Archiv für 10. Juli 2012

Kindeswohl vor Religionsfreiheit: Ja bitte!

Ein Kommentar von Kurt-Helmuth Eimuth

Zugegeben, es ist eine belastete Diskussion, die nach dem Kölner Urteil zur Beschneidung entbrannte. Kulturelle Traditionen und Jahrhunderte alte Verletzungen und Vorurteile werden wieder in Erinnerunng gerufen.

Ohne Zweifel ist die Beschneidung Teil einer religiösen Identität. Dies ist zu beachten und zu respektieren. Es steht auch niemandem zu, dies religiös zu bewerten.

Doch haben alle Menschen, gleich welchen Alters, nach unserem Grundgesetz das Recht auf körperliche Unversehrtheit. Eine Erkenntnis, die sich erst langsam in unserer Gesellschaft durchsetzt. Denkt man etwa daran, dass es über fünfzig Jahre dauerte, bis das Schlagen von Kindern gesetzlich auch den Erziehungsberechtigten verboten wurde.

Eine Beschneidung ist irreversibel, bereitet zudem Schmerzen. Nach unserem Rechtsverständnis haben auch Eltern nicht das Recht solches ihren Kindern anzutun. Die Motive der Eltern – und seien sie noch so ehrenwert – dürfen da keine Rolle spielen.

Vieleicht ist es ja ein Ausweg, die Beschneidung an die Religionsmündigkeit zu koppeln. Wer mit 14 Jahren ja zu seiner Religion sagt, mag sich dann in eigener Verantwortung beschneiden lassen.

Die derzeitige Diskussion allerdings gleicht eher einem Kulturkampf. Dies führt nicht weiter.

Im Vordergrund muss das Kindeswohl stehen. In der Diskussion vermisse ich die Stimme all derer, die dieses verteidigen. Wo bleiben die Voten der Konderschutzbeauftragten und Pädagoginnen und Pädagogen?

Evangelisches Frankfurt online 3. Juli 2012

Ein Stück Zuhause zwischen Gittern

FR 10. Juli 2012

Die evangelische Krabbelstube Moses will den Kindern eine Umgebung schaffen, in der sie sich geborgen fühlen – dabei spielen Transparenz und hölzerne Abtrennungen eine wichtige Rolle

