Er ist eine Ikone der Flower-Power-Zeit und wurde nochmals als Achtzigjähriger in diesem Jahrzehnt populär. Leonard Cohen (1934 -2016) war weit mehr als ein Sänger und Songwriter. Er schrieb Gedichte und Romane, aber vor allem war er ein religiös Suchender. Die Tiefe im Schaffen des Künstlers beleuchtet Uwe Birnstein in seinem neuen Sachbuch“‘Hallelujah‘ Leonard Cohen!“ Dem Autor gelingt es mit viel Empathie den Leser und die Leserin mitzunehmen auf die Reise durch ein Leben, das so viele Facetten hatte, wie man es kaum für möglich hält. Stets nah an den Quellen. Man hat das Gefühl, mitten im Geschehen zu sein.
Nein, der Autor will keine Biografie vorlegen. Und tut es auch nicht. Er will ermutigen, sich auf den Weg zu machen, den eigenen Horizont zu weiten, auf andere Zuzugehen, ganz ohne Ängste, Vorschriften und Scheuklappen, ganz so wie es Cohen getan hat.
Cohen ist und bleibt dabei verwurzelt in seinem jüdischen Glauben. Geprägt von Kindheit an, „nicht fanatisch, aber traditionell religiös“. Und eng verbunden mit seinem Großvater, einem Rabbi. Und Bücher gibt es im Hause Cohen. Literatur wird zu einem seiner Hobbys. Aus der gut bürgerlichen Welt Kanadas bricht er auf und landet auf der griechischen Insel Hydra. Dort begegnet er Marianne. Ja, die gibt es wirklich. Nach einer gemeinsamen Zeit sagte er ihr „so long Marianne“, und flog nach New York. Dort spielt er Judy Collins „Suzanne“ vor. Collins ist begeistert, nimmt den Song auf und er wird zum Welthit. Cohen selbst will nicht auftreten. Er könne nicht singen und auch nicht Gitarre spielen. Auf einem Festival treten sie dann gemeinsam auf. Jetzt erst fasst Cohen Zutrauen „in die geradezu magische Wirkung seiner Stimme“ (Birnstein).
Es folgen Jahre im „Drogen- und Frauenrausch“. Später bedauert er seine oberflächlichen Frauengeschichten. Mit Marianne bleibt er in Verbindung. Und noch eine Erkenntnis bricht sich Bahn: Die Drogen katalpultieren ihn zwar in tranzendente Welten, aber sie führen ihn nicht ans Ziel seiner spirituellen Suche.
Cohen sagt von sich selbst, er sei „geboren im Herzen der Bibel“. Er kennt die Geschichten, die die Bibel erzählt, von den Sorgen und Ängsten, von Liebe und Hass, von Rachegelüsten und Mitgefühl, von Sehnsüchten und Enttäuschungen. „Die biblischen Geschichten und Gedanken bringen Inspiration für das eigene Nachdenken“, so Birnstein. In zahlreichen Texten greift er zurück auf biblische Motive. Etwa im Song „Born in Chains“: Dort heißt es: „Ich wurde in Ketten geboren, doch aus Ägypten verstoßen“. Anklänge biblischer Überlieferung finden sich in zahlreichen Liedern. Etwa wenn er in „Democracy“ von der Sehnsucht nach echter Demokratie singt „Zurzeit würden die Frauen vor den ‚Brunnen der Enttäuschung‘ auf Knien beten ‘um die Gnade Gottes in dieser Wüste‘“ Das gelobte Land steht hier für die wahrhafte Demokratie. Gelegentlich überzieht Cohen mit „seiner bisweilen kruden Fantasie und depressiven Weltsicht.“ Etwa wenn er eigene sexuelle Erlebnisse mit biblischen Assoziationen vermengt.
