Die klassische Kirchengemeinde wird es vielleicht bald nicht mehr geben. Ein Zukunftspapier in elf Leitsätzen schlägt stattdessen mobile, NGO-artige Strukturen vor.
„Wie kommen wir aus der Defensive des Rückzugs, des Lockdowns, der sozialen Distanzierung heraus in die Offensive einer verantwortlichen und zugleich zuversichtlich gestaltenden Perspektive kirchlicher Gemeinschaft?“ Diese Frage aus einem aktuellen Zukunftspapier der Evangelischen Kirche in Deutschland bewegt gerade die Gemüter.
Mancher Vorschlag aus den „elf Leitsätzen“ der EKD könnte auch in der Expertise einer Unternehmensberatung stehen: Konzentration auf das Kerngeschäft (Gottesdienst und Kasualien wie Taufe oder Beerdigung), Kundenwünsche ernst nehmen (Gottesdienste zu unterschiedlichen Zeiten und unterschiedlicher Prägung), Kundenbindung erhalten (temporäre Absenkung der Kirchensteuer), neue Kundenkreise erschließen (Kooperationen).
Vieles daran ist richtig und schon lange überfällig, zum Beispiel die geforderte Entbürokratisierung und das Entschlacken der Gremienarbeit. Die institutionelle Gestalt der Kirche soll eine Mischung aus Institution, Organisation und Bewegung werden. Neben den Ortsgemeinden sollen andere Formen von Kirche an Bedeutung gewinnen, so eine Art Bewegung „zu schnellem, flexiblem, NGO-ähnlichem Vorgehen“.
Das bedeutet aber eine radikale Abkehr von der heutigen, an den Wohnort gebundenen Zuordnung zu einer Kirchengemeinde, Parochie genannt. „Parochiale Strukturen werden sich wandeln weg von flächendeckendem Handeln hin zu einem dynamischen und vielgestaltigen Miteinander wechselseitiger Ergänzung.“ Das Gottesdienstangebot soll kleiner und vielfältiger werden, eine Tendenz, die in Frankfurt und Offenbach bereits sichtbar wird.
„Die ‚Kirche im Dorf‘ und die Gemeinde im städtischen ‚Quartier‘ werden sich wandeln. Parochiale Strukturen werden ihre dominierende Stellung als kirchliches Organisationsprinzip verlieren.“ In Hessen-Nassau denkt man ebenfalls in diese Richtung: „In Zukunft sind Ortsgemeinden – darin durchaus den Gemeinden in der frühen Christenheit vergleichbar – stärker als bisher in regionalen Netzen miteinander verbunden.“
Der eine Pfarrer, die Pfarrerin vor Ort, die für alles zuständig sind, sind passé. Für die Vermittlung von religiösem Glauben braucht es allerdings persönliche Begegnung und Bindung. Und der Glaube an Gott unterscheidet schließlich die Kirche von humanistischen Initiativen und NGOs.
Es ist gerade eine Stärke der Kirche, dass sie noch in den Stadtteilen präsent ist, also dort, wo sich Metzger und Sparkasse längst zurückgezogen haben. Trotz des Sparzwangs muss es gelingen, einen Spagat aus „Vereinskirche“ und moderner Bewegung hinzubekommen. Denn weder darf die Kirche eine profillose Institution werden noch eine sektenhafte Glaubensgemeinschaft.
Kurt-Helmuth Eimuth