„Die Kirche muss chinasensibel werden“

von Kurt-Helmuth Eimuth

4. Januar 2023

Annette Mehlhorn ist vielen in Frankfurt noch aus ihrer Zeit als Pfarrerin in Bockenheim und später als Studienleiterin der Evangelischen Akademie bekannt. In den vergangenen neun Jahren war sie in der deutschen Gemeinde in Shanghai tätig. Im Interview spricht sie über Religionspolitik in China und ihre Erfahrungen mit der dortigen Gesellschaft und Kultur. Das Gespräch führten Kurt-Helmuth Eimuth und Conny von Schumann.

Annette Mehlhorn war neun Jahre lang Pfarrerin in Shanghai. | Foto: Monja Tang

Annette Mehlhorn war neun Jahre lang Pfarrerin in Shanghai. | Foto: Monja Tang

Frau Mehlhorn, Sie waren neun Jahre in China als Pfarrerin tätig. Wie kam es dazu?

2012 wurde mir klar, dass es Zeit wird für einen Stellenwechsel. Ich war damals Pfarrerin in Rüsselsheim, und als ich einem chinesischen Freund von der ausgeschriebenen Stelle in Shanghai erzählte, sagte er: Shanghai ist gut für dich, mach das.


Sie wurden von der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) entsandt. Aber sie durften gar nicht als Pfarrerin einreisen.

In China bekommen ausländische Geistliche, gleich welcher Religion, in dieser Funktion keine Arbeitsgenehmigung. Deswegen müssen sie einen anderen Weg finden. Wir haben das große Glück, dass die Stadt Hamburg in Shanghai wegen der Städtepartnerschaft ein Büro unterhält. Dort wurden wir – also mein katholischer Kollege und ich, wir sind ja eine ökumenische Gemeinde in Shanghai – als interkulturelle Projektmanager offiziell geführt.


Sie hatten viel Kontakt zu den Menschen, auch zu Chinesen. Sie haben sogar Mandarin gelernt.

Ja, soweit es mir möglich war. Wenn man 55 ist und nochmal eine neue Sprache lernt, die noch dazu so sehr anders ist, als alle bisher gelernten Sprachen, dann hat das Grenzen.


Aber wie war der Kontakt mit den Einheimischen? Religion ist in China ja eher eine Art Subkultur.

Das stimmt nicht so ganz. China hat einen offiziellen Weg der Religionspolitik. Es gibt ein Religionsministerium und alle registrierten Religionsgemeinschaften – das sind insgesamt fünf genehmigte Religionsgemeinschaften – unterstehen diesem Religionsministerium. Auf der einen Seite bin ich nicht als Geistliche eingereist, aber auf anderen Seite war ich akkreditiert als evangelische Pfarrerin dieser Gemeinde. „That’s China“ – sagt man dazu, wenn man China kennt.


Seit dem Ukraine-Krieg schauen wir
in Deutschland auch kritischer auf unser Abhängigkeit von China. Wie eng sind die Verflechtungen?

Shanghai ist meinem Eindruck nach eine der größten deutschen Wirtschaftsmetropolen der Welt, wenn nicht die größte überhaupt. Alle wichtigen deutschen Unternehmen haben dort einen Sitz. Shanghai ist Chinas Tor zur Welt. Die Entwicklungen in China während der letzten Jahre sind nicht in jeder Hinsicht zu begrüßen. Das würde ich auch so sehen. Vieles wurde enger und autokratischer.


Wie wirkt sich das auf die christliche Gemeinde aus?

Naja, mit Corona ist sowieso alles anders geworden. Schon vorher hatten die Restriktionen allerdings zugenommen. Auch die Religionsgesetzgebungen wurden enger formuliert. Das habe ich ebenfalls zu spüren bekommen.


In den Kirchen hängen Videokameras.

Das ist so. Im gesamten öffentlichen Raum und in allen Einrichtungen hängen solche Videokameras. Alle Gottesdienste werden aufgezeichnet und damit auch ein Stück weit überwacht.


Fühlten sie sich überwacht?

Das ist eine Frage, die schwer zu beantworten ist, weil man als Ausländer in China natürlich andere Freiheiten hat als Einheimische. Ich habe eigentlich kein Blatt vor den Mund genommen, und was meine Aussagen oder meine Rede angeht, bin ich nie kritisiert worden. Manchmal bin ich kritisiert worden, was mein Verhalten angeht.


Was würden Sie uns denn empfehlen im Umgang mit China, politisch und menschlich?

