Tag Archiv für Zukunft

Das Problemdreieck: EU, Preisdiktat und steigende Bodenpreise

Landwirtschaft und Politik stecken gemeinsam im Dreieck zwischen EU-Vorschriften, dem Preisdiktat der Lebensmitteldiscounter und den steigenden Bodenpreisen fest. Hinzu kommt der Konkurrenzdruck des Weltmarktes. Eine Patentantwort fanden Conny&Kurt in ihrem Podcast im Gespräch mit Rotraud Weber, Geschäftsführerin der Landjugend des Winzer-und Bauernverbands Rheinland-Nassau, auch nicht. Aber es wurden doch die Zwänge unter denen eine Lösung gefunden werden muss deutlich. Vielleicht ist die gegenseitige Anerkennung der Rahmenbedingungen ein Ansatz, um Lösungswege zu finden. Deutlich wurde im Gespräch aus, dass die Bauern sich gegen eine Vereinnahmung durch demokratiefeindliche Strömungen distanziert haben.

Noch eine Dauerkrise: Kirchenbänke blieben leer

Die Weihnachtsmärkte boomten. Endlich wieder weihnachtliche Normalität. Doch die Kirchen waren die Spielverderber, auch wenn es eigentlich Putin war. Energie sollte eingespart werden, drum wurden die Heizungen, sei es auch Heilig Abend, gedrosselt oder ganz abgestellt. Im Podcast Conny&Kurt hatte Pfarrer Wolfgang Weinrich dieses ungastliche Momentum kritisiert. Das sei Populismus sagten Vertreterinnen der evangelischen Stadtsynode, denn man könne entweder die Kindergärten und Gemeindehäuser oder die Kirchen heizen. Für beides reiche das Geld nicht. Selbstkritisch gab sich hingegen der katholische Stadtdekan Johannes zu Eltz über diese „ökumenisch-ökologisch-solidarisch-finanziell begründete Kälte-Aktion“. Der „Kollateralschaden“ sei ziemlich hoch gewesen. Man konnte es an den leer gebliebenen Kirchenbänken in den Weihnachtsgottesdiensten sehen. Wie steht es um die beiden großen Kirchen, deren Mitgliederzahl in Deutschland im letzten Jahr erstmals unter 50 Prozent fiel. Wie kann es weitergehen mit einer Kirche in der Minderheit? Conny&Kurt fordern Innovation.

Energiewende und Klimanotstand: Grünes Schrumpfen als politisches Ziel

Politik & Welt

von Kurt-Helmuth Eimuth

25. Oktober 2022

Zwei aktuelle Bücher beschäftigen sich mit der Frage, wie der Wandel zu einer ökologisch nachhaltigen Wirtschaft funktionieren kann. Und sind sich einig in dem Fazit: Ohne Schrumpfen wird es nicht gehen.

Ulrike Herrmann: Das Ende des Kapitalismus, Kiepenheuer und Witsch, 341 Seiten, 24 Euro. Achim Wambach: Klima muss sich lohnen, Herder, 16 Euro.
Ulrike Herrmann: Das Ende des Kapitalismus, Kiepenheuer und Witsch, 341 Seiten, 24 Euro. Achim Wambach: Klima muss sich lohnen, Herder, 16 Euro.

Angesichts eines im Nachkriegsdeutschland noch nie da gewesenen Wohlstandsverlustes und einer allseits augenfälligen Klimakrise, die längst auch hierzulande durch Trockenheit, Hitze und Starkregen als Bedrohung erlebt wird, stellt sich die Frage: Wie geht es weiter? Das Zukunftsversprechen der Nachkriegsgeneration „Unsere Kinder sollen es besser haben“ ist für die Generationen, die nach 1980 geboren wurde, nicht mehr einlösbar.

Derzeit ist die Rede von Transformation zu einer nachhaltigen Wirtschaft. E-Autos ersetzen die Diesel und die Gasheizung wird durch Wärmepumpen ersetzt. Und wenn das Geld nicht reicht, gibt es einen Wumms oder auch einen Doppelwumms. In dieser Situation hat die TAZ-Journalistin Ulrike Herrmann ein viel beachtetes Buch vorgelegt.

