Archiv für Podcast

Altersdiskriminierung und Generationenkonflikt: Soziologe fordert gesamtgesellschaftlichen Brückenschlag

Professor Reimer Gronemeyer, Soziologe, Theologe und Autor des Buches „Die Abgelehnten“, kritisiert, dass Altersdiskriminierung oft unterschätzt wird. Er definiert sie als eine tiefe, gesellschaftliche Benachteiligung, die nicht immer offensichtlich ist. Während die Debatte oft die Jungen zugunsten der Boomer benachteiligt sieht, warnt Gronemeyer vor einem „An den Randschieben“ der Alten, beispielsweise durch unbezahlbare Pflegeheimplätze.

Die Gesellschaft sei jugendlich geprägt, wodurch die Alten ihren traditionellen Wert als Träger von Wissen und Erfahrung verloren haben. Die Digitalisierung mache Ältere zu ständigen „Schülern“. Dies führe zu einem immer tieferen Bruch zwischen Jung und Alt, der beiden Generationen schade. Die Vorwürfe der Jugend an die Generation der Babyboomer bezüglich der Klimakrise und des Festhaltens an Führungspositionen seien völlig gerechtfertigt, da „alte weiße Männer“ maßgeblich an den heutigen Krisen beteiligt sind. Dieser Konflikt äußere sich auch in einer „giftigen“ Haltung gegenüber den Alten, da sie als Verursacher und Ressourcenverbraucher wahrgenommen werden.

Gleichzeitig sind traditionelle Begegnungsräume wie Kirchen, Parteien und Nachbarschaften zerbrochen, was zu Einsamkeit und Singularität führt. Die Rentendiskussion, in der sich die Generationen gegenseitig Vorwürfe machen, zeige diesen Gegenläufigen Konflikt deutlich.

Gronemeyer fordert einen gesamtgesellschaftlichen Austausch und betont, dass die Lösung nicht von Kabinetten, sondern von den Bürgern selbst kommen muss. Die Krisen müssten gemeinsam bewältigt werden. Die Kirchen könnten eine Rolle spielen, indem sie sich den wirklichen Nöten und Ängsten der Menschen widmen. Wichtiger sei es, gemeinsame Sehnsüchte zu erkennen und Wege zur Überwindung von Erschöpfung durch Stress zu finden, statt sich gegenseitig zu beschuldigen. Ein Lebensstil mit weniger Geld sollte als Chance begriffen werden.

Entscheidend sei die Wiederbelebung des Alltags durch bürgerschaftliches Engagement, etwa solidarische Landwirtschaft, und das Zurückerobern von Städten, Straßen und Plätzen durch Jung und Alt gemeinsam. Der Verlust lokaler Geschäfte, einst wichtige soziale Treffpunkte, verschärfe die Einsamkeit. Gronemeyer bleibt optimistisch: Es gebe bereits viele aufblühende kleine Gruppen, die alternative Lebensweisen praktizieren und Generationen zusammenbringen. Ziel sei ein intergenerationelles Miteinander, das jeden Einzelnen, unabhängig vom Alter, wertschätzt.

Zur Person
Reimer Gronemeyer studierte zunächst evangelische Theologie. 1971 wurde er mit einer Arbeit zu den Paulusbriefen promoviert und war danach Pfarrer in Hamburg. Danach studierte er Soziologie und wurde 1973 mit einer Arbeit zu Fragen der betrieblichen und gesellschaftlichen Partizipation promoviert.

Seit 1975 ist er Professor für Soziologie an der Justus-Liebig-Universität in Gießen. In seiner Forschung beschäftigt er sich mit den Fragen des Alterns in der Gesellschaft.

Intergenerativer Audiowalk: Kinder und Senioren sprechen über den Tod

Der wöchentliche Podcast Conny&Kurt dreht sich diesmal um ein einzigartiges Audiowalk-Projekt des Künstlers Kai Fischer, das Kinder und Senioren zum Thema Tod und Leben miteinander ins Gespräch bringt. Das Projekt beinhaltet intergenerationelle Workshops und Interviews, deren gesammelte Audioschnipsel über QR-Codes auf einem Friedhof abgerufen werden können. Ziel ist es, verschiedene Perspektiven auf das Sterben zu ermöglichen und Ängste abzubauen, indem der Friedhof als Ort des Nachdenkens und der Begegnung neu belebt wird.

