Tag Archiv für Judentum

Nicht nur Sänger und Songwriter

Er ist eine Ikone der Flower-Power-Zeit und wurde nochmals als Achtzigjähriger in diesem Jahrzehnt populär. Leonard Cohen (1934 -2016) war weit mehr als ein Sänger und Songwriter. Er schrieb Gedichte und Romane, aber vor allem war er ein religiös Suchender. Die Tiefe im Schaffen des Künstlers beleuchtet Uwe Birnstein in seinem neuen Sachbuch“‘Hallelujah‘ Leonard Cohen!“ Dem Autor gelingt es mit viel Empathie den Leser und die Leserin mitzunehmen auf die Reise durch ein Leben, das so viele Facetten hatte, wie man es kaum für möglich hält. Stets nah an den Quellen. Man hat das Gefühl, mitten im Geschehen zu sein.

Nein, der Autor will keine Biografie vorlegen. Und tut es auch nicht. Er will ermutigen, sich auf den Weg zu machen, den eigenen Horizont zu weiten, auf andere Zuzugehen, ganz ohne Ängste, Vorschriften und Scheuklappen, ganz so wie es Cohen getan hat.

Cohen ist und bleibt dabei verwurzelt in seinem jüdischen Glauben. Geprägt von Kindheit an, „nicht fanatisch, aber traditionell religiös“. Und eng verbunden mit seinem Großvater, einem Rabbi. Und Bücher gibt es im Hause Cohen. Literatur wird zu einem seiner Hobbys. Aus der gut bürgerlichen Welt Kanadas bricht er auf und landet auf der griechischen Insel Hydra. Dort begegnet er Marianne. Ja, die gibt es wirklich. Nach einer gemeinsamen Zeit sagte er ihr „so long Marianne“, und flog nach New York. Dort spielt er Judy Collins „Suzanne“ vor. Collins ist begeistert, nimmt den Song auf und er wird zum Welthit. Cohen selbst will nicht auftreten. Er könne nicht singen und auch nicht Gitarre spielen. Auf einem Festival treten sie dann gemeinsam auf. Jetzt erst fasst Cohen Zutrauen „in die geradezu magische Wirkung seiner Stimme“ (Birnstein).

Es folgen Jahre im „Drogen- und Frauenrausch“. Später bedauert er seine oberflächlichen Frauengeschichten. Mit Marianne bleibt er in Verbindung. Und noch eine Erkenntnis bricht sich Bahn: Die Drogen katalpultieren ihn zwar in tranzendente Welten, aber sie führen ihn nicht ans Ziel seiner spirituellen Suche.

Cohen sagt von sich selbst, er sei „geboren im Herzen der Bibel“. Er kennt die Geschichten, die die Bibel erzählt, von den Sorgen und Ängsten, von Liebe und Hass, von Rachegelüsten und Mitgefühl, von Sehnsüchten und Enttäuschungen. „Die biblischen Geschichten und Gedanken bringen Inspiration für das eigene Nachdenken“, so Birnstein. In zahlreichen Texten greift er zurück auf biblische Motive. Etwa im Song „Born in Chains“: Dort heißt es: „Ich wurde in Ketten geboren, doch aus Ägypten verstoßen“. Anklänge biblischer Überlieferung finden sich in zahlreichen Liedern. Etwa wenn er in „Democracy“ von der Sehnsucht nach echter Demokratie singt „Zurzeit würden die Frauen vor den ‚Brunnen der Enttäuschung‘ auf Knien beten ‘um die Gnade Gottes in dieser Wüste‘“ Das gelobte Land steht hier für die wahrhafte Demokratie. Gelegentlich überzieht Cohen mit „seiner bisweilen kruden Fantasie und depressiven Weltsicht.“ Etwa wenn er eigene sexuelle Erlebnisse mit biblischen Assoziationen vermengt.