Wir als Kirche könnten durch unsere ökumenische Verbundenheit Brücken bauen. Selbst da, wo es auf der politischen oder der wirtschaftlichen Ebene Grenzen gibt. Wir täten gut daran, in die Partnerschaft mit China verstärkt einzutreten und uns dort zu engagieren. Dafür werbe ich. Für uns als deutsche Gesellschaft ist allerdings erhöhte Vorsicht geboten. Zum einen, was die Wirtschaft angeht, das ist keine Frage. Auf politischer Ebene scheint es mir wichtig, darauf zu dringen, dass alles auf Augenhöhe läuft. Ansonsten ist natürlich die Menschenrechtsfrage eine, die auf politischer Ebene zu Recht thematisiert wird.


Ist die Menschenrechtsfrage auch für die Chinesinnen und Chinesen wichtig?

Meinem Eindruck nach spielt das nur für wenige Chinesen eine Rolle.


Wie haben Sie diese restriktive Corona-Politik erlebt oder sind sie vorher ausgereist?

Wirklich schwierig wurde es erst, nachdem die Omikron-Variante nach China kam und die Null-Covid-Politik das nicht mehr in Griff gekriegt hat. In Shanghai haben wir durch den Total-Lockdown dieses Frühjahr eine sehr, sehr unangenehme Zeit verbracht.


Sie sind ja in dieser Schließzeit im Mai 2022 ausgeflogen.

Das war letzten Endes geplant, denn meine neun Jahre in China waren vorbei. Was nicht geplant war, war, dass ich keine Konfirmation mehr durchführen konnte. Mein Abschiedsgottesdienst war online. Ich bin dann im Mai unter sehr reglementierten Bedingungen von einem fast menschenleeren Flughafen abgereist.


Leute wurden in ihren Büros festgehalten.

Ja, das gab’s. Wenn sie im Moment des Lockdowns im Büro waren, mussten Sie dort bleiben. Ich war im Prinzip von Mitte März bis zu meinem Abflug total isoliert und konnte mit allen Leuten nur noch online kommunizieren.


Der Ärger über die Maßnahmen wurde so groß, dass viele Leute protestiert haben.

Schon die chinesischen Kaiser haben sich vor Protestwellen gefürchtet. In diesem riesigen, schwer zu regierenden Land war es immer eine Sorge, dass sich aus regionalen Aufständen landesweite Unruhen entwickeln. Das war auch früher schon für Regierungen ein Grund, die Politik zu ändern, und so ist es halt auch jetzt. Zumal es ja weitere Gründe für das Umsteuern in der Coronapolitik gab.


Also bewirkt ein Aufstand doch etwas?

Man darf nicht denken, ein solches Regime wäre nicht kritisierbar. Kritik findet durchaus statt. Nur hat das eine andere Grundstruktur als in einer Demokratie.


Was heißt: andere Grundstruktur?

Wenn es zu größeren Unruhen kommt, gibt es in China durchaus interne Diskussionsprozesse, auch wenn sie nicht offiziell und demokratisch und auf Mitbestimmung angelegt sind. Man darf nicht denken, dass dort niemand den Mund aufmacht. Auch in dieser Hinsicht sollten wir China etwas differenzierter wahrnehmen.

Noch eine Dauerkrise: Kirchenbänke blieben leer

Die Weihnachtsmärkte boomten. Endlich wieder weihnachtliche Normalität. Doch die Kirchen waren die Spielverderber, auch wenn es eigentlich Putin war. Energie sollte eingespart werden, drum wurden die Heizungen, sei es auch Heilig Abend, gedrosselt oder ganz abgestellt. Im Podcast Conny&Kurt hatte Pfarrer Wolfgang Weinrich dieses ungastliche Momentum kritisiert. Das sei Populismus sagten Vertreterinnen der evangelischen Stadtsynode, denn man könne entweder die Kindergärten und Gemeindehäuser oder die Kirchen heizen. Für beides reiche das Geld nicht. Selbstkritisch gab sich hingegen der katholische Stadtdekan Johannes zu Eltz über diese „ökumenisch-ökologisch-solidarisch-finanziell begründete Kälte-Aktion“. Der „Kollateralschaden“ sei ziemlich hoch gewesen. Man konnte es an den leer gebliebenen Kirchenbänken in den Weihnachtsgottesdiensten sehen. Wie steht es um die beiden großen Kirchen, deren Mitgliederzahl in Deutschland im letzten Jahr erstmals unter 50 Prozent fiel. Wie kann es weitergehen mit einer Kirche in der Minderheit? Conny&Kurt fordern Innovation.

