Archiv für Publikationen

Qualität setzt sich durch

Kurt-Helmuth Eimuth in der Diakoniekirche Weißfrauen

Kindertagesstätten sind bei der Qualitätsentwicklung Vorreiter in der evangelischen Kirche in Frankfurt. Dieses Jahr haben sich acht weitere Kitas nach der Norm DIN EN ISO 9001: 2008 zertifizieren lassen. Bei einer Festveranstaltung in der Weißfrauen Diakoniekirche am Montag, 19. November, wurden die Urkunden überreicht. Qualitätsmanagement bedeute Verbindlichkeit, Kontinuität und Transparenz, sagte der Leiter des Diakonischen Werks für Frankfurt am Main, Pfarrer Michael Frase. „Die Eltern wissen, wie gearbeitet wird. Das schafft Vertrauen.“

Die evangelischen Einrichtungen sind erfolgreich und setzen Akzente. Der Matthäushort der Hoffnungsgemeinde im Westend bietet neben der intensiven Hausaufgabenbetreuung Theater-, Musik- und Tanzateliers. Hier haben die Kinder sogar einen Film gedreht. Die Kita Versöhnung der Gemeinde Frieden und Versöhnung im Gallusviertel feiert jeden Freitag morgens um neun einen Gottesdienst, „mit oder ohne Pfarrer“. Die Johanniskita der Gemeinde Bornheim hat sich seit über 15 Jahren auf Integration und Inklusion spezialisiert und betreut selbst Kinder mit Schwerstbehinderungen. Im Kinder- und Familienzentrum der Riederwalder Philippusgemeinde hat man ein internationales Kochprojekt auf die Beine gestellt, und die Kita im Apfelviertel der Preungesheimer Kreuzgemeinde hat unter dem Motto „Männer in die Kitas“ 13 Erzieher ins Team geholt. Herausforderungen und Aktivitäten sind so vielfältig wie die Großstadt Frankfurt und immer „orientiert an den jeweiligen Bedürfnissen der Kinder und Familien“, so der Leiter des Arbeitsbereichs Kindertagesstätten beim Diakonischen Werk, Kurt-Helmuth Eimuth.

Die Qualitätsstelle beim Diakonischen Werk stellt sicher, dass alle Kitas ein funktionierendes Qualitätsmanagement-System besitzen. Bei Audits durch die externe Zertifizierungsgesellschaft Procumzert werden die Standards jedes Jahr überprüft. 73 der 80 Einrichtungen beim Diakonischen Werk befinden sich im Qualifizierungsprozess, insgesamt 24 sind bereits zertifiziert.

Barbara Kernbach Kita-aktuell Nov. 2012

Finanzkrise gefährdet die Demokratie

Finanzkrise gefährdet die Demokratie

Foto: Rolf Oeser

Geahnt haben wir es schon immer. Es gibt genügend Lebensmittel für alle. Nur die Verteilung ist zutiefst ungerecht. Der Film „Taste the waste“ hält es uns drastisch vor Augen. Doch wir sorgen uns um Aktienmärkte und Staatsverschuldung, retten eben mal mit dreistelligen Milliardenbeträgen Banken oder stützen die eigene Währung. Die Welt scheint aus den Fugen.

Hier zu Lande bereiten die hohen Staatsschulden den Bundesbürgern enormes Kopfzerbrechen. Laut dem „Sorgenbarometer“ des „Stern“ rangiert die Furcht, die Verschuldung könnte ins Immense steigen, auf Platz eins. Auf die Frage, was sie im Augenblick am meisten beunruhigt, nannten danach 63 Prozent die Angst davor, dass die Staatsschulden weiter steigen.

Die Furcht ist durchaus berechtigt. Um die Staatsverschuldung einordnen zu können, wird sie ins Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt, also zu allen Waren und Dienstleistungen, die in einem Jahr geschaffen und geleistet werden, gesetzt. In der Eurozone soll diese Quote 60 Prozent nicht übertreffen. Tatsächlich liegt Deutschland bei 83, Belgien und Irland bei 96 Italien bei 119 und Griechenland bei 142 Prozent. Getrieben von der Krise steigt die Verschuldung Deutschlands in diesem Jahr deutlich. Eine Schuldenbremse soll die Neuverschuldung deckeln. Ein erster Schritt. Denn ein Staat, der sein Budget nur durch immer mehr Schulden ausgleichen kann, treibt auf den Konkurs zu. Ratingagenturen haben die schlechte Botschaft überbracht. Doch es hilft nicht, den Überbringer der Botschaft zu köpfen.