Der Hamburger Künstler Kai Fischer hat ein einzigartiges Projekt realisiert: einen intergenerativen Audiowalk, der Kinder und Senioren zum offenen Dialog über Leben und Tod anregt. Die besonderen Audioinhalte, abrufbar via QR-Codes auf dem Friedhof Bargtehheide, laden Besucher:innen ein, sich während eines Spaziergangs mit existentiellen Fragen auseinanderzusetzen. Fischer, ein erfahrener Kindertheatermacher, identifiziert den Tod als spannendes Thema an der Schnittstelle von Kinder- und Erwachsenenwelten. Während Kinder den eigenen Tod kaum imaginieren und sich eher um den Verlust von Familienmitgliedern sorgen, reflektieren Senioren tiefer über das eigene Sterben.

Die Projektentwicklung begann mit vorbereitenden Workshops in der Schulklasse der Stufe 2 und Seniorengruppen mit theater-pädagogischen Methoden. So wurde etwa die gemeinsame Beerdigung eines Schmetterlings genutzt, um das Thema spielerisch zugänglich zu machen. Diese interaktiven Ansätze förderten den Austausch und führten zu teils humorvollen Antworten auf Fragen wie „Was möchtest du in den Himmel mitnehmen?“ – Kinder wählten bunte Pferde, Senioren Fotoalben.

Basierend auf Einzelinterviews entstand eine Audiospur mit zehn zentralen Fragen, darunter „Wie stellst du dir den Himmel vor?“ oder „Hast du Angst vor dem Tod?“. Dieses multiperspektivische Audioformat, obwohl online verfügbar, entfaltet seine größte Wirkung beim Hören auf dem Friedhof, da die Umgebung die Reflexion über die Inhalte intensiviert.

Interessant waren die sich überschneidenden, aber auch konträren Ansichten. Kinder hatten oft ein klares, medial geprägtes Himmelsbild, während Senioren dies meist ablehnten, aber dennoch an eine Seele oder ein „Weitergehen“ nach dem Tod glaubten. Tröstliche Himmelsvorstellungen gaben Kindern Geborgenheit und nahmen die Angst.

Trotz der Relevanz des Themas gab es Vorbehalte bei einigen Eltern, die ihre Kinder nicht mitmachen ließen. Fischer betont jedoch die Notwendigkeit, Kinder mit dem Tod nicht allein zu lassen, gerade angesichts globaler Ereignisse. Das Projekt, das in zwei Monaten rund 200 Abrufe verzeichnete, wird von der Friedhofsverwaltung positiv aufgenommen, da es Friedhöfe als Orte der Ruhe und Begegnung neu belebt. Das Projekt unterstreicht den Wert des offenen intergenerativen Dialogs über den Tod.

50 Jahre Habakuk: Längst sind die Widerstände überwunden

Die Band Habakuk, eine prägende Kraft im Bereich des Neuen Geistlichen Liedes, feiert in diesem Jahr ihr 50-jähriges Bestehen. Anfänglich begegnete man dieser Musik – wie Eugen Eckert im Podcast Conny&Kurt erzählt – im Gottesdienst mit großer Skepsis. Ihre musikalische Neuausrichtung mit popmusikalischen Arrangements stieß zunächst auf Widerstand, insbesondere bei klassisch orientierten Kirchenmusikern, die das neue Liedgut als „entsetzlich entstellt“ beschrieben. Unter der Leitung von Eugen Eckert, der auch als „Urgestein“ und treibende Kraft der Band bezeichnet wird, entstand Habakuk aus der offenen Jugendarbeit der Gethsemane-Gemeinde in Frankfurt. Die Band, die anfangs in einem Kellerraum im Evangelischen Stadtjugendpfarramt beheimatet war, erhielt früh finanzielle Unterstützung vom Evangelischen Regionalverband und Pfarrer Martin Jürges.

nteressanterweise fand Habakuk in der katholischen Kirche frühzeitig mehr Akzeptanz und Förderung. Die Öffnung durch das Zweite Vatikanische Konzil für neue Lieder in Landessprache und mit neuen Melodien schuf eine größere Aufbruchstimmung. Eugen Eckert pflegte Freundschaften mit katholischen Kirchenmusikern wie Winfried Heurich und wurde sogar als „evangelisches U-Boot“ in katholische Arbeitskreise berufen. Diese Zusammenarbeit führte dazu, dass Habakuk heute mit deutlich mehr Titeln im katholischen „Gotteslob“ vertreten ist als im „Evangelischen Gesangbuch“.

