Befreiungstheologie
Andacht, Helder Camara
9.2.2009
Kurt-Helmuth Eimuth
Orgel
Lied: EG 452, 1-3, Er weckt mich alle Morgen
Votum:
In Gottes Namen wollen wir beginnen
Gott ist allen Zweifelnden, Verzagten und Suchenden besonders nah.
In Jesu Namen wollen wir beginnen,
denn Jesus ließ diese Nähe Ausgestoßene, Verachtete, Verzweifelte spüren.
In der Hoffnung auf das Geschenk des Heiligen Geistes wollen wir beginnen,
um Mut und Ideen bitten, heute diese Nähe weiterzugeben.
Amen.
Psalm 31, Nr. 716
Lied: EG 593, 1-5, Licht das in die Welt gekommen
Ansprache:
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
die katholische Kirche hat ja zur Zeit so ihre Probleme. Dies ist kein Anlass zur klammheimlichen Freude. Doch just in diesen Tagen jährt sich zum einhundersten Mal der Geburtstag eines Mannes, dessen Name untrennbar mit der Befreiungstheologie und dem Zweiten Vatikanischen Konzil verbunden ist: Dom Hélder Câmara. Er wurde am 7. Februar 1909 in Fortaleza (Brasilien) als elftes von dreizehn Kindern eines Buchhalters und einer Grundschullehrerin geboren. Er gehört mit Mahatma Gandhi, Martin Luther King, Albert Schweitzer und Mutter Teresa zu den Persönlichkeiten, die das soziale Bewusstsein des letzten Jahrhunderts bleibend geprägt haben. Sein Weg ist von einer steten Unruhe des Herzens gekennzeichnet, die ihn immer wieder zur persönlichen Ein- und Umkehr führte. Wie bei vielen, war auch sein Weg nicht geradlinig.
Die Befreiungstheologie ist ursprünglich eine Theologie der Armen selbst. Die Entwicklung der Basisgemeinden mit gemeinsamen, von keinen Amtsträgern geleiteten Gottesdienstformen war weit fortgeschritten, als die ersten „Befreiungstheologen“ auf dem internationalen Buchmarkt zu Gehör kamen. Ihre Autoren verstehen sich nicht als „Erfinder“ einer neuen Theologie, sondern als Sprachrohr der Unterdrückten. Diese selbst waren es, die in der Bibel ihr ureigenstes Thema, die Befreiung aus jeder Form der Sklaverei, wiederentdeckten und daraus politische Folgerungen für ihre Realität ableiteten.
1931 zum Priester geweiht, war er in den dreissiger Jahren ein glühender Anhänger der brasilianischen Klerikalfaschisten. Später sollte er dies als eine «Jugendsünde» bezeichnen. Für seinen weiteren Weg war die pastorale Tätigkeit in den Elendsvierteln von Rio de Janeiro entscheidend, ebenso die Begegnung 1950 in Rom mit Montini, dem späteren Papst Paul VI. 1952 wurde er Weihbischof von Rio de Janeiro. Im selben Jahr war er an der Gründung der brasilianischen Bischofskonferenz (CNBB), deren erster Generalsekretär er wurde, massgeblich beteiligt, ebenso 1955 an der Gründung des Lateinamerikanischen Bischofsrats (CELAM). Während des Konzils gehörte er zu denjenigen, die in der ersten Sitzung die Ablehnung der kurialen Geschäftsordnung erkämpften. Ansonsten hat er keine einzige Rede bei den Plenarsitzungen im Petersdom gehalten.
Der schmächtige kleine Mann mit dem stets aufmerksamen Blick wirkte eher im Hintergrund: durch seine Gespräche mit Kardinal Montini und durch seinen Einsatz in der Gruppe der «Kirche der Armen». Nach dem Militärputsch von 1964 wurde er aus Rio de Janeiro entfernt und zum Erzbischof von Recife im armen brasilianischen Nordosten ernannt. Hier setzte er seine engagierte Tätigkeit als Armenbischof, Regimekritiker, Verteidiger der Menschenrechte und als Pionier der Theologie der Befreiung fort. Er wollte sichtbar zur Welt der Armen gehören, vermietete sein bischöfliches Palais und lebte bescheiden in einer kleinen Zweizimmer-Wohnung. Solidarität war für ihn die wichtigste Tugend: Dom Helder Camara, Erzbischof von Recife, besaß kein Auto, die Armen trafen ihn unterwegs im Bus. Er war überzeugt: Die Kirche muss sich radikal verändern, will sie sich im Ernst auf die Botschaft des armen Jesus von Nazareth beziehen.
Für die Befreiungstheologie ist die Befreiung das durchgehende Hauptthema der Bibel und die Armen und Unterdrückten die zentralen Adressaten dieser Befreiung. Dabei kommt der Exodustradition entscheidende Schlüsselbedeutung zu: Hier erscheint der Gott Israels als der, der das Elend seines Volkes sieht und die Schreie über ihre Bedränger hört (Ex 3,7). Und man beruft sich auch auf das Lukasevangelium. Dort heißt es: Er stößt die Mächtigen vom Thron und erhebt die Niedrigen. Die Hungrigen füllt er mit Gütern und lässt die Reichen leer ausgehen. (Lk 1,53)
Darum wird Erlösung als Zentralbegriff der biblischen Heilsbotschaft nicht ausschließlich spirituell verstanden, sondern als eine sozialpolitische und ökonomische revolutionäre Veränderung. Das Heil, das die Bibel verkündet, wird nicht mehr nur auf das Jenseits bezogen, sondern auf die gesellschaftliche Realität im Diesseits. Die Befreiungstheologen betonen, dass sie diese Deutung nicht willkürlich, sondern im Anschluss an den Eigensinn der Bibel gewinnen. Sie folgern daraus eine grundsätzliche Neuorientierung der Kirche an der Zukunft der Armen:
Methodisch vertreten Befreiungstheologen eine Kontextuelle Bibelexegese. Dabei wird zunächst eine aktuelle Analyse der Gegenwart vorgenommen, um daraus Leitlinien für die Textauslegung zu gewinnen, die sich wiederum auf die eigene Lage zurückbeziehen .