Volkswirtschaftlich wird diese Situation zu einer steigenden Inflation führen. Die Flucht der Anleger in Gold und Immobilien sind ein Symptom für die Angst vor der Geldentwertung. Doch Inflation ist die Geißel des viel zitierten kleinen Mannes (und der weniger oft zitierten kleinen Frau). Denn ihr Erspartes, zum Beispiel die Lebensversicherung, leidet. Und alle die Transferleistungen erhalten, etwa die Rentner, werden überproportional betroffen sein.

Die politischen Folgen eines sparsamen Staates sind unkalkulierbar. Die Unruhen in Griechenland und in Großbritannien zeigen, welche Gefahren für die Demokratie in der Finanzkrise stecken. Aber auch Überbevölkerung und Unterernährung lassen viele den Glauben an ein gerechtes Wirtschaftssystem verlieren. So gesehen ist nicht nur die Währung in Gefahr. Die globalen Turbulenzen gefährden den gesellschaftlichen Konsens.

Kurt-Helmuth Eimuth
Evangelisches Frankfurt August 2011

Unterschiede verstehen – Interreligiöse Kompetenz für die Kleinsten

Evangelisches Frankfurt Mai 2011

Unterschiede verstehen

Interreligiöse Kompetenz für die Kleinsten

Seit bald einem Jahrzehnt untersucht ein Forschungsteam um die Tübinger Religionspädagogen Albert Biesinger (katholisch) und Friedrich Schweitzer (evangelisch) die religiöse Wirklichkeit von Kindern unter sechs Jahren. Unter dem Titel „Wie viele Götter sind im Himmel? – Interreligiöse und Interkulturelle Bildung im Kindesalter“ dokumentieren sie nun in einem gemeinsam mit Anke Edelbrock herausgegebenen Band vertiefende Forschungsergebnisse und den Stand der Diskussion. Durch die Beiträge von Rachel Herweg und Rabeya Müller werden die jüdische und die muslimische Perspektive eingearbeitet.

Die Forscherinnen und Forscher gehen davon aus, dass die Auseinandersetzung mit Religion immer wichtiger wird und schon Kinder Kompetenzen für die interreligiöse Verständigung benötigen. Bereits in einer Pilotstudie waren sie jedoch zu dem Ergebnis gekommen, dass die Vielfalt der Religionen in den Kindertagesstätten ausgeklammert werde, „sodass eine lebensgeschichtlich frühe Anbahnung dialogischer Fähigkeiten, von Respekt, Toleranz und Anerkennung anderer Religionen nicht gefördert wird.“

Wenn Kinder aber keine Begleitung erhalten, schaffen sie sich eigene Erklärungen für das, was sie im Umgang mit anderen Religionen beobachten. So berichtete eine Interviewpartnerin, wie christliche Kinder über ein muslimisches Kind mit Down-Syndrom redeten: „Sultan ist ganz doll behindert, weil Sultan keine Würstchen essen darf.“ Und wie ist damit umzugehen, wenn die Mutter das Tragen des Kopftuches als unerlässlich ansieht, die dem Kind so wichtige Erzieherin ihr Haar aber offen trägt?

Erfreulicherweise entwickeln nur sehr wenige Kinder eine regelrechte Fremdenangst, aber die soziale Kategorisierung setzt offenbar schon sehr früh ein. Die meisten Kinder gehen von einem klaren ‚Wir und Ihr‘ aus. Die Autorinnen und Autoren kommen denn auch zu dem Schluss, dass die religiöse Differenzwahrnehmung schon im Kindesalter gegeben ist, und untermauern die bereits 2007 von Biesinger aufgestellte Forderung: Man darf Kinder nicht „um Gott betrügen“.

Anke Edelbrock, Friedrich Schweitzer, Albert Biesinger (Hg.): Wie viele Götter sind im Himmel? – Religiöse Differenzwahrnehmung im Kindesalter, 202 Seiten, Waxmann-Verlag, 29,90 Euro.

