ich die Zeitspanne nicht einschätzen konnte. Deine ruhige, besonnen-nachdenkliche Art, gewürzt mit einem augenzwinkernden Humor und bodenständiger Aufrichtigkeit hat uns, die Lehrkräfte und Schulleitungsmitglieder, und natürlich viele, viele Schülerinnen und Schüler Deiner Religionskurse, bereichert und vorangebracht. Als Lehrerin und in Deiner Aufgabe als langjährige Fachschaftsleiterin warst Du stets ein Fels in der Brandung, nicht starr und unbeweglich, sondern standhaft und wahrhaftig. Gerade die Fachschaftsleitung war sicherlich nicht immer eine leichte Aufgabe, denn die Religions- und Ethik- Kolleginnen und Kollegen zählen doch oftmals eher zur „sensitiv-diskursfreudigen Spezies“, um es ein wenig euphemistisch auszudrücken. Dennoch konnte Dich nichts aus der Ruhe bringen und es ist Dir über Jahre hinweg gelungen, die unterschiedlichsten Bedürfnisse und Befindlichkeiten diplomatisch-geschickt auzutarieren und zu befrieden.

Liebe Marion, ich danke Dir im Namen des gesamten Kollegiums und des Leitungsteams der Georg-Kerschensteiner-Schule für Deine großartige Arbeit – Du warst eine wunderbare Kollegin und wirst für immer in unseren Herzen bleiben! Vielen Dank.

Kirche muss ein Ort des Dialogs sein – auch mit den Gedanken der AfD

von Kurt-Helmuth Eimuth 13. Januar 2018

Die Kirchen versammeln ein breites Spektrum gesellschaftlicher Milieus in ihren Reihen. Daher haben sie eine besondere Verantwortung dafür, den demokratischen politischen Diskurs auch über politische Gräben hinweg zu führen. 

Kurt-Helmuth Eimuth ist Mitglied in der Redaktion des EFO-Magazins.  |  Foto: Tamara Jung
Kurt-Helmuth Eimuth ist Mitglied in der Redaktion des EFO-Magazins. | Foto: Tamara Jung

Die Diskussion hört nicht auf. Die AfD sitzt mit 94 Abgeordneten, meist Männern, im Bundestag. Ein Ergebnis der GroKo, der Großen Koalition, so lauten viele Erklärungsversuche. Wenn die Parteien in der Mitte kaum noch zu unterscheiden seien, stärke dies die Ränder, so die These. Doch stimmt das?

Selbstkritisch fragt die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD), ob in den Gemeinden die Fragen und Ängste aller 23 Millionen Protestantinnen und Protestanten Platz haben. In einem Impulspapier zum Thema Konsens und Konflikt stellt sie fest: „Als Kirchen können wir nur dann als politische Akteure für die Stärkung des demokratischen Gemeinwesens ernst genommen werden, wenn wir berücksichtigen, dass auch in unserer Mitte die Ängste vor dem Wandel und die Versuchung zur Abgrenzung anzutreffen sind. Die evangelische Kirche mit ihren knapp 23 Millionen Mitgliedern ist ein Spiegel der pluralistischen Gesellschaft.“  

Den klaren Positionierungen der kirchenleitenden Personen und Gremien, dem  Engagement vieler Gemeinden und Verbände für die Aufnahme geflüchteter Menschen stehe bei einem beachtlichen Teil der Kirchenmitglieder Skepsis hinsichtlich der wachsenden Vielfalt und des sozialen Wandels gegenüber. 

