Tag Archiv für Angermann

„Es braucht viele Sprachrohre, damit pflegende Angehörige Unterstützung bekommen“

Hessenschau-Moderatorin Constanze Angermann fordert mehr Unterstützung für pflegende Angehörige. |Foto: hr
Frau Angermann, was macht man als Pflegebotschafterin der Diakonie? Erst mal redet man über Pflege und bringt damit das Thema, das sich zu einem ganz großen Teil hinter verschlossenen Türen abspielt, in die Öffentlichkeit. Der überwiegende Teil der Pflegebedürftigen wird zuhause von Angehörigen, von Frauen und Töchtern gepflegt. Die leisten Unglaubliches und sind oft allein mit dieser schwierigen Arbeit. Sie haben gar nicht die Zeit, jedem noch zu erzählen, was sie da leisten. Da ich mich aber mit pflegenden Angehörigen unterhalte und sie mir sagen, was sie brauchen, bin ich gerne ihr Sprachrohr. Es braucht allerdings viele Sprachrohre, damit erkannt wird, was die Pflegenden an Unterstützung brauchen. Und damit ihnen ihre Arbeit nicht noch durch Bürokratie schwerer gemacht wird. Wie kamen Sie zu dieser Aufgabe? Ich kümmere mich selbst um eine alte Frau und Freundin, die noch vieles selbst kann, aber das ändert sich ständig. Und so wachse ich gerade in eine Pflege hinein. Ich habe großen Respekt davor und werde mir so viel Hilfe wie möglich holen, einfach, damit man auch mit der Situation nicht allein ist. Dann hat die Diakonie vor einiger Zeit starke Frauen in der Pflege vorgestellt – dafür war es höchste Zeit. Denn in der Pflege wird Zukunftsweisendes geleistet. Was davon hat Modellcharakter? Das wird für uns alle immer wichtiger. Denn wir haben immer mehr zu Pflegende, aber immer weniger, die pflegen. Wie also machen wir das, wie organisieren wir das? Was sollte Ihrer Meinung nach zur Verbesserung der Pflege getan werden? Erst mal müssen wir anerkennen, was die pflegenden Angehörigen machen. Die machen das in der Regel nämlich gut und können die Signale des zu Pflegenden hören und einordnen. Sie haben einen für beide Seiten passenden Modus gefunden. Also: die sollte man unterstützen und nicht noch gängeln. Man soll ihnen Hilfe anbieten, die sie auch annehmen können. Was hat denn ein Mann vom Urlaubsangebot seiner Krankenkasse, wenn er in der Zeit keine Unterbringung für seine zu pflegende Frau hat? Es wäre sicher gut, die Maßnahmen in der Pflege zu bündeln, einen Ansprechpartner zu haben und nicht noch durch bürokratischen Wust, durch den sich der Pflegende erst mal kämpfen muss, die Situation weiter zu verschärfen. Außerdem muss die Pflege möglich gemacht werden, durch mehr Personal oder durch eine Arbeitswelt, die sich darauf einstellt, dass Angehörige gepflegt werden müssen. Welche Rolle kann die Diakonie dabei einnehmen? Es sind zu wenige Menschen auf dem Markt der Pflege, wir brauchen mehr Pflegekräfte. Von daher bin ich um jeden froh, der sich praktisch und organisatorisch damit befasst. Aber die vielen Anbieter müssen natürlich auch einem gewissen Standard genügen, und diese Qualität muss kontrolliert werden. Die Diakonie hat viele Einrichtungen und dadurch ein aussagekräftiges Bild der Pflege vor Augen. Sie weiß, was es außerdem noch braucht und kann das in die Politik bringen. Das halte ich bei den großen profilierten Einrichtungen in der Pflege für extrem wichtig. Welche persönliche Beziehung haben Sie zu Kirche und Diakonie? Ich habe eine ur-evangelische Sozialisation, ich bin gewissermaßen neben meinem Vater auf der Orgelbank der evangelischen Kirche in Götzenhain groß geworden. Also ich bin evangelisch durch Musik, wenn Sie so wollen. Und die Diakonie ist mir durch die Pflege zugewachsen. Dieses Thema liegt mir einfach am Herzen, wir können uns da nicht wegducken. Das kommt auf jeden von uns zu und wir müssen uns darum kümmern. Das Schöne ist: Man hat damit auch eine Aufgabe, die sinnvoll ist. Das macht zufrieden, wenn es gut läuft. Das ist noch ein Stück Leben, das man mit dem oder der zu Pflegenden teilen kann. Wir müssen nur dran arbeiten, dass wir dafür noch bessere Rahmenbedingungen haben. Das Gespräch führte Kurt-Helmuth Eimuth

Pflegekrise: Das eine Patentrezept zu ihrer Lösung gibt es nicht

von Kurt-Helmuth Eimuth 16. April 2019

„Von einer Gesellschaft in Sorge zu einer sorgenden Gemeinschaft“ war der Titel eines Studientags zum Thema Pflege in der Evangelischen Akademie Frankfurt. Dabei wollte man vor allem Perspektiven für die Pflege aufzeigen, sagte Martin Niederauer von der Diakonie Hessen. Der derzeitige Diskurs, der sich vor allem auf Personal und Geld konzentriere, zeige die qualitativen und ethischen Folgen der Krise in der Pflege auf.