Birnstein bezeichnet David als biblischen Seelenbruder Cohens. David lebte als Freischärler und Frauenheld und wurde schließlich zum König Israels gekrönt. Die Geschichte des Ehebruchs mit Batseba hat Cohen in seinem Welthit „Hallelujah“ verarbeitet. In der ersten Strophe will der Musiker König David Gott mit einem geheimen Akkord gnädig stimmen. Und es folgt fast litaneiartig das Gotteslob „Hallelujah“. In der zweiten Strophe spricht Cohen eine Person an. „Dein Glaube war stark, aber du brauchtest Beweise“, heißt es „du sahst das Mondlicht auf dem Dach, ihre Schönheit und das Mondlicht haben dich überwältigt.“ Hier spielt Cohen darauf an, dass König David Batseba beim Baden zusah. Doch plötzlich wechselt die Szene und die Schöne bindet den verliebten König an den Küchenstuhl und schneidet seine Haare ab. Ein Motiv, dass an Simson erinnert, der Liebestrunken seiner Geliebten Delila das Geheimnis seiner Macht verrät, das in seinen Haaren wurzelt. Sie schneidet ihm die Locken ab.

Die Gebrochenheit des Lebens drückt sich auch in seinem Hallelujah aus. Cohen kommentiert es so: „Der Song erklärt, dass es mehrere Formen des Hallelujah gibt und dass alle perfekten und gebrochenen Hallelujahs dieselbe Wertigkeit haben.“

Cohen treibt aber das Thema noch weiter. Er verbindet Religion und Sexualität. „Denk dran, als ich mich in dir bewegte, da bewegte sich mit uns der Heilige Geist. Und jeder unserer Atemzüge war ein Hallelujah.“ Birnstein folgert: „Körperliche Vereinigung sei – oder sollte es sein- auch eine spirituelle Angelegenheit.“

Der Song wird zu einem der meistgecoverten Songs der Popgeschichte, leider oft verkitscht oder gar missbraucht, etwa im Einsatz für Donald Trump. Dabei ist das Lied ein Plädoyer für Demut und wendet sich gegen jede Form von Triumphalismus.

Die spirituelle Suche Cohens geht weiter. Er ist zwar berühmt und begehrt, fällt aber immer wieder in tiefe Depressionen. Selbst den Psychokult Scientology probiert er kurz aus. Doch er erkennt die Banalität dieses Systems schnell. 1969 begegnet er dem buddhistischen Zen-Meister Roshi. Cohen verbringt viel Zeit im buddhistischen Kloster. Roshi begleitet ihn sogar auf Tourneen. Doch der jüdische Glaube bleibt trotz aller Suchbewegungen weiterhin die religiöse Wurzel Cohens. 1993 zieht es ihn ganz ins Kloster. Er braucht Struktur. 1996 wird er zum Mönch ordiniert. Er blieb bis 1999 im Kloster.

In zahlreichen Werken setzt er sich auch mit Jesus auseinander. Auch ganz privat ist Cohen offen. Er schreibt an einem Weihnachtstag in sein Notizbuch: „Ich habe zu dem gebetet, um den es geht“. Erst seine tiefe Verwurzelung im Judentum macht dies möglich.

Cohen geht in den 2000er Jahren wieder auf Welt-Tournee. Seine Depressionen sind überstanden und die Notwendigkeit liegt auf der Hand. Während seines Klosteraufenthalts hat seine Vertraute und Managerin mehrere Millionen veruntreut. Seine letzte CD „You want it darker“ ist ein inniges, haderndes Gebet zu Gott. „Als würde die Sonne ihre Strahlen verlieren / und wir in endloser Nacht vegetieren / und es gäbe nichts mehr zu fühlen: / Genauso würde mir die Welt erscheinen, / gäbe es deine Liebe nicht.“ Cohen setzt sich mit dem Tod auseinander. Gerde hat er die Nachricht vom unheilbaren Blutkrebs von Marianne erhalten. Er schreibt ihr: „Liebste Marianne, ich bin ein kleines Stückchen hinter dir, nah genug, um deine Hand zu nehmen. Mein alter Körper hat aufgegeben, ganz so, wie es deiner getan hat, und es kann nur noch Tage dauern, bis der Räumungsbescheid abgeschickt wird. Ich habe deine Liebe und deine Schönheit nie vergessen.“

Uwe Birnstein hat uns für die Hintergründigkeit, für die Vielschichtigkeit und Gebrochenheit Leonhard Cohens die Augen geöffnet. Informativ, fesselnd, bewegend.