Musikalisch hat sich die Band stetig weiter entwickelt. Eugen Eckert hat inzwischen rund 2000 Lieder geschrieben und arbeitet mit etwa 30 Musikern zusammen. Habakuk integriert heute nicht nur Posaunenchöre und Orchester in ihre Auftritte, was die Musik „ganz richtig aufblühen“ lässt, sondern hat auch 12 Oratorien mit Thomas Gabriel komponiert, die Jazz-, Pop- und Rock-Elemente vereinen. Diese musikalische Weiterentwicklung hat letztlich zu einer breiteren Anerkennung geführt.

Für die Zukunft setzt Habakuk auf eine starke digitale Präsenz. Viele Titel sind seit dem 1. Mai dieses Jahres auf Spotify verfügbar. Zudem wird ein Jubiläumsbuch erscheinen, das die 50-jährige Geschichte anhand von Stories, Bildern und Liedern, die über QR-Codes zugänglich gemacht werden, erzählt. Eugen Eckert bekräftigt die Mission der Band, die Liturgie mit inklusiver, nicht-patriarchaler Sprache zu modernisieren und sie für Gemeinden singbar zu gestalten. Gleichzeitig soll aber auch Raum für musikalische „Austobungen“ bleiben, in denen die Stärke der Bandmusiker gezeigt werden kann. Die Bandmitglieder, allesamt Profimusiker, sind entschlossen, weiterhin Musik zu machen. Sie bleiben ihrem Credo treu, dass ein Lied eine „gute Melodie“ haben muss und lehnen eine Anpassung an kurzlebige Trends wie Rap ab.

Das Jubiläumskonzert findet am 7. September um 17 Uhr in der Evangelischen Markuskirche in Offenbach statt

Schleswig-Holstein: Antisemitische Vorfälle mehr als verdoppelt

Die Zahlen sind alarmierend: Antisemitische Vorfälle in Schleswig-Holstein haben sich von rund 120 im Jahr 2023 auf 588 im Jahr 2024 vervierfacht. Viele Jüdinnen und Juden trauen sich aus Angst nicht mehr, ihre Identität offen zu zeigen. Der Beauftragte für jüdisches Leben und gegen Antisemitismus des Landes Schleswig-Holstein, Gerhard Ulrich, beschreibt im Podcast Conny&Kurt Antisemitismus als ein „hartes“ und „immer zunehmendes“ Problem. Er definiert Antisemitismus gemäß der von der Bundesregierung anerkannten Arbeitsdefinition der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA) als eine Form von Hass, der sich gegen Juden richtet, weil sie Juden sind. Dieser Hass äußert sich vielfältig, von körperlichen Übergriffen, Beleidigungen und Verschwörungserzählungen bis zu konkreten Aktionen wie dem Angeben von Adressen jüdischer Mitbürger.

Ulrich differenziert zwischen „linkem“ Antisemitismus (der Israel-Kritik mit der Verantwortlichmachung von Juden für israelische Regierungsentscheidungen verbindet), „rechts außen“ (der alte Vorurteile bestätigt) und „importiertem“ Antisemitismus (der aus Ländern kommt, in denen das Existenzrecht Israels geleugnet wird).

Das Wiederaufleben uralter Vorurteile erklärt er mit der zunehmenden Komplexität der Welt und der Suche nach Sündenböcken. Insbesondere die Corona-Pandemie (mit Verschwörungsmythen wie „Weltjudentum“) und der Hamas-Angriff vom 7. Oktober 2023 haben antisemitische Vorfälle verstärkt. Jüdische Bürger in Schleswig-Holstein leiden darunter, für Israels Handlungen verantwortlich gemacht zu werden, wobei der ursprüngliche Hamas-Terror oft ausgeblendet wird. Ulrich betont, dass nicht jede Kritik am Staat Israel antisemitisch ist; eine Grenze sei jedoch überschritten, wenn Israels Existenz- oder Selbstverteidigungsrecht geleugnet oder Juden insgesamt dämonisiert werden. Die hier lebenden Juden seien nicht für die Politik Israels verantwortlich. Das Bundesverfassungsgericht hat zudem geurteilt, dass Antisemitismus nicht unter Meinungsfreiheit fällt.

