Archiv für 30. September 2021

Bundestagswahl:

Auch Politsekten treten am Sonntag an

von Kurt-Helmuth Eimuth 20. September 2021

Religiöse Grundüberzeugungen spielen auch in Parteien eine Rolle. So tragen CDU und die CSU ihre religiöse Orientierung schon im Namen: das große C steht für Christlich. Aber auch Fundamentalisten und eine Politsekte finden sich auf der langen Liste der 40 zur Wahl stehenden Parteien.

Foto: Mika Baumeister/unsplash.com
Foto: Mika Baumeister/unsplash.com

Da wäre zum Beispiel die Partei „Bündnis C – Christen für Deutschland“ (Bündnis C). Sie entstand im Frühjahr 2015 durch den Zusammenschluss der christlich-fundamentalistisch orientierten Parteien „Partei Bibeltreuer Christen“ (PBC) und „AUF – Partei für Arbeit, Umwelt und Familie – Christen für Deutschland“ (AUF). Nach eigenen Angaben orientieren sie sich am biblischen Menschenbild und christlichen Grundsätzen, wobei dahinter ein sehr fundamentalistisches Bibelverständnis steht. Konkret steht die Partei für eine Förderung traditioneller Familienformen: In der Familien- und Sozialpolitik setzt sie sich für eine stärkere finanzielle Unterstützung von Familien aus, die aus Mutter, Vater und Kindern bestehen. So soll etwa ein „Erziehungsgehalt“ für betreuende Eltern gezahlt werden. Die Partei tritt außerdem für ein Verbot von Abtreibungen sowie Leihmutterschaft ein und lehnt Sterbehilfe ab. Die Partei sagt, sie möchte die Umwelt als Gottes Schöpfung bewahren. Zudem unterstützt das Bündnis C die Unterstützung Deutschlands für den Staat Israel und fordert eine Verlegung der deutschen Botschaft nach Jerusalem, was die Anerkennung Jerusalems als Hauptstadt Israels bedeutet. Außerdem will sie den Ausstieg aus dem Atomabkommen mit dem Iran. Das Bündnis C möchte zwar das Asylrecht behalten, spricht sich aber für die Kontrolle der Außengrenzen der EU aus.

Als Psychokult wurde hin und wieder die Bürgerrechtsbewegung Solidarität (BüSo) eingestuft. Mit ihrer Spitzenkandidatin Helga Zepp-LaRouche ist sie eine alte Bekannte bei Wahlen, auch wenn ihr Stimmenanteil nie über 0,5 Prozent hinauskam. Die BüSo entstand 1992 in inhaltlicher und personeller Kontinuität aus ihren Vorläufern der „Patrioten für Deutschland“ und der „Europäischen Arbeiter-Partei“. Von kirchlichen Sektenbeauftragten wurde sie im extremistischen Parteienspektrum verortet und ebenso wie die LaRouche-Bewegung als Psycho-Kult bzw. Politsekte eingeschätzt, weil sie Endzeitvisionen hege und einen radikalen Gesellschaftsumbau anstrebe. Hinzu komme die für Sekten typische rigide Kontrolle der Mitglieder und der Personenkult um das Ehepaar LaRouche. Die BüSo warnt vor dem Zusammenbruch des globalen Finanzsystems, das nur durch eine neue Weltwirtschaftsordnung mit regierungskontrollierten Nationalbanken gerettet werden kann. Für Deutschland fordert BüSo die Kündigung der EU-Verträge und die Wiedereinführung der D-Mark.

Vom Verfassungsschutz als rechtsextremistisch eingeschätzt wird die Partei „Der Dritte Weg“. Sie ist geprägt von Antisemitismus, Rassismus und einem völkischen Menschenbild. Uwe Becker, Anitsemitismusbeauftragter des Landes Hessen und bis vor kurzem Frankfurts Bürgermeister, ist angesichts einer „Wahlwerbung“ dieser Partei, die zur Hinrichtung der politischen Gegner aufruft, ganz klar: „Der Dritte Weg ist ein rechtsextremistischer und nationalsozialistischer Mob und gehört verboten“.

Trauern, in dem man das Leben feiert

Oeder Weg Foto Eimuth

March for Hope auf dem Oeder Weg

Es war ein ungewöhnlicher Zug von einhundert Menschen, der am Donnerstag, 16. September, den Oeder Weg unter Dixieland-Musik entlang kam. Angeführt von der 8n schwarz gekleideten Band  „All that Jazz“ führte die Parade von der Frankfurter Hauptwache zum Hauptfriedhof. Bewusst knüpfte man an die Tradition der Trauerzüge in New Orleans an.

Das katholische Zentrum für Trauerseelsorge St. Michael und andere Organisationen hatten zu dieser beschwingten Corona-Trauerparade aufgerufen. Man wollte all derer gedenken, die Verluste erlitten haben, aber man wollte auch das Leben feiern. Es gehe darum  Hoffnung, Mut und Zuversicht zu vermitteln. „Rituale mit partizipativem Ansatz helfen dabei, Belastungen zu reduzieren und das Erlebte zu teilen und so gemeinsam zu tragen“, schreiben die Veranstalter. Für viele war es eine schöne Möglichkeit ihrer ganz privaten Trauer Ausdruck zu geben.