Kurt-Helmuth Eimuth

Vorbereitet auf das Ende: Patientenverfügung

Evangelisches Frankfurt März 2011

Alle wissen, dass es kommt, doch niemand weiß, wie es sein wird, das Ende des Lebens. Aber wohl niemand will dann lange leiden, an einer Maschine hängen und doch dem Tod nicht entrinnen können. Der Gesetzgeber hat in letzter Zeit das Selbstbestimmungsrecht der Patienten und Patientinnen gestärkt. Seit 2009 ist die Patientenverfügung im Gesetz verankert. Darin kann man festhalten, welche Behandlung man wünscht oder ablehnt für den Fall, dass man sich selbst einmal nicht mehr äußern kann.

Doch Vorsicht: Der Patientenwille zählt, auch wenn er möglicherweise einer Heilung oder einer Linderung der Schmerzen entgegensteht. Bei Stiftung Warentest berichtet der Intensivmediziner Achim Jörres zum Beispiel von einem Patienten, der eine künstliche Beatmung generell ausgeschlossen hatte. „Zum Glück war er bei Bewusstsein, als er mit einer schweren Lungenentzündung qualvoll nach Atem rang.“ Er konnte die Verfügung widerrufen und wurde dann beatmet und erfolgreich behandelt.

Es ist also wichtig, sich vor dem Verfassen einer Patientenverfügung genau zu informieren. Eine Möglichkeit ist das Patientenseminar „Wie erstelle ich meine Patientenverfügung?” des Zentrums für Ethik in der Medizin im Markuskrankenhaus. Nicht nur Juristen, sondern auch Ärzte und Pflegepersonal stehen dabei für Fragen zur Verfügung. Es gibt auch eine DVD, die das Zentrum zusammen mit anderen Trägern erstellt hat.

Übrigens bedarf die Patientenverfügung keiner besonderen Form. Sie sollte aber genau beschreiben, für welche Situationen sie gilt – ob immer dann, wenn der Mensch nicht einwilligungsfähig ist, oder nur in den Fällen, in denen er sich „im Endstadium einer unheilbaren, tödlich verlaufenden Krankheit befindet, selbst wenn der Todeszeitpunkt noch nicht absehbar ist“. Diese Formulierung schlägt das Bundesjustizministerium vor. Die Anweisungen für die Behandlung und Pflege sollten so konkret wie möglich sein. Auch ein Hinweis zu Organspenden ist hilfreich.

Auf alle Fälle ist eine Vorsorgevollmacht sinnvoll, und zwar auch für junge Leute. Denn damit kann man selbst bestimmen, wer im Fall der Fälle über notwendige Maßnahmen entscheidet und – falls vorhanden – die Patientenverfügung auslegt.

Das Patientenseminar findet am Mittwoch, 27. April, von 15 bis 18.30 Uhr im Markuskrankenhaus, in der Wilhelm-Epstein-Straße statt (Aula). Eine Anmeldung ist notwendig unter Telefon 069 95332020 oder bei cornelia.berger@agaplesion.de (20 Euro). Die DVD kann dort für 5 Euro gekauft oder bei den angegebenen Adressen zuzüglich Porto bestellt werden.

Kurt-Helmuth Eimuth

„Gras wächst nicht schneller, wenn man an ihm zieht“

Evangelisches Frankfurt, März 2011

Wenn Lulu rebelliert und nicht mehr Klavier spielen will, hagelt es Strafen. Das Puppenhaus soll der Heilsarmee gespendet werden, wenn das Klavierstück am nächsten Tag nicht perfekt sitzt. Der Entzug des Mittag- und Abendessens sowie die Geburtstagspartys gleich für die nächsten vier Jahre gehören ebenso zum Strafenkatalog.

Die rabiaten Erziehungsmethoden der Yale-Professorin Amy Chua, bekannt als „Tigermama“, werden auch hierzulande diskutiert. Und jede Kindertagesstätte kann bestätigen, dass Eltern der aufstrebenden Mittelschicht schon hier Schulleistungen wie Lesen und Schreiben einklagen. Erfolg ist in der Wissensgesellschaft unabdingbar mit Bildung verknüpft. Alle Eltern wollen das Beste für ihr Kind. Doch was ist das Beste?