Als primäre Gegenmaßnahmen nennt Ulrich Bildung und Begegnung. Schulen und Kindergärten müssen Demokratiebildung und den Abbau von Vorurteilen fördern. Positive Beispiele sind die langjährige christlich-jüdische Zusammenarbeit der Kirchen und Sportverbände, die Austauschprogramme mit Israel unterhalten. Ulrich fordert verpflichtende Gedenkstättenbesuche für Schülerinnen und Schüler, um die Erinnerungsarbeit zu stärken.

Auch das Bewusstsein für gemeinsame kulturelle und religiöse Wurzeln, etwa in Sprache und Musik, soll geschärft werden. Gemeinsame Feste wie das Aufstellen eines Hanukkah-Leuchters neben dem Weihnachtsbaum können jüdisches Leben sichtbarer machen und Vorurteile abbauen. Der Kampf gegen Antisemitismus erfordert ständige Anstrengungen und viel Unterstützung.

Zur Person:

Landesbischof em. Dr. h.c. Gerhard Ulrich ist seit 2022 Schleswig-Holsteins Beauftragter für jüdisches Leben und gegen Antisemitismus

Deutsche Befindlichkeit: Hoffnung keimt auf

Während der Kieler Woche erörtern Conny&Kurt in ihrem Podcast die Stimmung in Deutschland. Es scheint sich zu drehen. Ein psychologisch bedingtes Fünkchen Hoffnung keimt durch die neue Regierung auf, obwohl die wirtschaftlichen Zahlen weiterhin schlecht sind. Die Sehnsucht, aus dem „Tal der Tränen“ herauszutreten, ist groß.

Allerdings stehen große Zumutungen bevor, insbesondere in Bereichen wie Pflege, Gesundheit und Rente. Die beiden Podcaster erwarten Einkommensverluste. Die beiden unterstreichen die Sehnsucht nach Optimismus und klarem Ausblick inmitten von Unsicherheiten. Trotz dieser Herausforderungen und der Notwendigkeit von Realismus brauchen die Menschen Hoffnung.

Expertin fordert bei Verdacht Tätigkeitsverbot

Oberkirchenrätin Petra Knötzele, Leiterin der Fachstelle gegen sexualisierte Gewalt der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN), betont beim Umgang mit sexualisierter Gewalt den Dreiklang aus Prävention, Intervention und Aufarbeitung. Knötzele fordert eine bessere Ausstattung von Polizei, Staatsanwaltschaft und Jugendämtern und träumt von einem „Verdachtsregister“, um Tätigkeitsuntersagungen effektiver umsetzen zu können. Heute kann ein unter Verdacht stehender Mitarbeiter, der etwa in der Kita freigestellt wurde, problemlos den Arbeitgeber wechseln. Und dann eben wieder in einer Tageseinrichtung für Kinder arbeiten. Durch klare Regeln, Schulungen und der Pflicht zur Vorlage erweiterte Führungszeugnisse will die EKHN den notwendigen Schutz sicherstellen. Außerdem wurde ein Beschwerdeverfahren implementiert.

Die Evangelische Kirche in Hessen und Nassau (EKHN) engagiert sich seit Jahrzehnten gegen Missbrauch und sexualisierte Gewalt. Oberkirchenrätin Petra Knötzele, betont, dass das Thema Prävention bereits in den 1990er Jahren wichtig war beispielsweise in der Ausbildung von Ehrenamtlichen.

Die Prävention zielt darauf ab, Gewalt vorzubeugen, indem sie Sensibilisierung, Wissensvermittlung und die Sicherung hoher Qualitätsstandards durch gut qualifiziertes Personal fördert. Hierzu gehören klare Regeln und sexualpädagogische Konzepte, beispielsweise in Kitas, die Vermittlung der Kinderrechte und die Aufklärung über angemessenes Verhalten.

Intervention greift bei Verdachtsfällen: Klare Regeln, Freistellung der beschuldigten Person und unabhängige Beratung für Betroffene, deren Anwaltskosten von der EKHN übernommen werden, sind Standard. Eine Strafanzeige wird in jedem Fall erstattet, wenn von weiteren Betroffenen ausgegangen werden muss, ansonsten entscheidet dies die geschädigte Person selbst, da solche Verfahren viele Jahre dauern können. Dies belastet die Betroffenen.

Aufarbeitung beleuchtet systemische Ursachen wie Unterbesetzung oder auch „Haltungsfragen“, etwa ein „Familiengefühl“, das Interventionen behindern kann, indem Situationen verunklart werden („der macht sowas nicht“).

