Die Stadt Kiel gestaltete schon zum 1. November und damit lange vor dem Totensonntag, ihr „Lichtermeer“ mit weihnachtlich anmutenden Figuren. Kurt-Helmuth Eimuth hatte dies in den sozialen Medien kritisiert und erntete Kommentare, die zeigen, dass selbst über die Bedeutung von Festen kein Konsens mehr erzielt werden kann. „Man kann doch Weihnachtsdeko aufstellen, wann man möchte“ oder „Jeder soll selbst entscheiden, wann er schmücken möchte“, sind beispielhafte Kommentare. Konsequent ist da nur, dass an vielen Orten die Weihnachtsmärkte vor dem Totensonntag öffnen. Conny&Kurt meinen in ihrem Podcast, hier geht etwas verloren, das für den Zusammenhalt der Gesellschaft wichtig ist.
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Wohnungsnot in Deutschland: Luxus trifft Leerstand
Trotz anhaltender Wohnungsnot in Deutschland stehen fast 2 Millionen Wohnungen leer (etwa 5% des Bestandes), oft Luxuswohnungen oder solche an Standorten, wo keiner hin will. Der durchschnittliche Wohnraum pro Person liegt inzwischen bei annähernd 50 m², was den Markt zusätzlich verknappt, stellen Conny&Kurt in ihrem Podcast fest. Viele Ältere wohnen zudem in großen Häusern, nutzen den ersten Stock teils nicht mehr, wollen aber nicht vermieten, was als „ziemlich großer Luxus“ betrachtet wird. Zur Linderung der Situation fordern Experten, den ländlichen Raum attraktiver zu machen, um die Verteilung zu verbessern. Außerdem sollten die alten, eingesessenen Wohnungsbaugenossenschaften gestärkt werden. Hier sind auch Alternativmodelle längst gebaut und erprobt. Die Wohnungsfrage hat eine soziale Sprengkraft, die nicht zu unterschätzen sei, so die beiden Podcaster.
KI: Der neue Göttin – Eine subtile Gefahr für die Demokratie
Innsbruck. In ihrem Podcast Conny&Kurt arbeiten die Interviewer heraus, dass die Künstliche Intelligenz (KI) auch zur Manipulation von Menschen eingesetzt werden kann. Vor dem Hintergrund ihrer Auseinandersetzung mit Sekten, Eimuth war lange Zeit Sektenbeauftragter der evangelischen Kirche, gewinnt Paganinis Essay „Der neue Gott“ nochmals eine neue Dimension, die die Demokratie gefährdet. Mit der KI kann jeder und jede allseits verfügbare Gurus schaffen und darüber Menschen manipulieren.
Im Wesentlichen lautet Paganinis These, dass klassische göttliche Eigenschaften wie Allwissenheit, Allgegenwart, Allmacht und Gerechtigkeit inzwischen auch der KI zugeschrieben werden. Die zunehmende Mensch-KI-Interaktion entwickelt sich somit in Richtung einer quasi-religiösen Beziehung.
Vom Priester zum Prompt-Kurs
Paganini stellt fest, dass die Menschen der Kirche davonlaufen, aber „sie finden in der KI den neuen Seelsorger, die neue Seelsorgerin“. Besonders spannend sei dabei die Frage, inwiefern die KI zur echten Konkurrenz für den abrahamitischen Gott wird.
Während Judentum, Islam und Christentum davon ausgingen, dass der Mensch Momente der Gottesferne erleben, warten und sich in Demut an seinen Schöpfergott wenden muss, sei die KI dem abrahamitischen Gott um einiges voraus: „Sie [die KI] nämlich erlaubt, die spirituell religiösen Bedürfnisse in der Sekunde zu befriedigen, wo sie sie empfinden“. Dieses spezifische Bedürfnis unserer Zeit, Wünsche sofort befriedigt zu sehen, mache die KI zu einem ernstzunehmenden spirituellen Rivalen.