Birnstein bezeichnet David als biblischen Seelenbruder Cohens. David lebte als Freischärler und Frauenheld und wurde schließlich zum König Israels gekrönt. Die Geschichte des Ehebruchs mit Batseba hat Cohen in seinem Welthit „Hallelujah“ verarbeitet. In der ersten Strophe will der Musiker König David Gott mit einem geheimen Akkord gnädig stimmen. Und es folgt fast litaneiartig das Gotteslob „Hallelujah“. In der zweiten Strophe spricht Cohen eine Person an. „Dein Glaube war stark, aber du brauchtest Beweise“, heißt es „du sahst das Mondlicht auf dem Dach, ihre Schönheit und das Mondlicht haben dich überwältigt.“ Hier spielt Cohen darauf an, dass König David Batseba beim Baden zusah. Doch plötzlich wechselt die Szene und die Schöne bindet den verliebten König an den Küchenstuhl und schneidet seine Haare ab. Ein Motiv, dass an Simson erinnert, der Liebestrunken seiner Geliebten Delila das Geheimnis seiner Macht verrät, das in seinen Haaren wurzelt. Sie schneidet ihm die Locken ab.
Die Gebrochenheit des Lebens drückt sich auch in seinem Hallelujah aus. Cohen kommentiert es so: „Der Song erklärt, dass es mehrere Formen des Hallelujah gibt und dass alle perfekten und gebrochenen Hallelujahs dieselbe Wertigkeit haben.“
Cohen treibt aber das Thema noch weiter. Er verbindet Religion und Sexualität. „Denk dran, als ich mich in dir bewegte, da bewegte sich mit uns der Heilige Geist. Und jeder unserer Atemzüge war ein Hallelujah.“ Birnstein folgert: „Körperliche Vereinigung sei – oder sollte es sein- auch eine spirituelle Angelegenheit.“
Der Song wird zu einem der meistgecoverten Songs der Popgeschichte, leider oft verkitscht oder gar missbraucht, etwa im Einsatz für Donald Trump. Dabei ist das Lied ein Plädoyer für Demut und wendet sich gegen jede Form von Triumphalismus.
Die spirituelle Suche Cohens geht weiter. Er ist zwar berühmt und begehrt, fällt aber immer wieder in tiefe Depressionen. Selbst den Psychokult Scientology probiert er kurz aus. Doch er erkennt die Banalität dieses Systems schnell. 1969 begegnet er dem buddhistischen Zen-Meister Roshi. Cohen verbringt viel Zeit im buddhistischen Kloster. Roshi begleitet ihn sogar auf Tourneen. Doch der jüdische Glaube bleibt trotz aller Suchbewegungen weiterhin die religiöse Wurzel Cohens. 1993 zieht es ihn ganz ins Kloster. Er braucht Struktur. 1996 wird er zum Mönch ordiniert. Er blieb bis 1999 im Kloster.
In zahlreichen Werken setzt er sich auch mit Jesus auseinander. Auch ganz privat ist Cohen offen. Er schreibt an einem Weihnachtstag in sein Notizbuch: „Ich habe zu dem gebetet, um den es geht“. Erst seine tiefe Verwurzelung im Judentum macht dies möglich.
Cohen geht in den 2000er Jahren wieder auf Welt-Tournee. Seine Depressionen sind überstanden und die Notwendigkeit liegt auf der Hand. Während seines Klosteraufenthalts hat seine Vertraute und Managerin mehrere Millionen veruntreut. Seine letzte CD „You want it darker“ ist ein inniges, haderndes Gebet zu Gott. „Als würde die Sonne ihre Strahlen verlieren / und wir in endloser Nacht vegetieren / und es gäbe nichts mehr zu fühlen: / Genauso würde mir die Welt erscheinen, / gäbe es deine Liebe nicht.“ Cohen setzt sich mit dem Tod auseinander. Gerde hat er die Nachricht vom unheilbaren Blutkrebs von Marianne erhalten. Er schreibt ihr: „Liebste Marianne, ich bin ein kleines Stückchen hinter dir, nah genug, um deine Hand zu nehmen. Mein alter Körper hat aufgegeben, ganz so, wie es deiner getan hat, und es kann nur noch Tage dauern, bis der Räumungsbescheid abgeschickt wird. Ich habe deine Liebe und deine Schönheit nie vergessen.“
Uwe Birnstein hat uns für die Hintergründigkeit, für die Vielschichtigkeit und Gebrochenheit Leonhard Cohens die Augen geöffnet. Informativ, fesselnd, bewegend.
Kurt-Helmuth Eimuth
Uwe Birnstein, „Hallelujah“, Leomhard Cohen!132 S. Verlag Neue Stadt, 16.-