Kurt-Helmuth Eimuth

Uwe Birnstein, „Hallelujah“, Leomhard Cohen!132 S. Verlag Neue Stadt, 16.-

„Die harte Trennung von Staat und Kirche gefällt mir nicht“

Von Kurt-Helmuth Eimuth – 28. Mai 2015

Oberbürgermeister Peter Feldmann will die Stadt sozialer gestalten. Dabei baut er auch auf die Kirchen. Ein Gespräch mit Kurt-Helmuth Eimuth.

Frankfurt: Interview Eimuth mit Peter Feldmann, dem Frankfurter Oberbürgermeister, in seinem Amtszimmer im Römer Foto aufgenommen am: 22.04.2015 Foto: Rolf Oeser

Oberbürgermeister Peter Feldmann im Gespräch mit Evangelisches Frankfurt. Foto: Rolf Oeser

Herr Oberbürgermeister, Sie haben bei mancher Gelegenheit betont, dass Sie selbst einmal Mitarbeiter des Evangelischen Regionalverbandes waren.

Das ist wahr. Und das war eine sehr gute Zeit, in der ich viel gelernt habe, gerade im Bereich der Kinder- und Jugendarbeit. Es ging nicht um Sozialstatistiken oder Organigramme, sondern es ging um Menschen. Ich habe gelernt, dass Sozialarbeit immer ein Wertefundament braucht. Das trägt meine Arbeit bis heute.

Was erwarten Sie als Oberbürgermeister von der evangelischen Kirche?

Dass das Heimatgefühl, das ich damals als Mitarbeiter erlebt habe, nicht nur nach innen, sondern auch gesamtgesellschaftlich trägt. Das heißt, dass die Kirchen insgesamt zu ihrem Wertefundament stehen und es keinem allzu modernen Zeitgeist opfern sollten. Die Botschaft, die wir aus dem Weihnachtsfest mit der Nähe von Mensch zu Mensch mitnehmen, ist eine Aufgabe für das ganze Jahr.

Viele nehmen heute Religion als etwas wahr, das Unfrieden stiftet.

Die Religionen stehen ja erst einmal für Frieden. Schwierig sind nur die, die glauben, sie wissen alleine, wie der Weg zum Frieden auszusehen hat, die keine anderen Ansichten neben der eigenen gelten lassen Das bringt die Konflikte. Sobald zumindest im Umfeld der drei Buch-Religionen, Judentum, Christentum und Islam die Ur-Botschaft der zehn Gebote ernst genommen wird, sind harte, aggressive, gewalttätige Konflikte undenkbar.

Hier in Frankfurt haben wir ja den Rat der Religionen. Wie nehmen Sie ihn wahr?

Das ist eine wunderbare Plattform für den gemeinsamen Diskurs. Ich wünsche mir allerdings mehr gemeinsame Auftritte der Konfessionen in den Kindergärten und Schulen. Damit die nächste Generation weiß, der Jude, der Muslim ist nicht der Feind, sondern auch einer der Guten. Das geht nur, wenn sich die zentralen Vertreter der Religionsgemeinschaften nicht scheuen, auch gemeinsam in Schulen zu gehen und sich gegenseitig unterstützen. Das hat große Symbolkraft. Da bin ich als Oberbürgermeister immer dabei.

Viele rufen aber nach einer stärkeren Trennung von Staat und Kirche.

Diese absolute Säkularität, diese harte Trennung, gefällt mir nicht. Ich finde es sehr schön, wenn beispielsweise der RMV gemeinsam mit den Kirchen für ein Weihnachtsticket wirbt. Das ist eine Zeit der Besinnung, da sollte man seine Familien und Freunde besuchen, das sollte nicht am Geld scheitern. Ich wünsche mir mehr Projekte dieser Art.

Soll der Sonntag als arbeitsfreier Tag weiter geschützt werden?

Absolut. Nicht nur als Sozialdemokrat und Gewerkschafter bin ich dafür. Das Gebot des siebten Tages soll nicht an die Seite gelegt werden.

Sie sind angetreten, bezahlbaren Wohnraum zu schaffen. Wie sieht Ihre Bilanz aus?

