Archiv für 31. Oktober 2021

Im Alter kann man sich noch verlieben

von Kurt-Helmuth Eimuth 19. Oktober 2021

Nach vierzig Jahren hat Margot Käßmann einen alten Jugendfreund wiedergefunden. Inzwischen sind die beiden ein Paar und haben gemeinsam ein Buch über ihre Lebenserinnerungen geschrieben.

Margot Käßmann, Andreas Helm: Mit mutigem Schritt zurück zum Glück. 187 Seiten, bene! 2021, 20 Euro
Margot Käßmann, Andreas Helm: Mit mutigem Schritt zurück zum Glück. 187 Seiten, bene! 2021, 20 Euro

Sie ist die bekannteste Theologin Deutschlands. An ihrem Schicksal nehmen Millionen Teil, ob zweimalige Krebserkrankung, Scheidung oder jene unglückliche Alkoholfahrt, die sie das Amt der Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche in Deutschland kostete. Seit Jahren lässt Margot Käßmann die Menschen teilhaben an ihren Herausforderungen, aber auch an ihrem Glück.

Und nun? Ruhestand, Enkel und hie und da eine Fernsehpredigt? Nein, nicht bei Käßmann. Hollywood hätte es sich nicht besser ausdenken können: Ihr alter Jugendfreund, Andreas Helm, traf sie, sprach sie vor acht Jahren an, und die beiden entdeckten, dass sie sich noch nahe sind. Erstaunlich ähnlich sind ihre Leben verlaufen: Beide geschieden, beide haben jeweils vier Kinder, teils mit den gleichen Namen.

Heute sind Margot Käßmann und Andreas Helm ein Paar. In einem dialogisch angelegten Buch beschreiben sie ihr neues gemeinsames Leben. Spannend wird es aber für den Leser und die Leserin, wenn von den gemeinsamen Erfahrungen berichtet wird. Von der großen Demonstration gegen den Nato-Doppelbeschluss oder der kritischen Haltung zur Atomkraft. Und sie lassen diejenigen von uns, die ebenfalls in den 50er und 60er Jahren des vorigen Jahrhunderts geboren sind, teilhaben an ihren Erinnerungen: „Ja, die Jahre des Lebens verändern uns. Aber wir beide haben den Eindruck, der Wesenskern eines Menschen verändert sich auch in 40 Jahren nicht, selbst wenn es ein bisschen gedauert hat, bis wir uns erzählt hatten, was in dieser Zeitspanne passiert war.“

Sie erzählen es sich und uns, die wir es mit unseren eigenen Biografien vergleichen. Wie war das bei mir, wie war das bei dir? Gerade wenn man selbst eine Sozialisation in der evangelischen Kirche erlebt hat, wird vieles wieder lebendig. Die Partys im Jugendkeller, die Fahrten mit der Gemeindejugend, auch die Musik. Es war eine Zeit des Aufbruchs in Kirche und Gesellschaft.

Käßmann und Helm leben ihr Leben weiter, haben keine gemeinsame Wohnung und sind doch oft zusammen. Ein Buch über eine gelungene Partnerschaft, deren Wurzel in der Jugend gelegt wurde und die sich doch erst im Alter wirklich zusammenfand. „Es braucht manchmal Kraftanstrengungen, einen neuen Aufbruch und Offenheit, um Beziehung zu wagen.“ Das geht auch noch mit 60 Jahren.

Doch die beiden verschließen nicht die Augen vor dem Alter und einer möglichen Pflegebedürftigkeit. „Sollte eine/r von uns pflegebedürftig werden, müssen wir neu schauen, wie wir unser Leben dann miteinander gestalten.“ Es ist kein theologisches Buch, aber es ist ein Buch über die Meisterung des Lebens in Gottvertrauen. Mehr Theologie geht doch eigentlich nicht.

Margot Käßmann/Andreas Helm: Mit mutigem Schritt zurück zum Glück, 187 Seiten, bene!, 20 Euro.

Gerd Müller: „Wissen und Technologie für eine Welt ohne Hunger sind vorhanden“

von Kurt-Helmuth Eimuth 30. September 2021

Wie steht es weltweit um die Versorgung mit Lebensmitteln? Fragen an Bundesentwicklungsminister Gerd Müller (CDU).

Foto: MBZ Pool/Janine Schmitz/photothek.net
Foto: MBZ Pool/Janine Schmitz/photothek.net

Herr Müller, welchen Bedarf an Nahrungsmitteln gibt es weltweit?

