Tag Archiv für Sprache

Die verlorene Ehre der Katharina Blum: Gewalt beginnt mit der Sprache

Aus Anlass des 50. Jahrestags von Heinrich Bölls Erzählung und Film Die verlorene Ehre der Katharina Blum – erschienen mitten in der Hochzeit des RAF-Terrorismus 1975 – erörtert Maria Birger von der Heinrich-Böll-Stiftung im Podcast Conny&Kurt die Aktualität des Werkes. Die Sprachwissenschaftlerin unterstreicht die bedenkliche Aktualität dieses Schlüsselwerks zur Kritik des Boulevardjournalismus. Das Werk schildert, wie Katharina Blum, eine „sehr brave“ und „angepasste“ junge Frau, innerhalb weniger Karnevalstage zur Mörderin wird, nicht zuletzt durch die Kampagnen der Presse.

Bölls tiefe Auseinandersetzung war durch seine persönlichen Erfahrungen motiviert: Er und seine Familie waren in den 70er Jahren massiver Diffamierung ausgesetzt und mussten fünf unbegründete Hausdurchsuchungen erleben, wobei die Springerpresse ihn als „Sympathisanten“ von Terroristen kriminalisierte. Bölls zentrale These, die er zeitlebens vertrat, bleibt unerschütterlich: „Gewalt beginnt mit der Sprache“.

Diese sprachliche und „strukturelle Gewalt“ manifestierte sich in den 1970er Jahren in übergriffigen Verhören und der sensationslüsternen Berichterstattung, wobei Böll stets darauf beharrte, dass das Grundgesetz für alle gelte. Er betonte, dass die Pressefreiheit ihre Grenzen explizit im „Recht der persönlichen Ehre“ (Art. 5 GG) finde.

Experten sehen heute eine Übertragung dieser Mechanismen in die digitale Ära: Durch die sozialen Medien „könnte heute jeder Katharina Blum sein“, so Birger, da die ungefilterte Verbreitung von Inhalten und Desinformation Diffamierungskampagnen beschleunigt, wie sie etwa beim Bashing gegen die Grünen oder in der Rhetorik der AfD sichtbar werden. Diese Entwicklung führt zu einem „Tsunami“ sprachlicher Gewalt, dem die Gerichtsbarkeit zeitlich kaum gewachsen ist. Bölls Plädoyer für Gewaltfreiheit und seine Forderung nach dem Schutz der Persönlichkeit bleiben somit zentrale demokratische Prüfsteine

Zur Person: Maria Birger geboren 1983 in Moskau, ist Tochter des Künstlers und Dissidenten Boris Birger. Sie studierte zunächst bei ihm zehn Jahre Kunst und Kunstgeschichte und nach dem Abitur Geschichte und Russische Literatur in Köln. Sie promoviert an der Humboldt-Universität Berlin zu den deutsch-sowjetischen Beziehungen im Kalten Krieg mit den Schwerpunkten Dissidenz in der Sowjetunion und politische Kultur in der Bundesrepublik. Sie arbeitet als Referentin Leben und Werk Heinrich Böll in der Heinrich-Böll-Stiftung e. V. und ist im Beirat des Lew Kopelew Forums e. V. (Köln) sowie im Vorstand der Marion Dönhoff-Stiftung (Hamburg) tätig.

Es ist unerträglich – Zur Situation der Ukrainer:innen in Deutschland

„Ich bewundere viele Frauen“ sagt Tanja Sacher über geflüchtete Urkrainerinnen „und frage mich gleichzeitig, woher nehmen sie die Kraft. Und dann plötzlich kommen die Tränen. Eigentlich ist es unerträglich aber es gibt keine Ende.“ So schildert die Pfarrerin die Situation der hier lebenden Ukrainer:innen. Tanja Sacher hat einen Spezialauftrag der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau zur Betreuung dieser Geflüchteten. Sie selbst spricht russisch. Die Geflüchteten seien dauerhaft mit ihren Angehörigen verbunden. Das mache es schwer hier anzukommen, da man sich um die Menschen in der Heimat Sorge. Eine solche Situation zermürbe. Schlaflosigkeit, Panikattacken und Depression seien häufig die Folge. Sacher wünscht sich die Möglichkeit einer schnelleren Integration in den Arbeitsmarkt. Dazu sei es notwendig Sprache nicht nur im Unterricht zu erlernen, sondern sie auch im Arbeitsprozess anzuwenden.

Zur Person:
Tanja Sacher kam mit neun Jahren aus Russland nach Deutschland. Aufgewachsen ist sie im Badischen. Nach mehreren Stationen als Gemeindepfarrerin unter anderem in Oberursel und in Steinbach arbeitet sie seit 2021 im Kirchlichen Flüchtlingsdienst am Frankfurter Flughafen. Seit September 2023 ist sie zudem Seelsorgerin für Menschen aus der Ukraine.

Reformation feiert man an Halloween

Der 31. Oktober ist in vielen Bundesländern Feiertag. Nein nicht wegen Halloween sondern es wird das Reformationsfest begangen. Luthers Thesenanschlag zu Wittenberg ist vor lauter Kürbissen, Gruselmasken und Skeletten kaum noch wahrnehmbar.

Für Conny & Kurt ist das auch in Ordnung. Ihr Gesprächspartner, Pfarrer Bernd Tiggemann von der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) empfiehlt den Kindern, „das zu tun, wozu sie Bock haben, aber niemanden Schaden zuzufügen“. Da sei ein Fest über uns geschwappt mit attraktiven Inhalten. Da habe es das Reformationsfest schwer. Beide Feste sind erklärungsbedürftig, wenn man sie verstehen will.

„Du bist ein geliebtes Kind Gottes. Du musst dafür nichts leisten. Du kannst so ein wie du bist. Das ist eine Megabotschaft“, meint der Leiter der Kommunikationsabteilung der EKD. Man müsse nur die Sprache der Menschen sprechen und die Bilder von heute verwenden. Übrigens die Anregung, Reformation in der Sendung mit der Maus zu erklären, hatte der WDR längst umgesetzt.

https://www.wdrmaus.de/filme/sachgeschichten/martin_luther.php5

Hintergrund:

Die Wurzeln von Halloween gehen auf die Kelten zurück. In dieser Nacht soll das Leben (der Sommer) die Herrschaft für ein halbes Jahr an den Tod (den Winter) abgeben. Man glaubte, dass die Toten sich für ein halbes Jahr lang den Körper eines Lebenden suchen. In jener Nacht soll, so die Vorstellung, die Trennwand der Welt der Toten und der Lebenden besonders dünn sein, weshalb man mit den Toten in Kontakt kommen könne. Im Jahre 837 verfügte Papst Gregor IV, dass an diesem Tag Christen ihre Toten ehren sollten und setzte Allerheiligen auf den 1. November und am darauffolgenden Tag Allerseelen fest. Das Christentum hatte wieder einmal seine große Integrationskraft bewiesen. Die Iren brachten den keltischen Brauch mit nach Amerika und nun kehrt er wieder zurück auf den alten Kontinent.