Römerbergbündnis gegen Rassismus
25.01.2015 Heiliggeistkirche
Kurt-Helmuth Eimuth
Orgelvorspiel
Eingangslied: EG 295, 1-4
Wohl denen die da wandeln
Votum:
Im Namen Gottes feiern wir diese Andacht
Gott ist die schöpferische Kraft,
die alles Leben werden läßt.
Jesus Christus ist die heilende Kraft,
die zusammenhält, was auseinandergefallen ist.
Gottes Geist ist die tragende Kraft,
die hält, was zu fallen droht.
Psalm 23, Nr. 711 im Wechsel
Der Herr ist mein Hirte,
mir wird nichts mangeln.
Er weidet mich auf einer grünen Aue
Und führet mich zum frischen Wasser.
Er erquicket meine Seele.
Er führet mich auf rechter Straße um seines
Namens willen.
Und ob ich schon wanderte im finstern Tal,
fürchte ich kein Unglück;
denn du bist bei mir,
dein Stecken und Stab trösten mich.
Du bereitest vor mir einen Tisch
Im Angesicht meiner Feinde.
Du salbest mein Haupt mit Öl
Und schenkest mir voll ein.
Gutes und Barmherzigkeit werden mir folgen
Mein Leben lang,
und ich werde bleiben im Hause des Herrn
immerdar.
Eingangsgebet:
Wir stehen vor dir, Gott
Eingebunden in unsere Welt,
umgeben von unserem Alltag,
gefordert von der Verantwortung, die wir tragen.
So viel Unterschiedliches umgibt uns,
so viele Anforderungen werden an uns gestellt,
da ist es manchmal nicht einfach, die Orientierung zu behalten –
oder überhaupt erste eine zu finden.
Die Sehnsucht ist da eine Richtung zu erkennen,
an die wir uns halten und auf die wir uns verlassen können.
In unserer schnelllebigen Zeit
Suchen wir Beständigkeit und dauerhafte Ziele.
Wir stehen vor dir, Gott,
mit unseren Erfahrungen und Träumen,
mit unserer Realität und unseren Hoffnungen.
Vor dir können wir sie bestehen lassen und ernst nehmen. Amen.
Lied: EG 613, Freunde, daß der Mandelzweig
Andacht:
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
mich bewegen in diesen Tagen zwei Ereignisse:
Heute Abend lädt das Römerbergbündnis zu einer Kundgebung unter dem Motto Freiheit, Gleichheit, Geschwisterlichkeit ein. Ein starkes Zeichen gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit.
Morgen ist der 70.Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers in Auschwitz. Auschwitz ist das Synonym für Unmenschlichkeit, für Grausamkeit aber auch für Intoleranz und Rassismus. So etwas wollen wir nie wieder haben. Hier nicht, in Deutschland nicht, auf der ganzen Welt nicht!
Gerade habe ich ein Buch gelesen, dass zu diesen beiden Aspekten interessante Einblicke gewährt. Peter Lückemeier und Werner D’Inka haben den ehemaligen Vorsitzenden des Zentralrates der Juden in Deutschland, Dieter Graumann interviewt.
Graumann, so darf man sagen, ist ein in Israel geborener Frankfurter. Aufgewachsen zunächst in Zeilsheim und später im Westend. Seine Eltern hatten die Konzentrationslager überlebt. Der kleine David, so hieß Dieter Graumann zunächst, kannte vieles aus den Konzentrationslagern aus Erzählungen. „Ich bin mit Geschichten aus den Lagern groß geworden, wie andere mit Grimms Märchen“, sagt Graumann. „Sonntags kamen die Freunde meiner Eltern aus der Zeilsheimer Zeit in unserer kleinen Zweizimmerwohnung im Westend zu Besuch – und worüber redeten sie? Natürlich fast ausschließlich über ihre Zeit in den KZs. Und ich hörte immer sehr aufmerksam zu.
