FR 10. Juli 2012
Die evangelische Krabbelstube Moses will den Kindern eine Umgebung schaffen, in der sie sich geborgen fühlen – dabei spielen Transparenz und hölzerne Abtrennungen eine wichtige Rolle
Von Sabine Hamacher
Wann fühlen sich Kinder, die maximal einen Meter groß sind, in einem Raum geborgen? Wie kriegt man Beheimatung hin? Für Kurt-Helmuth Eimuth, Leiter des Arbeitsbereichs Kindertagesstätten der Diakonie, sind das die entscheidenden Fragen. „Es muss Rückzugsmöglichkeiten geben“, ergänzt Melanie Neusitzer, Leiterin der Krabbelstube Moses, „die Kinder müssen sich Höhlen bauen können“. Wie groß der Raum in Quadratmetern gemessen ist, finden beide nachrangig. 40 plus 20 lautet die Formel für die Kitas des Evangelischen Regionalverbands Frankfurt, zu denen auch die der Diakonie gehören: ein Gruppenraum von 40 Quadratmetern und dazu ein 20 Quadratmeter großer sogenannter Intensivraum. In der Krabbelstube Moses in Bockenheim ist das ein Schlafraum mit lauter niedrigen Holzbettchen; dazu gibt es ein Bad mit winziger Toilette und zwei Waschbecken, die etwa in Kniehöhe eines Erwachsenen an der Wand angebracht sind. Alles ist neu hier; die Kita, die drei Gruppen mit jeweils maximal elf Kleinkindern beherbergt, hat erst im November eröffnet. Sie liegt in einem Hinterhof in der Großen Seestraße. Das Gebäude gehört einer Haustechnik-Firma und war früher eine Werkstatt. Die Räume im Erdgeschoss samt Keller hat die Diakonie gemietet. Die Böden wurden mit Kautschuk ausgelegt („weich und warm“, sagt Eimuth), die Wände halbhoch mit Holz verkleidet. Wenn sich Eltern eine Kita anschauen, achten sie darauf, dass sie hell und freundlich wirkt, erzählt Leiterin Neusitzer. Nach den Quadratmetern werde nicht gefragt. Von denen hätten die Kinder sowieso nicht so viel, glaubt Eimuth, „aber von gut ausgebildeten Erzieherinnen, die in sich ruhen und nicht so hoch arbeitsbelastet sind“. Immer zwei Betreuerinnen kümmern sich um eine Gruppe, die Kinder sind vier Monate bis drei Jahre alt. Ab 7.30 Uhr werden die ersten gebracht, um 17 Uhr schließt die Krabbelstube. Dazwischen haben die Kleinen viel Zeit, „sich die Räume anzueignen“, wie Neusitzer es nennt. Im Bewegungsraum – in der Kita Moses ein Flur – lassen sich die schwungvollen Linien auf dem Boden mit dem Bobbycar wunderbar nachfahren. Dabei können die „Kollegen“ aus den Gruppenräumen zuschauen: Zum Flur hin haben alle Räume ein schmales Fenster: „Die Kinder sollen durchblicken können“, sagt Eimuth. Überhaupt: Transparenz. Das ist ein ganz wichtiges Stichwort und geht auf Emmi Pikler zurück. An der ungarischen Ärztin, die sich vor etwa hundert Jahren dafür einsetzte, die Bedürfnisse der Kinder zu akzeptieren und ihnen mit Wertschätzung zu begegnen, orientiert sich die Einrichtung bis ins Detail. „Sie wollte, dass man den Kindern eine vorbereitete Umgebung schafft, die sie sich dann erschließen können“, sagt Neusitzer. Die Pikler-Ideen sind Standard in den Kitas der Diakonie; die Konzepthoheit wird allerdings den Gemeinden überlassen. Pikler entwickelte auch den Ansatz der „beziehungsvollen Pflege“: Das Kind wird nur gewickelt, wenn es selbst will, und auch nur von der Erzieherin, die es sich dazu aussucht. Die Wickeltische für diesen Vorgang, der „sprachlich begleitet“ werden soll, lässt die Diakonie eigens