Hier mahnt die EKD: „Unbeschadet des klaren und richtigen Eintretens für die Rechte von Minderheiten und Geflüchteten müssen wir wahrnehmen, dass die Sorge angesichts des Wandels und der Herausforderungen, die eine pluraler werdende Gesellschaft und gerade auch die technologisch-ökonomischen Veränderungen mit sich bringen, bis in die Leitungsebenen der evangelischen Kirchen hineinreicht.“

Die Botschaft des Evangeliums ist eminent politisch. Der erste und vornehmste Ort dieser politischen Praxis der Kirchen ist das Miteinander sehr unterschiedlicher Menschen in den Gemeinden. Die Kirchen mit ihrer tiefen und breiten sozialen Verankerung sollen und wollen damit Foren sein, auf denen Konflikte ausgetragen werden, Ängste gehört und bearbeitet werden. Denn die Kirche ist „mitverantwortlich für die politische Kultur unseres Landes und für die Gestaltung unseres Gemeinwesens“, wie die EKD richtigerweise schreibt.

Die Demokratie ist mehr als eine Regierungsform: Sie beschreibt, wie Bürgerinnen und Bürger ihre eigenen Interessen und Freiheiten mit den Vorstellungen anderer in einen für alle förderlichen Ausgleich bringen können. Deshalb ist eine Demokratie nur stabil, wenn sie eingebettet ist in eine politische Kultur, in der alle sich gegenseitig als Freie und Gleiche anerkennen und achten.

Kirchengemeinden haben hier eine besondere Chance, aber auch einen Auftrag.

„Zusammenhalt gibt es nur, wenn für alle dieselben Regeln gelten“

von Kurt-Helmuth Eimuth 17. Januar 2018

Reich und Arm driften immer weiter auseinander, der Rechtspopulismus hat Aufwind, und traditionelle Institutionen verlieren das Vertrauen der Menschen: „Was hält die Gesellschaft zusammen? Darüber diskutierten Kirchen und Gewerkschaften in der Evangelischen Akademie am Römerberg.

Großes Interesse: Podiumsdiskussion unter anderem mit Kirchenpräsident Volker Jung und Bischof Georg Bätzing in der Evangelischen Akademie am Römerberg. Foto: Rolf Oeser
Großes Interesse: Podiumsdiskussion unter anderem mit Kirchenpräsident Volker Jung und Bischof Georg Bätzing in der Evangelischen Akademie am Römerberg. Foto: Rolf Oeser

Die Ausgangslage ist klar. Noch nie waren so viele Menschen in Deutschland in bezahlter Arbeit wie heute. Und doch klafft die Kluft zwischen Arm und Reich immer weiter auseinander. Ein Fünftel aller Arbeitsplätze sind im Niedriglohnsektor. Den Bereich der prekären Beschäftigungsverhältnisse schätzen manche gar auf 40 Prozent. Private Vermögen haben einen Höchststand erreicht, und gleichzeitig wächst die Armut. Dies verstärkt auch in der Mittelschicht Abstiegsängste, nicht nur angesichts steigender Mietpreise. Und dann ist noch die AfD mit ihren Wahlerfolgen und ihrem Populismus, der vor rechtsextremen Parolen nicht halt macht.

Grund genug für die Kirchen und die Gewerkschaften in Hessen zu fragen: „Was hält die Gesellschaft zusammen“? Drei katholische Bistümer (Fulda, Mainz und Limburg), drei evangelische Landeskirchen (Rheinland, Hessen-Nassau und Kurhessen-Waldeck) sowie der Deutsche Gewerkschaftsbund hatten erstmals zu einer gemeinsamen Diskussion geladen.

Ulrike Eifler vom DGB-Südosthessen entwarf ein düsteres Bild der derzeitigen Risse in der Gesellschaft. Das politische Klima sei nach rechts verschoben, die Bundestagswahl eine Zäsur, mit der man näher an die Weimarer Verhältnisse in den 1920er Jahren rücke.

