Tag Archiv für Kirchensoziologie

Kirche 2030: Weiblich, kommunikativ und fromm

Kirche 2030: Weiblich, kommunikativ und fromm

Die Prognose ist einfach: Die Zahl der Kirchenmitglieder wird in den kommenden Jahren massiv zurückgehen. Vor allem die Demographie sorgt dafür – es sterben mehr Evangelische, als getauft werden. Sicher wird es in Frankfurt nicht soweit kommen wie in Mitteldeutschland, wo auf 208 Gemeindemitglieder ein Kirchengebäude kommt. Aber man wird sich strategisch etwas überlegen müssen.

Ilse Junkermann, Landesbischöfin der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland, rät ihren Gemeinden: „Kommt zusammen, betet, singt und überlegt, wo ihr in der Welt helfen könnt“. Ob das reicht für die Zukunftsfähigkeit von Kirche? Man möchte ja und nein sagen.

Ein Symposium der Akademie der Bruderhilfe „Religion 2030“ in Erfurt suchte Antworten, und warf doch mehr Fragen auf.  Es lassen sich ein paar Entwicklungen und Hoffnungen herausfiltern. Unstrittig ist, dass der Pfarrberuf „weiblicher“ wird. Vor allem Frauen studieren heute Theologie, ihr Anteil wird daher noch deutlich größer werden als das derzeitige Drittel. Der Münchner Theologieprofessor Friedrich Wilhelm Graf stellte hier ein Auseinanderdriften der beiden großen Kirchen fest – denn das größte Problem der katholischen Kirche, bei der das Amt nur von Männern ausgeübt werden darf, ist der Mangel an Priestern.

Ein zentrales Problem beider Kirchen ist, dass sie ihre Botschaft nicht mehr vermitteln können, und zwar nicht einmal ihren eigenen Mitgliedern. Dies hat kürzlich erst wieder die Studie „Was glauben die Hessen“ von Michael Ebertz belegt, der von einer „Gottesvermittlungskrise“ spricht.

Ein Schwerpunkt einer künftigen Stadtkirche wird daher die Kommunikation sein müssen. Wenn es nach Bruder Paulus Terwitte geht, werden in Frankfurt zentral gesteuerte elektronische Schaukästen informieren und einladen. Die Kirche wird über ein Callcenter 24 Stunden erreichbar sein, und natürlich bekommt jedes Kirchenmitglied eine „Kundenzeitschrift“. „Warum soll ich als Kirchensteuerzahler schlechter gestellt sein als jedes ADAC-Mitglied?“ fragte der Frankfurter Kapuzinermönch.

Für die Kommunikation innerhalb der Theologie gibt es keine Patentrezepte. Der Theologe Graf sieht einen „Aderlass“. So würden siebzig Prozent der in München mit „Summa cum laude“ Promovierten nicht in den kirchlichen Dienst gehen. Die besten Köpfe gehen anderswo hin, weil für sie die Kirche kein attraktiver Arbeitgeber sei. „Lieber Taxifahrer als bayerische Landeskirche“, zitierte er das Fazit eines Doktoranden. Noch nicht einmal einen nationalen Stellenmarkt gibt es für Theologinnen und Theologen.

Sicher wird im Jahr 2030 der Dialog mit anderen Religionen und Weltanschauungen noch bedeutsamer sein als er heute schon ist. Es bedarf, so Graf, „einer neuen Form von Apologetik“, also der „Verteidigung“ und Erläuterung christlicher Glaubensinhalte. 2030 werden in den Gemeinden nur noch wenige Hauptamtliche tätig sein. Diese würden, so Graf, dann nicht verwalten, sondern „die Kommunikation mit dem Evangelium ausführen“. Also Gottesdienste feiern und durchaus auch kontroverse Gespräche mit und über andere Religionen und Weltanschauungen führen. Die sozialen Dienste der Kirche und die Diakonie hingegen werden sich in Zukunft wohl selbst refinanzieren müssen.

Dem Fazit „Schließlich geht es darum, wie wir unserem Auftrag gerecht werden und nicht wie wir uns selbst erhalten“ von Bischöfin Junkermann kann man nur zustimmen. Doch beides schließt sich ja nicht aus.

Kurt-Helmuth Eimuth

Evangelisches Frankfurt Februar 2012 (via facebook)

Gott und Engel fast gleichauf

Kontroverse Stimmen zur Studie „Was glauben die Hessen?“
Evangelisches Franfurt, Februar 2012

Zur tausendsten Sendung des Fernsehmagazins „Horizonte“ spendierte der Hessische Rundfunk eine religionssoziologische Studie zum Thema „Was glauben die Hessen?“ Die Ergebnisse werden kontrovers diskutiert. Während die Kirchen gelassen feststellen, dass die Studie keine neuen Erkenntnisse bringe, sprechen andere vom Bröckeln des religiösen Sockels und beschwören den Niedergang der Kirchen oder zumindest des Glaubens.

Auf jeden Fall ist Hessen noch immer überwiegend christlich geprägt: Von den sechs Millionen Einwohnerinnen und Einwohnern des Bundeslandes gehören 40 Prozent der evangelischen und 25 Prozent der katholischen Kirche an, weitere 3 Prozent sind Mitglieder anderer christlicher Gemeinden. 20 Prozent gehören keiner Religion und 5 Prozent dem Islam an.

Nach wie vor haben die Kirchen auch einen großen Vertrauensbonus. 76 Prozent der Hessen finden es gut, dass es die Kirchen als Institutionen gibt, sei es als „kulturelle Anreger“ oder als Arbeitgeber. Allerdings werden die Kirchen weniger als sinnstiftend wahrgenommen: 80 Prozent der Befragten glauben, dass das Leben „nur dann einen Sinn hat, wenn man ihm selber einen Sinn gibt“. Sie glauben etwa an Wunder (70 Prozent), an Engel (40 Prozent) und teilweise auch daran, dass Menschen Gedanken lesen können (37 Prozent). Hingegen glauben nur 49 Prozent der Befragten an einen Gott als Person.

Für den Leiter der Studie, Michael Ebertz, ist der Befund eindeutig. Die Kirchen hätten nach wie vor starken Rückhalt in der Bevölkerung, aber in Sachen Religion wolle jeder „sein eigener Chef“ sein. Diese Tendenz ist aber keineswegs neu, sondern eine Folge des modernen Ideals der Selbstbestimmung. Man wächst heute nicht mehr einfach in einem bestimmten Milieu auf, sondern muss begründen können, warum man Protestant und nicht Hindu oder Muslim ist. Der Pressesprecher der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN), Stephan Krebs, wies darauf hin, dass früher die Menschen auch nicht glaubensfester gewesen seien. „Vielmehr war die Mitgliedschaft in der Kirche weitgehend vorgeschrieben oder zumindest durch sozialen Druck sicher gestellt.“

Es gibt aber durchaus zu denken, dass auch viele Kirchenmitglieder wichtige christliche Lehrmeinungen nicht teilen, etwa die zentrale Bedeutung von Jesus Christus. Hier muss die Kirche eine Sprache finden, die wenigstens für ihre eigenen Mitglieder verständlich ist.

Kurt-Helmuth Eimuth