Und dann kam der Augenblick, an dem aus David Dieter wurde. Graumann erzählt: „Das ist ein Moment den ich natürlich für immer in mir trage. Wir lebten damals in der Oberlindau im Frankfurter Westend in einer kleinen Zweizimmerwohnung. Wir hatten im Schlafzimmer meiner Eltern eine große Spiegelanrichte. Eines Tages riefen sie mich und haben sehr ernst gesagt: ‚David, Du kommst jetzt in die Schule, und es ist nicht gut, wenn jeder weiß, dass du jüdisch bist. Und mit Deinem Namen David weiß jeder sofort, dass du Jude bist. Das ist nicht gut, und deswegen werden wir jetzt etwas zusammen machen.‘ Und dann haben sie mich ganz feierlich vor den Spiegel gestellt, mich in die Mitte genommen und dann langsam zu mir gesagt: ‚David, ab heute heißt du Dieter.‘ Das war schon ein heftiger, ein absolut dramatischer und auch traumatischer Augenblick für mich. Ich glaube nicht, dass das vielen Menschen im Leben jemals geschieht.“ Und in der Tat fühlte sich Dieter, wie Graumann jetzt hieß, in der Schulklasse „emotional isoliert.“ Doch er gewöhnte sich schnell an den neuen Namen, der auch in seinen Pass eingetragen wurde. Er kannte ja die Angst seiner Eltern: Denn diese fürchteten, dass sich so etwas wie der Holocaust wiederholen könne. Ausreise war für diese Familie immer ein Thema, das sich nur langsam abschwächte. Widerwillig lebten seine Eltern in Deutschland. „Widerwillig und mit ganz, ganz schlechtem Gewissen. Sie lebten an einem Ort, von dem sie das Gefühl hatten, sie dürften dort eigentlich nicht sein“, so Graumann.
Und noch etwas schmerzte aus der Kinderperspektive: Es gab keine Großeltern. Keine Familie im weiteren Sinne und dem Kind fehlte das Wissen um das Woher, wer gehört dazu – und natürlich vermisste das Kind auch Geschenke.
Für den Erwachsenen bleibt die eine, die entscheidende Frage, die Theodize-Frage offen: Wie konnte Gott Auschwitz zulassen? Eine Frage, die auch Graumann nicht beantworten kann. Graumann benutzt als Beschreibung der Schoa Bubers Begriff der „Gottesfinsternis“ und sagt: „Ich persönlich jedenfalls will aber fest daran glauben, dass Gott selbst im Holocaust immer bei den leidenden Menschen war, um ihnen Mut und Kraft und Inspiration zu geben, dass er jenen Hoffnung und Stärke gab, die den Schrecken überleben konnten, dass er die Verzweiflung und die Schrei der Menschen auch dort gehört und sie auch in unermesslichen Leid getröstet hat, ihre Tränen trocknete und ihnen selbst und gerade in ihren allerschwersten, bittersten Stunden immerzu beistand.“
Dieter war ein Frankfurter Bub und fußballbegeistert. Was lag näher als Fan von Eintracht Frankfurt zu werden. Das half ihm auch später auf dem Goethe-Gymnasium im Kontakt mit den anderen Jungs. Später war er Vorsitzender des jüdischen Fußballvereins Makkabi Frankfurt. Im Jahre 2000 wurden Woche für Woche die Kinder und Jugendlichen des Vereins von den Zuschauerrängen mit antisemitischen Sprüchen angepöbelt. Doch Graumann fand beim DFB kein Gehör und wandte sich schließlich an die Presse. Erst da bewegte sich etwas, wenn auch zunächst widerwillig. Graumann schildert, wie ihm der spätere DFB-Präsident Theo Zwanziger unterstütze. Heute, so Graumann, sei der DFB „deutlich sensibler“.
In dem als Buch erschienenen Gespräch werden auch andere, die Stadt und das Land bewegende Ereignisse lebendig. Der Konflikt mit Martin Walser und Jakob Augstein, die Beschneidungsdebatte und natürlich die Auseinandersetzung um die Aufführung des Fassbinder-Stückes im Schauspielhaus. Graumann argumentiert immer sachlich, äußerst reflektiert und stets aus der Perspektive eines Mannes, der nach vorne schaut und gestalten will.