Das Thema ist endlich in unserer Stadt zum zentralen Thema geworden. Das hängt natürlich nicht alleine von mir ab. Aber ich bin schon sehr stolz, dass wir die Budgets der Stadt um hundert Prozent gesteigert haben. Geld baut noch keine Wohnungen, ist aber eine Grundlage dafür. Jetzt müssen wir alles tun, um die leidige Diskussion über leer stehenden Büroraum in konkrete Projekte einfließen zu lassen. In der Adickesallee im Februar dieses Jahres oder in der Hahnstraße in der Bürostadt Niederrad im März durfte ich jeweils einen „Baggerbiss“ machen. Baggerbiss bedeutet: Wir reißen Gewerberaum ab, um daraus Wohnraum zu machen!

Es gibt die ersten Projekte im Umland, wo wir auch gemarkungsübergreifend bauen und beispielsweise Studenten Wohnraum außerhalb Frankfurts anbieten. Aber auch mit unserer Nachbarstadt Offenbach sind wir einen Schritt nach vorne gekommen: Die Hafeninsel ist ein tolles Projekt unserer beider Städte.

Welche Pläne verfolgen Sie außerdem noch?

Ein Weg ist eine vorsichtige, sensible Verdichtung. Aber ich möchte auch nicht, dass jeder Hinterhof zugebaut wird. Deshalb trete ich für ein Wohngebiet im Frankfurter Norden ein. Unsere Grünflächen wollen wir nicht aufgeben, doch bei fünfundzwanzig Prozent agrarischen Flächen in der Stadt bestehen Möglichkeiten.

Die Stadt wird immer reicher, aber die Spaltung zwischen arm und reich wird immer größer. Sie haben die Kinderarmut als Skandal bezeichnet.

Ja, da bin ich sehr geprägt von meiner Jugendhauszeit beim Evangelischen Regionalverband. Wenn man erlebt, wie Kinder es empfinden, wenn Gleichaltrige mit besseren Berufs- oder Bildungschancen an ihnen vorbeiziehen, welches Erniedrigungsgefühl, manchmal auch Wut oder Hass daraus entsteht, weiß man, wovon ich spreche.

Bei fünfundzwanzig Prozent armen Kindern bleibt es eine zentrale Aufgabe der Stadt, daran etwas zu ändern. Kinderarmut ist aber auch Elternarmut. Eltern müssen Arbeit bekommen. Hier müsste die Arbeitsmarktpolitik eindeutigere Prioritäten setzen.

Es kommen 1600 Flüchtlinge im Jahr nach Frankfurt. Wie wollen Sie ihnen helfen?

Erst einmal ein großes Kompliment an die Kirchen, die uns beispielsweise mit der Unterbringung in der Gutleutkirche geholfen haben. Das beweist, welch wichtige Rolle die Kirchen in solchen konfliktreichen Situationen haben. Die Menschen, die herkommen, wollen auch Arbeit haben. Hier müssen wir bürokratische Hürden abbauen.

Dann müsste das Arbeitsverbot für Flüchtlinge doch aufgehoben werden.

Absolut. Da bin ich radikal. Wer arbeiten will, soll die Möglichkeit dazu bekommen.

Ihr Thema in diesem Jahr ist die älter werdende Gesellschaft. Warum?

Alles, was die Älteren heute erkämpfen, wird auch in jüngeren Generationen wirksam. Ich habe ein schönes Beispiel. Unsere Wohnungsbaugesellschaften wollen Haltegriffe oder automatisches Licht bei Neu- und Umbauten mit einplanen. Die erste Reaktion kam von Studenten, die das auch für sich ganz praktisch fanden.

Wir werden mit dem Deutschen Seniorentag Anfang Juli ein klares Zeichen setzen: Diese Stadt ist für Senioren nicht nur offen, sondern gehört ihnen auch.

Herr Oberbürgermeister, herzlichen Dank für das Gespräch.

Beitrag von Kurt-Helmuth Eimuth, veröffentlicht am 28. Mai 2015 in der Rubrik Menschen, erschienen in der Ausgabe 2015/3 – Mai, Web.

Dieter Graumann

Römerbergbündnis gegen Rassismus

25.01.2015 Heiliggeistkirche

Kurt-Helmuth Eimuth

Orgelvorspiel

Eingangslied: EG 295, 1-4

Wohl denen die da wandeln

Votum:

Im Namen Gottes feiern wir diese Andacht

Gott ist die schöpferische Kraft,

die alles Leben werden läßt.

