Kinder brauchen männliches Gegenüber
„Eltern sind wie Gott“
„Eltern sind wie Gott“
Urvertrauen ist die Basis für Religiosität
Evangelisches Frankfurt Okt 2011
Frieder Harz bei seinem Vortrag über religiöse Prägungen vor Frankfurter Erzieherinnen. Foto: Kurt-Helmuth Eimuth
Dass die ersten Lebensjahre prägend sind, ist keine neue Erkenntnis. Frieder Harz, emeritierter Religionspädagoge der Fachhochschule Nürnberg, hob aber auch die Bedeutung der ersten frühkindlichen Bindungen für die religiöse Prägung hervor. Vor den Teilnehmerinnen und Teilnehmern des Beratungsprojektes Kindertagesstätten des Diakonischen Werks für Frankfurt erläuterte Harz, dass für kleine Kinder ihre Eltern „Gott“ seien. „Ihr Angewiesen-Sein auf die primären Bezugspersonen ist elementar. Es hat in diesem Sinn religiöse Bedeutung.“
Harz greift damit eine Erkenntnis der Psychologie auf, wonach die Basis für ein positives Verhältnis zur Religion die Erfahrung eines unerschütterlichen Vertrauens zu den Eltern ist. Dieses Urvertrauen trägt Menschen ein Leben lang. Deshalb sei der behutsamen Eingewöhnung – vor allem in den Krabbelstuben – besonderes Augenmerk zu schenken. Religiöse Erziehung achte darauf, dass seine frühen Bindungen dem Kind einen guten Weg ins Leben eröffneten. Darauf aufbauend könne sich später das „Gefühl schlechthinniger Abhängigkeit“ (Schleiermacher) auch auf ein umfassenderes Gegenüber beziehen.
Mit zunehmender Aneignung der Welt, mit dem (auch im wörtlichen Sinne) Begreifen der Welt, sei es die Aufgabe der religiösen Erziehung, diesen Prozess mit Deutungen zu begleiten, die dem Kind das Gefühl und später die Überzeugung geben, in der Welt aufgehoben und behütet zu sein. Das geschehe über Rituale und Symbole, in Erzählungen und Gebeten, in Raumerfahrungen, Bildern und Musik. Harz forderte Erzieherinnen und Kirchenvorstände auf, darauf zu achten, dass sich diese „frühe religiöse Sprache reich entfalten kann, von den Erwachsenen bewusst praktiziert wird, dass sie als ein Schatz gepflegt wird, der uns allen mitgegeben wird.“
An dem Beratungsprojekt des Diakonischen Werkes nehmen elf evangelische Kindertagesstätten und vier Krabbelstuben teil. Ziel ist es, ein Qualitätsmanagement nach Deutscher Industrienorm einzuführen. 65 Kitas in Frankfurt sind diesen Weg bereits gegangen.
Kurt-Helmuth Eimuth
Evangelisation von Pro Christ
Luther & Co
Oktober 2011
Artikel „Evangelisation von Pro Christ“ anhören
Evangelisation von Pro Christ
Roter Teppich, Stehtische mit Salzgebäck und Mineralwasser. Scheinwerfer bringen buntes Licht auf die Bühne. Der Altar ist zur Seite geräumt. Ein großes Holzkreuz rechts neben der Bühne signalisiert: Diese Kirche ist weiterhin Kirche, aber eben anders. Der Bühnenaufbau signalisiert Modernität. Mit Musik, Interviews und Gesprächen rief die Aktion „Pro Christ“ Ende September in der Heiliggeistkirche zur Evangelisation. Zum Bündnis gehören so unterschiedliche Gemeinden wie die Nord-Ost- und die Michaelisgemeinde, die Heilsarmee und die Freie Christengemeinde. Ziel der Aktionstage war es, „das Evangelium von Jesus Christus als Gesprächsthema in unsere Stadt zu bringen“, wie es in der Ankündigung hieß.
Auf dem Sessel in der Talk-Ecke nahm als Gast Helmut Hosch Platz. Eine Filmeinspielung brachte es in Erinnerung: Am 2. Februar 1990 stießen bei Rüsselsheim zwei vollbesetzte S-Bahnen frontal zusammen. 17 Menschen starben, 147 wurden teils schwer verletzt. Am Steuer saß Helmut Hosch. Er hatte ein Haltesignal übersehen. „Es hat geknallt und das Leben geht weiter“ ist der Titel des Interviews. Ja, er habe Schuld. Für ihn gebe es nur ein Leben vor und eines nach Rüsselsheim. Aber er habe überlebt. Gott habe zu ihm gesagt: „Helmut, ich trage Dich.“ Gott gebe ihm trotz seiner Schuld Halt.