anfertigen. Sie haben eine ausfahrbare Treppe, damit die Kinder ganz allein hochklettern können. Wie die Gruppenräume genutzt werden, geben die Spielgitter aus Holz vor, die an einer Wand befestigt sind und verschoben werden können. So wird der Raum strukturiert und ein Essbereich abgetrennt. „Im Alter von null bis drei kriegen die Kinder sonst Angst und sind überfordert“, sagt Neusitzer. Schon um 11 Uhr wird Mittagessen verteilt, die Kleinen haben früh Hunger. Sie sitzen auf Bänkchen, die fest mit dem Tisch davor verschraubt sind, essen von richtigen Tellern und trinken aus Gläsern. Kunststoffbecher gibt es nicht, auch das geht auf Pikler zurück: Das Getränk soll sichtbar sein. Ab 11.30 Uhr ist Zeit für den Mittagsschlaf. „Wenn ein Kind erst um zwei müde wird, ist das auch in Ordnung“, sagt Neusitzer, und Eimuth ergänzt: „Kleine Kinder haben einen eigenen Rhythmus, die können wir nicht in ein Gruppenschema zwängen.“ Neben der Achtung vor der persönlichen Tagesstruktur ist für Neusitzer etwas anderes sehr wichtig: dass sich die sichere Bindung, die die Kinder zu ihren Eltern aufgebaut haben, auf eine Erzieherin überträgt, „dass sie hier auch noch ein Stück Zuhause haben“. „Kinder haben ein unglaubliches Urvertrauen. Das wollen wir aufgreifen und nicht enttäuschen“, sagt Eimuth und nennt das „die evangelische Basis“: Vertrauen haben, dass man in der Welt besteht, von Gott angenommen ist. „Es kommt aufs Konzept an“, betont er. „Wir sind davon überzeugt, dass das in unseren Raumstandards gut möglich ist.“
Spielgitter teilen in der Kita Moses einen gepolsterten Krabbelraum und einen Essbereich mit Holzbänkchen ab. Ein zu großer Raum überfordere die Kinder und mache ihnen Angst, sagt die Leiterin. Andreas Arnold (3)
DEBATTE ÜBER DIE RAUMGRÖSSE
Knapp 100 Kitas betreibt der Evangelische Regionalverband Frankfurt: 80 davon gehören zum Trägerverbund der evangelischen Kirche und 19 zur Diakonie, die ihrerseits eine Einrichtung des Regionalverbands ist.
Dessen Raumprogramm richtet sich nach der Formel 40 plus 20: ein Gruppenraum von 40 Quadratmetern und dazu ein 20 Quadratmeter großer sogenannter Intensivraum.
Der Intensivraum kann bei kleineren Kindern ein Schlafraum sein, bei größeren zum Beispiel auch ein Atelier. Hinzu kommt in jedem Fall ein kleines Bad mit Toilette und Waschbecken.
Diese Mindestgröße der Räume bezieht sich auf jeweils eine Gruppe. Bei Kindern unter drei Jahren dürfen maximal elf Kinder in einer Gruppe sein, bei älteren Kindern sind es 20 bis 21. Die Raumgröße bleibt immer gleich.
Der Evangelische Regionalverband orientiert sich mit seinem Raumprogramm an der oberen Marge der Richtlinien des hessischen Landesjugendamts von 1992. Daran hält er sich aber nicht sklavisch, sondern orientiert sich an den Gegebenheiten.
So hat nicht jeder Gruppenraum tatsächlich 40 Quadratmeter. Der Raum der Gruppe 1 in der Krabbelstube Moses etwa liegt mit 38 knapp darunter.
Die Stadt Frankfurt sieht mit ihrem seit 2009 gültigen Raumprogramm für Kindertagesstätten insgesamt 75 Quadratmeter pro Gruppe vor – das ist auch im deutschlandweiten Städtevergleich viel.
Nach Kritik des Revisionsamtes an teuren Kita-Bauten soll das Raumprogramm nun aber überprüft werden. Nach den Ferien wollen Planungs- und Bildungsdezernat eine entsprechende Vorlage präsentieren.