Die stellvertretende Kirchenpräsidentin Ulrike Scherf (links) beim "Pflegetag" in der Evangelischen Akademie neben der Fernsehjournalistin Constanze Angermann, die die Diakonie als Pflegebotschafterin unterstützt. | Foto: Kurt-Helmuth Eimuth
Die stellvertretende Kirchenpräsidentin Ulrike Scherf (links) beim „Pflegetag“ in der Evangelischen Akademie neben der Fernsehjournalistin Constanze Angermann, die die Diakonie als Pflegebotschafterin unterstützt. | Foto: Kurt-Helmuth Eimuth

„Von einer Gesellschaft in Sorge zu einer sorgenden Gemeinschaft“ war der Titel eines Studientags zum Thema Pflege in der Evangelischen Akademie Frankfurt. Dabei wollte man vor allem Perspektiven für die Pflege aufzeigen, sagte Martin Niederauer von der Diakonie Hessen. Der derzeitige Diskurs, der sich vor allem auf Personal und Geld konzentriere, zeige die qualitativen und ethischen Folgen der Krise in der Pflege auf.

Gudrun Born pflegte ihren Mann 17 Jahre lang. „Die Situation ist plötzlich da, man übernimmt die Pflege ohne zu wissen, was auf einen zukommt.“ Pflegende Angehörige hätten keine Zeit zur Trauer, denn sie müssen funktionieren und der Erkrankte soll ja schließlich ermuntert werden. „Sie dürfen als Angehöriger nicht weinen“, berichtet Born. Die Pflegenden würden „gnadenlos ausgenutzt“.

Die stellvertretende Kirchenpräsidentin der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau Ulrike Scherf betonte, dass die Gewinnung von Fachkräften das Problem nicht lösen würde. Die Sorge-Arbeit hätte eine eher geringe Anerkennung. Doch leisteten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auch in Kirche und Diakonie sowie pflegende Angehörige hier Großartiges. Scherf plädierte für eine Ethik der Achtsamkeit. Dabei gelte es auch achtsam gegenüber sich selbst zu sein. Das biblische Gebot der Nächstenliebe beinhalte auch diese beiden Aspekte: achtsam gegenüber dem Nächsten und gegenüber sich selbst.

Doch um Perspektiven entwickeln zu können, muss es eine Bestandsaufnahme geben. Für Jens-Peter Kruse, Vorsitzender der Evangelischen Arbeitsgemeinschaft für Altenarbeit in der Evangelischen Kirche Deutschlands, steht fest: „Ein Weiter-So wird nicht möglich sein.“ In Zukunft werde jeder und jede vom Thema Pflege berührt werden, denn es wachse nicht nur der Anteil der Pflegebedürftigen aufgrund der demographischen Entwicklung. Gleichzeitig steige die Zahl der Berufstätigen. 76 Prozent würden in der Familie versorgt, davon fünfzig Prozent ohne professionelle Unterstützung durch einen Pflegedienst. „Damit ist die Familie der größte Pflegedienst in Deutschland“, so die Soziologin Tine Haubner von der Universität Jena.

Kruse plädierte für eine Stärkung lokaler Strukturen und nachbarschaftlichen Engagements, weil einheitliche, zentrale Lösungen den jeweiligen Verhältnissen vor Ort nicht gerecht würden. „Soziale Netzwerke in den Kommunen sind gefragt.“ Diese Hilfesysteme müssten gut auf einander abgestimmt sein. „Wir brauchen einen Wohlfahrtsmix“, forderte Kruse. Allerdings sah auch Kruse, dass weder Staat noch Politik Mitmenschlichkeit verordnen können. Der Staat lebe von der moralischen Instanz der Zivilgesellschaft.

Die Entwicklung der Pflege seit Einführung der Pflegeversicherung 1995 beleuchtete Tine Haubner wesentlich kritischer. Schon in ihrer Konzeption reflektiere sie auf den Beitrag pflegender Angehöriger, hier vor allem der Partner und Töchter. Solche familienbasierte Systeme müssten als rückständig bezeichnet werden. Sie basierten auf einer prekär bezahlten Sorge-Arbeit, so die Soziologin.

Die Situation der pflegenden Angehörigen ist gekennzeichnet von Überlastung und gleichzeitig finanziellen Einbußen. Jede zweite Pflegeperson ist zwischen 40 und 64 Jahren und 68 Prozent versuchen Beruf und Pflege zu vereinbaren. Die Mehrheit ist bis zu 40 Stunden in der Woche in die Pflege eingebunden. Die durchschnittliche Pflegedauer beträgt zwischen fünf und acht Jahren. Die Folge sind oftmals Depression, Beziehungsprobleme aber auch körperliche Auswirkungen wie Bluthochdruck oder die Schwächung des Immunsystems sind nachgewiesen.

Ein Patentrezept aus der Pflegekrise wurde auch bei diesem Studientag nicht gefunden. Es zeichnete sich nur klar ab, so Stefan Heuser in seinem Tagungsresümee, dass „Nachbarschaft keine Alternative zur professionellen Hilfe ist.“ Sie ist allenfalls eine Ergänzung. Angehörige plädierten vor allem für eine Vereinfachung der Bürokratie und der Zuständigkeiten. Durch größere Transparenz der Förderungen könnten auch mehr Menschen diese in Anspruch nehmen. Aber das kostet Geld.