Archiv für 25. September 2017

Protestantismus und Demokratie

Andacht, Demokratie

25.9.2017

Orgel

Lied: EG 447, 1-3, 7+8

Votum:

In Gottes Namen wollen wir beginnen

Gott ist allen Zweifelnden, Verzagten und Suchenden besonders nah.

In Jesu Namen wollen wir beginnen,

denn Jesus ließ diese Nähe Ausgestoßene, Verachtete, Verzweifelte spüren.

In der Hoffnung auf das Geschenk des Heiligen Geistes wollen wir beginnen,

um Mut und Ideen bitten, heute diese Nähe weiterzugeben.

Amen.

Psalm 145, Nr. 756

Lied: EG 621, 1-3

Ansprache:

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

heute morgen können wir feststellen: Wir haben es geschafft. Die Bundestagswahl ist vorüber. Vorüber die Diskussionen um Rente, soziale Gerechtigkeit und Steuern. Viele fanden diesen Wahlkampf ermüdend. Ich fand es gut, dass diese Themen kontrovers diskutiert wurden. Denn die Auswirkungen erleben wir täglich. Gerade in der Diakonie sehen wir, was es bedeutet, wenn 40 Prozent der Bevölkerung am steigenden Wohlstand nicht teilhaben.

Doch wenn wir uns in der Welt so umschauen, so müssen wir auch konstatieren: Die viel gescholtene Politik hat unser Land in den letzten 70 Jahren gut hindurch gesteuert. Insgesamt geht es uns gut. Und vor allem: Die Nachkriegsgeneration hat keinen Krieg auf deutschem Boden erlebt. Dies ist keineswegs selbstverständlich.

Wir Deutschen haben inzwischen Demokratie gelernt. Die Kirchen haben mit dieser Staatsform durchaus gefremdelt. „Die evangelischen Kirchen in Deutschland gelangten nur schrittweise, nach dem Zusammenbruch von 1945 und im Angesicht des Grauens, das der Nationalsozialismus hinterlassen hatte, zu einer positiven Würdigung der Demokratie. Sie interpretieren heute die freiheitliche Grundordnung des Grundgesetzes als eine Entsprechung zu der Freiheit, die das Evangelium von Jesus Christus ermöglicht und verbürgt. Diese Freiheit beinhaltet immer zugleich die Freiheit zur Verwirklichung eigener Lebenschancen und die Verantwortung gegenüber dem Nächsten. Dass die unveräußerlichen Menschenrechte anerkannt sind, dass die staatliche Gewalt an das Recht gebunden ist, dass alle Entscheidungen des staatlichen Handelns grundsätzlich korrigierbar sein müssen: Diese Grundlagen der freiheitlichen Demokratie verstehen die Kirchen in Deutschland heute als Entsprechung zum christlichen Menschenbild, das von der Würde und Freiheit des Menschen ebenso spricht wie von seinen Begrenztheiten und seiner Anfälligkeit für Fehler. Auch im politischen Raum gilt: Der Mensch ist gerecht und Sünder zugleich.“ Dies stellte die EKD vor wenigen Wochen in einem Impulspapier fest.

Erinnern wir uns: Es waren aufgewühlte Zeiten Anfang der 1980er Jahre des letzten Jahrhunderts: Der Streit über Nachrüstung und Atomenergie bestimmte die Agenda. Nachwirkungen der 68er Bewegung und der Beginn der langen Ära Kohl sorgten auch in der evangelischen Kirche für Kontroversen.

Im Linksprotestantismus gab es viel Sympathie für die neuen sozialen Bewegungen und Protestformen, wie Blockaden, Boykotte oder Steuerstreiks. In der Politik löste dies wiederum Fragen aus, wie es um die Demokratiefähigkeit des Protestantismus bestellt sei. So registrierte etwa Helmut Schmidt als Bundeskanzler 1981, beiden Kirchen falle es schwer, der fehlerhaften Demokratie einen Vertrauensvorschuss einzuräumen.

Auf die Frage, wie sich der Protestantismus, der lange mit dem Obrigkeitsstaat liiert und auch keine Stütze der Weimarer Republik war, zum demokratischen Verfassungsstaat verhält, gab es erst 40 Jahre nach Gründung der EKD eine Antwort: Nach kontroversen Beratungen legte die EKD im Oktober 1985 eine Denkschrift vor, die unter der Überschrift „Der Staat des Grundgesetzes als Angebot und Auftrag“ eine grundsätzliche Neujustierung im Verhältnis des Protestantismus zur Demokratie vornahm.