Von Sabine Hamacher

Wann fühlen sich Kinder, die maximal einen Meter groß sind, in einem Raum geborgen? Wie kriegt man Beheimatung hin? Für Kurt-Helmuth Eimuth, Leiter des Arbeitsbereichs Kindertagesstätten der Diakonie, sind das die entscheidenden Fragen. „Es muss Rückzugsmöglichkeiten geben“, ergänzt Melanie Neusitzer, Leiterin der Krabbelstube Moses, „die Kinder müssen sich Höhlen bauen können“. Wie groß der Raum in Quadratmetern gemessen ist, finden beide nachrangig. 40 plus 20 lautet die Formel für die Kitas des Evangelischen Regionalverbands Frankfurt, zu denen auch die der Diakonie gehören: ein Gruppenraum von 40 Quadratmetern und dazu ein 20 Quadratmeter großer sogenannter Intensivraum. In der Krabbelstube Moses in Bockenheim ist das ein Schlafraum mit lauter niedrigen Holzbettchen; dazu gibt es ein Bad mit winziger Toilette und zwei Waschbecken, die etwa in Kniehöhe eines Erwachsenen an der Wand angebracht sind. Alles ist neu hier; die Kita, die drei Gruppen mit jeweils maximal elf Kleinkindern beherbergt, hat erst im November eröffnet. Sie liegt in einem Hinterhof in der Großen Seestraße. Das Gebäude gehört einer Haustechnik-Firma und war früher eine Werkstatt. Die Räume im Erdgeschoss samt Keller hat die Diakonie gemietet. Die Böden wurden mit Kautschuk ausgelegt („weich und warm“, sagt Eimuth), die Wände halbhoch mit Holz verkleidet. Wenn sich Eltern eine Kita anschauen, achten sie darauf, dass sie hell und freundlich wirkt, erzählt Leiterin Neusitzer. Nach den Quadratmetern werde nicht gefragt. Von denen hätten die Kinder sowieso nicht so viel, glaubt Eimuth, „aber von gut ausgebildeten Erzieherinnen, die in sich ruhen und nicht so hoch arbeitsbelastet sind“. Immer zwei Betreuerinnen kümmern sich um eine Gruppe, die Kinder sind vier Monate bis drei Jahre alt. Ab 7.30 Uhr werden die ersten gebracht, um 17 Uhr schließt die Krabbelstube. Dazwischen haben die Kleinen viel Zeit, „sich die Räume anzueignen“, wie Neusitzer es nennt. Im Bewegungsraum – in der Kita Moses ein Flur – lassen sich die schwungvollen Linien auf dem Boden mit dem Bobbycar wunderbar nachfahren. Dabei können die „Kollegen“ aus den Gruppenräumen zuschauen: Zum Flur hin haben alle Räume ein schmales Fenster: „Die Kinder sollen durchblicken können“, sagt Eimuth. Überhaupt: Transparenz. Das ist ein ganz wichtiges Stichwort und geht auf Emmi Pikler zurück. An der ungarischen Ärztin, die sich vor etwa hundert Jahren dafür einsetzte, die Bedürfnisse der Kinder zu akzeptieren und ihnen mit Wertschätzung zu begegnen, orientiert sich die Einrichtung bis ins Detail. „Sie wollte, dass man den Kindern eine vorbereitete Umgebung schafft, die sie sich dann erschließen können“, sagt Neusitzer. Die Pikler-Ideen sind Standard in den Kitas der Diakonie; die Konzepthoheit wird allerdings den Gemeinden überlassen. Pikler entwickelte auch den Ansatz der „beziehungsvollen Pflege“: Das Kind wird nur gewickelt, wenn es selbst will, und auch nur von der Erzieherin, die es sich dazu aussucht. Die Wickeltische für diesen Vorgang, der „sprachlich begleitet“ werden soll, lässt die Diakonie eigens anfertigen. Sie haben eine ausfahrbare Treppe, damit die Kinder ganz allein hochklettern können. Wie die Gruppenräume genutzt werden, geben die Spielgitter aus Holz vor, die an einer Wand befestigt sind und verschoben werden können. So wird der Raum strukturiert und ein Essbereich abgetrennt. „Im Alter von null bis drei kriegen die Kinder sonst Angst und sind überfordert“, sagt Neusitzer. Schon um 11 Uhr wird Mittagessen verteilt, die Kleinen haben früh Hunger. Sie sitzen auf Bänkchen, die fest mit dem Tisch davor verschraubt sind, essen von richtigen Tellern und trinken aus Gläsern. Kunststoffbecher gibt es nicht, auch das geht auf Pikler zurück: Das Getränk soll sichtbar sein. Ab 11.30 Uhr ist Zeit für den Mittagsschlaf. „Wenn ein Kind erst um zwei müde wird, ist das auch in Ordnung“, sagt Neusitzer, und Eimuth ergänzt: „Kleine Kinder haben einen eigenen Rhythmus, die können wir nicht in ein Gruppenschema zwängen.“ Neben der Achtung vor der persönlichen Tagesstruktur ist für Neusitzer etwas anderes sehr wichtig: dass sich die sichere Bindung, die die Kinder zu ihren Eltern aufgebaut haben, auf eine Erzieherin überträgt, „dass sie hier auch noch ein Stück Zuhause haben“. „Kinder haben ein unglaubliches Urvertrauen. Das wollen wir aufgreifen und nicht enttäuschen“, sagt Eimuth und nennt das „die evangelische Basis“: Vertrauen haben, dass man in der Welt besteht, von Gott angenommen ist. „Es kommt aufs Konzept an“, betont er. „Wir sind davon überzeugt, dass das in unseren Raumstandards gut möglich ist.“

Spielgitter teilen in der Kita Moses einen gepolsterten Krabbelraum und einen Essbereich mit Holzbänkchen ab. Ein zu großer Raum überfordere die Kinder und mache ihnen Angst, sagt die Leiterin. Andreas Arnold (3)

 

DEBATTE ÜBER DIE RAUMGRÖSSE

Knapp 100 Kitas betreibt der Evangelische Regionalverband Frankfurt: 80 davon gehören zum Trägerverbund der evangelischen Kirche und 19 zur Diakonie, die ihrerseits eine Einrichtung des Regionalverbands ist.

Dessen Raumprogramm richtet sich nach der Formel 40 plus 20: ein Gruppenraum von 40 Quadratmetern und dazu ein 20 Quadratmeter großer sogenannter Intensivraum.

Der Intensivraum kann bei kleineren Kindern ein Schlafraum sein, bei größeren zum Beispiel auch ein Atelier. Hinzu kommt in jedem Fall ein kleines Bad mit Toilette und Waschbecken.