Es hilft nur Schrumpfen, schreibt sie in ihrem aktuellen Buch „Das Ende des Kapitalismus“. Dabei sieht sich Herrmann gar nicht per se als Kapitalismus-Gegnerin, schließlich habe kein anderes Wirtschaftssystem eine solche Dynamik entfaltet. Aber die Antriebsfeder des Kapitalismus ist das Wachstum. „Ohne ständige Expansion bricht der Kapitalismus zusammen. In einer endlichen Welt kann man aber nicht unendlich wachsen.“ Herrmann rechnet vor, dass schon heute der ökologische Fußabdruck in Deutschland drei Mal so groß sei, wie es für unser Ökosystem verträglich wäre, in den USA fünf Mal, in Katar 18 mal so groß.

Solche Energieverbräuche könnten auf ökologisch nachhaltige Weise nicht hergestellt werden, schreibt Herrmann. Grünes Wachstum, der Traum aller bürgerlichen Parteien, sei nicht erwirtschaftbar. „Diese Aussage mag zunächst überraschen, schließlich schickt die Sonne 5.000-mal mehr Energie zur Erde, als die acht Milliarden Menschen benötigen würden, wenn sie alle den Lebensstandard der Europäer genießen könnten. […] Solarpaneele und Windräder liefern jedoch nur Strom, wenn die Sonne scheint und der Wind weht. Um für Flauten und Dunkelheit vorzusorgen, muss Energie gespeichert werden – und dieser Zwischenschritt ist so aufwendig, dass Ökostrom knapp bleiben wird.“

In der Folge wird es laut Herrmann kein Wachstum geben. Im Gegenteil. Auch das E-Auto sei ein Irrweg. In der Zukunft müssten wir mit weniger Autos, weniger, sogar besser keinen Flügen, und weniger Quadratmetern Wohnfläche pro Person auskommen: Grünes Schrumpfen statt grünes Wachstum.

Als Referenz nennt Herrmann das Jahr 1978. Auf dieses Niveau müsse die Wirtschaftsleistung sinken, um zukunftsfähig zu sein. Es war ein Jahr, in dem die Menschen durchaus gut gelebt haben: „Seit 1978 hat sich die reale Wirtschaftsleistung in der Bundesrepublik verdoppelt, aber die Zufriedenheit ist seither nicht gestiegen. Auch früher lebte es sich gut.“

Klimaneutrales Leben könne eine hohe Qualität haben. Herrmann träumt von einer Welt, „die schöner, leiser, grüner, gesünder, stressfreier, nachhaltiger und gerechter sein wird“. Und fast theologisch fügt sie hinzu: „Der Sinn des Lebens ist nicht, ständig mehr zu konsumieren.“ Schließlich würden sich viele Deutsche von ihren Besitztümern so erdrückt fühlen, dass die Branche der Ratgeber etwa mit dem Dauerbrenner „Simplify your life“ boomt. Herrmann entwirft keine Vision von einem „grünen Bullerbü“. Technische Entwicklung soll es weiter geben. Die entscheidende Frage sei nur: Wie schaffen wir die Transformation?

Für Frankfurt, führte Ulrike Herrmann kürzlich im Haus am Dom aus, sei dies vor allem am Flughafen und in der Finanzbranche zu spüren. Denn die Folge eines solchen wirtschaftlichen Schrumpfungsprozesses sei der Verlust an Arbeitsplätzen. Arbeit beispielsweise in der ökologischen Landwirtschaft oder zum Aufforsten der Wälder sei genug da, nur eben andere und weitaus schlechter bezahlte.

Als Lösung zieht Herrmann die durch Rationierung gekennzeichnete britische Kriegswirtschaft von 1939 heran. Damals teilte die Regierung den privaten Unternehmen Rohstoffe, Kredite und Arbeitskräfte zu. Die Einwohner:innen bekamen eine feste Menge Lebensmittel, Extras wie Möbel konnten über ein persönliches „Punktebudget“ bezahlt werden. Es war ein gerechtes und darum allseits akzeptiertes System, das die Menschen im Vereinten Königreich so liebten, dass sie es noch bis 1954 beibehielten. „Der Konsum fiel damals um ein Drittel – und zwar in kürzester Zeit. Der deutsche Verbrauch muss ähnlich drastisch sinken, wenn das Klima gerettet werden soll“, ist Herrmann überzeugt.

Man mag an manchen Zahlen Zweifel anmelden, doch dass die Klimakrise ohne Verzicht nicht in Grenzen zu halten sein wird, erscheint mehr als plausibel. Die Frage, wie dieser Wohlstandsverlust politisch zu bewältigen ist, bleibt offen. Doch Ulrike Herrmann sieht durchaus die Gefahren, dass ein solcher Kurs zu größeren Gefahren am rechten Rand führt. Es bleibt zu hoffen, dass endlich ein gesellschaftlicher Diskurs über „die Grenzen des Wachstums“, wie sie der Club of Rome schon 1972 beschrieb, beginnt.