Die Sterne sagen nicht die Zukunft voraus – auch nicht für 2023

Was bringt das neue Jahr? Eine Frage, die gerne spielerisch an Silvester beim Bleigießen beantwortet wird. Wissen, was die Zukunft bringt. Eine uralte Sehnsucht der Menschen, die gerade in Krisenzeiten Konjunktur hat. Alljährlich untersucht die Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften, Darmstadt, in einem Prognosecheck, ob die Hellseher:innen und Astrolog:innen richtig gelegen haben. Da gibt es manch Absurdes. Das Ende der Rolling Stones, ein Feuer im Schloss Neuschwanstein oder Riesenkaninchen, die eine Stadt angreifen. Und doch boomt der Markt weiter. Bernd Harder von der GWUP im Podcast Conny&Kurt: „Die Astrologie hat in den letzten zwei Jahren einen Aufschwung genommen. In unsicheren Zeiten will man Orientierung. Vielleicht wissen ja die Sterne doch mehr als unsere Wissenschaft.“ Er weist auch auf die Vernetzung der unterschiedlichen esoterischen Szenen mit denen der Verschörungsgläubigen hin: „Bei den festgenommenen Reichsbürgern war eine Astrologin dabei, die Ministerin werden sollte. Es gibt Verbindungen zwischen den Szenen.“ Astrologie kann eben aus mehr werden als eine Spielerei.

Kalte Kirchen sind das falsche Signal

Für Pfarrer Wolfgang Weinrich, Darmstadt, ist Weihnachten „eine Insel der Wärme“. Deshalb sei es gerade jetzt das völlig falsche Signal die Kirchen nicht mehr zu heizen, sagt der Chefredakteur von „Das Magazin für Pfarrer:innen“. Kalte Kirchen seien ein abstoßendes Zeichen. Die versteckte Botschaft sei „am besten bleibt ihr alle weg“. Die evangelische Kirche in Frankfurt hat beispielsweise beschlossen, alle Kirchen der Mainmetropole überhaupt nicht mehr zu heizen. Weinrich fordert vielmehr dazu auf, dass Weihnachtsfest mit großem Geläut und Glühwein in warmen Kirchen zu feiern. Die Menschen sehnen sich nach Festen, hat der Theologe festgestellt. Und bei der Botschaft „Friede auf Erden“ sei zu vermitteln, dass dieser nicht einfach vom Himmel falle. Er habe seinen Preis. Und auch abseits der Ukraine gäbe es Not. Diese Schattenseiten dürfe man nicht vergessen. Er denke immer an das Wort: Das Volk, das im Finstern wandelt, findet ein kleines Licht – immerhin.

Früher war Weihnachten auch nicht besser – nur anders

Die neugierigen Augen der Kinder begleiten die Advents- und Weihnachtszeit. Im Podcast Conny&Kurt erinnern sich die beiden, an ihre Weihnachtskindheit. An Selbstgebasteltes, an das Erstrahlen des Weihnachtsbaum an Heilig Abend und an das verbotene Entleeren der Plätzchendosen. Und natürlich an den Weihnachtsbraten. Da wird so manche Erinnerung wach.

Lust an evangelischer Vielfalt

Der Ukrainekrieg ist auch ein Angriff auf uns

Andreas von Schumann kennt die Ukraine gut. Vier Jahre hat der ehemalige Mitarbeiter der Deutschen Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit in Kiew gelebt und im Auftrag der Bundesregierung das Land bei Reformprozessen beraten. Im Podcast Conny&Kurt schildert er seine Erfahrungen, positioniert sich als Kriegsdienstverweigerer klar für die militärische Verteidigung und hofft, dass die Unterstützung nicht nachlässt. Er selbst, der immer noch viele Kontakte in die Ukraine hat, unterstützt Geflüchtete an seinem Heimatort. Sein Fazit: Der Angriff auf die Ukraine ist auch ein Angriff auf uns. Deshalb muss man auch aus ganz rationalen Gründen helfen, wo man kann.

Conny&Kurt

Jugendkrimis gegen Rassismus

Das Magazin für evangelische Pfarrer:innen 01. Dezember 2022

Imagine und weitere Popsongs für den Frieden

Frieden auf Erden ist der zentrale Wunsch zu Weihnachten. Seit 2000 Jahren ist er aktuell und doch unerfüllt. Die Sehnsucht nach Frieden drückt sich natürlich auch in der Musik aus. Gerade die Popkultur der 1970er- und 1980er Jahre brachte Lieder hervor, die dieses Lebensgefühl wiedergeben. Uwe Birnstein, Journalist, Theologe und Musiker, hat 25 Friedenslieder und ihre Entstehungs- und Wirkungsgeschichten in einem Band vereint. Im Podcast Conny&Kurt erzählt er wie er die Lieder auswählte, lüftet das Geheimnis wie der aktuelle Song von Pink Floyd mit dem uktainischen Sänger Andriy Khlyvnyuk entstand und warum auch Nicole in diese Auswahl gehört.

Die Serie von Uwe Birnstein auf Domradio.de

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