Jesus Christus ist die heilende Kraft,

die zusammenhält, was auseinandergefallen ist.

Gottes Geist ist die tragende Kraft,

die hält, was zu fallen droht.

Psalm 23, Nr. 711 im Wechsel

Der Herr ist mein Hirte,

mir wird nichts mangeln.

Er weidet mich auf einer grünen Aue

Und führet mich zum frischen Wasser.

Er erquicket meine Seele.

Er führet mich auf rechter Straße um seines

Namens willen.

Und ob ich schon wanderte im finstern Tal,

fürchte ich kein Unglück;

denn du bist bei mir,

dein Stecken und Stab trösten mich.

Du bereitest vor mir einen Tisch

Im Angesicht meiner Feinde.

Du salbest mein Haupt mit Öl

Und schenkest mir voll ein.

Gutes und Barmherzigkeit werden mir folgen

Mein Leben lang,

und ich werde bleiben im Hause des Herrn

immerdar.

Eingangsgebet:

Wir stehen vor dir, Gott

Eingebunden in unsere Welt,

umgeben von unserem Alltag,

gefordert von der Verantwortung, die wir tragen.

So viel Unterschiedliches umgibt uns,

so viele Anforderungen werden an uns gestellt,

da ist es manchmal nicht einfach, die Orientierung zu behalten –

oder überhaupt erste eine zu finden.

Die Sehnsucht ist da eine Richtung zu erkennen,

an die wir uns halten und auf die wir uns verlassen können.

In unserer schnelllebigen Zeit

Suchen wir Beständigkeit und dauerhafte Ziele.

Wir stehen vor dir, Gott,

mit unseren Erfahrungen und Träumen,

mit unserer Realität und unseren Hoffnungen.

Vor dir können wir sie bestehen lassen und ernst nehmen. Amen.

Lied: EG 613, Freunde, daß der Mandelzweig

Andacht:

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

mich bewegen in diesen Tagen zwei Ereignisse:

Heute Abend lädt das Römerbergbündnis zu einer Kundgebung unter dem Motto Freiheit, Gleichheit, Geschwisterlichkeit ein. Ein starkes Zeichen gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit.

Morgen ist der 70.Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers in Auschwitz. Auschwitz ist das Synonym für Unmenschlichkeit, für Grausamkeit aber auch für Intoleranz und Rassismus. So etwas wollen wir nie wieder haben. Hier nicht, in Deutschland nicht, auf der ganzen Welt nicht!

Gerade habe ich ein Buch gelesen, dass zu diesen beiden Aspekten interessante Einblicke gewährt. Peter Lückemeier und Werner D’Inka haben den ehemaligen Vorsitzenden des Zentralrates der Juden in Deutschland, Dieter Graumann interviewt.

Graumann, so darf man sagen, ist ein in Israel geborener Frankfurter. Aufgewachsen zunächst in Zeilsheim und später im Westend. Seine Eltern hatten die Konzentrationslager überlebt. Der kleine David, so hieß Dieter Graumann zunächst, kannte vieles aus den Konzentrationslagern aus Erzählungen. „Ich bin mit Geschichten aus den Lagern groß geworden, wie andere mit Grimms Märchen“, sagt Graumann. „Sonntags kamen die Freunde meiner Eltern aus der Zeilsheimer Zeit in unserer kleinen Zweizimmerwohnung im Westend zu Besuch – und worüber redeten sie? Natürlich fast ausschließlich über ihre Zeit in den KZs. Und ich hörte immer sehr aufmerksam zu.