Ganz anders geht der Volkswirtschaftler Achim Wambach an das Thema heran. Sein Credo: Der Weg aus der Klimakrise muss sich lohnen, denn der Gewinn ist die Antriebskraft des Kapitalismus. Dabei will er die Marktkräfte nutzen und entfesseln. Der Weg aus der Klimakrise führt nur über eine Reduktion des CO²-Ausstoßes. Der Hochschullehrer entlarvt die Mär, dass zur Verwirklichung der Klimaziele allein das Verhalten der Verbraucherinnen und Verbraucher verantwortlich sei.

Der sogenannte ökologische Fußabdruck, auf den auch Herrmann Bezug nimmt, wurde ganz bewusst von Seiten der Industrie protegiert, um von der politischen Verantwortung abzulenken. Dabei, so Wambach im Gespräch, benötigen wir eine effiziente Klimapolitik, die den Verbrauch klimaschädlicher Gase so verteuert, dass es eben für die Unternehmen billiger wird, klimaneutral zu produzieren. Dies geschieht über den Emissionshandel, der auch für Kraftstoffe und Wärme eingeführt werden sollte. Nur wird durch diese Verteuerung, die wir gerade aus Gründen des russischen Angriffskrieges erleben, auch ein massiver Wohlstandsverlust herbeigeführt. Auch hier wird es zu einem Schrumpfen kommen.

„Wir müssen viel erwachsener mit Kirchenaustritten umgehen“

Gott & Glauben

von Kurt-Helmuth Eimuth
und Antje Schrupp

24. Oktober 2022

Immer mehr Menschen treten aus den großen christlichen Kirchen aus. Der evangelische Propst für Rhein-Main, Oliver Albrecht, erklärt, warum man diese Entscheidung akzeptieren sollte und wie die Kirche der Zukunft aussehen könnte.

Oliver Albrecht ist Propst für Rhein-Main. |Foto: Rolf Oeser
Oliver Albrecht ist Propst für Rhein-Main. |Foto: Rolf Oeser

Herr Albrecht: Die Kirchenaustrittszahlen in Deutschland sind unvermindert hoch. Welche Herausforderung ist das für die evangelische Kirche?

Albrecht: Erst einmal sollten wir Menschen, die sich für einen Austritt entscheiden, respektieren. Wir als Christ:innen stehen für bestimmte Positionen, aber es ist es doch völlig in Ordnung, wenn jemand sich dagegen entscheidet, weil es ihn nicht anspricht oder er das auch anders sieht. Wir müssen sehr viel erwachsener mit diesen Austritten umgehen.

Muss die Kirche denn nicht etwas gegen den Trend unternehmen?

Es gibt Austritte, die nicht zu verhindern sind. Menschen, die wir in den ersten zwanzig Jahren ihres Lebens nicht erreicht haben, und die dann beim ersten Arbeitsplatz sehen, dass sie Kirchensteuern zahlen müssen, denen kann man es doch nicht verdenken, wenn sie austreten. Das würde ich auch aus einem Verein, bei dem ich irrtümlicherweise noch Mitglied bin. Es gibt viele Austritte, die haben Ursachen, die in diesem Moment nicht mehr zu korrigieren sind.

Viele Menschen treten aber auch aus, weil sie sich über die Kirche ärgern, oder?

Das spielt momentan auf der katholischen Seite eine Rolle, aber bei den Evangelischen gibt es erstaunlich wenige Menschen, die aus einer konkreten Verärgerung austreten, also weil wir in einer bestimmten Situation dies oder das gemacht haben. Ich warne sehr davor, unser Verhalten von potenziellen Austritten abhängig zu machen. Es treten Leute aus, weil wir ein Flüchtlingsschiff ins Mittelmeer schicken, und es treten welche aus, weil wir nicht zehn solcher Schiffe schicken. Wir müssen das tun, was wir aus unserer Überzeugung und aus unserem Glauben heraus für richtig halten, und wenn es Leute gibt, die das ablehnen, dann müssen wir damit leben.

Welche christlichen Inhalte, die vielleicht nicht mehrheitsfähig sind, halten Sie für besonders wichtig?

Nach meiner Beobachtung gibt es zwar in ethischen, gesellschaftlichen und politischen Fragen auch immer wieder Menschen, die unsere Position nicht teilen. Doch wirklich gar nicht mehr mehrheitsfähig sind wir, wenn wir eine Ebene tiefer gehen und nach den Glaubensdingen fragen, die unseren Entscheidungen oft zu Grunde liegen.