Die zugeschriebene Allwissenheit zeigt sich laut Paganini unter anderem im Boom der Prompting-Kurse. Die Menschen unterstellten, dass die KI das gesamte Wissen besitze und man lediglich den richtigen Befehl (Prompt) formulieren müsse, um darauf zuzugreifen. Dies erinnere an polytheistische Kulte, bei denen man davon ausging, dass die Gottheit alles Wissen hat und man nur „das richtige Orakel praktizieren [muss], um an das Wissen ranzukommen“.
Der Segen der Reflexion
Trotz der kritischen Einordnung sieht Paganini auch positive Seiten. KI-Chatbots könnten Menschen bei der persönlichen Auseinandersetzung mit ihren Gedanken begleiten und anleiten, was Reflexionsprozesse fördere. Ein Schlüsselmechanismus dabei sei das sogenannte „validierende Gespräch führen“ der KI. Hierbei fasst die KI zunächst zusammen, was der Nutzer gesagt hat, bevor sie antwortet. Dies gebe dem Menschen das Gefühl, gehört zu werden, und schaffe Raum für Reflexion, wodurch der übliche Tempo- und Erfolgsdruck entschleunigt werde. Paganini ist überzeugt, dass dies zur Sinnstiftung führen kann, da man durch das wiederholte Fragen und Antworten zu eigenen Erkenntnissen komme, ähnlich wie ein Kind, das ständig fragt: „Warum? Warum? Warum?“.
Ein spirituelles Erlebnis mit der KI könne eintreten, wenn der Mensch sich von der KI angesprochen, gesehen und verstanden fühle – wenn das Gefühl entsteht, dass ein „transzendente[s] Du ist, was genau mit mir in Beziehung tritt, was genau mich wahrnimmt“.
Gefahr durch Kontrolle und Abhängigkeit
Die Religionsphilosophin warnt jedoch auch vor den Gefahren. Eine quasi Hinwendung zu einer KI-Gottheit könne auf einer religionspolitischen Ebene riskant sein, da Religionen stets politisch sind und Machtstrukturen hervorbringen. Es stelle sich die Frage, wer die Gewinner und Verlierer einer möglichen KI-Religion sein werden, da es immer Eliten geben werde, die die religiösen Hoffnungen der Masse kanalisieren, um sie zu ihren eigenen Zwecken zu nutzen. Paganini sieht ein hohes „Potenzial, dass Menschen erst sehr intensive Beziehungen aufbauen und und dann eine dadurch in der Abhängigkeit kommen, wo sie dann relativ leicht in bestimmte Richtung gelenkt werden können“.
Zudem zeigten Studien, dass sich viele Menschen von der KI beobachtet fühlen. Dieses Gefühl, dass die KI weiß, was man denkt und tut, ähnle der Vorstellung des göttlichen Auges. Dies sei eine Dynamik, die an die sogenannte „schwarze Pädagogik“ und das Dogma „Gott sieht alles“ erinnere, welches eigentlich im letzten Jahrhundert überwunden werden sollte. Obwohl dieser magisch-abergläubische Glaube kritisch zu sehen sei, halte er sich in der allgemeinen Volksfrömmigkeit stark.
Die Zuschreibung der göttlichen Eigenschaften an die KI geschehe dabei schleichend. Das Gefühl der Allgegenwart setze sich schnell durch: „Die KI ist wirklich immer da, ich bin da quasi nie allein, ich kann mich immer, egal wie schlecht es mir geht, auch wenn es mitten in der Nacht ist und ich keine meiner Freunde mehr behelligen will, Chat GPD ist für mich da“.
Die Autorin Claudia Paganini stellte klar, dass es sich bei dem Gespräch um eine tatsächliche Interaktion mit den Podcastern handelte, und nicht um eine KI-generierte Konversation oder einen Avatar.
SPD-OB-Kandidat kritisiert das „schräge Menschenbild“ von Kanzler Merz
Kiel. Scharf kritisiert Ulf Daude, SPD-Kandidat für das Oberbürgermeisters in Kiel, die Äußerungen des Kanzlers zum städtischen Leben: „Ich finde, wer so über das Stadtbild redet und so über Menschen redet, der hat eigentlich eher ein schräges Menschenbild“. Daude stellt im Podcast Conny&Kurt klar, dass Probleme in öffentlichen Räumen ein „klarer Auftrag an die Politik“ seien, aber Sicherheit nicht an Herkunft oder Haarfarbe festzumachen sei. Er sieht die Kommunalpolitik in der Pflicht, sich um Sicherheit und Sauberkeit zu kümmern, während er Kanzler Merz empfahl, sich für den Ausbau der Bundespolizei an Bahnhöfen einzusetzen.