Chor und Band unterbrechen die Wortbeiträge mit flotter Musik. „Klatscht in die Hände und lasst uns singen: Jesus ist der Herr!“ Doch nicht alle wollen in der mit 500 Menschen gut besetzen Kirche aufstehen und mitklatschen. In Teilen ist das Publikum bereits ergraut.
Höhepunkt ist der Auftritt von Ulrich Parzany. Der 70-Jährige hat lediglich eine Bibel in der Hand. Ohne Manuskript spricht er eine gute Stunde über das Gewissen. Der Mensch sei keineswegs von Grund auf gut. „Er kann eine Bestie sein.“ Es komme deshalb darauf an, Gottes Stimme zu vernehmen und nicht auf all die anderen zu hören. Viele würden ihren eigenen Gefühlen folgen und nicht Gott. Deshalb gingen auch viele Ehen auseinander. Parzany schloss mit der Aufforderung, sich auf einen neuen Lebensweg mit Jesus zu begeben und zu beten „Mein ganzes Leben soll jetzt Dir gehören. Du bist mein Herr.“ Dem folgten aber bloß eine Handvoll Menschen.
1993 startete Pro Christ mit dem US-amerikanischen Prediger Billy Graham als Hauptredner, geprägt von Elementen der klassischen Zeltmission: Ansprache und beispielhafte Bekehrungen sollen zu einer Lebenswende ermutigen. Die Aktion wird auch von Teilen der Landeskirchen unterstützt. Ob dadurch aber wirklich ein neues Milieu erschlossen wird, ist fraglich.
Kurt-Helmuth Eimuth
Mit Leib und Seele
Evangelische Spiritualität
19. September 2011
Andacht Peterskirche
Kurt-Helmuth Eimuth
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
Wir haben heute diese Andacht etwas anders gestaltet. Wir hatten vor gut einer Woche auf unserer Fortbildung “Mit Leib und Seele” so viel Freude an dieser Form, dass wir sie heute gerne daran teilhaben lassen wollten.
Mit Leib und Seele – eine Woche auf Körper und Geist hören, Anleitungen zu Sport und Meditation erfahren, und das noch an einem wunderbaren Ort im Jugendwerk Brebbia des Bistums Mainz am südlichen Lago Maggiore. Ist das denn Fortbildung?
Eine Frage, die sich auch den 30 teilnehmenden Erzieherinnen stellte. Gut protestantisch hatten sie doch ein klein wenig ein schlechtes Gewissen gegenüber ihren Kolleginnen. Eine Woche so ganz für sich selbst. Darf man das?
Um es vorweg zu nehmen. Ich meine: Ja, man darf das. Ja, man muss das sogar. Bei all den Arbeitsanforderungen, die ja auch in den Kindertagesstätten in den letzten Jahren deutlich gestiegen sind, ist es geradezu notwendig, nach dem eigenen Grund zu suchen, sich gelegentlich wieder zu vergewissern, nach dem Grund unseres Tun`s. Früherer Nannte man das eine Rüstzeit. Da sollte man für den Alltag zugerüstet werden. Heute bedienen wir uns einer anderen Sprache. Aber der Zweck kommt doch der Rüstzeit sehr nahe. Es geht um die Suche, um das Spüren unserer eigenen Religiosität, die uns im Alltag halt gibtt.
In ihrem Buch: „Mit Herzen, Mund und Händen“ zeigt Margot Käßmann Grundlagen für eine christliche Spirituallität auf. Sie betont, dass Sinnlichkeit des Glaubens hier durchaus in reformatorischer Tradition steht und fragt nach evangelischer Spiritualität. Im Neuen Testament ist immer wieder von Gottes Geist die Rede. Der verwendete griechische Begriff hierfür, pneuma, wird im Lateinischen mit spiritus übersetzt. Der Geist steht für die Dimension des Glaubens, und auch für die innere Glaubenserfahrung, für die göttliche Gegenwart. Spiritualität ist damit die Glaubensdimension, die sich durch die dritte Person der Trinität erschließt, den Heiligen Geist. Durch Gottes Geist wird unsere Gottesbeziehung erfahrbar.