Und dann kam der Augenblick, an dem aus David Dieter wurde. Graumann erzählt: „Das ist ein Moment den ich natürlich für immer in mir trage. Wir lebten damals in der Oberlindau im Frankfurter Westend in einer kleinen Zweizimmerwohnung. Wir hatten im Schlafzimmer meiner Eltern eine große Spiegelanrichte. Eines Tages riefen sie mich und haben sehr ernst gesagt: ‚David, Du kommst jetzt in die Schule, und es ist nicht gut, wenn jeder weiß, dass du jüdisch bist. Und mit Deinem Namen David weiß jeder sofort, dass du Jude bist. Das ist nicht gut, und deswegen werden wir jetzt etwas zusammen machen.‘ Und dann haben sie mich ganz feierlich vor den Spiegel gestellt, mich in die Mitte genommen und dann langsam zu mir gesagt: ‚David, ab heute heißt du Dieter.‘ Das war schon ein heftiger, ein absolut dramatischer und auch traumatischer Augenblick für mich. Ich glaube nicht, dass das vielen Menschen im Leben jemals geschieht.“ Und in der Tat fühlte sich Dieter, wie Graumann jetzt hieß, in der Schulklasse „emotional isoliert.“ Doch er gewöhnte sich schnell an den neuen Namen, der auch in seinen Pass eingetragen wurde. Er kannte ja die Angst seiner Eltern: Denn diese fürchteten, dass sich so etwas wie der Holocaust wiederholen könne. Ausreise war für diese Familie immer ein Thema, das sich nur langsam abschwächte. Widerwillig lebten seine Eltern in Deutschland. „Widerwillig und mit ganz, ganz schlechtem Gewissen. Sie lebten an einem Ort, von dem sie das Gefühl hatten, sie dürften dort eigentlich nicht sein“, so Graumann.

Und noch etwas schmerzte aus der Kinderperspektive: Es gab keine Großeltern. Keine Familie im weiteren Sinne und dem Kind fehlte das Wissen um das Woher, wer gehört dazu – und natürlich vermisste das Kind auch Geschenke.

Für den Erwachsenen bleibt die eine, die entscheidende Frage, die Theodize-Frage offen: Wie konnte Gott Auschwitz zulassen? Eine Frage, die auch Graumann nicht beantworten kann. Graumann benutzt als Beschreibung der Schoa Bubers Begriff der „Gottesfinsternis“ und sagt: „Ich persönlich jedenfalls will aber fest daran glauben, dass Gott selbst im Holocaust immer bei den leidenden Menschen war, um ihnen Mut und Kraft und Inspiration zu geben, dass er jenen Hoffnung und Stärke gab, die den Schrecken überleben konnten, dass er die Verzweiflung und die Schrei der Menschen auch dort gehört und sie auch in unermesslichen Leid getröstet hat, ihre Tränen trocknete und ihnen selbst und gerade in ihren allerschwersten, bittersten Stunden immerzu beistand.“

Dieter war ein Frankfurter Bub und fußballbegeistert. Was lag näher als Fan von Eintracht Frankfurt zu werden. Das half ihm auch später auf dem Goethe-Gymnasium im Kontakt mit den anderen Jungs. Später war er Vorsitzender des jüdischen Fußballvereins Makkabi Frankfurt. Im Jahre 2000 wurden Woche für Woche die Kinder und Jugendlichen des Vereins von den Zuschauerrängen mit antisemitischen Sprüchen angepöbelt. Doch Graumann fand beim DFB kein Gehör und wandte sich schließlich an die Presse. Erst da bewegte sich etwas, wenn auch zunächst widerwillig. Graumann schildert, wie ihm der spätere DFB-Präsident Theo Zwanziger unterstütze. Heute, so Graumann, sei der DFB „deutlich sensibler“.

In dem als Buch erschienenen Gespräch werden auch andere, die Stadt und das Land bewegende Ereignisse lebendig. Der Konflikt mit Martin Walser und Jakob Augstein, die Beschneidungsdebatte und natürlich die Auseinandersetzung um die Aufführung des Fassbinder-Stückes im Schauspielhaus. Graumann argumentiert immer sachlich, äußerst reflektiert und stets aus der Perspektive eines Mannes, der nach vorne schaut und gestalten will.