Die EKHN hat ein Gewaltpräventionsgesetz etabliert, das klare Zuständigkeiten festlegt. Es fordert von allen Personen, die mit Schutzbefohlenen arbeiten, erweiterte Führungszeugnisse, obligatorische Schulungen und Selbstverpflichtungserklärungen. Besondere Leitlinien existieren für Berufsgruppen wie den Pfarrdienst und die Kirchenmusik, wo besondere Nähe- und Abhängigkeitsverhältnisse bestehen. Auch die Freizeitarbeit mit Übernachtungen wird aufgrund potenzieller Gefährdungen intensiv betrachtet und erfordert Schutzkonzepte, die transparente Regeln festlegen, etwa für Dusch- und Schlafbereiche. Ein „Heimprojekt“ der EKHN befasste sich mit ehemaligen Heimkindern aus der Nachkriegszeit (1945-1975) und erstellte ein „Heimkataster“ kirchlicher und staatlicher Einrichtungen. Die Erfahrungen reichten von Gewalt und Vernachlässigung bis hin zu liebevoller Betreuung.

Knötzele stellt klar, dass der Vorwurf, die EKD oder Landeskirchen hätten bei der Forum-Studie Personalakten zurückgehalten, ungerechtfertigt sei. Die Studie basiere auf Fragebögen, die von den Kirchen selbst ausgefüllt wurden, und die Forschenden hatten keinen direkten Zugriff auf Akten gewünscht. Personalakten gäben auch selten Aufschluss, da Taten oft im Verborgenen stattfänden.

Die EKHN erhält über 100 Hinweise, die sich nicht alle auf die eigene Kirche beziehen oder strafrechtlich relevant sind, sondern oft Vorstufen, wie etwa verbale Übergriffe, betreffen. Während Pädophilie als krankheitsbedingte Problematik nur eine sehr kleine Gruppe ausmacht und die EKHN hier mit Initiativen wie „Kein Täter werden“ kooperiert, liegt das Hauptproblem im verhaltensbedingten Missbrauch von Macht und Aggression, gepaart mit Leugnung der Täter.

Ein großes Problem ist die „wahnsinnige Verunsicherung“ von Pädagogen und Pfarrpersonen im Umgang mit Kindern und Jugendlichen, die dazu führt, dass Sexualpädagogik kaum noch stattfindet. Die EKHN begegnet dem mit umfassenden Präventionskonzepten, Schulungen und regionalen Präventionsbeauftragten, um Fachkräften die nötige Reflexion und klare Verhaltensstandards zu vermitteln.

Zur Person:
Petra Knötzele ist Oberkirchenrätin in der Kirchenverwaltung der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN). Sie ist Leiterin der Fachstelle gegen sexuelle Gewalt der EKHN und Ansprechpartnerin bei Verdachtsfällen auf sexuelle Gewalt. Sie hat das Projekt „Aufarbeitung der Heimkinderschicksale in der Nachkriegszeit“ geleitet.

Religionspolitik spielt kaum eine Rolle – trotz Verfassungsauftrag

Philipp Greifenstein, Journalist der kritisch-kirchlichen Religionszeitschrift „Die Eule“, analysiert die Religionspolitik der Bundesregierung im Podcast Conny&Kurt. Bundestagspräsidentin Julia Klöckner schlug vor, die Kirchen sollten sich aus der Tagespolitik heraushalten. Greifenstein sieht darin einen Ausdruck des Wunsches, die Kirchen klein zu halten. Im Koalitionsvertrag der Ampel-Parteien war das Thema Religion „ziemlich dünn“ verankert. Dies liege unter anderem am vorzeitigen Ende der letzten Legislatur und der Fokussierung auf andere dringlichere Themen im Wahlkampf. Im Vergleich zur vorherigen Großen Koalition, die höhere Gestaltungsansprüche hatte, spielen religionspolitische Fragen derzeit noch weniger eine Rolle.

Beim Thema Schwangerschaftsabbruch (§ 218) unterscheiden sich die Positionen der großen Kirchen erheblich: Die evangelische Kirche diskutiert zunehmend eine Entkriminalisierung, während die katholische Kirche auf der Strafbarkeit beharrt. Die aktuell von der CDU/CSU stark mitgetragene Bundesregierung wird diesen Weg der Vorgängerregierung voraussichtlich nicht weiterverfolgen.