Bastian Bergerhoff: „In Frankfurt haben wir Religionsfrieden“

von Anne Lemhöfer
und Kurt-Helmuth Eimuth 6. September 2021

Bastian Bergerhoff (53) ist der neue Frankfurter Kirchendezernent. Der Grünen-Politiker ist nicht getauft, geht aber trotzdem gelegentlich in den Gottesdienst. Wir haben mit ihm über Bach, den interreligiösen Dialog und seine Lieblingskirche gesprochen.

Der neue Kirchendezernent Bastian Bergerhoff auf dem Römerberg. Zuständig ist er unter anderem für den Unterhalt der historischen Kirchengebäude in Frankfurt. | Foto: Rolf Oeser
Der neue Kirchendezernent Bastian Bergerhoff auf dem Römerberg. Zuständig ist er unter anderem für den Unterhalt der historischen Kirchengebäude in Frankfurt. | Foto: Rolf Oeser

Herr Bergerhoff, Sie sind frisch gekürter Frankfurter Stadtkämmerer, außerdem sind Sie ab sofor zuständig für die Bereiche Personal und Kirchen innerhalb der Stadtregierung. Warum braucht Frankfurt als multireligiöse Stadt, in der auch viele Atheist:innen leben, eigentlich einen Kirchendezernenten?
Als Kirchendezernent bin ich in erster Linie für die Kirchengebäude und deren Unterhalt im historischen Stadtkern zuständig, die sich im Eigentum der Stadt Frankfurt befinden. Diese Zuständigkeit hat historische Gründe. Das hat mit dem Dotationsvertrag von 1830 zu tun, durch den die kirchlichen Räume, vor allem die Innenstadtkirchen, an die Stadt übertragen wurden.

Gehen Sie selbst in den Gottesdienst?
Ja, gelegentlich. Als ich noch in einem Kirchenchor gesungen habe, bin ich regelmäßig zum Singen im Gottesdienst gewesen. Aber auch zu anderen Anlässen gehe ich manchmal in den Gottesdienst. Ich wurde nicht getauft, habe heute aber familiär und kulturell eine starke Nähe zu den Kirchen. Mein persönlicher Zugang war dabei immer insbesondere die Musik.

Haben Sie selbst Musik gemacht?
Ich mache privat sehr viel Musik. Aber Sie fragen wahrscheinlich nach Musik in Kirchengemeinden. Ja, ich habe lange im Chor der Thomas-Gemeinde in Heddernheim gesungen und habe in einer anderen Gemeinde gelegentlich sonntags in Vertretung die Orgel gespielt.

Haben Sie ein Lieblingslied?
Mir geht „Aus tiefster Not schrei ich zu dir“ – gerade im Satz von Johann Sebastian Bach – sehr nahe, es berührt mich sowohl musikalisch wie auch textlich stark.

Für manche mag das seltsam anmuten, dass ein Kirchendezernent nicht getauft ist.
Vielleicht. Aber auch nur auf den ersten Blick. Die Zuständigkeit für kirchlich Angelegenheiten ist ja tatsächlich keine inhaltliche Zuständigkeit für den Glauben. Glaube ist zum Glück etwas sehr Persönliches. Und dass Religion auch heute noch ein Faktor im gesellschaftlichen Alltag ist, war auch für mich immer klar und ich habe das immer positiv erlebt – neben meiner Begeisterung für Musik hat das bei mir zum Beispiel dadurch Spuren hinterlassen, dass ich im katholischen Haus der Begegnung meinen Zivildienst geleistet habe.

Haben Sie eine Lieblingskirche?
Ich wohne im Bereich der Dreikönigskirche. Die hat in Frankfurt sicherlich große Bedeutung für die Kirchenmusik, von der wir ja schon viel gesprochen haben. Daneben gibt es andere, auch kleinere Kirchen, die mir aus unterschiedlichen Gründen im Laufe meines Lebens Besonderes bedeutet haben. Ein Ranking liegt mir fern. Als zuständiger Dezernent sehe ich aber natürlich, dass gerade unsere Innenstadtkirchen ein hohes kulturelles Gut für die Stadt darstellen, das es zu pflegen gilt. Nicht zuletzt an der St. Leonhardskirche ist zu sehen, wie gut das der Stadt die letzten Jahre gelungen ist. Alle unsere Innenstadtkirchen sind prägende Orte, jede auf ihre eigene Art.

Wie beurteilen Sie den interreligiösen Dialog in Frankfurt?
Ich finde, dass er sehr gut funktioniert! Die Interreligiosität reflektiert Frankfurt in seiner Vielfalt – ich glaube, es gibt keine Religionsgemeinschaft, und sei sie noch so klein, die hier keine Vertreter:innen hat. Auch der Rat der Religionen arbeitet sehr erfolgreich. Es gibt in Frankfurt kaum unlösbare Konflikte um das Thema Religion – es wird immer versucht, zu vermitteln und Lösungen zu finden. Ich habe den Eindruck, dass wir in Frankfurt Religionsfrieden haben.

Welche Funktion von Kirche ist Ihrer Meinung nach in Frankfurt die Wichtigste?
Religion ist sicher ein Element, das die Stadt und die Gesellschaft zusammenhält. Wenn Menschen ihren Glauben als etwas Trennendes begreifen, dann habe ich dafür wenig Verständnis. Das betrifft aber sicher nur eine verschwindende Minderheit. Die meisten Menschen betrachten ihren Glauben als etwas Zusammenbringendes und leben ihn auch so. Ich finde es toll, dass sich die Kirchen an gesellschaftlichen Diskussionen beteiligen, in allen Bereichen. Darüber hinaus sind sie eine tragende Säule unserer sozialen Infrastruktur, die unerlässlich für uns ist.