Der Baseler Soziologe Oliver Nachtwey warf einen analytischen Blick auf die heutigen gesellschaftlichen Prozesse. Sicher, die Gesellschaft erodiere und im Arbeitsleben vermissten viele die Solidarität. Doch trotz aller Dramatik komme man in Deutschland noch zusammen. Grundsätzlich gelte, dass eine Gesellschaft dann zusammenhält, wenn die Menschen den Eindruck haben, dass alle sich an die gleichen Regeln halten. Das bedeutet nicht, dass es keine Unterschiede gibt. Nachtwey verglich das mit einem Haus, wo unten Menschen in einfachen Wohnungen leben, im ersten Stock die Wohnungen schon besser seien und oben geradezu luxuriös – aber es richten sich doch alle nach derselben Hausordnung. Es gibt keine Sonderrechte und auch keine Parallelgesellschaften , anders als sie sich derzeit bei den „oberen ein Prozent“ der Superreichen herausbildeten.

Die neoliberale Ausrichtung der Politik überlasse alles dem Markt, der so etwas wie ein „anonymer Gott“ geworden sei. Der Markt müsse aber eingebettet sein in andere Bezugsgrößen wie Familie, Freundschaften oder eine Dorfgemeinschaft. Der Limburger katholischen Bischof Georg Bätzing wies darauf hin, dass der Markt nicht an Normen interessiert ist. Gerechtigkeit, Gleichheit und die Würde der Einzelnen müssten daher als gesellschaftliche Norm durchgesetzt werden. Dazu sei, so Kirchenpräsident Volker Jung, auch Empathie notwendig, also dass Menschen sich in die Lage von anderen hineinversetzen. Jung rief dazu auf die Demokratie weiterzuentwickeln, um Partizipation zu ermöglichen.

Neben der neoliberalen Ausrichtung sieht Nachtwey noch eine zweite Ursache für die derzeitigen gesellschaftlichen Spannungen, nämlich die Individualisierung. Frühere Formen der Vergemeinschaftung wie zum Beispiel Vereine verlieren an Bedeutung, die Einzelnen seien  zunehmend auf sich alleine gestellt. Damit werden sie auch immer abhängiger von gesellschaftlichen Institutionen: Wer keine Großeltern in der Nähe hat, ist mehr auf Krippe oder Kindergarten angewiesen, wer keine Kinder oder Verwandte in der Nähe hat, muss bei Pflegebedürftigkeit ins Heim. Und so entstehe das Paradox, dass die modernen Individuen gerade wegen ihres Individualismus immer abhängiger von der Gesellschaft werden.

Und was also nun tun? Nachtwey forderte Kirchen und Gewerkschaften dazu auf, sich einzumischen und auch für konkrete politische Ziele einzutreten, etwa für die Einführung einer Vermögenssteuer oder die Abschaffung von Leiharbeit. Bischof Bätzing war der Ansicht, dass die die meisten Probleme nicht auf der Ebene des Nationalstaates gelöst werden könnten. Angesichts der Globalisierung der Märkte brauche es eine größere Solidarität: „Es gibt keine Alternative zu Europa. Europa muss stärker werden.“

Michael Rudolph vom DGB Hessen-Thüringen sieht die Gewerkschaften durchaus als einen Ort der Solidarität. Hier seien die unterschiedlichsten Berufsgruppen vereint, und es würden nicht nur Einzelinteressen vertreten, wie in den Spartengewerkschaften. Um die „Würde der Arbeit“ wieder herzustellen, müsse die prekäre Beschäftigung abgeschafft werden. Die gemeinsam von Kirchen und Gewerkschaften durchgeführte Kampagne für einen arbeitsfreien Sonntag sei zum Beispiel ein Beitrag gegen die Entgrenzung der Arbeitswelt und gegen die zunehmende Vermischung von Freizeit und Arbeit.

Allerdings wies Nachtwey auch darauf hin, dass das Vertrauen in traditionelle Institutionen wie eben Kirchen und Gewerkschaften ebenfalls bei vielen Menschen verloren gegangen sei. Jedes Jahr gebe es in Deutschland 300.000 Kirchenaustritte, die Mitgliederzahl der Gewerkschaften stagniere.