Ein zentraler und seit Jahrzehnten ungelöster Punkt sind die Staatsleistungen an die Kirchen. Diese Zahlungen gehen historisch auf den Reichsdeputationshauptschluss von 1803 zurück, als Ausgleich für enteigneten Kirchenbesitz, und stellen einen Verfassungsauftrag dar. Die jährlichen Leistungen, die derzeit rund 600 Millionen Euro aus Landeshaushalten umfassen, dienen unter anderem zur Finanzierung von Gehältern und Gebäudenutzung. Die Ablösung, wie von der letzten Regierung angestrebt, scheitert vor allem am Widerstand der Länder aufgrund der notwendigen Entschädigungssumme, die die Kirchen verlangen. Gleichwohl sind diese gesprächsbereit. Die finanzielle Situation der Länder ist zu angespannt. Für manche manche Kirchenhaushalte sind sie auf der Einnahmenseite von erheblicher Bedeutung. Sie sind klar von der Kirchensteuer, den Mitgliedsbeiträgen, zu unterscheiden.

Auch der Religionsunterricht, der in der Zuständigkeit der Länder liegt, wandelt sich. Angesichts sinkender Schüler- und Lehrerzahlen gibt es Entwicklungen hin zu konfessionsverbindenden oder interreligiösen Modellen. Dieses Recht auf Religionsunterricht ist eng an den Körperschaftsstatus der Kirchen geknüpft. Der Körperschaftsstatus einzelner Kirchengemeinden wird in vielen Landeskirchen zugunsten der Landeskirche geändert, was Teil umfassender Fusionsprozesse ist.

Andere Religionsgemeinschaften, insbesondere der Islam, finden im Koalitionsvertrag kaum Erwähnung. Während das Judentum durch den Staat erheblich finanziert wird, fehlt es beim Islam oft an einheitlichen Ansprechpartnern für eine vertrauensvolle Zusammenarbeit. Fortschritte beim Körperschaftsrecht für muslimische Gemeinschaften sind seit 20 Jahren Islamkonferenz kaum zu verzeichnen. Die Frage, ob sie sich in bestehende rechtliche Strukturen einfügen oder ob neue nötig sind, bleibt offen. Die Einführung islamischer Feiertage wäre eine Möglichkeit, die eher von den Ländern als vom Bund angegangen werden könnte.

Die Kirchen sehen sich durch den Rückgang an Mitgliedern und Kirchensteuereinnahmen vor großen finanziellen Herausforderungen. Manche Landeskirchen hätten lange gezögert, auf diese Entwicklung zu reagieren. Die demografische Entwicklung mit weniger jungen Kirchenmitgliedern und mehr Sterbefällen hält an und stellt ein erhebliches Problem dar.

Trotz geringer politischer Priorität bleibt das Thema Religionspolitik relevant.

https://youtu.be/-PJZnvshqBM

Zur Person
Philipp Greifenstein stammt aus Dresden und wohnt inzwischen in Bad Frankenhausen. Philipp Greifenstein ist freier Journalist (Website) und Geschäftsführer des Magazins für Kirche, Politik und Kultur „Die Eule“ (eulemagazin.de). Schwerpunkte seiner Arbeit sind die aktuelle Religionspolitik, die Missbrauchskrise in den evangelischen Kirchen, Digitalisierung und Rechtsradikalismus in christlichen und kirchlichen Kontexten sowie Ostdeutschland.

Kieler CDU kämpft gegen Antisemitismus

Die CDU-Fraktion im Kieler Stadtparlament hat ihren diesjährigen Neujahrsempfang, der ungewöhnlicherweise im Mai stattfand, dem Thema Antisemitismus und jüdisches Leben in Kiel gewidmet. Die CDU strebt eine parteiübergreifende Zusammenarbeit gegen Antisemitismus in Kiel an. Eine klare Haltung vertritt die Fraktion gegenüber der AfD: Es werde keinerlei Zusammenarbeit geben, da die Partei für ausländerfeindliche und antisemitische Thesen stehe. Deren „Quatsch“ müsse in Gremien entlarvt werden, um Lügen nicht unwidersprochen zu lassen. Der Fraktionsvorsitzende Carsten Rockstein bezeichnete das Thema im Podcast Conny&Kurt als heikel, aber angesichts der aktuellen Lage (Israel-Hamas-Konflikt) und der omnipräsenten Medienberichterstattung als äußerst wichtig.

Zum Empfang wurden neben den jüdischen Gemeinden auch Vertreter:innen weiterer Weltreligionen eingeladen, um hervorzuheben, dass das Thema alle Menschen und Glaubensrichtungen betrifft. Die Berichte der Beteiligten, insbesondere von Mitgliedern der jüdischen Gemeinde und der Antisemitismus-Kämpferin Nellly Eliasberg, hätten die Anwesenden, einschließlich Rockstein selbst, tief berührt.