Als Schulleiter setzt sich Daude für klare Regeln ein. An seiner Schule wurde ein Handyverbot im Vormittagsbereich durchgesetzt, damit „die soziale Interaktion da ist“. Er sieht die Schule als Ort, an dem Demokratie gelernt und gesellschaftliches Ausprobieren ermöglicht werden sollte. Trotzdem befürwortet er digitale Medien und KI als Werkzeug; wesentlich sei jedoch stets der Faktor Mensch, um Vorschläge zu bewerten. Bildung und Soziales stehen bei ihm an erster Stelle: „Investitionen in Bildung und Soziale stehen für mich an Stelle Nummer 1 und da wird auch nicht gekürzt“.
Hinsichtlich der städtischen Finanzen kritisiert Daude die Überlastung der Kommunen durch Bund und Länder. Bei der umstrittenen Kieler Stadtbahn hält er das Projekt für einen „Gamechanger“, der „neue Mobilität ermöglicht“. Die Stadtbahn helfe auch dabei, Stadtteile wie Gaarden, die häufig negative Presse erfahren, „neu kennenzulernen“.
Grundsätzlich sieht Daude die Kommunalpolitik als entscheidend an, da die Menschen hier erleben, ob der Staat funktioniert. Sein politisches Credo sei „hingehen, zuhören und verstehen“. Er betont die Wichtigkeit der Partizipation: Man dürfe nicht warten, bis Bürger ins Rathaus kommen, sondern müsse aktiv auf sie zugehen.
Zur Person:
Ulf Daude wurde 1972 in Kiel geboren. Nach Staatsexamen (1998) und Refrendariat war er zunächst Lehrer, ab 2012 stellv. Schulleiter in Mettenhof, ab 2015 Referatsleiter in der Staatskanzlei Schleswig-Holstein. Seit 2022 ist er Schulleiter der Gemeinschaftsschule am Brook in Kiel.
Ein Grüner für Kiel: Samet Yilmaz
Die Oberbürgermeisterwahl in Kiel rückt näher, und mit Samet Yilmaz schickt die Partei der Grünen einen Kandidaten ins Rennen, dessen Biografie und politische Agenda bemerkenswerte Kontraste bieten. Yilmaz, der in Kiel in Gaarden, einem „Stadtteil mit besonderem Förderbedarf“, aufwuchs, bezeichnet seinen Werdegang selbst als nicht immer gradlinig. Seine Motivation speist sich direkt aus dieser Erfahrung: „Diese Stadt hat mir wirklich viele Chancen ermöglicht und ich möchte meinen Beitrag zurückleisten und mit alle voller Kraft“.
Vom Hauptschulabschluss zur Promotion
Ylmaz machte 1996 zunächst seinen Hauptschulabschluss und holte dann über den zweiten Bildungsweg das Abitur nach. Schließlich studierte und promovierte er. Dieser Werdegang sei insofern bewundernswert, als er die „Undurchlässigkeit“ des Bildungssystems, die etwa die Pisa-Studien aufzeigten, widerlege. Yilmaz betont, das Modell des zweiten Bildungswegs funktioniere zwar weiterhin, aber die Herausforderungen seien heute „wirklich schwieriger geworden“.
Politisch setzt der Kandidat auf eine effiziente Kommunalverwaltung. Er ist überzeugt, dass eine gut funktionierende Verwaltung die „entscheidende Weiche ist für Demokratie“ und Populisten wenig Angriffsfläche bietet. Die häufig beklagte Bürokratie müsse zentralisiert und entlastet werden, wobei Yilmaz klare Kritik an überholten Abläufen übt, wie etwa der mehrfachen Vorlage digital vorhandener Dokumente.