Bildung ist jedenfalls etwas anderes als Wissen. Bildung ist die umfassende Aneignung der Welt, sie umfasst musische und künstlerische Fähigkeiten ebenso wie soziale Kompetenz. Ein Kind, das unter enormem Druck aufwächst, kann sich kaum entfalten. Es kann Wissen abrufen, aber das vordringliche Gefühl wird doch eher Angst sein. Mit Angst kann das Kind aber nicht die Welt selbstbewusst erforschen, sich nicht die Welt neugierig aneignen. Dabei „arbeiten“ (wie es die Reformpädagogin Maria Montessori formuliert hat) Kinder ganz freiwillig, sogar hoch konzentriert und ausdauernd. Die 14 Monate alte Lisa zum Beispiel liegt auf dem Teppich und sortiert Plastikschüsseln. Sie versucht, die kleine Schüssel in die große zu stellen. Nicht einmal, auch nicht ein Dutzend mal, sondern immer und immer wieder – wenn man sie lässt. Oder Max, der erstmals eine schiefe Ebene betritt, besser: bekrabbelt. Er probiert es mit großer Hartnäckigkeit, und auch durch Misserfolge lässt er sich nicht von seinem Vorhaben abbringen.

Kinder erobern die Welt – sofort nach der Geburt. Ihre Energie, die Leistung ihres Gehirns, wird nie wieder so groß sein wie in den ersten zwölf Monaten. Und alle Kinder finden den für sie passenden Weg. Die einen krabbeln zuerst rückwärts, die anderen rollen sich mehr als dass sie krabbeln. Aber egal, wie: Am Ende werden sie alle laufen können.

Und so ist es auch auf ihrem weiteren Weg der Bildung. Kinder gehen unterschiedliche Wege in unterschiedlichem Tempo. Sie zu fördern, erfordert deshalb nicht Drill, sondern dass man ihnen Zeit lässt. Ein afrikanisches Sprichwort lautet: „Das Gras wächst nicht schneller, wenn man an ihm zieht.“ In diesem Sinne ist mehr Gelassenheit in der Erziehung angesagt. Denn nur glückliche Kinder können wirklich erfolgreich sein.

Kurt-Helmuth Eimuth

Das Aus für die Zivis

In vielen Gemeinden wird man sie vermissen
Evangelisches Frankfurt Februar 2011

Im Kindergarten der Gemeinde Cantate Domino hat man schon Abschied genommen von den „Zivis“. Seit 1984 hatte man Zivildienststellen in den drei Kindergruppen und in der Küche vorgehalten. Jetzt arbeitet der letzte Zivildienstleistende in dieser integrativen Einrichtung in der Nordweststadt – noch bis Mai. Mit der Aussetzung der Wehrpflicht wird auch der Zivildienst zum 1. Juli abgeschafft. Allerdings, sagt Kita-Leiterin Helga Krämer, habe schon die Verkürzung des Zivildienstes auf sechs Monate die Einsatzmöglichkeiten stark beschränkt: „Und von den sechs Monaten gehen noch Lehrgänge und Urlaub ab.“

Eine wirkliche Beziehung zu den Kindern lässt sich in dieser Zeit nur schwer herstellen. Deshalb versucht man in der Nordweststadt schon seit einigen Jahren, zwei der vier Stellen mit jungen Menschen im „Freiwilligen sozialen Jahr“ (FSJ) zu besetzen. Doch „FSJler“ sind rar. Zudem will man gerne welche, die mindestens 18 Jahre alt sind und möglichst Männer, die das Team der Kita ergänzen. „Männliche Bezugspersonen zu haben, ist wichtig“, sagt Helga Krämer. „Die Identifikationsmöglichkeit wird fehlen.“

Lieve Van den Ameele, Pfarrerin in Fechenheim, schätzt an den Zivildienstleistenden in der Gemeinde ihre unterschiedlichen Fähigkeiten. Der jetzige ist gelernter Kfz-Mechaniker. Mit seinem technischen Verstand hilft er der Gemeinde über manche organisatorische Klippe hinweg. Wie es in der gemeindlichen Arbeit weitergehen soll, weiß Van den Ameele auch nicht. Der Zivi hilft Älteren beim Einkaufen, übernimmt Hausmeisterdienste oder ist in der Kindertagesstätte eingesetzt. „Wie wir das anderweitig machen sollen, ist offen. Ein-Euro-Kräfte gibt es ja auch immer weniger“, stellt Van den Ameele fest. Eine konkrete Auswirkung hat die Angelegenheit schon jetzt. Die Einladung zum Kindergottesdienst wird es nur noch per E-Mail geben. Denn der Zivi kann das Austragen in die Briefkästen nicht mehr übernehmen.

