Archiv für 17. März 2011

Wie der „Kindergarten“ zu einem deutschen Exportschlager wurde

von Kurt-Helmuth Eimuth 17. März 2011

Brauchen Kinder einen gewissen Drill, um Leistung zu bringen? Sind Strafen ein notwendiges Mittel der Erziehung? Diese Auffassung der amerikanischen Professorin Amy Chua werden auch in Deutschland mit Interesse aufgenommen. Doch die pädagogische Erfahrung lehrt etwas anderes: dass Kinder von Natur aus lernwillig sind, aber ihr eigenes Tempo und ihre individuelle Herangehensweise brauchen. Die Grundlagen für dieses Menschenbild legte der Frankfurter Pädagoge Friedrich Fröbel, der Anfang des 19. Jahrhunderts den Begriff des „Kindergartens“ prägte.

Individuelle Lernerfahrungen, Eigeninitiative und Raum für die persönliche Entfaltung – dieses Konzept des Fröbelschen „Kindergartens“ ist heute noch aktuell, wie hier im neuen Kinderhaus Goldstein. Foto: Rolf Oeser
Individuelle Lernerfahrungen, Eigeninitiative und Raum für die persönliche Entfaltung – dieses Konzept des Fröbelschen „Kindergartens“ ist heute noch aktuell, wie hier im neuen Kinderhaus Goldstein. Foto: Rolf Oeser

Im thüringischen Blankenburg entstand dann auf Fröbels Initiative der erste Kindergarten. Die vielseitige Anregung und Anleitung der Kinder geschah durch Bewegungs- und Wortspiele, durch Lieder und Sprüche sowie im Kontakt mit der Natur, und schließlich auch durch speziell konzipiertes Spielmaterial. Der Kindergarten war so von Anfang an ein Ort frühkindlicher Bildung. Auch die Mütter, denen Fröbel damals die Hauptverantwortung für die Erziehung zusprach, sollten im Kindergarten Anregungen und Beispiele für ihr eigenes Handeln finden und das pädagogische Wissen in die Familien weitertragen. Der Begriff „Kindergarten” erwies sich fortan als Exportschlager und fand seinen Weg als deutsches Lehnwort in andere europäische Länder wie auch nach Amerika.

Fröbel, der seine berufliche Laufbahn übrigens als Lehrer an der Frankfurter Musterschule begonnen hatte und dann als Hauslehrer die drei Kinder einer Frankfurter Adelsfamilie betreute, war Schüler des Schweizer Pädagogen Johann Heinrich Pestalozzi. Die „Menschenerziehung” – so der Titel seines Hauptwerkes – lag ihm am Herzen. Das kleine Kind, so seine moderne Auffassung, müsse „selbsttätig in die Welt des Geistes“ eintreten und dabei Hilfestellung durch Erwachsene erfahren.

Allerdings war das pädagogische Konzept des „Kindergartens“ auch anfällig für totalitäre Erziehungsideologien, in Deutschland die braune und die rote: So wenig man Pflanzen in einem Garten einfach frei wachsen und sich entwickeln ließ, sondern gezielt als Nutzpflanzen in Reih und Glied züchtete, so wurden auch Kinder bewusst dem elterlichen Einfluss entzogen und in die vom Staat gewollte Richtung gelenkt. Das ein wenig ans Paradies erinnernde und selbsterklärende Bild vom Garten, in dem sich alles frei und nach eigenen Gesetzen entwickelt, wo also im Blick auf das Kind eine freie und kreative (Selbst-)Beschäftigung Programm ist, wurde pervertiert zu einem Ort planenden und ordnenden Eingreifens, in dem „Unkraut” und Wildwuchs nichts zu suchen hatten.Die Fröbelsche Wortschöpfung „Kindergarten” ist heute noch in aller Munde, auch wenn man gerade in den Städten im Blick auf die Betreuungszeiten funktional von „Kindertagesstätten” spricht und die „Kindergärtnerin” zugunsten der „Erzieherin” ausgedient hat. Der Wechsel der Berufsbezeichnung spiegelt die Professionalisierung im Berufsbild wider – weg von der romantisierenden und volkstümlichen Vorstellung, eine Kindergärtnerin habe „nur” auf Kinder aufzupassen und mit ihnen zu spielen, hin zur professionellen pädagogischen Fachkraft, die, ganz im Sinne Fröbels, das Kind in seiner jeweiligen Problem- und Fragehaltung ernst nimmt und darin spezifische Lernerfahrungen ermöglicht und fördert.