Wir müssen uns klar machen: Die Weltbevölkerung wächst jedes Jahr um 80 Millionen Menschen – das ist die Größe Deutschlands. Afrikas Bevölkerung wird sich bis 2050 verdoppeln. Das zeigt die gewaltige Herausforderung, eine Welt ohne Hunger zu schaffen. Beim Kampf gegen den weltweiten Hunger waren wir auf einem guten Weg: Seit 1990 sank die Zahl der Hungernden um 200 Millionen, obwohl zwei Milliarden Menschen neu auf die Welt gekommen sind. Ein großer Erfolg. Aber in den letzten Jahren nimmt der Hunger wieder zu. Durch die Folgen der Corona-Pandemie fallen 130 Millionen Menschen zusätzlich in Hunger und Armut zurück. Das sind mehr Menschen als die Bevölkerung Deutschlands, Österreichs und der Schweiz zusammen! Wir müssen diese Trendwende zum Negativen stoppen. Eigentlich müsste Welternährung das globale Top-Thema Nummer eins sein.


Welche Möglichkeiten sehen Sie, diesen Bedarf zu decken?

Das Wissen und die Technologie ist vorhanden, um eine Welt ohne Hunger zu schaffen. Was notwendig ist, sind der politische Wille und ein stärkeres Commitment der Industrieländer. Für eine Welt ohne Hunger bedarf es Investitionen von zusätzlich 40 Milliarden Euro pro Jahr durch die Weltgemeinschaft bis 2030. Das klingt viel, ist aber machbar. Für Rüstung und Militär geben die Staaten jedes Jahr 2000 Milliarden Euro weltweit aus. Leider gibt es Länder, auch europäische, die ihre Gelder für Entwicklungszusammenarbeit reduzieren. Auch die EU hat ihre Mittel gekürzt. Das ist inakzeptabel und kurzsichtig. Denn der Kampf gegen Hunger ist auch die beste Friedenspolitik.


Können lokale Initiativen wie Lebensmittelrettung einen Beitrag leisten?

Absolut. Ein Drittel aller Lebensmittel, die weltweit produziert werden, erreichen den Verbraucher nicht, während Millionen von Menschen in der Welt hungern! Mit lokalen Initiativen können auch wir in Deutschland einen Beitrag gegen Lebensmittelverschwendung und für eine gesunde Ernährung leisten. Vor allem ist entscheidend, dass wir jetzt den politischen Mut aufbringen, auch die Reformen für eine Welt ohne Hunger anzugehen: Investitionen in eine nachhaltige Landwirtschaft weltweit sowie faire Handelsbeziehungen und faire Lieferketten insbesondere im Agrarbereich.

Corona und die Schulen: Kompliment an die Lehrkräfte

von Kurt-Helmuth Eimuth 15. Oktober 2021

Neulich auf dem Schulhof: In vielen Klassen findet der Musikunterricht wegen Corona zurzeit im Freien statt. So hat die ganze Nachbarschaft was davon. Unseren Kolumnisten freut’s.

Erfreuen die Nachbarschaft: Musikunterricht im Freien auf dem Hof der Musterschule. | Foto: Kurt-Helmuth Eimuth
Erfreuen die Nachbarschaft: Musikunterricht im Freien auf dem Hof der Musterschule. | Foto: Kurt-Helmuth Eimuth

Neulich blickte ich mal wieder vom Schreibtisch auf, direkt in den Schulhof in der Nachbarschaft. Die Szene hat schon so etwas von den idyllischen Bildern auf den Adventskalendern. Kinder jeden Alters toben und springen in den Pausen. Nur die Gesichtsmasken erinnern daran, dass doch eigentlich Pandemie ist.

Nach Ablauf der Pause hat meistens irgendeine Klasse Musikunterricht. Ein Highlight für mich als Nachbarn! Da stehen sie im Kreis und tanzen zu einem Song, den die Lehrerin auf der Gitarre begleitet. Oder der Chor singt. Oft sind es die alten Pop-Songs der 70er und 80er Jahre. Gerne öffne ich das Fenster einen Spalt und höre zu, wie ein vielstimmiger Kinderchor „All you need is love“ intoniert. Unter dem Vordach steht ein Klavier und gibt dem Gesang Halt. Im großen Abstand und mit dicken Jacken ausgestattet erklingen die fröhlichen Melodien. Und wenn erst einmal die Brass-Band probt, ist es vollends ein Genuss für die Nachbarschaft.

So kann und soll Schule sein. Dieses Bild einer behüteten Kindheit steht im krassen Gegensatz zu den wissenschaftlichen Erkenntnissen über die psychische Belastung der Kinder durch Corona. Studien zeigen vor allem im Bereich der Essstörungen, des Übergewichts, der mangelnden Bewegung und einer starken Mediennutzung die Problemzonen auf. So ist die durchschnittliche Mediennutzung pro Tag bei den 12- bis 19Jährigen von 205 auf 258 Minuten gestiegen. Dagegen ist die Zahl der Kinder, die in einem Sportverein angemeldet sind, 2020 deutlich zurückgegangen.

Umso wichtiger ist in der Schule der kreative Umgang mit den Möglichkeiten, die trotz Corona umgesetzt werden können. Als Nachbar der Musterschule freue ich mich schon auf Adventslieder, gesungen von Kindern, die dick in ihre Mäntel und Jacken eingepackt sind. Kompliment an die Lehrkräfte.