Diese Mindestgröße der Räume bezieht sich auf jeweils eine Gruppe. Bei Kindern unter drei Jahren dürfen maximal elf Kinder in einer Gruppe sein, bei älteren Kindern sind es 20 bis 21. Die Raumgröße bleibt immer gleich.

Der Evangelische Regionalverband orientiert sich mit seinem Raumprogramm an der oberen Marge der Richtlinien des hessischen Landesjugendamts von 1992. Daran hält er sich aber nicht sklavisch, sondern orientiert sich an den Gegebenheiten.

So hat nicht jeder Gruppenraum tatsächlich 40 Quadratmeter. Der Raum der Gruppe 1 in der Krabbelstube Moses etwa liegt mit 38 knapp darunter.

Die Stadt Frankfurt sieht mit ihrem seit 2009 gültigen Raumprogramm für Kindertagesstätten insgesamt 75 Quadratmeter pro Gruppe vor – das ist auch im deutschlandweiten Städtevergleich viel.

Nach Kritik des Revisionsamtes an teuren Kita-Bauten soll das Raumprogramm nun aber überprüft werden. Nach den Ferien wollen Planungs- und Bildungsdezernat eine entsprechende Vorlage präsentieren.

Schulpfarrämter zu streichen ist falsch

Die Evangelische Kirche in Hessen und Nassau (EKHN) will massiv Pfarrstellen an Schulen streichen. Hundert von derzeit 172 Schulpfarrstellen sollen wegfallen.

Kurt-Helmuth Eimuth ist Leiter der Redaktion von “Evangelisches Frankfurt”. Foto: Rolf Oeser

Grund für die Kürzungen ist nicht, dass die Kirche sparen muss: Finanziert werden diese Stellen weitestgehend vom Staat, denn Religion ist in Deutschland ordentliches Lehrfach.

Hintergrund ist vielmehr der absehbare Fachkräftemangel. Denn es fehlt in Deutschland nicht nur an Ingenieuren, Krankenpflegern und Erzieherinnen, sondern auch an geistlichem Personal: Über 900 Pfarrerinnen und Pfarrern gehen in den kommenden zwölf Jahren in Hessen und Nassau in Ruhestand. Davon sollen 550 ersetzt werden – ohnehin ein massiver Stellenabbau. Und trotzdem wird es schwer sein, diese Stellen zu besetzen. Kaum noch junge Menschen studieren Theologie mit dem Berufsziel Pfarramt.

Um dem Engpass abzuhelfen und möglichst viele Stellen in den Kirchengemeinden zu erhalten, will man überproportional in der Schule kürzen. Aber das verkennt die wichtige Bedeutung der Schulpfarrämter. Viele junge Menschen begegnen hier der Kirche zum ersten Mal. Schulpfarrerinnen und Schulpfarrer sind zusätzlich zum Unterricht auch Seelsorgerinnen und Seelsorger, sie organisieren Gottesdienste, sie vertreten die Kirche in der Schulgemeinde.

Es ist für die Kirche eine große Chance, in der Schule Menschen aller Weltanschauungen zu begegnen. In einer Zeit der Säkularisierung, Pluralisierung und des immer wieder beklagten Mitgliederschwundes hat sie hier die einmalige Möglichkeit, ihre Botschaft auch außerhalb der eigenen Kreise zu verbreiten, Menschen zu überzeugen, mit ihrem Personal präsent zu sein. Und das auch noch fast kostenneutral.

Der Reflex, angesichts der Personalknappheit die Bedürfnisse der Gemeinden erst einmal höher zu werten als die der Schulen (und wahrscheinlich auch noch anderer übergemeindlicher Arbeitsfelder), ist zwar nachzuvollziehen, aber dennoch falsch. Denn bei allem Verständnis für die Bedarfe von Kirchengemeinden führt das nur zu immer weiterer „Milieuverengung“.

Die Kirche hat den Auftrag, hinaus in die Welt zu gehen, Menschen zu überzeugen. Sie muss auch der inzwischen weit verbreiteten antikirchlichen Stimmung etwas entgegen halten. Gerade in der Schule hat sie dazu eine großartige Möglichkeit. Es wäre unklug, sie leichtfertig verspielen.

Beitrag von , veröffentlicht am 24. Juni 2012 in der Rubrik Meinungen, erschienen in der Ausgabe .