„Als evangelische Christen stimmen wir der Demokratie als einer Verfassungsform zu, die die unantastbare Würde der Person als Grundlage anerkennt und achtet“, hält das Dokument fest. Die Demokratie sei keine“christliche Staatsform“, aber die positive Beziehung von Christen zum demokratischen Staat sei mehr als äußerlicher Natur. „Die politische Verantwortung ist im Sinne Luthers ‚Beruf‘ aller Bürger in der Demokratie.“

Das Bekenntnis zur Demokratie begründet die EKD mit der Achtung der Menschenwürde, einer Konsequenz der biblischen Lehre von der Gottesebenbildlichkeit des Menschen. Neben diesen theologischen Einsichten zum evangelischen Verständnis von Demokratie werden in dem knappen Text auch neuralgische Punkte wie Machtmissbrauch, Legitimität und ziviler Ungehorsam, die Unterscheidung zwischen Widerspruch und Widerstand, sowie Fortentwicklung der Demokratie etwa durch direkte Bürgerbeteiligung nicht ausgeklammert – jedoch zumeist konservativ beantwortet.

Vorbereitet wurde die Denkschrift in der Kammer für Öffentliche Verantwortung. Maßgebliche Kammermitglieder waren etwa der damalige Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichtes, Roman Herzog, die SPD-Politiker Erhard Eppler und Jürgen Schmude, Liselotte Funcke (FDP), aber auch der damalige Kirchentagspräsident Wolfgang Huber.

Die EKD und die Bischofskonferenz mahnten 2006 in einem gemeinsamen Kirchenwort mit dem Titel:“Demokratie braucht Tugenden“, der abnehmenden Partizipation an politischen Prozessen entgegenzuwirken.

So sehr die politische Kultur durch sie tragende religiöse, gerade auch christliche Überzeugungen gestärkt wird, so sehr sind die Vertreterinnen und Vertreter dieser Überzeugungen aufgerufen, für deren freie Anerkennung zu werben, sie argumentativ zu vertreten und nicht als unhinterfragbar zu dekretieren. Für die Kirchen bedeutet das zum einen, im Anerkennen und Aneignen der Demokratie deren enge Verbindung mit den Werten des Christentums selbstbewusst zu vertreten. Zugleich aber müsse deutlich werden, dass die Überzeugungen, die die freiheitliche Demokratie stützen, für eine Ordnung einstehen, die auch die Freiheit anderer Religionen, Weltanschauungen und Überzeugungen garantiert.

Die EKD ist aber nicht blind. In dem kürzlich erschienenen Impulspapier stellt sie fest.: „Als Kirchen können wir nur dann als politische Akteure für die Stärkung des demokratischen Gemeinwesens ernst genommen werden, wenn wir berücksichtigen, dass auch in unserer Mitte die Ängste vor dem Wandel und die Versuchung zur Abgrenzung anzutreffen sind. Die evangelische Kirche mit ihren knapp 23 Mio. Mitgliedern ist ein Spiegel der pluralistischen Gesellschaft. Den klaren Positionierungen der kirchenleitenden Personen und Gremien, dem außerordentlichen Engagement vieler Gemeinden, der Diakonie und der Werke und Verbände für die Aufnahme geflüchteter Menschen steht bei einem beachtlichen Teil der Kirchenmitglieder Skepsis hinsichtlich der wachsenden Vielfalt und des sozialen Wandels gegenüber. Unbeschadet des klaren und richtigen Eintretens für die Rechte von Minderheiten und Geflüchteten müssen wir wahrnehmen, dass die Sorge angesichts des Wandels und der Herausforderungen, die eine pluraler werdende Gesellschaft und gerade auch die technologisch-ökonomischen Veränderungen mit sich bringen, bis in die Leitungsebenen der evangelischen Kirchen hineinreicht.

Das Evangelium von Jesus Christus als Grund der Kirche verkündigt die in Gottes Sohn geschenkte Versöhnung des Menschen mit Gott. Jeder einzelne Mensch ist ein mit unverlierbarer Würde begabtes Geschöpf Gottes, dem gerade in seiner Einmaligkeit und Unterschiedenheit von anderen Respekt gebührt. Das Evangelium ruft Menschen auf den Weg des Glaubens, des Friedens und der Versöhnung. Dieser Grund der Kirche soll auch ihre tatsächliche Gestalt und ihre Praxis prägen. Die Kirchen selbst sollen Orte sein, an denen Menschen diese Anerkennung und diesen Frieden erfahren und dann selbst dafür eintreten.