Ob und wie der von der Politik diskutierte Freiwilligendienst ein Ersatz in den zahlreichen sozialen Arbeitsfeldern sein kann, wird sich also erst noch herausstellen müssen. Es ist aber wahrscheinlich, dass für die zahlreichen Einsatzstellen in der Altenpflege, im Krankenhaus, im Rettungsdienst oder eben auch in Kirchengemeinden, an denen bisher Zivildienstleistende eingesetzt waren, sich nicht genügend Freiwillige finden werden.

Kurt-Helmuth Eimuth

„Bildung muss zweckfrei sein“

Gesine Schwan sprach in der Evangelischen Stadtakademie
Evangelisches Frankfurt Dezember 2010

„So viel schlauer und fleißiger als ich kann Herr Ackermann nicht sein, um den Einkommensunterschied zu begründen.“ Mit anschaulichen Beispielen zog die ehemalige Kandidatin für das Amt der Bundespräsidentin und Präsidentin der Humboldt-Viadrina School of Governance in Berlin, Gesine Schwan, ihre Zuhörer und Zuhörerinnen in der Evangelischen Stadtakademie in ihren Bann. Es war spürbar, dass hier jemand spricht, die mitten unter uns lebt.

Schwan war eingeladen, um über „Talentförderung oder Elitebildung?“ zu sprechen. Sie betonte die Notwendigkeit, extreme Einkommensunterschiede zu vermeiden. Der Staat habe für eine materielle Grundsicherung zu sorgen. Bildung und Ausbildung müssten immer die Gerechtigkeit im Blick haben. Kein gutes Haar ließ Gesine Schwan am derzeitigen Bildungssystem. Der Vorrang des ökonomischen Prinzips habe die Erkenntnis verdrängt, dass Bildung zweckfrei sei. Bildung werde auf schnell verwertbares Wissen reduziert. Komplizierte Zusammenhänge könnten so nicht mehr ergründet werden: „Damit verkümmert eine Kultur der Begründung.“ Zudem „wissen wir heute nicht, was wir in 25 Jahren wissen wollen“, führte Schwan aus. Als Zeichen des Versagens wertete sie, dass über 70 000 Schüler und Schülerinnen pro Jahr die Schule ohne Abschluss verlassen: „Das dreigliedrige Schulsystem selektiert zu früh und zu hart.“

Auch wenn Bildung heute scheinbar ganz oben auf der politischen Agenda stehe, würden gemessen an der wirtschaftlichen Leistungskraft die Ausgaben für Bildung in Deutschland sinken. Gesine Schwan plädierte für ein Bildungsverständnis, das Selbstvertrauen, Neugier und Geduld zum Lernen beinhaltet. Dabei habe die Familie eine hervorgehobene Bedeutung: Bildung brauche Vertrauen. Bildung beginne im Mutterleib. Gesine Schwan plädierte für reduzierte Arbeitszeiten in der Familiengründungsphase: „Die Zukunft gehört partnerschaftlichen Familien, in denen beide sich um die Kinder kümmern.“

Selbstvertrauen und Selbstachtung seien zwei Grundhaltungen, die es zu vermitteln gelte. Man solle Schülerinnen und Schüler ermutigen und ihre jeweiligen Kompetenzen sehen.So gelte es, die Zweisprachigkeit der Einwanderer zu fördern. Dieses Potential helfe auch der Wirtschaft. An der Bildung entscheide sich, „wie wir zusammen leben wollten“, ob in Konkurrenz oder in einer Kultur der Gemeinsamkeit.

Kurt-Helmuth Eimuth

Unter strengen Regeln

Blick hinter die Kulissen der Zeugen Jehovas
Evangelisches Frankfurt Dezember 2010

Einen Blick hinter die Kulissen der Zeugen Jehovas vermittelt das Buch „Mara im Kokon“, das die Selbsthilfeinitiative „Sinus“ gemeinsam mit der Autorin Barbara Kohout in Frankfurt vorstellte. Sechzig Jahre lang war Kohout Mitglied der „Wachturmgesellschaft“. Sie beschreibt, wenn auch erzählerisch verfremdet, den Alltag in der Sekte.

