Archiv für 25. Juni 2021

Katholische Kirche: Ganz Offenbach wird eine Pfarrei

Offenbach lokal

von Kurt-Helmuth Eimuth 25. Juni 2021

Die Herausforderungen der katholischen Kirche ähneln denen der evangelischen: Beide müssen sich auf einen massiven Mitgliederrückgang einstellen, für beide hat dies finanzielle Folgen, und beide leiden unter fehlendem theologischen Nachwuchs, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen. In Offenbach zieht die katholische Kirche nun Konsequenzen: Die ganze Stadt wird eine einzige Gemeinde.

Stadtdekan Andreas Puckel über die Reformpläne der katholischen Kirche in Offenbach. | Foto: Rolf Oeser
Stadtdekan Andreas Puckel über die Reformpläne der katholischen Kirche in Offenbach. | Foto: Rolf Oeser

Die katholische Kirche Offenbachs hat sich zu einem radikalen Schritt entschlossen: Die ganze Stadt soll eine einzige Pfarrei werden. Die bisherige Position des Stadtdekans von Offenbach wird ersetzt durch einen leitenden Pfarrer. Im November soll ein konkretes Konzept vorliegen. In zehn Arbeitsgruppen unter Beteiligung von hundert Ehrenamtlichen wird es derzeit zu Themen wie Seelsorge, Sozialraum oder auch Finanzen und Gebäudenutzung erarbeitet.

Die neue Stadt-Pfarrei Offenbach soll ein Netzwerk aus den Gemeinden und allen Orten kirchlicher Arbeit, beispielsweise der Caritas, sein. Im Moment gibt es in Offenbach noch elf Pfarreien sowie fünf Pfarreien anderer Muttersprache. „Ziel ist es,“ so der katholische Stadtdekan Andreas Puckel, „dass wir die katholische Kirche fit machen für die Zukunft, also da sind wo die Menschen sind mit ihren Anliegen.“ Man wolle künftig auch professioneller arbeiten: „Die Grundfrage ist: Was brauchen die Menschen? Und bekommen sie das, was sie brauchen, bei uns?“

Insbesondere die Aufgaben des Pfarrers soll sich ändern. „Im Moment ist der Pfarrer ein Allrounder. Das fängt an beim Wechseln der Glühbirnen im Gemeindezentrum, geht über in den hoch komplexen Bereich der Trägerschaft einer Kindertagesstätte bis zur Leitung von zahlreichen Gruppen.“ Der Seelsorger und die Gemeindereferent:innen sollen künftig von diesen „Allroundaufgaben“ entlastet werden. So sollte etwa die Gebäudebewirtschaftung nicht in elf Pfarrbüros geschehen, sondern professionell und zentralisiert. Dadurch würden Ressourcen frei für die Seelsorger:innen, damit diese ihren eigentlichen Aufgaben besser nachkommen können.

„Wir werden die örtliche Nähe beibehalten. Es soll keine leeren Pfarrhäuser mehr geben, sondern wir wollen in den Offenbacher Stadtteilen mit jeweils zwei Seelsorger:innen präsent sein“, sagt Puckel. Aber es werde auch Leute geben, die für die gesamte Stadtpfarrei Aufgaben übernehmen, wie etwa die gemeinsame Firmvorbereitung der Jugendlichen. „Es ist also nicht nur eine Verwaltungsreform, sondern eine inhaltliche Ausrichtung, die näher bei den Menschen sein wird“, fasst Puckel das Ziel zusammen.

Für den Dekan ist es eine besondere Herausforderung, das Engagement der Ehrenamtlichen beizubehalten. Jetzt seien etwa 50 hoch kompetente Verwaltungsräte tätig, dann wären es nur noch elf. „Viele Ehrenamtliche müssen wir ganz anders einbinden.“ Jetzt engagierten sie sich vor Ort. Auch in der großen Pfarrei müssten sie mitgestalten können. „Ob das funktioniert, ist ein Blick in die Glaskugel“, sagt Puckel und strahlt doch Zuversicht aus. Für den Dekan Offenbachs ist dabei die Kommunikation und die Delegation von Entscheidungen nach unten besonders wichtig.

