Für den Theologen und Krimiexperten Lutz Lemhöfer, Frankfurt, stehen die ersten Krimis der Weltliteratur in der Bibel. Kain und Abel etwa, wobei hier der Täter nicht gefasst wird.
Der Täter kommt davon. Oder der Bericht von Daniel, der aufgrund einer Intrige in die Löwengrube geworfen wurde. Die Themen seien damals wie heute auch in den Krimis, Leben und Tod, Recht und Unrecht. Hinzu kommen Ermittler, die in einem spezifischen religiösen Milieu angesiedelt sind. Der Klassiker Father Brown als christlicher Geistlicher. Aber auch jüdische Geistliche klären Mordfälle auf. Und immer wird das jeweilige religiöse Milieu genau beschrieben. Auch sektenhaftes Verhalten wird nachvollziehbar, etwa bei Mankell. Den christlichen Fundamentalismus beschreibt Patricia Highsmith präzise. Über Religion kann man also bei der Krimilektüre Vieles erfahren, so das Fazit Lemhöfers. Der Experte selbst hat sich für seinen Urlaub mit „Das Gotteshaus“ einen speziellen Krimi eingepackt.
Die Liste der im Podcast erwähnten Krimis:
Gilbert K Chesterton, Die besten Pater-Brown-Geschichten, Reclam Taschenbuch Harry Kemelmann, Am Freitag schlief der Rabbi lang (Der erste Band der Reihe, alle rororo) Michel Bergmann, Der Rabbi und der Kommissar, Heyne Henning Mankell, Vor dem Frost, dtv Arsa Larsoon, Sonnensturm, btb Patricia Highsmith, Leute, die an die Tür klopfen, Diogenes C.J.Tudor, Das Gotteshaus, Goldmann
Woran kann man eine Religion von einer Sekte unterscheiden? Ganz einfach: Religionen können über sich selbst lachen. Humor ist auch eine Form von Selbstkritik. Wer über sich selbst Witze macht, gesteht sich ein, Schwächen zu haben. Genau das tun Sekten nicht, und deshalb kennen sie auch keinen Spaß.
Humor und Selbstkritik kommen bei Sekten nicht vor. Das hat der Theologe Lutz Lemhöfer beobachtet, der lange Zeit Weltanschauungsbeauftragter der katholischen Kirche im Bistum Limburg war. Gestern Abend sprach er bei der Mitgliederversammlung der Sekteninformations- und Selbsthilfe-Organisation Hessen (SINUS) in Frankfurt über Humor und Religion.
Lutz Lemhöfer war früher Weltanschauungsbeauftragter der katholischen Kirche. Gestern Abend sprach er in Frankfurt über Humor und Religion. Foto: Kurt-Helmuth Eimuth
„Sektenhafter Glaube lässt das Menschlich-Allzumenschliche nicht zu oder verleugnet es“, sagte Lemhöfer. Doch genau darum geht es bei Witzen, bei einem humorvollen Blick auf die Welt. Wer sich selbst und den eigenen Glauben für so unfehlbar hält, dass man darüber keine Witze machen darf, setzt sich letztlich selbst an die Stelle Gottes.
Demgegenüber spiele in der christlich-jüdischen Tradition der Spott und die humorvolle Selbstbetrachtung eine wichtige Rolle. Gelacht werde aber, anders als etwa bei vielen Atheisten, nicht über den Glauben als solchen, sondern über einen „allzu naiven Glauben“. Man traue sich, nüchtern auf die Realität zu schauen, anstatt vor ergriffener Gläubigkeit das Hingucken zu vergessen. So ähnlich wie das Kind in Hans Christian Andersens Märchen von des Kaisers neuen Kleidern: Nur wer unbefangen hinschaut, kann sehen, dass der Kaiser ja gar nichts anhat.
Der Witz sei in der christlich-jüdischen Tradition ein Mittel der Religionskritik von innen. Oft richte er sich auch gegen überzogene Vorstellungen beim religiösen Amt, das eben immer auch bloß von Menschen ausgeübt wird. Ein schönes Beispiel dafür ist der Witz von Fritzchen, das fragt, ob Priester denn auch auf Klo müssen. Fritzchens Schwester findet eine Lösung für Dilemma, indem sie antwortet: „Ja, schon – aber nicht so oft“.
„Eintracht Frankfurt ist Religion“ – das ist keine Aussage einer soziologischen Studie, sondern der Text eines Aufnähers für Fans. Die Verehrung von Fußballclubs trägt nicht zu übersehende religiöse Züge, meint der Weltanschauungsexperte Lutz Lemhöfer.
Der Weltanschauungsexperte und bekennende Fußballfan Lutz Lemhöfer verglich die Art der Verehrung des Spiels und der Spieler mit religiösen Riten. Foto: Anne-Elisabeth Eimuth
Vor den Mitgliedern von Sinus, der Sekteninformation und Selbsthilfe Hessen gestern in Frankfurt, führte Lemhöfer weitere Beispiele an. So wird die Vereinshymne von Borussia Dortmund auf die Melodie des alten Spirituals „Amazing Grace“ gesungen und beerbt auch inhaltlich das Genre des religiösen Hymnus mit dem Text: „Leuchte auf, mein Stern Borussia! Leuchte auf, zeig mir den Weg! Ganz egal, wohin er uns auch führt, ich will immer bei dir sein.“
Wenn der Fußballfan Glück hat, ergattert er eine Reliquie, etwa eines der in triumphaler Geste in die Zuschauermenge geworfenen Spielertrikots. „Die Fanshops, in denen man die entsprechenden Devotionalien käuflich erwerben kann, etwa Schals, Mützen und Trikots mit Spielernamen, tragen wesentlich zur Finanzierung des Sportbetriebs bei und dürften den vergleichbaren Umsatz an katholischen Wallfahrtsorten mittlerweile übertreffen, so die Einschätzung des Theologen.