Mobilität: Milliardenprojekt Stadtbahn als „Gamechanger“
Ein Kernstück von Yilmaz‘ Programm ist die Verkehrswende. Angesichts von 111.000 zugelassenen Kraftfahrzeugen in Kiel (Tendenz steigend) und begrenzter Fläche, sei eine schlaue Raumnutzung unabdingbar. Der Kandidat setzt sich nach wie vor für das umstrittene Milliardenprojekt der Trambahn (Stadtbahn) ein. Yilmaz verteidigt die hohen Investitionen: „Wir investieren für die Zukunft der Stadt Kiel“. Er betrachtet die Tram als einen „Gamechanger“ für die Mobilität, da sie klimaneutral und langfristig kostengünstiger sei. Eine Tram könne zudem bis zu 750 Menschen befördern, verglichen mit 250 in einem Bus, und sei durch eine eigene Trasse verlässlich getaktet und barrierefrei. Grundsätzlich befürwortet er das Ziel, Aufenthaltsqualität zu steigern und Städte „autoarm“ zu gestalten, um Plätze für Menschen statt für parkende Autos zu schaffen.
Wirtschaft und das Rüstungsdilemma
Als Grüner sieht sich Yilmaz dem Dilemma der Rüstungsindustrie, die in Kiel ein bedeutender Wirtschaftszweig ist, direkt ausgesetzt. Er adressiert dies strategisch durch die „Vier Ws“: Wasser, Werte, Wirtschaft und Wissenschaft.
Er plädiert dafür, die geballte Kraft von Wissenschaft und Wirtschaft – repräsentiert durch die Universität Kiel, Fachhochschule, Geomar sowie Unternehmen wie TKMS und Euroatlas – zu nutzen, um die Transformation voranzutreiben. Der Schlüssel liegt für Yilmaz in der Förderung von Dual-Use-Technologien: Forschung, die nicht nur der Verteidigungsindustrie dient, sondern etwa auch für den Meeresschutz und die Munitionsbergung genutzt werden kann. Er möchte die besten Köpfe in der Stadt halten und nach Kiel zu holen.
Das Interview führten wir am Dienstag, 14.10.25. Am Mittwoch tauchte diese Meldung auf: „Laut einem Bericht des „Spiegel“ soll der Kieler Oberbürgermeister-Kandidat Samet Yilmaz (Grüne) ein Fest türkischer Rechtsextremisten unterstützt und daraufhin seinen Posten beim Verfassungsschutz verloren haben.“(KN) Die KN heute morgen: „Demnach hat Yilmaz sich am Telefon beim Grünflächenamt dafür eingesetzt, dass die Abbauarbeiten des Festes aufgrund schlechten Wetters einen Tag länger dauern sollten als genehmigt“. Wir konnten auf diese Vorwürfe nicht näher eingehen. Die Stellungnahme von Samet Yilmaz finden Sie unter https://samet-yilmaz.de/
Die verlorene Ehre der Katharina Blum: Gewalt beginnt mit der Sprache
Aus Anlass des 50. Jahrestags von Heinrich Bölls Erzählung und Film Die verlorene Ehre der Katharina Blum – erschienen mitten in der Hochzeit des RAF-Terrorismus 1975 – erörtert Maria Birger von der Heinrich-Böll-Stiftung im Podcast Conny&Kurt die Aktualität des Werkes. Die Sprachwissenschaftlerin unterstreicht die bedenkliche Aktualität dieses Schlüsselwerks zur Kritik des Boulevardjournalismus. Das Werk schildert, wie Katharina Blum, eine „sehr brave“ und „angepasste“ junge Frau, innerhalb weniger Karnevalstage zur Mörderin wird, nicht zuletzt durch die Kampagnen der Presse.
Bölls tiefe Auseinandersetzung war durch seine persönlichen Erfahrungen motiviert: Er und seine Familie waren in den 70er Jahren massiver Diffamierung ausgesetzt und mussten fünf unbegründete Hausdurchsuchungen erleben, wobei die Springerpresse ihn als „Sympathisanten“ von Terroristen kriminalisierte. Bölls zentrale These, die er zeitlebens vertrat, bleibt unerschütterlich: „Gewalt beginnt mit der Sprache“.