Eine aktuelle Fachzeitschrift für Erzieherinnen trägt im Untertitel den Dreiklang „Erziehung, Bildung und Betreuung“ und beschreibt damit den umfassenden, Familien ergänzenden und beratenden Auftrag des Kindergartens. Weder geht es einseitig um Betreuung ohne Erziehung und Bildung, noch steht vorschulische Wissensvermittlung im Mittelpunkt. Ziel ist es vielmehr, die kindlichen Ressourcen wie Sprache, Motorik, Sozialkompetenz und Kreativität zu fördern und auf die Entwicklung zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit hinzuwirken. Dabei wird jedes Kind als ganzheitliches Individuum gesehen und darf seine eigene Lerngeschichte haben.

Der hessische Bildungsplan betont allerdings gerade im Bereich des Kindergartens die Bildung gegenüber der Erziehung stärker und formuliert als Ziel „die frühere, nachhaltigere, individuellere und intensivere Bildung der Kinder“. Sie sei „die zentrale Voraussetzung, um in der von kontinuierlichem Wandel geprägten Welt auch in Zukunft zu bestehen.“ Auch wenn hier durchaus vom Kind her gedacht wird, nähren solche Formulierungen doch die oft übertriebene Erwartung, der Kindergarten habe besonders große und schöne „Früchte” zu erzielen, die sich später in der Leistungsgesellschaft behaupten können.

„Gras wächst nicht schneller, wenn man an ihm zieht“

Wenn Lulu rebelliert und nicht mehr Klavier spielen will, hagelt es Strafen. Das Puppenhaus soll der Heilsarmee gespendet werden, wenn das Klavierstück am nächsten Tag nicht perfekt sitzt. Der Entzug des Mittag- und Abendessens sowie die Geburtstagspartys gleich für die nächsten vier Jahre gehören ebenso zum Strafenkatalog.

Die rabiaten Erziehungsmethoden der Yale-Professorin Amy Chua, bekannt als „Tigermama“, werden auch hierzulande diskutiert. Und jede Kindertagesstätte kann bestätigen, dass Eltern der aufstrebenden Mittelschicht schon hier Schulleistungen wie Lesen und Schreiben einklagen. Erfolg ist in der Wissensgesellschaft unabdingbar mit Bildung verknüpft. Alle Eltern wollen das Beste für ihr Kind. Doch was ist das Beste?Bildung ist jedenfalls etwas anderes als Wissen. Bildung ist die umfassende Aneignung der Welt, sie umfasst musische und künstlerische Fähigkeiten ebenso wie soziale Kompetenz. Ein Kind, das unter enormem Druck aufwächst, kann sich kaum entfalten. Es kann Wissen abrufen, aber das vordringliche Gefühl wird doch eher Angst sein. Mit Angst kann das Kind aber nicht die Welt selbstbewusst erforschen, sich nicht die Welt neugierig aneignen. Dabei „arbeiten“ (wie es die Reformpädagogin Maria Montessori formuliert hat) Kinder ganz freiwillig, sogar hoch konzentriert und ausdauernd. Die 14 Monate alte Lisa zum Beispiel liegt auf dem Teppich und sortiert Plastikschüsseln. Sie versucht, die kleine Schüssel in die große zu stellen. Nicht einmal, auch nicht ein Dutzend mal, sondern immer und immer wieder – wenn man sie lässt. Oder Max, der erstmals eine schiefe Ebene betritt, besser: bekrabbelt. Er probiert es mit großer Hartnäckigkeit, und auch durch Misserfolge lässt er sich nicht von seinem Vorhaben abbringen.

Kinder erobern die Welt – sofort nach der Geburt. Ihre Energie, die Leistung ihres Gehirns, wird nie wieder so groß sein wie in den ersten zwölf Monaten. Und alle Kinder finden den für sie passenden Weg. Die einen krabbeln zuerst rückwärts, die anderen rollen sich mehr als dass sie krabbeln. Aber egal, wie: Am Ende werden sie alle laufen können.

Und so ist es auch auf ihrem weiteren Weg der Bildung. Kinder gehen unterschiedliche Wege in unterschiedlichem Tempo. Sie zu fördern, erfordert deshalb nicht Drill, sondern dass man ihnen Zeit lässt. Ein afrikanisches Sprichwort lautet: „Das Gras wächst nicht schneller, wenn man an ihm zieht.“ In diesem Sinne ist mehr Gelassenheit in der Erziehung angesagt. Denn nur glückliche Kinder können wirklich erfolgreich sein.