In den konzeptionellen Überlegungen spielt auch die gemeinsame Nutzung von Gebäuden durch die evangelische und katholische Kirche eine Rolle. Puckel spricht hier von einer „Ökumene der Gebäude“. So überlege man zum Beispiel die gemeinsame Nutzung von Gebäuden in der Innenstadt oder die Schaffung eines „Ökumenischen Zentrums Stadtkirche“.

Die Wahlperiode des Stadtdekans läuft im kommenden Jahr aus. Schon dann soll wohl in den neuen Modus geschaltet werden, wenngleich erst noch zweigleisig gefahren wird. Bis zur völligen Umsetzung des Konzeptes könne es bis 2030 dauern, sagt Andreas Puckel, der letzte katholische Stadtdekan Offenbachs.

Hinterm Horizont geht’s weiter: Luther und Lindenberg

von Kurt-Helmuth Eimuth 23. Juni 2021

Udo Lindenberg und Martin Luther sind Brüder im Geiste, meint der Theologe und Autor Uwe Birnstein. Zusammen mit dem Musiker Werner Hucks hat er jetzt ein musikalisches Feature über die beiden herausgebracht.

Uwe Birnstein, Werner Hucks: Luther & Lindenberg, CD, 16 Euro, Bezug über komm-webshop.de
Uwe Birnstein, Werner Hucks: Luther & Lindenberg, CD, 16 Euro, Bezug über komm-webshop.de

Beim Theologiestudenten Uwe Birnstein stand in den 1980er Jahren die Musik von Udo Lindenberg ganz oben auf der Playlist. Sobald sich die Gelegenheit bot, interviewte er den Deutschrocker. Lässig mit Whiskyglas in der Hand sei Lindenberg dahergekommen, erzählt Birnstein, und doch überraschte er den jungen Studenten mit Konzentration und Nachdenklichkeit. Und dem berühmten Luther zugeordneten Zitat vom Apfelbäumchen, das er noch pflanzen würde, selbst wenn morgen die Welt unterginge. Es gebe keine Alternative zum Optimismus, war Lindenbergs Interpretation: „Hinterm Horizont geht’s weiter“. Den Hit hat Lindenberg nach dem frühen Tod einer Freundin geschrieben, denn – der Tod hat nicht das letzte Wort.

In seinem Feature zieht Birnstein biographische Verbindungen klug und informativ, wie er es auch schon in Büchern über Leonhard Cohen oder Bob Dylan getan hat. Sein Vortrag ist voll überraschender Perspektiven, die immer wieder ergänzt werden durch das Gitarrenspiel von Werner Hucks, der die alten Melodien und Lindenbergs Songs gekonnt anklingen lässt. Entstanden ist eine Produktion, die zum Nachdenken anregt oder auch einfach zum Genuss der Musik einlädt: „Eine feste Burg“, „Hinterm Horizont“, „Verleih uns Frieden gnädiglich“, „Cello“ oder „Mein Ding“.

In Lindenbergs Song „Mein Ding“ zum Beispiel sieht Birnstein die gleiche Eigensinnigkeit wie bei Luther. Der eine macht sein Ding, der andere steht fest zu seiner Überzeugung und kann nicht anders. Zwei unabhängige Geister, die auch neue Begrifflichkeiten geprägt haben, was Birnstein und Hucks genüsslich vortragen. Auf beide passen Bezeichnungen wie Ketzer, Prediger, Promi, Protestant, Sprücheklopfer, Grenzüberschreiter, Deutschsprecher, Liedermacher, Erneuerer, Reformator, Querkopf oder Wortschöpfer. Ja, diese Aufzählung zeigt schon, dass Luther und Lindenberg doch mehr gemeinsam haben, als man auf den ersten Blick meint.