Dieter Graumann schildert beeindruckend, welche Aufgabe sich der Frankfurter jüdischen Gemeide ab 1989 stellte: „neunzig Prozent unserer Mitglieder sind in den letzten 25 Jahren aus der ehemaligen Sowjetunion zu gekommen, ich wiederhole: neunzig Prozent! Nur zehn Prozent waren vorher schon da. Das ist doch ein bemerkenswertes, kurioses Zahlenverhältnis.“ Für Graumann hat die jüdische Gemeinde dadurch „eine rasante, eine radikale, eine durchaus revolutionäre Veränderung“ erlebt. Die Gemeinde hat sich ihren neuen Mitgliedern zugewandt. Graumann berichtet: „Als jetzt die Zuwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion zu uns kamen, sagte ich mir, ja: da schwor ich mir, die Fehler der Vergangenheit dürfen wir auf gar keinen Fall wiederholen. Deshalb habe ich mich vom ersten Moment an dafür eingesetzt, dass die Neuankömmlinge mit offenen Armen empfangen wurden. Mit Herzlichkeit und einem Lächeln.“

Diese Haltung kann uns Vorbild sein. Im Aufruf zur heutigen Kundgebung des Römerbergbündnisses heißt es : „Seit dem Zweiten Weltkrieg waren weltweit noch nie so viele Menschen auf der Flucht. Gerade Muslime, Juden und Christen sind Opfer von Gewalt und Vertreibung. Dies droht europäische Gesellschaften zu spalten.

Menschen fliehen nach Europa vor Krieg und politischer, religiöser oder ethnischer Verfolgung, vor Hunger und bitterer Armut, vor Umweltzerstörung und vor brutalen Menschenrechtsverletzungen in ihrer Heimat. Asylrecht ist ein wichtiges und aus geschichtlichen Gründen in der Verfassung verankertes Grundrecht. Angriffe auf Grundrechte unterschreiten die Standards, nach denen wir leben wollen. Allzu oft in unserer Geschichte, als Menschen ausgegrenzt und verfolgt wurden, haben zu viele zu lange nur zugeschaut. Eine menschenwürdige Gesellschaft wird aber nur entstehen und Bestand haben, wenn ihre Mitglieder bereit sind, sie gleichberechtigt zu entwickeln und zu verteidigen.“

Und zum Schluss wird festgestellt: „Wir bekennen uns zu den in der Verfassung festgehaltenen Grundrechten, die unabhängig von Geschlecht, Religion und Herkunft für alle Menschen gelten: vor allem zu dem Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit sowie zur Presse-, Meinungs-, Gewissens- und Religionsfreiheit. Wir bejahen ausdrücklich die Diversität der Menschen in unserer Stadt und wollen die daraus entstehenden Konflikte im Rahmen der Rechtstaatlichkeit gemeinsam lösen.“

Lied: EG 599, Selig seid ihr

Mitteilungen

Gebet:

Gott, Quelle der Weisheit

Wir danken für die Momente der Klarheit, die wir erleben,

für den echten Glanz, den wir sehen,

für deine Gegenwart.

Wir bitten dich,

lass uns deine Gegenwart auch in unserer Gemeinschaft erleben:

in unserer Kirche,

daß wir gemeinsam Worte finden für das, was uns bewegt,

in unserem Land,

daß wir uns auf deinen Zuspruch von Frieden und Gerechtigkeit besinnen,

in unserer Gemeinde,

daß wir die Höhen und Tiefen unseres Weges begreifen.

Wir denken an unser eigenes Leben,

was uns fehlt, was wir ändern wollen.

Daß wir unser Leben verantwortungsvoll gestalten,

anderen und uns selbst Freude schenken können,

darum bitten wir.

Gemeinsam beten wir:

Vater unser im Himmel.

Geheiligt werde dein Name.

Dein Reich komme.

Dein Wille geschehe, wie im Himmel, so auf Erden.

Unser tägliches Brot gib uns heute.

Und vergib uns unsere Schuld,

wie auch wir vergeben unsern Schuldigern.

Und führe uns nicht in Versuchung,

sondern erlöse uns von dem Bösen.

Denn dein ist das Reich und die Kraft

Und die Herrlichkeit in Ewigkeit. Amen.

Segen:

Gott segne uns und behüte uns

Gott gebe uns Liebe, wo Haß ist,

Kraft, wo Schwachheit lähmt,

Toleranz, wo Ungeduld herrscht,

Offenheit, wo alles festgefahren scheint.

So sei Gottes Segen mit uns allen,

beflügle unsere Hoffnung

und begleite uns wie ein Licht in der Nacht. Amen.

Lied: 421 Verleih uns Frieden

Einblicke in jüdisches Leben OF 1.8.2013

 

 

Offenbach Post 1.8.2013