Diese sprachliche und „strukturelle Gewalt“ manifestierte sich in den 1970er Jahren in übergriffigen Verhören und der sensationslüsternen Berichterstattung, wobei Böll stets darauf beharrte, dass das Grundgesetz für alle gelte. Er betonte, dass die Pressefreiheit ihre Grenzen explizit im „Recht der persönlichen Ehre“ (Art. 5 GG) finde.
Experten sehen heute eine Übertragung dieser Mechanismen in die digitale Ära: Durch die sozialen Medien „könnte heute jeder Katharina Blum sein“, so Birger, da die ungefilterte Verbreitung von Inhalten und Desinformation Diffamierungskampagnen beschleunigt, wie sie etwa beim Bashing gegen die Grünen oder in der Rhetorik der AfD sichtbar werden. Diese Entwicklung führt zu einem „Tsunami“ sprachlicher Gewalt, dem die Gerichtsbarkeit zeitlich kaum gewachsen ist. Bölls Plädoyer für Gewaltfreiheit und seine Forderung nach dem Schutz der Persönlichkeit bleiben somit zentrale demokratische Prüfsteine
Zur Person: Maria Birger geboren 1983 in Moskau, ist Tochter des Künstlers und Dissidenten Boris Birger. Sie studierte zunächst bei ihm zehn Jahre Kunst und Kunstgeschichte und nach dem Abitur Geschichte und Russische Literatur in Köln. Sie promoviert an der Humboldt-Universität Berlin zu den deutsch-sowjetischen Beziehungen im Kalten Krieg mit den Schwerpunkten Dissidenz in der Sowjetunion und politische Kultur in der Bundesrepublik. Sie arbeitet als Referentin Leben und Werk Heinrich Böll in der Heinrich-Böll-Stiftung e. V. und ist im Beirat des Lew Kopelew Forums e. V. (Köln) sowie im Vorstand der Marion Dönhoff-Stiftung (Hamburg) tätig.
Altersdiskriminierung und Generationenkonflikt: Soziologe fordert gesamtgesellschaftlichen Brückenschlag
Professor Reimer Gronemeyer, Soziologe, Theologe und Autor des Buches „Die Abgelehnten“, kritisiert, dass Altersdiskriminierung oft unterschätzt wird. Er definiert sie als eine tiefe, gesellschaftliche Benachteiligung, die nicht immer offensichtlich ist. Während die Debatte oft die Jungen zugunsten der Boomer benachteiligt sieht, warnt Gronemeyer vor einem „An den Randschieben“ der Alten, beispielsweise durch unbezahlbare Pflegeheimplätze.
Die Gesellschaft sei jugendlich geprägt, wodurch die Alten ihren traditionellen Wert als Träger von Wissen und Erfahrung verloren haben. Die Digitalisierung mache Ältere zu ständigen „Schülern“. Dies führe zu einem immer tieferen Bruch zwischen Jung und Alt, der beiden Generationen schade. Die Vorwürfe der Jugend an die Generation der Babyboomer bezüglich der Klimakrise und des Festhaltens an Führungspositionen seien völlig gerechtfertigt, da „alte weiße Männer“ maßgeblich an den heutigen Krisen beteiligt sind. Dieser Konflikt äußere sich auch in einer „giftigen“ Haltung gegenüber den Alten, da sie als Verursacher und Ressourcenverbraucher wahrgenommen werden.
Gleichzeitig sind traditionelle Begegnungsräume wie Kirchen, Parteien und Nachbarschaften zerbrochen, was zu Einsamkeit und Singularität führt. Die Rentendiskussion, in der sich die Generationen gegenseitig Vorwürfe machen, zeige diesen Gegenläufigen Konflikt deutlich.
Gronemeyer fordert einen gesamtgesellschaftlichen Austausch und betont, dass die Lösung nicht von Kabinetten, sondern von den Bürgern selbst kommen muss. Die Krisen müssten gemeinsam bewältigt werden. Die Kirchen könnten eine Rolle spielen, indem sie sich den wirklichen Nöten und Ängsten der Menschen widmen. Wichtiger sei es, gemeinsame Sehnsüchte zu erkennen und Wege zur Überwindung von Erschöpfung durch Stress zu finden, statt sich gegenseitig zu beschuldigen. Ein Lebensstil mit weniger Geld sollte als Chance begriffen werden.