In seinem von musikalischen Assoziationen unterbrochenen Vortrag beleuchtet Birnstein auch die Kindheit der beiden Protagonisten. Martin sollte Jurist werden und kam aus angesehenem Haus. Oft musste er vor der Rute seines Vaters fliehen. Gewalt und auch der Tod waren ihm nicht fremd. Vier seiner Geschwister starben. 463 Jahre später wurde Udo Lindenberg geboren. Eine andere Zeit. Musikalisch dominiert vom Jazz. Der Zweite Weltkrieg war gerade vorbei. Die Elterngeneration versuchte sich die schrecklichen Bilder im Suff aus dem Kopf zu trinken. Launig erinnert sich Udo, dass er das einzige „Heidenkind“ am Ort gewesen sei, denn Vater Gustav habe sich die Kirchensteuer gespart. Es war damals sehr außergewöhnlich, dass jemand seine Kinder nicht taufen ließ. Der Oma gefiel das auch gar nicht. Also wurde Udo gemeinsam mit seinen Geschwistern im Alter von sieben Jahren doch noch zum Taufbecken geführt. Oma war selig. Trotz evangelischer Kindertagesstätte blieb Udo aber der Kirche gegenüber kritisch. „Lindenberg ist fromm auf seine Art“, bilanziert Birnstein.

Udo Lindenberg ist kein Reformator und hat sicher auch nicht die deutsche Sprache so nachhaltig geprägt wie Luther. Aber es lohnt sich, seine CDs mal wieder hervorzukramen. Birnstein hat einen anderen Zugang eröffnet – zu Luther und zu Lindenberg, eben zwei coolen Typen. Ein spannendes Feature für alle theologisch Interessierten, die gelegentlich auch mal Rockmusik hören.

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Pflegereform: Die pflegenden Angehörigen schauen in die Röhre

von Kurt-Helmuth Eimuth 15. Juni 2021

Während professionelle Pflegekräfte durch die Pflegereform auf mehr Geld hoffen können, gehen Angehörige leer aus: Anders als im Entwurf vorgesehen wird das Pflegegeld für sie doch nicht angehoben. Und, was fast noch schlimmer ist: Auch das versprochene Pflegebudget wird es nicht geben, die Abrechnungsmodalitäten bleiben also weiterhin ein bürokratischer Kraftakt. Das ist zutiefst unsozial.

Kurt-Helmuth Eimuth ist Mitglied in der Redaktion des EFO-Magazins. | Foto: Tamara Jung
Kurt-Helmuth Eimuth ist Mitglied in der Redaktion des EFO-Magazins. | Foto: Tamara Jung

Kurz vor dem Ende der Legislaturperiode hat die regierende große Koalition im Bund doch noch ein Gesetz hinbekommen, das auf eine faire Bezahlung von Pflegekräften abzielt. Allerdings sind von der Öffentlichkeit fast unbemerkt diejenigen Teile des Gesetzesentwurfes gestrichen worden, die die ehrenamtliche Pflegearbeit der Angehörigen gestärkt hätten. Dies betrifft vor allem das Pflegegeld, aber auch die Vereinfachung der Abrechnungsmodalitäten.

Auf Anfrage hin teilte das Bundesgesundheitsministerium zur Begründung mit: „Aufgrund der pandemiebedingten Umstände war es nicht mehr möglich, einen eigenständigen Gesetzgebungsprozess zur Pflegereform in Gang zu setzen.“ Das klingt aber vorgeschoben. Noch wenige Wochen vor der Entscheidung im Bundestag stand ja zumindest eine Anhebung des Pflegegeldes im Entwurf.

Pflegegeld erhalten die Pflegebedürftigen, um damit etwa Aufwandsentschädigungen für ehrenamtliche Betreuung auszugleichen. Oft wird es genutzt, um pflegende Angehörigen, die ihren Beruf aufgegeben haben, damit sie die 24-Stunden-Pflege zu Hause stemmen können, zu entschädigen.

Diese Form der Pflege, die häusliche Pflege, ist keine Kleinigkeit, sondern sie ist das Rückgrat unseres Pflegesystems: Rund 2,9 Millionen Menschen sind in Deutschland pflegebedürftig. Davon werden 2,08 Millionen zu Hause versorgt, 1,39 Millionen davon von Angehörigen und Bekannten. Demgegenüber stehen 783 000 Pflegebedürftige, die in Einrichtungen gepflegt werden.