So verhinderte sie die Freundschaft ihrer Tochter mit einer Klassenkameradin: „Es waren ‚Weltmenschen‘ und somit also schlechter Umgang.“ Als die Tochter einen jungen Mann kennenlernte, der kein Zeuge Jehovas war, und es zu angeblichen „sexuellen Verfehlungen“ kam, denunzierte die Mutter das eigene Kind bei den Ältesten. Die Jugendliche musste sich vor dem Rechtskomitee der Zeugen Jehovas verantworten.

Heute spricht kein Zeuge Jehova mehr mit Barbara Kohout. „Ich werde tot geschwiegen.“ Selbst das eigene Enkelkind, noch in der Sekte, mochte die Großmutter bei Facebook nicht als „Freundin“ akzeptieren. „Gemeinschaftsentzug“ nennt man diese Praxis.

Das Buch „Mara im Kokon“ (Engelsdorfer Verlag, 14,95 Euro) sei „ein leidenschaftliches Plädoyer für Gewissensfreiheit“, sagte der Weltanschauungsbeauftragte des Bistums Limburg, Lutz Lemhöfer. Die Wachturmgesellschaft hat in Deutschland etwa 160 000 Mitglieder und ist in einigen Bundesländern, darunter auch Hessen, als Körperschaft des Öffentlichen Rechts anerkannt.

Kurt-Helmuth Eimuth

Weihnachten feiern – gerne auch unchristlich

Evangelisches Frankfurt Dezember 2010

Ob deutscher Weihnachtsmarkt in Birmingham, Weihnachtsdeko in China oder Christmas Cake in Japan: Die Globalisierung hat das Weihnachtsfest erfasst. Und womöglich seines Inhaltes beraubt? Denn Weihnachten ist zwar in allen Teilen der Erde präsent – doch die Botschaft von der Geburt Jesu fehlt.

Der Frankfurter Weihnachtsmarkt lockt in der Adventszeit nicht nur Tausende in die Mainmetropole, auch in England erfreut er sich wachsender Beliebtheit. In mehrere Städte exportiert die Frankfurter Tourismus und Congress GmbH original deutsches Weihnachtsgefühl: Leeds, Manchester und Edinburgh zum Beispiel. Die höchsten Besucherzahlen verzeichnet der Markt in Frankfurts Partnerstadt Birmingham. Der dortige „Frankfurt Christmas Market“ ist der größte deutsche Weihnachtsmarkt außerhalb des deutschsprachigen Raumes. Mit fast neunzig Ständen konnte er im letzten Jahr rund eineinhalb Millionen Gäste anziehen.

Der englische Ableger des Frankfurter Weihnachtsmarktes wird in großen Containern komplett aus Germany importiert: Aachener Printen, Christstollen, Nussknacker, Lammfellpantoffeln und Holzspielzeug gibt es da, selbst der Glühwein wird in Originalbechern mit dem Aufdruck „Frankfurter Weihnachtsmarkt“ serviert. Die Budenbeschriftungen sind weitgehend in Deutsch. Für viele Engländer sind Worte wie „Brot“ oder Waffeln“ eine besondere Herausforderung. Die Lebkuchenherzen tragen Aufschriften wie „Schatzi“, und auch die Preislisten sind auf Deutsch. Nur gezahlt wird in Pfund.

Zum Erfolg trägt sicher auch der Alkoholausschank unter freiem Himmel bei – was sonst in England streng verboten ist. Doch der deutsche Weihnachtsmarkt lässt eine Ausnahme zu. Am Ausgang machen große Schilder darauf aufmerksam, dass man nun wieder die alkoholfreie Normalität betritt.

Umfunktionierte Tannenbäume, die geradezu Leuchtturmqualitäten entwickeln, Bedienungen mit Nikolausmützen und allenthalben schrille Lichterketten – das mag im eher atheistischen China verwundern. Vor dem berühmten Vogelnest-Olympiastadion wird alle Jahre wieder ein riesiger Weihnachtsbaum aufgestellt.