Den eigenen sprituellen Weg aber wird jeder Mensch individuell finden müssen. Spiritualität im Alltag zu leben, das scheint wichtig, das ist ein reformatorisches Anliegen für uns als Einzelne, für unsere Gemeinden und für unsere Kirche insgesamt.
Die vier tragenden Säulen evangelischer Spiritualität, die Margot Käßmann sieht, sind die Bibel, der Gottesdienst, das Gebet und das Gesangbuch.
Die Bibel
Aus der Bibel, dem Buch der Erfahrung des Glaubens an Gott, des Lebens mit Gott, finden wir Orientierung. Die Bibel ist niemals ausgelesen. Ein Text der Bibel ist nie ein für alle Mal im Leben derselbe und hat für unterschiedliche Menschen in ihrer je eigenen Lebenssituation eine unterschiedliche Bedeutung. Z.B. ist hier der Psalm 23 für viele Menschen außerordentlich verschieden.
Für viele Menschen ist der Psalm Trost und Zuspruch in unterschiedlichen Situationen. Aber es gibt auch diejenigen, die innerliche Widerstände spüren, wenn sie hören: Dein Stecken und Stab trösten mich. Sie verbinden damit Schläge in der Familie, die angeblich gut für sie sein sollten.
Es sei eine richtige Tragödie für Käßmann, schreibt sie, dass so viele Menschen in Deutschland die Bibel gar nicht mehr kennen. In diesem Land hat Martin Luther das erste Mal die Bibel in die Volkssprache übersetzt. Er wollte, dass die Menschen selbst nachlesen können. Schulen für Jungen und sogar für Mädchen hat er gegründet, ein Bildungsprozess unvorstellbaren Ausmaßes wurde so in Gang gesetzt.
Vor allem für Evangelische ist die Bibel von zentraler Bedeutung, ja die ganze Reformation ist letzten Endes von Luthers Bibelstudium her entwickelt. Die Übersetzung der Bibel in die deutsche Sprache war ein revolutionärer Vorgang.
Vielleicht sei die Poesie die schönste Sprache des Glaubens, so Käßmann. Poetische Texte der Bibel von den Psalmen bis 1. Korinther 13 haben die Herzen der Menschen immer besonders berührt.
Sie gibt die Anregung, doch mal z.B. ein Evangelium zu lesen. Jeden Tag ein Stück.
Der Gottesdienst
So mancher Seufzer ist über den Gottesdienst zu hören: zu trocken, zu lieblos, zu wenig ansprechend. Das Fazit einer Auswertung durch Konfirmanden lautet: Er ist für fast alle langweilig.
Ein Gottesdienst soll Menschen im Glauben stärken, sie aufnehmen in die Gemeinschaft, ihnen Anregung geben zum Nachdenken, sie das Lob Gottes singen und ihre Gedanken vor Gott bringen lassen. In den Gemeinden vor Ort sollte überlegt werden, wie der Gottesdienst lebendiger werden kann, sodass, wer teilnimmt, spirituell gestärkt wird und Gemeinschaft erlebt.
In Psalm 147 heißt es: „Unsern Gott loben, das ist ein köstlich Ding“. Das heißt, es macht Gott Freude, wenn ich Gott zum Lobe singe, wenn wir gemeinsam zu Gott beten, wenn wir Gottes Wort hören. Gottesdienst ist ein Dialog zwischen Gott und Gemeinde, wir hören und antworten, wir bitten um Gottes Gegenwart und erfahren sie.
Gemeinschaft im Hören, Singen und Beten ist Teil christlicher Spiritualität. Die erste Christenheit hat dafür ihr Leben riskiert. Auch heute kann es , etwa in China oder Indonesien, lebensgefährlich sein, an einem Gottesdienst teilzunehmen.
Gottesdienst, das ist die Liturgie, die Erfahrung der Gemeinschaft, die Tradition, in der ich stehe.
Taufe und Abendmahl sind für die Kirche der Reformation die beiden einzigen Sakramente, weil sie direkt auf Jesus Christus zurückgehen. Wasser, Brot und Wein sind elementare Versinnbildlichungen des Glaubens. Und diese beiden Sakramente verbinden uns mit allen anderen Konfessionen. Wir taufen in die eine Kirche Jesu Christi hinein.