Entscheidend sei die Wiederbelebung des Alltags durch bürgerschaftliches Engagement, etwa solidarische Landwirtschaft, und das Zurückerobern von Städten, Straßen und Plätzen durch Jung und Alt gemeinsam. Der Verlust lokaler Geschäfte, einst wichtige soziale Treffpunkte, verschärfe die Einsamkeit. Gronemeyer bleibt optimistisch: Es gebe bereits viele aufblühende kleine Gruppen, die alternative Lebensweisen praktizieren und Generationen zusammenbringen. Ziel sei ein intergenerationelles Miteinander, das jeden Einzelnen, unabhängig vom Alter, wertschätzt.
Zur Person
Reimer Gronemeyer studierte zunächst evangelische Theologie. 1971 wurde er mit einer Arbeit zu den Paulusbriefen promoviert und war danach Pfarrer in Hamburg. Danach studierte er Soziologie und wurde 1973 mit einer Arbeit zu Fragen der betrieblichen und gesellschaftlichen Partizipation promoviert.
Seit 1975 ist er Professor für Soziologie an der Justus-Liebig-Universität in Gießen. In seiner Forschung beschäftigt er sich mit den Fragen des Alterns in der Gesellschaft.
Intergenerativer Audiowalk: Kinder und Senioren sprechen über den Tod
Der wöchentliche Podcast Conny&Kurt dreht sich diesmal um ein einzigartiges Audiowalk-Projekt des Künstlers Kai Fischer, das Kinder und Senioren zum Thema Tod und Leben miteinander ins Gespräch bringt. Das Projekt beinhaltet intergenerationelle Workshops und Interviews, deren gesammelte Audioschnipsel über QR-Codes auf einem Friedhof abgerufen werden können. Ziel ist es, verschiedene Perspektiven auf das Sterben zu ermöglichen und Ängste abzubauen, indem der Friedhof als Ort des Nachdenkens und der Begegnung neu belebt wird.
Der Hamburger Künstler Kai Fischer hat ein einzigartiges Projekt realisiert: einen intergenerativen Audiowalk, der Kinder und Senioren zum offenen Dialog über Leben und Tod anregt. Die besonderen Audioinhalte, abrufbar via QR-Codes auf dem Friedhof Bargtehheide, laden Besucher:innen ein, sich während eines Spaziergangs mit existentiellen Fragen auseinanderzusetzen. Fischer, ein erfahrener Kindertheatermacher, identifiziert den Tod als spannendes Thema an der Schnittstelle von Kinder- und Erwachsenenwelten. Während Kinder den eigenen Tod kaum imaginieren und sich eher um den Verlust von Familienmitgliedern sorgen, reflektieren Senioren tiefer über das eigene Sterben.
Die Projektentwicklung begann mit vorbereitenden Workshops in der Schulklasse der Stufe 2 und Seniorengruppen mit theater-pädagogischen Methoden. So wurde etwa die gemeinsame Beerdigung eines Schmetterlings genutzt, um das Thema spielerisch zugänglich zu machen. Diese interaktiven Ansätze förderten den Austausch und führten zu teils humorvollen Antworten auf Fragen wie „Was möchtest du in den Himmel mitnehmen?“ – Kinder wählten bunte Pferde, Senioren Fotoalben.
Basierend auf Einzelinterviews entstand eine Audiospur mit zehn zentralen Fragen, darunter „Wie stellst du dir den Himmel vor?“ oder „Hast du Angst vor dem Tod?“. Dieses multiperspektivische Audioformat, obwohl online verfügbar, entfaltet seine größte Wirkung beim Hören auf dem Friedhof, da die Umgebung die Reflexion über die Inhalte intensiviert.
Interessant waren die sich überschneidenden, aber auch konträren Ansichten. Kinder hatten oft ein klares, medial geprägtes Himmelsbild, während Senioren dies meist ablehnten, aber dennoch an eine Seele oder ein „Weitergehen“ nach dem Tod glaubten. Tröstliche Himmelsvorstellungen gaben Kindern Geborgenheit und nahmen die Angst.