Berichte aus dem vorweihnachtlichen China entbehren nicht einer gewissen Skurrilität: „In diesen warmen Dezembertagen sind sie ungewöhnlich gekleidet: Die Kellnerinnen vom ‚Goldenen Essstäbchen’ tragen rotweiße Weihnachtsmützen, am Schaufenster ihres Lokals hängt ein künstlicher Kranz: „Fröhliche Weihnachten!“ Und weiter berichtet das Magazin „Der Spiegel“: „Die Stände im Shin-Kong-Einkaufszentrum im Pekinger Central Business District sind ebenfalls mit Tannenbäumen und mit bunten Geschenkpaketen dekoriert. Aus den Lautsprechern dudelt Jingle Bells, Weihnachtskränze hängen an den Wänden, im Supermarkt gibt es Baumkugeln zu kaufen. Ein Weihnachtsbaum aus Plastik, rund einen halben Meter hoch, kostet 78 Yuan (rund acht Euro). In der Supermarktkette Jingkelong gibt es ihn schon für 48 Yuan.“

Gerade in Ländern, in denen zunehmender Wohlstand einen großen Nachholbedarf in Sachen Internationalisierung und Anerkennung hervorruft, ist Weihnachten immer beliebter. Für die junge, sich westlich gebende Generation gehört das mit zum neuen Lebensstil. Ein Grund, wa-
rum gerade der Weihnachtsmann in China so schnell aufgenommen wurde, liegt sicher auch in der Symbolik der Farbe Rot, die im traditionellen chinesischen Kontext als Glücksfarbe gilt.

Die religiöse Bedeutung des Festes bleibt dabei weitgehend unbekannt. Zwar dürfen die wenigen Christinnen und Christen auch in China Gottesdienste feiern. Doch ganz einfach haben es die Kirchengemeinden dort nicht. Die Regierung genehmigt nur die Aktivitäten einer einzigen christlichen Kirche, an deren Spitze ein vom Staat akzeptierter Bischof steht. Für alle, die sich dem nicht unterwerfen wollen, bleibt nur die gefährliche Hinwendung zur so genannten Untergrundkirche.

In Japan gehören weniger als zwei Prozent der Bevölkerung dem christlichen Glauben an. Trotzdem steigt auch hier die Popularität des Weihnachtsfestes. Wieder sind es die Jungen, die den neuen Brauch gerne aufgreifen. Ihnen kommt entgegen, dass es üblich ist, sich an Weihnachten zu beschenken – auf höfliche Gesten legt man im Land der Mitte besonderen Wert. Das Beschenken wird deshalb gerne und häufig zelebriert.

In Japan sind vor allem die Illuminationen in der dunklen Jahreszeit sehr beliebt. Ganze Straßenzüge werden beim so genannten „Light up“ in buntes Licht getaucht. Der japanische Fremdenverkehrsverein wirbt mit diesem besonderen Erlebnis: „Zur Winterzeit werden in verschiedenen Orten im ganzen Land Straßenzüge mit ausgefallenen Lichterdekorationen in ein abendliches Lichtreich verwandelt. In der dunkelsten Jahreszeit wird ein Spaziergang im Lichterschein zu einer fröhlichen, aber auch besinnlichen Erfahrung.“ In der Stadt Sendai findet im Rahmen der Beleuchtungen auch eine Parade von als „Santa Claus“ verkleideten Menschen statt.

Schon im Jahr 1549 hat mit dem Jesuitenpater Franziskus Xaverius der erste christliche Missionar das Land betreten. Mit ihm kam auch das Weihnachtsfest in das japanische Inselreich. Seit dem Zweiten Weltkrieg hat sich das Fest zunehmend amerikanisiert. Genau wie in Amerika bringt seither Santa Claus am 25. Dezember Geschenke.

Eine Besonderheit ist in Japan der Christmas Cake, den es um die Weihnachtszeit zu kaufen gibt, und der von Fremdenverkehrsvereinen als Besonderheit vermarktet wird: Es handelt sich um eine kleine Sahnetorte mit Erdbeeren, die als typisches Weihnachtsessen gilt. Sie sorgte dafür, dass das Wort „Weihnachten“ hier in aller Munde ist: Als „liegengebliebenen Weihnachtskuchen“ bezeichnet man in Japan nämlich etwas despektierlich ältere unverheiratete Frauen.

Doch wer über diese Sinnentleerung und Metamorphose des Weihnachtsfestes die Nase rümpft, bedenke, dass erst seit gut einem Jahrzehnt Halloween in Deutschland als Partyfest Einzug gehalten hat. Wen interessiert es da, dass es keltischen Ursprungs ist – und zwischenzeitlich auch christlich aufgeladen wurde.

Kurt-Helmuth Eimuth

Buß- und Bettag: Mahnung zur Umkehr

Evangelisches Frankfurt Oktober 2010

Vor 15 Jahren wurde der Buß- und Bettag als gesetzlicher Feiertag abgeschafft. Seither ist auch sein Sinn bei vielen Menschen in Vergessenheit geraten.