Dieter Graumann schildert beeindruckend, welche Aufgabe sich der Frankfurter jüdischen Gemeide ab 1989 stellte: „neunzig Prozent unserer Mitglieder sind in den letzten 25 Jahren aus der ehemaligen Sowjetunion zu gekommen, ich wiederhole: neunzig Prozent! Nur zehn Prozent waren vorher schon da. Das ist doch ein bemerkenswertes, kurioses Zahlenverhältnis.“ Für Graumann hat die jüdische Gemeinde dadurch „eine rasante, eine radikale, eine durchaus revolutionäre Veränderung“ erlebt. Die Gemeinde hat sich ihren neuen Mitgliedern zugewandt. Graumann berichtet: „Als jetzt die Zuwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion zu uns kamen, sagte ich mir, ja: da schwor ich mir, die Fehler der Vergangenheit dürfen wir auf gar keinen Fall wiederholen. Deshalb habe ich mich vom ersten Moment an dafür eingesetzt, dass die Neuankömmlinge mit offenen Armen empfangen wurden. Mit Herzlichkeit und einem Lächeln.“
Diese Haltung kann uns Vorbild sein. Im Aufruf zur heutigen Kundgebung des Römerbergbündnisses heißt es : „Seit dem Zweiten Weltkrieg waren weltweit noch nie so viele Menschen auf der Flucht. Gerade Muslime, Juden und Christen sind Opfer von Gewalt und Vertreibung. Dies droht europäische Gesellschaften zu spalten.
Menschen fliehen nach Europa vor Krieg und politischer, religiöser oder ethnischer Verfolgung, vor Hunger und bitterer Armut, vor Umweltzerstörung und vor brutalen Menschenrechtsverletzungen in ihrer Heimat. Asylrecht ist ein wichtiges und aus geschichtlichen Gründen in der Verfassung verankertes Grundrecht. Angriffe auf Grundrechte unterschreiten die Standards, nach denen wir leben wollen. Allzu oft in unserer Geschichte, als Menschen ausgegrenzt und verfolgt wurden, haben zu viele zu lange nur zugeschaut. Eine menschenwürdige Gesellschaft wird aber nur entstehen und Bestand haben, wenn ihre Mitglieder bereit sind, sie gleichberechtigt zu entwickeln und zu verteidigen.“
Und zum Schluss wird festgestellt: „Wir bekennen uns zu den in der Verfassung festgehaltenen Grundrechten, die unabhängig von Geschlecht, Religion und Herkunft für alle Menschen gelten: vor allem zu dem Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit sowie zur Presse-, Meinungs-, Gewissens- und Religionsfreiheit. Wir bejahen ausdrücklich die Diversität der Menschen in unserer Stadt und wollen die daraus entstehenden Konflikte im Rahmen der Rechtstaatlichkeit gemeinsam lösen.“
Lied: EG 599, Selig seid ihr
Mitteilungen
Gebet:
Gott, Quelle der Weisheit
Wir danken für die Momente der Klarheit, die wir erleben,
für den echten Glanz, den wir sehen,
für deine Gegenwart.
Wir bitten dich,
lass uns deine Gegenwart auch in unserer Gemeinschaft erleben:
in unserer Kirche,
daß wir gemeinsam Worte finden für das, was uns bewegt,
in unserem Land,
daß wir uns auf deinen Zuspruch von Frieden und Gerechtigkeit besinnen,
in unserer Gemeinde,
daß wir die Höhen und Tiefen unseres Weges begreifen.
Wir denken an unser eigenes Leben,
was uns fehlt, was wir ändern wollen.
Daß wir unser Leben verantwortungsvoll gestalten,
anderen und uns selbst Freude schenken können,
darum bitten wir.
Gemeinsam beten wir:
Vater unser im Himmel.
Geheiligt werde dein Name.
Dein Reich komme.
Dein Wille geschehe, wie im Himmel, so auf Erden.
Unser tägliches Brot gib uns heute.
Und vergib uns unsere Schuld,
wie auch wir vergeben unsern Schuldigern.
Und führe uns nicht in Versuchung,
sondern erlöse uns von dem Bösen.
Denn dein ist das Reich und die Kraft
Und die Herrlichkeit in Ewigkeit. Amen.
Segen:
Gott segne uns und behüte uns
Gott gebe uns Liebe, wo Haß ist,
Kraft, wo Schwachheit lähmt,
Toleranz, wo Ungeduld herrscht,
Offenheit, wo alles festgefahren scheint.
So sei Gottes Segen mit uns allen,
beflügle unsere Hoffnung
und begleite uns wie ein Licht in der Nacht. Amen.
Lied: 421 Verleih uns Frieden
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