Archiv für 1. September 2007
San Clemente in Rom
Auf dem Weg zur Normalität
Polen ist heute ein modernes Land im Umbruch. Glasbürobauten, Einkaufszentren und Discounter machen deutlich: Hier brummt die Wirtschaft. In der Begegnung mit Menschen ist viel von einem aufgeklärten, dem Fortschritt und Europa zugewandten Geist zu spüren.
Aber es gibt auch das andere Polen, das politisch und katholisch rückständige, antieuropäische Polen. Unvergessen ist die beschämende Karikatur der Bundeskanzlerin auf der Titelseite des polnischen Gegenübers zur Bildzeitung. Polen gilt auch als das christlichste aller EU-Länder. Bei den Gottesdiensten, die sonntags im Stundentakt abgehalten werden, sind die Kirchen bis auf den letzten Platz gefüllt. Der Einfluss der evangelischen Kirche hingegen ist gering. Mit der Ver treibung etwa aus Ostpreußen schmolz auch die Zahl der Evangelischen, bis heute gilt der Protestantismus als „deutsche“ Religion. So sagt etwa der Pfarrer von Rastenburg (Kêtrzyn), er werde als deutscher Pfarrer bezeichnet, obgleich er Pole sei.
Noch immer ist das Verhältnis von Deutschen und Polen weit von der Normalität entfernt. Doch Begegnungen und Gesten wie etwa der Kniefall von Willy Brandt am Denkmal des Warschauer Ghettos sind wichtige Stationen. Und die Initiative „Zeichen der Hoffnung“ ist weit mehr als eine Geste.
Kurt-Helmuth Eimuth
Evangelisches Frankfurt Sept 2007
Abschied vom Pfarrhaus
Der Trend geht zur Multifunktions-Kirche
Welche Räume eine Kirchengemeinde braucht, hängt immer auch mit dem gesellschaftlichen Umfeld zusammen. Bis ins frühe 20. Jahrhundert stand das Pfarrhaus im Zentrum des evangelischen Gemeindelebens. Vorbild war dabei das Wittenberger Heim des Reformators Martin Luther und seiner Ehefrau, Katharina von Bora.
Glaubt man den zahlreichen Beschreibungen in der Belletristik, so lebten die Pfarrersleut’ früher in einer geradezu biedermeierlichen Idylle. Ihr Haus wurde zum Beispiel für eine christliche Lebenskultur. Dort war der Ort für Hausandachten, für diakonische Tätigkeiten wie die Speisung von Armen – meist durch die Frau des Pfarrers – und Bildungsveranstaltungen, etwa dem Konfirmandenunterricht. Wie selbstverständlich war die ganze Pfarrfamilie im Gemeindeleben engagiert. Selbst in Sachen des Gemüseanbaus war der Pfarrgarten beispielgebend.
In der Folge wurde das evangelische Pfarrhaus, so der Schriftsteller Rolf Schneider, „für Deutschland eine Institution, ein fester zivilisatorischer Topos.“ Das protestantische Pfarrhaus in Deutschland ist demnach „streng patriarchalisch organisiert und kinderreich. Die Räume sind dunkel. Im Bücherschrank stehen die gesammelten Musterpredigten aus dem Hause Bertelsmann. Der Nachwuchs tut fleißig mit im Kirchenchor. Die Frau Pastor ist eine graue Maus, die das Gewürzgärtlein bestellt und sonst wenig zu bestimmen hat. Der Hausherr selbst ist ein dauerlächelnder selbstverliebter Pfeifenraucher, umwimmelt von lärmenden Konfirmanden und demütigen Diakonissen.“
So wenig man heute noch junge Frauen bei den Diakonissen findet, so wenig gibt es noch das klassische evangelische Pfarrhaus, auch wenn die Pfarrwohnungen oft noch Amtszimmer und Konfirmandensaal aufweisen. Mit der Veränderung der Lebensräume entstanden am Anfang des 20. Jahrhunderts überall Gemeindehäuser. Neben neuen Gottesdienstorten für eine geradezu explodierende Stadtbevölkerung konnten so auch weitere Bedürfnisse abgedeckt werden. In den kleinen Stadtwohnungen gab es meist keinen Platz für größere Versammlungen. So wurden die Kirchengemeinden zu einem wichtigen Ort öffentlichen Lebens.
In den 1960er Jahren kamen weitere Aufgaben hinzu: Kirchen musikalische Arbeit, Frauenkreise, Gruppen der Familien- und Erwachsenenbildung, Jungschar, Jugendkreis, Pfadfinder oder Theaterkreise fanden hier ihre Heimat. Oft wurden diese Angebote initiiert und unterstützt von Gemeindepädagoginnen und -pä dagogen, die in den 70er Jahren in großer Zahl angestellt wurden.