Es wurde die Sorge geäußert, dass Antisemitismus in der Gesellschaft, auch bei bestimmten Demonstrationen, eine erschreckende „Normalität“ entwickle. Rockstein sieht den Hass auf das Judentum als direkten Angriff auf den jüdischen Glauben. Er beklagt, dass vielen Menschen, besonders jüngeren, das historische Wissen fehle und sie stattdessen von antisemitischen Parolen in sozialen Medien beeinflusst würden.

Für die politische Arbeit leitete die Fraktion die Notwendigkeit ab, mehr Aufklärung zu betreiben, beispielsweise über den historischen Kontext Israel/Palästina. Aufkleber mit Parolen wie „Zionisten töten“, die man auch schon in Kiel sah, gehen gar nicht. Rockstein betont die Notwendigkeit, zwischen dem Staat Israel und der Religion Judentum zu unterscheiden. Kritik am Handeln des Staates Israel müsse erlaubt sein, jedoch dürften keine Doppelstandards im Vergleich zur Hamas angelegt werden.

Zur Person: Seit 2024 ist Carsten Rockstein Fraktionsvorsitzender der Kieler CDU-Ratsfraktion. Er arbeitet als Abteilungsleiter bei der Sparkasse Südholstein. Seit über zehn Jahren ist er Ortsverbandsvorsitzender der CDU Kronsburg/Meimersdorf/Moorsee. Dort war er bis 2024 auch Vorsitzender des Ortsbeirates.

Pfingsten macht Gott komplett

Pfingsten steht vor der Tür, doch vielen Menschen ist die Bedeutung dieses Festes unklar. Oft wird der Pfingstmontag als unwichtig angesehen. Theologisch gesehen macht Pfingsten Gott „komplett“ sagt Oliver Albrecht, Propst für Rhein-Main, im Podcast Conny&Kurt. Es ist nicht ein dritter Gott, sondern die Art und Weise, wie Gott heute noch Kontakt mit uns aufnimmt. Vom Rang her könnte es sogar das wichtigste Fest sein, denn die Geheimnisse von Ostern und Weihnachten erschließen sich erst durch den Heiligen Geist, meint Pfarrer Albrecht.

Der Heilige Geist ist schwer zu fassen. Albrecht bedient sich eines Bildes von Tertullian. Gott sei die Sonne, Jesus Christus der Sonnenstrahl und der Heilige Geist die spürbare Wärme des Sonnenstrahls auf der Haut. Es ist die Wirkweise Gottes, immer derselbe Gott, aber erfahrbar. Dieses Spüren Gottes sei der Heilige Geist.

Pfingsten gilt als Geburtstag der Kirche. Es ist aber nicht die Gründung einer institutionellen Kirche, sondern ein Werk des Heiligen Geistes, das aus einzelnen Gläubigen eine Gemeinschaft formt. Der Geist führt Menschen aus der Vereinzelung zusammen. Pfingsten ist der Beginn der Gemeinde, der Gemeinschaft der Christen, führt Albrecht aus.

Pfingsten ist ein Fest der Gemeinschaft und Solidarität. Es stärkt persönlich, schenkt Trost und das Gefühl, akzeptiert zu sein. Gleichzeitig führt es in die Solidarität und sogar in politische Aktivität, wie einst bei den Propheten. Persönliche Stärkung und Engagement für andere gehören zusammen, betont der Propst.

Pfingsten hat wenige Volksbräuche entwickelt. Anders als Weihnachten oder Ostern, die an weltliche Feste angedockt wurden, fand sich für Pfingsten kein solches Pendant. Auch die Kirche hat kaum neue Rituale geschaffen, was dazu beiträgt, dass viele Menschen die Bedeutung nicht verstehen. Viele Gemeinden behandeln den Pfingstmontag etwas stiefmütterlich. Global gesehen, besonders in charismatischen Kirchen, hat Pfingsten eine hohe Bedeutung mit eigenen Ritualen. Von ihnen könne man lernen, wie man das Fest rituell belebt. Um Pfingsten sichtbarer zu machen, sind öffentliche, eventorientierte Formate nötig, wie das Fest auf dem Frankfurter Römerberg mit gesellschaftspolitischen Predigten und moderner Musik. Pfingsten, das Fest der Gemeinschaft, hat das Potenzial für neue Wege.