In seiner Heimat war Camara als «roter Bischof» verschrieen. Er selbst fasste seine Situation so zusammen: „ Wenn ich den Armen Essen gebe, dann nennen sie mich einen Heiligen. Wenn ich frage, warum die Armen kein Essen haben, nennen sie mich einen Kommunisten.“
Er, der nie eine Doktorarbeit geschrieben hat, erhielt ab 1969 über 36 Ehrendoktortitel in Theologie, Sozial-, Rechts-, und Literaturwissenschaften, einen der ersten 1971 von der Theologischen Fakultät der Universität Freiburg. Der Friedensnobelpreis, für den er vom deutschen Episkopat vorgeschlagen wurde, blieb ihm wegen der wirksamen Hintertreibung durch die brasilianische Militärdiktatur versagt; 1974 wurde ihm aber zumindest der alternative Friedenspreis in Oslo verliehen. Seitdem hat er so gut wie alle Ehrungen erhalten, die Verteidigern der Menschenrechte zugesprochen werden können. Johannes Paul II. nannte ihn «Bruder der Armen und meinen Bruder», verweigerte ihm aber den Kardinalshut und ernannte einen konservativen Nachfolger für sein Bistum, sobald Hélder Câmara die kanonisch vorgeschriebene Altersgrenze erreicht hatte.
Wer angesichts des himmelschreienden Unrechts nicht bloss «caritativ», sondern auch «politisch» das messianische Programm Christi zu verwirklichen sucht, der eckt an und wird zum Stein des Anstosses.
Er forderte immer zum Handeln auf. Seine Aufforderung gilt auch noch heute:
Mach aus Gott nicht
dein Kopfkissen,
noch aus dem Gebet
dein Federbett.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen sie uns mit dieser Aufforderung in diesen Tag, in diese Woche gehen:
Lied: EG, 625, 1-3, Wir strecken uns nach dir
Mitteilungen:
Gebet:
Lassen Sie uns mit den Worten beten, die Dom Helder Camara formulierte: Gott wir müssen in unser Gebet die ganze Menschheit miteinbeziehen,
denn dein göttlicher Sohn, unser Bruder Jesus Christus,
hat sein Blut vergossen für alle Menschen, an allen Orten, zu allen Zeiten.
Trotzdem erlaube uns, Herr, heute ein besonderes Gebet
für die Völker der Welt, die keine Stimme haben.
Es gibt hunderte Millionen Menschen,
wahrscheinlich sogar Milliarden Menschen,
in den armen Ländern und in den Armenvierteln der reichen Länder,
die kein Recht haben, ihre Stimmen zu erheben,
die keinerlei Möglichkeit haben, Einspruch zu erheben und zu protestieren,
so gerecht ihre Sache auch ist, die sie verteidigen wollen. Die Menschen ohne ein Dach, ohne Nahrung, ohne Kleidung, ohne Gesundheit, ohne die geringste Bildungsmöglichkeit, ohne Arbeit, ohne Zukunft, ohne Hoffnung,
sind in Gefahr, dem Fatalismus zu verfallen;
ihr Mut versinkt, ihre Stimme versagt, sie werden zu Menschen ohne Stimme.
Sende, Herr, deinen Geist!
Er allein kann das Angesicht der Erde erneuern!
Er allein wird die Egoismen zerbrechen;
denn das ist unerlässlich, wenn die Strukturen, die Millionen in Sklaverei halten,
überwunden werden sollen.
Er allein wird uns helfen, eine Welt zu errichten, die menschlicher, christlicher ist.
Dass wir, Vater, jedes Mal mehr eins seien mit deinem Sohn!
Dass Christus sehe durch unsere Augen, höre durch unsere Ohren, rede durch unsere Lippen. Text nach: Dom Helder Camara, in: Beten im Alltag, Frankfurt 1995
Mit den Worten, die Jesus uns gelehrt hat, beten wir:
Vater unser im Himmel,
geheiligt werde dein Name.
Dein Reich komme,
Dein Wille geschehe,
wie im Himmel so auf Erden.
Unser tägliches Brot gib unsheute.
Und vergib uns unsere Schuld,
wie auch wir vergeben unseren Schuldigern.
Und führe uns nicht in Versuchung,
sondern erlöse uns von dem Bösen.
Denn dein ist das Reich und die Kraft
und die Herrlichkeit in Ewigkeit. Amen.
Segen:
Geht in diesen Tag, in diese Woche mit dem Segen unseres Gottes:
Gott, segne uns und behüte uns
Gott schütze unser Leben und bewahre unsere Hoffnung.
Gott, lass dein Angesicht leuchten über uns,
dass wir leuchten für andere.
Gott, erhebe dein Angesicht auf uns und halte uns fest
im Glauben, dass das Leben stärker ist als der Tod. Amen.
Lied: EG 590, Herr, wir bitten: Komm und segne uns.