Die Botschaft des Evangeliums ist eminent politisch. Der erste und vornehmste Ort dieser politischen Praxis der Kirchen ist das Miteinander sehr unterschiedlicher Menschen in den Gemeinden, Gemeinschaften und Werken. Die Kirchen mit ihrer tiefen und breiten sozialen Verankerung sollen und wollen damit Foren sein, auf denen Konflikte ausgetragen werden, Ängste gehört und bearbeitet, Gespräche geführt und Menschen einbezogen werden: Sie sind Orte demokratischer Beteiligung. Als Kirchen sind wir mitverantwortlich für die politische Kultur unseres Landes und für die Gestaltung unseres Gemeinwesens. …

Die moralischen Dimensionen von politischen Streitfragen dürfen in den Argumentationen nicht ignoriert werden. Sie anzusprechen ist legitim. Allerdings müssen wir angesichts der beschriebenen Herausforderungen der Demokratie darauf achten, dass eine auf moralischen Überzeugungen beruhende Argumentation die liberale rechtsstaatliche Ordnung stützt und sie nicht schwächt.“ Soweit das Impulspapier.

Die Demokratie ist mehr als eine Regierungsform: Sie beschreibt, wie Bürgerinnen und Bürger ihre eigenen Interessen und Freiheiten mit den Vorstellungen anderer in einen für alle förderlichen Ausgleich bringen können. Deshalb ist eine Demokratie nur stabil, wenn sie eingebettet ist in eine politische Kultur, in der die Bürgerinnen und Bürger sich gegenseitig als Freie und Gleiche anerkennen und achten. Das Grundgesetz nimmt diese Überzeugung auf, indem es die Achtung der Menschenwürde an den Beginn der Verfassung setzt und damit zum Auftrag und Maßstab des staatlichen Handelns macht (Art. 1 Abs. 1 GG). Eine solche politische Kultur ist nicht selbstverständlich gegeben, sie muss immer wieder neu errungen und verteidigt werden. Die EKD resümiert: „In diesem Auftrag erkennen Christinnen und Christen ihre eigene, im befreienden Evangelium von Jesus Christus verankerte Berufung wieder.“

Amen

Lied 625

Mitteilungen:

Geburtstage

Gebet:

Christus, wir danken für das Angebot,

mit dir deinen Weg zu gehen.

Schenke uns Kraft und Ausdauer für ein mutiges Leben,

das deinen Spuren nachgeht.

Ermutige uns, wenn wir den Weg nach unten scheuen

und den leidvollen Erfahrungen ausweichen wollen.

Wir brauchen Kraft an jedem Tag.

Wir brauchen festen Grund,

wenn unser Vertrauen missbraucht wird und der Glaube wankt.

Gib uns Gelassenheit, vor dem Unabänderlichen nicht zu fliehen,

sondern es tapfer anzunehmen.

Gib uns Klarheit, das Machbare zu erkennen

und ihm eine menschenfreundliche Gestalt zu geben.

Gib uns Vertrauen,

dann wird jede Lebensstufe, im Glück wie im Leid,

zum fruchtbaren Land,

auf dem Glaube, Liebe und Hoffnung wachsen.

Wir bitten nicht nur für uns.

Wir bitten auch für die Menschen,

die in der Nähe und in der Ferne in Mühen und Sorgen leben,

ungesehen und unbeachtet:

für die Traurigen und Enttäuschten,

für Menschen, die alleinstehen.

Wir bitten für die Opfer von Krieg und Gewalt in aller Welt.

Lass die Politikerinnen und die Machthaber

Wege zum Frieden suchen und finden.

Lass immer mehr Menschen zum Werkzeug deines Friedens werden.

Und was uns noch bewegt, bringen wir vor dich mit den Worten, die Christus uns gelehrt hat:

Vater unser im Himmel,

geheiligt werde dein Name.

Dein Reich komme.

Dein Wille geschehe,

wie im Himmel so auf Erden.

Unser tägliches Brot gib uns heute.

Und vergib uns unsere Schuld,

wie auch wir vergeben unsern Schuldigern.

Und führe uns nicht in Versuchung,

sondern erlöse uns von dem Bösen.

Denn dein ist das Reich und die Kraft

und die Herrlichkeit in Ewigkeit. Amen.

Segen:

Geht in diesen Tag, in diese Woche mit dem Segen unseres Gottes:

Gott, segne uns und behüte uns

Gott schütze unser Leben und bewahre unsere Hoffnung.

Gott, lass dein Angesicht leuchten über uns,

dass wir leuchten für andere.

Gott, erhebe dein Angesicht auf uns und halte uns fest

im Glauben, dass das Leben stärker ist als der Tod. Amen.

Lied: EG 425, 1-3 Gib uns Frieden