Zur Person
Oliver Albrecht ist seit 2015 Propst für Rhein-Main am Dienstsitz in Wiesbaden. In seinen Verantwortungsbereich gehören rund 450 Pfarrerinnen und Pfarrer in etwa 230 Kirchengemeinden mit knapp 400.000 Kirchenmitgliedern.

45 Jahre Ökumenisches Zentrum Kiel-Mettenhof: Ein Leuchtturmprojekt feiert Jubiläum

Es gilt als das erste ökumenische Gemeindezentrum dieser Form in Deutschland mit einer gemeinsam genutzten Kirche und gemeinsamen Gemeinderäumen. In Kiel-Mettenhof feiert das Ökumenische Zentrum St. Birgitta-Thomas-Haus (BTH) sein 45-jähriges Bestehen. Kirchenpolitisch war es 1980 eine Sensation. Die Idee dazu entstand bereits vor 55 Jahren in der Planungsphase der Trabantenstadt Mettenhof. Pastor Jürgen Benthien, einer der „Väter“ des Zentrums, erinnert sich im Podcast Conny&Kurt an die Anfänge. Benthien war von 1968 bis 1987 in Mettenhof Gemeindepastor, wohnt heute noch in Mettenhof und engagiert sich weiterhin in der Gemeinde.

Ursprünglich waren separate evangelische und katholische Kirchen geplant. Benthien und sein Kollege Wolf R. Jessen erkannten jedoch, dass in einem Neubaugebiet mit kirchlich distanzierten Bewohnern zwei Kirchen keinen Sinn ergäben und man etwas Gemeinsames schaffen müsse. Dieser Gedanke war seinerzeit revolutionär und wurde von den kirchenleitenden Gremien zunächst nicht ernst genommen. Wolfgang Baader stellte im Evangelischen Pressedienst 1973 zum Prozedere süffisant fest: „Die kirchlichen Oberbehörden auf beiden Seiten hatten ihr Wort mitzureden. Allerdings redeten diese Oberbehörden …offiziell kein Wort miteinander. Fast alles vollzog sich zähflüssig zwischen den beiden Kirchengemeindeverbänden in Kiel.“ Baader sprach mit Blick auf die kaum vorhandene ökumenische Landschaft von dem „Modellfall Mettenhof“, der einen „gewissen Avantgardismus“ zeige. Es dauerte zehn Jahre von der Idee bis zur Vollendung des Baus. Die Realisierung erforderte den starken Willen und das Engagement von Personen auf beiden Seiten.

Obwohl das Zentrum ein gemeinsames Bauwerk ist, wurde es nicht vollständig verschränkt gebaut. Die katholische Kirche übernahm die Trägerschaft für die Kirche, die evangelische Kirche für das Gemeindehaus – eine Vorgabe der Kirchenleitungen. Anders war es nicht möglich war. Eine unsichtbare Linie teilt praktisch das Gelände und Grundstück. Dies äußert sich auch in der Zuständigkeit für Reparaturen, wie an den Fenstern, die eindeutig evangelisch oder katholisch zugeordnet sind, was die Unterhaltung erleichtert. Während des Baus wurde Wert auf eine Ausstattung gelegt, die ein Miteinander ermöglicht, etwa durch den Verzicht auf eine Marienstatue im Vorderraum.

Das Miteinander wird heute eher als „gut nachbarschaftlich“ beschrieben. Angesichts schrumpfender finanzieller Mittel und Personalnot auf beiden Seiten wird ökumenische Zusammenarbeit auch andernorts notwendiger. Man spricht schon von der „Bauökumene“. Dennoch gibt es immer noch hie und da Aversionen und kulturelle Unterschiede, etwa bei Gemeindemitgliedern mit polnischem Hintergrund, denen die Kirche zu schmucklos erscheint, oder Evangelischen, die eine zu starke Angleichung an die Katholiken fürchten. Gegen diese Ängste helfe nur, beständig weiterzumachen und gemeinsame Feiern oder Treffen zu fördern. Pastor Benthien wünscht sich für die nächsten 45 Jahre, dass das gute Miteinander bestehen bleibt und man noch mehr aufeinander zugeht. Es besteht die Hoffnung, dass das Zentrum trotz struktureller Veränderungen der Gemeinden erhalten bleibt, da es von großer Bedeutung für Mettenhof ist und ein Leuchtturmprojekt für beide Konfessionen.