Sinus Verabschiedung Lemhöfer

SINUS Ehrung von Lutz Lemhöfer am 7. März 2011

Werbung alleine reicht nicht

Werbung alleine reicht nicht

Die Lücke zwischen Bedarf und Fachkräften wird immer größer: Bis 2015 werden in Hessen über 1500 zusätzliche Altenpflegerinnen und Altenpfleger gebraucht. In den Krabbelstuben und Kindertagesstätten sieht es noch dramatischer aus. Von etwa 3000 bis zum Jahr 2013 zu besetzenden Stellen geht man alleine in Frankfurt aus. Aber auch Sozialpädagoginnen und Sozialarbeiter sind gesucht. Aufgrund der demographischen Entwicklung werden Fachkräfte rar. Die geburtenstarken Jahrgänge gehen demnächst in Rente, und die schwächeren Jahrgänge kommen in den Beruf.

Man muss nicht über großes ökonomisches Fachwissen verfügen, um zu sehen, dass es mehr braucht als gut gemeinte Werbekampagnen. Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer können wieder auswählen, wo und unter welchen Bedingungen sie arbeiten wollen. Alle Befragungen zeigen, dass zur Attraktivität eines Berufes auch das Gehalt zählt – auch wenn es nicht entscheidend ist. Doch eine Familie sollte man schon ernähren können. Dies ist in der Altenpflege schwierig. Die Pflegebranche zählt bisher zu den Sektoren mit einem relativ hohen Anteil „Aufstockern“, das heißt, der Lohn liegt oft unterhalb des Niveaus von Hartz IV.

Hinzu kommt, dass Pflegekräfte oft nicht länger als sieben bis acht Jahre in diesem Beruf arbeiten. Nach Angaben des Deutschen Gewerkschaftsbundes scheidet fast jede dritte Person aus gesundheitlichen Gründen aus dem Erwerbsleben aus – die häufigsten Gründe sind Wirbelsäulenerkrankungen, Hauterkrankungen und Infektionskrankheiten. Schon im Interesse der Betriebe müsste deshalb mehr auf die Gesundheit der Mitarbeitenden geachtet werden. Es sollten zum Beispiel mehr technische Hilfen bei der Pflege genutzt werden. Gegen Rückenprobleme und andere gesundheitliche Beeinträchtigungen könnte der regelmäßige Besuch im Fitnesscenter helfen. Warum sollten das die Wohlfahrtsverbände nicht anbieten? Flexible Arbeitszeiten und Kinderbetreuung sind weitere Möglichkeiten, die Fachkräfte im Beruf zu halten.

Wenn die Kirchen und die Wohlfahrtsverbände als Arbeitgeber attraktiv bleiben wollen, werden sie um eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen nicht herumkommen. Zu dieser Attraktivität gehört auch gesellschaftliche Anerkennung: Solange ein LKW-Fahrer am Stammtisch eher bewundert wird als ein Altenpfleger oder Erzieher, haben es die Sozialberufe schwer.

Kurt-Helmuth Eimuth

Evangelisches Frankfurt März 2011

Vorbereitet auf das Ende: Patientenverfügung

Evangelisches Frankfurt März 2011

Alle wissen, dass es kommt, doch niemand weiß, wie es sein wird, das Ende des Lebens. Aber wohl niemand will dann lange leiden, an einer Maschine hängen und doch dem Tod nicht entrinnen können. Der Gesetzgeber hat in letzter Zeit das Selbstbestimmungsrecht der Patienten und Patientinnen gestärkt. Seit 2009 ist die Patientenverfügung im Gesetz verankert. Darin kann man festhalten, welche Behandlung man wünscht oder ablehnt für den Fall, dass man sich selbst einmal nicht mehr äußern kann.

Doch Vorsicht: Der Patientenwille zählt, auch wenn er möglicherweise einer Heilung oder einer Linderung der Schmerzen entgegensteht. Bei Stiftung Warentest berichtet der Intensivmediziner Achim Jörres zum Beispiel von einem Patienten, der eine künstliche Beatmung generell ausgeschlossen hatte. „Zum Glück war er bei Bewusstsein, als er mit einer schweren Lungenentzündung qualvoll nach Atem rang.“ Er konnte die Verfügung widerrufen und wurde dann beatmet und erfolgreich behandelt.

Es ist also wichtig, sich vor dem Verfassen einer Patientenverfügung genau zu informieren. Eine Möglichkeit ist das Patientenseminar „Wie erstelle ich meine Patientenverfügung?” des Zentrums für Ethik in der Medizin im Markuskrankenhaus. Nicht nur Juristen, sondern auch Ärzte und Pflegepersonal stehen dabei für Fragen zur Verfügung. Es gibt auch eine DVD, die das Zentrum zusammen mit anderen Trägern erstellt hat.