Welche zum Beispiel?

Christ:innen gehen davon aus, dass es Dinge gibt, die nicht machbar sind, dass es nicht immer die „intelligenten Lösungen“ sind, die weiterbringen, sondern dass zu einem gelingenden Leben auf dieser Welt auch Verzicht und Vergebung, Widerstand und Ergebung gehören.

Kann die Kirche von denen, die sich abwenden, etwas lernen?

Ich lerne von jedem etwas Neues. Natürlich oft, was wir besser machen können. Aber lieber noch entdecke ich Fremdes in scheinbar Vertrautem neu, staune und erschrecke sogar mit meinen Gesprächspartner:innen. Oft ist es ein heilsames Erschrecken. Im Gespräch mit muslimischen Geschwistern merke ich zum Beispiel oft, was für ein Skandal das tatsächlich ist: Wir glauben einem Gott, der von Menschen ermordet wurde.

Ist der Verzicht darauf, Menschen für ihren Kirchenaustritt zu kritisieren, ein Abschied von dem Bemühen, die ganze Breite der Bevölkerung anzusprechen und in der Kirche zu halten?

Nein, auf keinen Fall. Es geht bei diesem Bemühen um die Menschen ja nicht darum, sie in der Kirche zu halten. Ich möchte sie für Gott und ihre Liebe begeistern. Und genau deswegen, weil es um Liebe geht, findet mein Bemühen seine Grenze, wenn jemand sagt: Ich komme gut ohne Gott und die Kirche klar.

Die Generalsekretärin des Deutschen Evangelischen Kirchentags, Kristin Jahn, hat Kirchenaustritte als „Erlösung“ vom System der Volkskirche bezeichnet und setzt auf eine Minderheiten- und Freiwilligenkirche. Wie sehen Sie das?

„Erlöst“ werden kann ich nur von etwas Schlimmem oder Schrecklichem. Die Volkskirche ist beides nicht. Es kann aber wirklich sein, dass ihre Zeit vorbei ist, das erlebe ich dann auch schon so, wie Kristin Jahn: Wir stehen gerade in einem riesengroßen Transformationsprozess. Dazu habe den Sommer über sehr viele wunderbare Gespräche geführt und neue Erkenntnisse gewonnen.

Welche zum Beispiel?

Ich denke gerade viel über eine „Kirche ohne Geld“ nach und versuche, aus dem Jahr 2060 auf die Zeit heute zu schauen: Wie könnte eine Kirche ohne eigene Gebäude, mit kaum noch hauptamtlichem Personal und so weiter aussehen? Was lernen wir von lebendigen Gemeinden weltweit, die jetzt schon so leben?

Kirche sucht Perspektiven

„Leuchtfeuer“ sollen in die Gesellschaft ausstrahlen

Die evangelische Kirche will ihre Strukturen und Arbeitsfelder besser den heutigen Herausforderungen anpassen. In der Evangelischen Kirche in Deutschland sorgt vor allem der Vorschlag für Aufregung, die Zahl der Landeskirchen zu verringern. Zudem soll stärker exemplarisch gearbeitet werden, was wohl bedeutet, dass das Geld für eine exzellente Arbeit in der Breite nicht mehr reicht. Durch sogenannte „Leuchtfeuer“, also Arbeit, die weit in die Gesellschaft hinein ausstrahlt, will die evangelische Kirche Kontur gewinnen.

Die Evangelische Kirche in Hessen und Nassau hat einen Prozess „Perspektive 2025“ eingeleitet. In der Frühjahrssynode im April will das Kirchenparlament dazu eine „Richtungsentscheidung“ treffen, so Öffentlichkeitsreferent Dietmar Burkhardt. Insgesamt fühle man sich auf dem eingeschlagenen Reformweg bestätigt. Allerdings sollen sich Stadt und Land künftig unterschiedlich entwickeln können. Bisher gab es gerade zwischen der Metropole Frankfurt und der Landeskirche häufig Streit um die Verwendung der Kirchensteuer.

Ob diese Perspektive aber bedeutet, dass die kirchliche Präsenz in der Großstadt stärker gefördert wird, ist fraglich. Wie die Kirchenstrukturen dem Bedarf einer Volkskirche in der Minderheit angepasst werden, darüber wird wohl auch am Main weiter heftig diskutiert.

Kurt-Helmut Eimuth

Evangelisches Frankfurt April 2007