Die Schülerinnen und Schüler Berlins freuen sich auf den 17. November. Zumindest die evangelischen unter ihnen, denn sie können an diesem Tag ganz offiziell zuhause bleiben. Von der Schule sind sie an diesem Tag befreit – der Buß- und Bettag macht’s möglich. Bisher galt die Schulbefreiung nur, wie in Hessen auch, für die Dauer eines Gottesdienstbesuchs.

Der „Ökumenische Bußgang“ – hier 1985 – war früher ein fester Bestandteil des Buß- und Bettages in Frankfurt. Von der Peterskirche aus führte er zu Orten in der Stadt, an denen die Notwendigkeit zum Umdenken und zum Erinnern gegeben ist. In der Katharinenkirche an der Hauptwache findet ein ökumenischer Gottesdienst statt, am Mittwoch, 17. November, um 19 Uhr, mit Pröpstin Gabriele Scherle und dem katholischen Dekan Michael Metzler. | Foto: Kurt-Helmuth Eimuth

Der „Ökumenische Bußgang“ – hier 1985 – war früher ein fester Bestandteil des Buß- und Bettages in Frankfurt. Von der Peterskirche aus führte er zu Orten in der Stadt, an denen die Notwendigkeit zum Umdenken und zum Erinnern gegeben ist. In der Katharinenkirche an der Hauptwache findet ein ökumenischer Gottesdienst statt, am Mittwoch, 17. November, um 19 Uhr, mit Pröpstin Gabriele Scherle und dem katholischen Dekan Michael Metzler.
Foto: Kurt-Helmuth Eimuth

Der Berliner Regelung vorangegangen war eine Anfrage der evangelischen Kirche, die bemängelte, dass zwar muslimische, jüdische und katholische Kinder an ihren jeweiligen Feiertagen schulfrei haben, aber die evangelischen nicht. Nur konsequent, dass nun auch die Evangelischen am Buß- und Bettag und am Reformationstag schulfrei haben. Für manche schulmüden Geister ist dabei sicher auch die Tatsache angenehm, dass die Berliner Schulverwaltung die Konfession nicht erfasst.

Aber nicht nur in Berlin bemüht man sich, den inzwischen fast vergessenen Feiertag wieder zu entdecken. Ist er doch nach seiner Abschaffung als gesetzlicher Feiertag vor 15 Jahren ein wenig aus dem Blick geraten. Mit diesem einen Tag Mehrarbeit wollte man die Belastung der Arbeitgeber durch die Einführung der Pflegeversicherung ausgleichen. Ob dieses Zwecks war der Widerstand der Kirchen gegen die Abschaffung des evangelischen Feiertags eher verhalten. Heute ist der Buß- und Bettag nur noch in Sachsen gesetzlicher Feiertag.

Das Wort „Buße“ führt nämlich ein wenig in die Irre. Es geht an diesem Tag weniger um Schuld und Wiedergutmachung, sondern es steht die innere Bereitschaft zur Veränderung im Vordergrund. Nach evangelisch-christlichem Glauben meint Buße und Schuld nicht in Sack und Asche zu gehen, sondern Umkehr und Sinnesänderung: Buße ist anhaltende Selbstbesinnung.

An vielen Orten nutzen die evangelischen Kirchen den Buß- und Bettag dazu, auf soziale Missstände hinzuweisen. Probleme der Bio-Medizin, Armut, Obdachlosigkeit, Kinderprostitution, Aids, die Situation von Flüchtlingen und andere sozial- und gesellschaftspolitische Themen bilden den Mittelpunkt der Predigten. In dieser Tradition verstand sich auch der Frankfurter Ökumenische Bußgang, an dem in den 1970er und 1980er Jahren jeweils mehrere tausend Menschen teilnahmen. Er führte als Prozession eben an jene Orte, die zur Umkehr mahnen, wie etwa die Gutleutkaserne, die während des Nationalsozialismus die Gestapo beherbergte.

Die Mahnung zur Umkehr ist heute noch ebenso aktuell wie 1893: In diesem Jahr wurde der Buß- und Bettag um der Einheitlichkeit willen in Preußen auf Initiative der zuständigen staatlichen Stellen auf den Mittwoch vor dem letzten Sonntag im Kirchenjahr festgelegt.

Kurt-Helmuth Eimuth