Übrigens bedarf die Patientenverfügung keiner besonderen Form. Sie sollte aber genau beschreiben, für welche Situationen sie gilt – ob immer dann, wenn der Mensch nicht einwilligungsfähig ist, oder nur in den Fällen, in denen er sich „im Endstadium einer unheilbaren, tödlich verlaufenden Krankheit befindet, selbst wenn der Todeszeitpunkt noch nicht absehbar ist“. Diese Formulierung schlägt das Bundesjustizministerium vor. Die Anweisungen für die Behandlung und Pflege sollten so konkret wie möglich sein. Auch ein Hinweis zu Organspenden ist hilfreich.

Auf alle Fälle ist eine Vorsorgevollmacht sinnvoll, und zwar auch für junge Leute. Denn damit kann man selbst bestimmen, wer im Fall der Fälle über notwendige Maßnahmen entscheidet und – falls vorhanden – die Patientenverfügung auslegt.

Das Patientenseminar findet am Mittwoch, 27. April, von 15 bis 18.30 Uhr im Markuskrankenhaus, in der Wilhelm-Epstein-Straße statt (Aula). Eine Anmeldung ist notwendig unter Telefon 069 95332020 oder bei cornelia.berger@agaplesion.de (20 Euro). Die DVD kann dort für 5 Euro gekauft oder bei den angegebenen Adressen zuzüglich Porto bestellt werden.

Kurt-Helmuth Eimuth

„Gras wächst nicht schneller, wenn man an ihm zieht“

Evangelisches Frankfurt, März 2011

Wenn Lulu rebelliert und nicht mehr Klavier spielen will, hagelt es Strafen. Das Puppenhaus soll der Heilsarmee gespendet werden, wenn das Klavierstück am nächsten Tag nicht perfekt sitzt. Der Entzug des Mittag- und Abendessens sowie die Geburtstagspartys gleich für die nächsten vier Jahre gehören ebenso zum Strafenkatalog.

Die rabiaten Erziehungsmethoden der Yale-Professorin Amy Chua, bekannt als „Tigermama“, werden auch hierzulande diskutiert. Und jede Kindertagesstätte kann bestätigen, dass Eltern der aufstrebenden Mittelschicht schon hier Schulleistungen wie Lesen und Schreiben einklagen. Erfolg ist in der Wissensgesellschaft unabdingbar mit Bildung verknüpft. Alle Eltern wollen das Beste für ihr Kind. Doch was ist das Beste?

Bildung ist jedenfalls etwas anderes als Wissen. Bildung ist die umfassende Aneignung der Welt, sie umfasst musische und künstlerische Fähigkeiten ebenso wie soziale Kompetenz. Ein Kind, das unter enormem Druck aufwächst, kann sich kaum entfalten. Es kann Wissen abrufen, aber das vordringliche Gefühl wird doch eher Angst sein. Mit Angst kann das Kind aber nicht die Welt selbstbewusst erforschen, sich nicht die Welt neugierig aneignen. Dabei „arbeiten“ (wie es die Reformpädagogin Maria Montessori formuliert hat) Kinder ganz freiwillig, sogar hoch konzentriert und ausdauernd. Die 14 Monate alte Lisa zum Beispiel liegt auf dem Teppich und sortiert Plastikschüsseln. Sie versucht, die kleine Schüssel in die große zu stellen. Nicht einmal, auch nicht ein Dutzend mal, sondern immer und immer wieder – wenn man sie lässt. Oder Max, der erstmals eine schiefe Ebene betritt, besser: bekrabbelt. Er probiert es mit großer Hartnäckigkeit, und auch durch Misserfolge lässt er sich nicht von seinem Vorhaben abbringen.

Kinder erobern die Welt – sofort nach der Geburt. Ihre Energie, die Leistung ihres Gehirns, wird nie wieder so groß sein wie in den ersten zwölf Monaten. Und alle Kinder finden den für sie passenden Weg. Die einen krabbeln zuerst rückwärts, die anderen rollen sich mehr als dass sie krabbeln. Aber egal, wie: Am Ende werden sie alle laufen können.

Und so ist es auch auf ihrem weiteren Weg der Bildung. Kinder gehen unterschiedliche Wege in unterschiedlichem Tempo. Sie zu fördern, erfordert deshalb nicht Drill, sondern dass man ihnen Zeit lässt. Ein afrikanisches Sprichwort lautet: „Das Gras wächst nicht schneller, wenn man an ihm zieht.“ In diesem Sinne ist mehr Gelassenheit in der Erziehung angesagt. Denn nur glückliche Kinder können wirklich erfolgreich sein.

Kurt-Helmuth Eimuth