Trotz der Relevanz des Themas gab es Vorbehalte bei einigen Eltern, die ihre Kinder nicht mitmachen ließen. Fischer betont jedoch die Notwendigkeit, Kinder mit dem Tod nicht allein zu lassen, gerade angesichts globaler Ereignisse. Das Projekt, das in zwei Monaten rund 200 Abrufe verzeichnete, wird von der Friedhofsverwaltung positiv aufgenommen, da es Friedhöfe als Orte der Ruhe und Begegnung neu belebt. Das Projekt unterstreicht den Wert des offenen intergenerativen Dialogs über den Tod.
50 Jahre Habakuk: Längst sind die Widerstände überwunden
Die Band Habakuk, eine prägende Kraft im Bereich des Neuen Geistlichen Liedes, feiert in diesem Jahr ihr 50-jähriges Bestehen. Anfänglich begegnete man dieser Musik – wie Eugen Eckert im Podcast Conny&Kurt erzählt – im Gottesdienst mit großer Skepsis. Ihre musikalische Neuausrichtung mit popmusikalischen Arrangements stieß zunächst auf Widerstand, insbesondere bei klassisch orientierten Kirchenmusikern, die das neue Liedgut als „entsetzlich entstellt“ beschrieben. Unter der Leitung von Eugen Eckert, der auch als „Urgestein“ und treibende Kraft der Band bezeichnet wird, entstand Habakuk aus der offenen Jugendarbeit der Gethsemane-Gemeinde in Frankfurt. Die Band, die anfangs in einem Kellerraum im Evangelischen Stadtjugendpfarramt beheimatet war, erhielt früh finanzielle Unterstützung vom Evangelischen Regionalverband und Pfarrer Martin Jürges.
nteressanterweise fand Habakuk in der katholischen Kirche frühzeitig mehr Akzeptanz und Förderung. Die Öffnung durch das Zweite Vatikanische Konzil für neue Lieder in Landessprache und mit neuen Melodien schuf eine größere Aufbruchstimmung. Eugen Eckert pflegte Freundschaften mit katholischen Kirchenmusikern wie Winfried Heurich und wurde sogar als „evangelisches U-Boot“ in katholische Arbeitskreise berufen. Diese Zusammenarbeit führte dazu, dass Habakuk heute mit deutlich mehr Titeln im katholischen „Gotteslob“ vertreten ist als im „Evangelischen Gesangbuch“.
Musikalisch hat sich die Band stetig weiter entwickelt. Eugen Eckert hat inzwischen rund 2000 Lieder geschrieben und arbeitet mit etwa 30 Musikern zusammen. Habakuk integriert heute nicht nur Posaunenchöre und Orchester in ihre Auftritte, was die Musik „ganz richtig aufblühen“ lässt, sondern hat auch 12 Oratorien mit Thomas Gabriel komponiert, die Jazz-, Pop- und Rock-Elemente vereinen. Diese musikalische Weiterentwicklung hat letztlich zu einer breiteren Anerkennung geführt.
Für die Zukunft setzt Habakuk auf eine starke digitale Präsenz. Viele Titel sind seit dem 1. Mai dieses Jahres auf Spotify verfügbar. Zudem wird ein Jubiläumsbuch erscheinen, das die 50-jährige Geschichte anhand von Stories, Bildern und Liedern, die über QR-Codes zugänglich gemacht werden, erzählt. Eugen Eckert bekräftigt die Mission der Band, die Liturgie mit inklusiver, nicht-patriarchaler Sprache zu modernisieren und sie für Gemeinden singbar zu gestalten. Gleichzeitig soll aber auch Raum für musikalische „Austobungen“ bleiben, in denen die Stärke der Bandmusiker gezeigt werden kann. Die Bandmitglieder, allesamt Profimusiker, sind entschlossen, weiterhin Musik zu machen. Sie bleiben ihrem Credo treu, dass ein Lied eine „gute Melodie“ haben muss und lehnen eine Anpassung an kurzlebige Trends wie Rap ab.
Das Jubiläumskonzert findet am 7. September um 17 Uhr in der Evangelischen Markuskirche in Offenbach statt