Wortspiele wie das „Schalke unser“ mit der Textzeile „Dein ist der Sieg und die Macht und die Meisterschaft in Ewigkeit“ oder die Zehn Gebote des Kölner Fanclubs „Tora et labora“ mit dem Gebot „Du sollst nicht begehren Deines Nächsten Spieler, Stadion, Trainer“ würden heutzutage kaum noch als blasphemisch wahrgenommen, sondern sie seien Teil der lustvoll spielerischen Inszenierung einer Pop-Religion.
Vor sechzig Jahren, zur Zeit des „Wunders von Bern“, war das noch anders. „Die fröhliche Schamlosigkeit, mit der die heutige Popkultur die religiös-symbolische Asservatenkammer plündert, war damals noch in weiter Ferne“, so Lemhöfer. Zum Beispiel kritisierten die Kirchen die als blasphemisch empfundene Ernennung des Torwarts Toni Turek zum „Fußballgott“. Auch Bundespräsident Heuss bezog bei der Verleihung des Silbernen Lorbeerblatts an die Spieler auf dies religiöse Überhöhung und sagte: „Ich glaube, er ist ein guter, zuverlässiger Torwart und soll das auch bleiben.“
„Die öffentliche Biederkeit der Fünfziger Jahre ließ das Zelebrieren einer Popreligion noch nicht zu“, glaubt Lemhöfer. Erst seit der Fußball immer markanter zum Teil einer Unterhaltungsindustrie mit explodierenden Umsätzen und Spielergehältern geworden sei, nehme er bruchlos an der „Theatralisierung des Alltags“ teil. Wie beim Konsum generell gehe es auch hier nicht mehr um den Gebrauchswert, sondern um den Inszenierungswert. Gefragt seien Themenwelten, Lebensstile, Weltbilder, die kultisch inszeniert werden müssten.
Für Lemhöfer besteht kein Zweifel, dass sich gerade Fußball gut für diese Art der Inszenierung eignet. Er erinnerte an die nahezu liturgischen Rituale beim Einlaufen, dem Introitus, der Mannschaften, bei dem das eigene Team in elffachem Responsorium begrüßt werde. Der Vorbeter sage: „Mit der Nummer eins unser Kevin“. Die Gemeinde antworte: „Trapp!“
Doch so neu sei die „Heimholung des Sports in die Nähe des Sakralen“ dann auch wieder nicht. Schon in der Antike standen Tempel und Stadion dicht beieinander, „wobei die Statuen der Sieger bald größer wurden als die der Götter.“
Während draußen auf dem Römerberg Tausende die deutschen Fußballweltmeisterinnen feierten, fand doch annähernd eine halbe Hundertschaft den Weg in die Evangelische Stadtakademie „Römer 9“, um über so etwas Sperriges wie „Verschwörungstheorien“ zu diskutieren.
Lutz Lemhöfer, Weltanschauungsbeauftragter des Katholischen Bistums Limburg, definierte Verschwörungstheorien „als Denkmuster, deren Anhänger davon ausgehen, dass alles, was geschieht, von Verschwörern angezettelt und durchgeführt wird.“ Verschwörungstheorien reduzierten die Komplexität von Wirklichkeit und schafften eine einfache Struktur im Kopf. „Da man den Feind kennt, kann und muss man ihn bekämpfen“, führte Lemhöfer aus. Diesen Mechanismus verglich er mit dem klassischen Exorzismus. „Ein unerklärliches, zugleich Angst erzeugendes Verhalten eines Menschen wird als ‚Besessenheit’ gedeutet.“ Der Exorzist hat die Aufgabe, die Dämonen zu benennen. „Erst der mit Namen ansprechbare Dämon konnte erfolgreich ausgetrieben werden.“
Die Tageszeitung „taz“ hat eine Hitliste der besten Veschwörungstheorien zusammengestellt. Ganz oben auf der Liste steht die Überzeugung, dass die NASA die Mondlandung nur vorgetäuscht habe. Rang zwei belegt die Überzeugung, dass die Krankheit Aids
in Laboren der CIA entwickelt wurde, um in den USA ethnische Gruppen wie Afroamerikaner oder Minderheiten wie Homosexuelle auszurotten. Auf Rang drei steht schließlich die Überzeugung, dass eine geheime jüdische Organisation die Weltherrschaft anstrebt und deshalb allerlei Entscheidungen in der Weltpolitik manipuliert.
Solche Denkmuster seien nicht einfach spinnert, sondern überaus gefährlich, betonte Lemhöfer: „Die Anhänger solcher Theorien können eine Pogromstimmung erzeugen, die für andere lebensgefährlich wird.“ Um die Denkmuster von Verschwörungstheorien zu bekämpfen, setzte Peter Scherle vom Theologischen Seminar Herborn auf Bildung. Und Roberto Fabian von der Jüdischen Volkshochschule beklagte, dass „der Geist der Aufklärung verloren gegangen ist“. Um nicht in solche Muster zu verfallen, wünschte sich Naime Cakir, die Frauenbeauftragte der Islamischen Religionsgemeinschaft Hessen, eine größere Differenzierung in der Auseinandersetzung mit dem Islam.
Offen blieb an diesem Abend, ob nicht die Frauen nur deshalb Fußballweltmeisterinnen geworden sind, damit verhindert werden konnte, dass das Denkmuster der Verschwörungstheorie entlarvt würde. Denn wie sonst könnte der unterschiedliche Zuspruch dieser beiden Veranstaltungen erklärt werden?