Die pflegende Care-Arbeit zu Hause, meist von Frauen geleistet, wurde also im Kern bei dieser Reform nicht berücksichtigt. Lediglich das Budget für die ambulanten Dienste wurde erhöht, um auch hier Kostensteigerungen, die durch verbesserte Zahlung der Pflegekräfte entstehen, auszugleichen. Die professionelle Hilfe wurde gestärkt, aber der größte Bereich der Pflege ging leer aus. Und dies ist keine Kleinigkeit. Seit Januar 2017 wurde das Pflegegeld nicht erhöht. Die fünfprozentige Steigerung, die im Entwurf noch vorgesehen war, wäre also mehr als angemessen gewesen.

Noch im Koalitionsvertrag hatte man zudem versprochen, verschiedene Leistungen in einem Entlastungsbudget zusammenzufassen. „Damit können wir“ so hieß es im Koalitionsvertrag vor vier Jahren, „erheblich zur Entbürokratisierung in der ambulanten Pflege beitragen, die häusliche Versorgung stärken und pflegende Angehörige entlasten.“ Das wäre schön gewesen.

Für die Angehörigen ist es oft ein Ritt durch Instanzen und Verordnungen. Ein kleines Beispiel: Der Bund beschließt einen monatlichen Betrag für ambulante Pflege von 125 Euro. Die Ausführungsbestimmungen überlässt er den Ländern. Das heißt, es gibt 16 verschiedene Ausführungsbestimmungen. In Hessen lässt man sich Zeit. Es dauert fast zwei Jahre, bis die Ausführungsbestimmungen kommen, erst dann können Angehörige das Geld bekommen. Zu Pandemiezeiten wird in Hessen per Verordnung die Möglichkeit des Zugriffes erweitert, wenn man nachweist, dass man einen Hol- und Bringdienst bezahlt. Nur wer informiert die Angehörigen? Das Hessische Sozialministerium verweist auf die Internetseite und schreibt auf Anfrage: „Auf dieser Plattform wird beispielsweise auch informiert, dass das Leistungsangebot der Unterstützungsleistungen im Alltag bis zum 30.06.2021 um die sogenannten „Dienstleistungen bis zu Haustür“ erweitert wurde.“

Interessehalber habe ich selbst das einmal ausprobiert und diese Dienstleistung abgerechnet: Weder die Krankenkasse noch die Beihilfe kannten offenbar diese Erweiterung und verweigerten die Zahlung. Diese Erfahrung machen pflegende Angehörige immer wieder: Bevor sie Geld, das ihnen rechtlich zusteht, auch bekommen, müssen sie ein langes Procedere absolvieren mit Einspruch, Begründung und viel Geduld.

In der Tat hätte das in der Pflegereform ursprünglich versprochene Entlastungsbudget, dessen Ziel es war, das alles zu vereinfachen, viel Geld gekostet. Aber nicht, weil neue Leistungen hinzugekommen wären, sondern weil mehr Menschen die Hilfen, die ihnen zustehen, auch in Anspruch genommen hätten. 2016 gab man für solche Leistungen 2,6 Milliarden Euro aus. Würde nur ein Viertel der Anspruchsberechtigen die Leistungen des einst anvisierten Entlastungsbudget abrufen, würde es zehn Milliarden Euro kosten.

Es beschleicht einen der Verdacht, dass die bürokratischen Hürden auch dazu dienen, Geld zu sparen. Oder ist das zu einfach gedacht? Mitnichten. Auf eine Anfrage unsererseits im Jahr 2018 teilte das Gesundheitsministerium genau das mit: Eine pauschale Abrechnung sei nicht möglich, weil das den Finanzrahmen sprengen würde.

Der derzeitige bürokratische Pflegedschungel ist also gewollt oder, wie die Jurist:innen sagen, er wird billigend in Kauf genommen. Aber er ist zutiefst unsozial. Denn es können sich nur diejenigen zu ihrem Recht verhelfen, die neben der eigentlich Pflegearbeit sich auch noch Woche für Woche viele Stunden Zeit haben, und die nötige bürokratische Kompetenz, um sich mit Krankenkassen, Pflegekassen und Abrechnungsvorschriften und dergleichen auseinanderzusetzen.

Trotz einiger Verbesserungen im professionellen Care-Bereich, die bei den Pflegekräften hoffentlich auch ankommen, sind der Bundesgesundheitsminister und die Große Koalition mit diesem Gesetzentwurf ihrem eigenen Anspruch nicht gerecht geworden. In die Röhre schauen die pflegenden Angehörigen.