Heute zeichnet sich hingegen eine Konzentration auf eher funktional genutzte Kirchen ab. Gemeinden stellen wieder stärker Gottesdienst und Seel sorge in den Mittelpunkt. Eine Renaissance des protestantischen Pfarrhauses im Stil des 19. Jahrhunderts dürfte allerdings ausgeschlossen sein. Da gibt es wohl keinen Bedarf.
Kurt-Helmuth Eimuth
Evangelisches Frankfurt Sept 2007
Gute Betreuung braucht Vertrauen
Die Bundesregierung hat einen Rechtsanspruch auf die Betreuung von unter Dreijährigen eingeführt. In gut fünf Jahren müssen alle Kommunen ausreichend Plätze für Kleinkinder bereithalten. Das bedeutet allein für Frankfurt, dass bis zum Jahr 2013 etwa 6000 neue Krabbelstubenplätze geschaffen werden müssen.
Schon in den vergangenen Jahren hat die Stadt Frankfurt in diesem Bereich enorme Anstrengungen unternommen und jedes Jahr 300 neue Plätze im Krippenbereich geschaffen. Doch nun wird ein ganz anderes Tempo vorgelegt werden müssen. Frankfurt kann nämlich nicht, wie andere Regionen Deutschlands, darauf hoffen, dass die Kinderzahl rückläufig ist. Im Gegenteil: Seit Jahren steigt die Zahl der Geburten. Frankfurt ist nicht nur eine kinderfreundliche Stadt, sondern verfügt auch über eine vergleichsweise hohe Zahl von Arbeitsplätzen, weshalb gerade junge Menschen hierher ziehen. Vor allem in den innenstadtnahen Quartieren sind Kinderbetreuungsplätze ebenso rar wie begehrt.
Die notwendige planerische Herausforderung beim Neubau von Einrichtungen darf dabei aber nicht darüber hinweg täuschen, dass der Ausbau von Krippenplätzen vor allem eine pädagogische Herausforderung ist. Aus gutem Grund nämlich beginnt der Kindergarten normalerweise erst mit drei Jahren. In diesem Alter können Kinder die Trennung von zuhause und den Wechsel der Bezugsperson meist leicht verkraften, ohne dass große pädagogische Anstrengungen notwendig sind. Jüngere Kinder hingegen bedürfen einer viel stärkeren emotionalen Bindung. Das heißt, die Betreuerinnen in Krabbelstuben müssen viel intensiver auf die Kinder eingehen als in Kindertagesstätten.
Sprache, soziales Verhalten, Bewegungsabläufe – das alles wird in dieser Lebensphase durch Nach ahmung gelernt. Dieser Prozess bedarf des Vertrauens zwischen zwei Menschen, zwischen Kind und Betreuungsperson. Nur wer sich intensiv auf das Kind einlässt, fördert es.
Dies hat schon in den 1930er Jahren die ungarische Ärztin Emmi Pikler erkannt. Sie entwickelte, ursprünglich für die Kinder von TBC-kranken Müttern, ein Programm der „achtsamen Pflege“ und der „freien Bewegungsentwicklung“, das auf solche emotionalen Aspekte Rücksicht nimmt und noch heute wertvolle Anregungen für die Betreuung der Kleinsten gibt. Die Krabbelstuben des Diakonischen Werkes für Frankfurt arbeiten zum Beispiel nach dem Ansatz von Emmi Pikler.
So sollte etwa das Wickeln weder für das Kind noch für die Erwachsenen eine lästige Prozedur sein, sondern eine Zeit des intensiven und vergnügten Beisammenseins. Das klingt einfach, ist aber schon im familiären Alltag nicht immer zu verwirklichen. Umso schwieriger in der Krippe. Vor allem Zeit ist gefragt: Behutsam das Händchen waschen oder die Jacke achtsam anziehen, das erfordert mehr als die schnelle Versorgung des Kindes.
Um die Betreuung und Bildung der Kleinsten zu ermöglichen, sind deshalb sowohl eine spezielle pädagogische Kompetenz nötig als auch entsprechende Ressourcen. Vor allem müssen die Erzieherinnen über die notwendige Zeit – und das heißt auch, Arbeitszeit – verfügen, um eine echte Bindung zu den Kindern her stellen zu können. Wer Ja zum Rechtsanspruch sagt, muss Qualität garantieren. Denn nur gute Betreuungseinrichtungen sind ein Gewinn für Kinder, Eltern und Gesellschaft.
Kurt-Helmuth Eimuth