Das Gebet
Das Beten gilt als das „Herzstück christlicher Spiritualität“ (VELKD).
Und es ist wohl auch der einfachste Zugang zu Spiritualität. Da bedarf es keiner langwierigen Unterweisung, es betet sich sozusagen von selbst.
Martin Luther hat einmal an seinen Barbier Meister Peter geschrieben und ihm Mut gemacht, ganz schlicht das Vaterunser zu sprechen. Nicht allzu viel Brimborium solle gemacht werden, sondern in diesem Gebet sei alles aufgehoben, wenn sich das Herz dafür erwärme. Luther schreibt: „Und ich habe so auch oft mehr in einem Gebet gelernt, als ich aus viel Lesen und Nachsinnen hätte kriegen können. Darum kommt es am meisten darauf an, dass sich das Herz zum Gebet frei und geneigt mache … Was ists anders als Gott versuchen, wenn das Maul plappert und das Herz anderso zerstreut ist?“
Gebet ist auch Konzentration. Es gibt das gemeinsame Gebet im Gottesdienst, aber vor allem auch das persönliche Gebet im Tagesablauf.
Gebet braucht auch eine Form von Disziplin. Eben mal beten, dass dies oder das eintreten möge, das degradiert Gott zu einem Automaten, in den ich eine Münze werde und erwarte, dass etwas herauskommt.
Es geht beim Beten darum, langfristig beziehungsweise auf Dauer mit Gott im Gespräch zu sein, sich auf die Gottesbeziehung einzulassen. Das verändert immer auch mich selbst.
Kraftvoll soll vor allem das „Amen“ gesprochen werden, so Luther, damit wir den Zweifel bekämpfen. Niemand steht so fest im Glauben, dass er oder sie nicht auch wanken würde.
Probleme verschwinden nicht durch das Gebet, aber sie werden manches Mal auf die ihnen angemessene Dimension zurückgestuft.
Gebete verändern. Das hat vor allem die Erfahrung der Montagsgebete in der Leipziger Nikolaikirche gezeigt. Hier konnte in Freiheit ausgesprochen werden, was Menschen bedrängt.
Wenn Menschen in Angst und Gefahr nicht mehr ein noch aus wissen, ist das gemeinsame Gebet ein Angebot der Geborgenheit und Gemeinschaft.
So sind das persönliche Gebet und das gemeinsame Gebet … tragende Säulen christlicher Spiritualität.
Das Gesangbuch
Das Singen ist das Herzstück evangelischer Spiritualität und neben Bibel, Gottesdienst und Gebet der vierte Grundpfeiler.
Die Psalmen fordern uns geradezu heraus: „Singet dem Herrn ein neues Lied!“ heißt es in Psalm 96 oder in Psalm 68: „Singet Gott, lobsinget seinem Namen!“ Gerade die lutherischen Kirchen haben eine große Tradition, im Singen unseren Glauben auszudrücken. Martin Luther selbst war ein äußerst kreativer Liederdichter. Und Paul Gerhardt ist wohl der größte Liederdichter überhaupt. Seine Verse gehören in den deutschen evangelischen Gesangbüchern zu den am häufigsten erscheinenden Texten, aber auch in der katholischen Kirche werden seine Lieder gesungen, ja sie finden sich in aller Welt.
Alte, weise Lieder können unserem Glauben Form, Töne und Text geben. Aber es können auch neue Lieder sein. Auch hier kann es um tiefen Glauben in neuer Sprache und neuen Tönen gefasst sein.
Singen ist zudem Teil von Bildung. Kirchenmusik ist auch religiöse Bildung.
Es geht um Halt und Orientierung in diesem Leben und weit darüber hinaus. Dafür Zeit zu finden in unserem Leben, Freiraum dafür zu schaffen, ist eine lohnende Angelegenheit. Wir lernen auf diese Weise, das Leben in seiner gottgeschenkten Fülle wahrzunehmen. Wir erfahren, dass der christliche Glaube nicht eine Sache allein des Intellekts ist oder des Kopfes, sondern mit allen Sinnen wahrgenommen werden kann, gerade auch in der lutherischen Kirche.
Davon, so zeigte die Auswertung, haben die Teilnehmerinnen am Lago Maiggore etwas spüren können. Bei den Andachten, beim meditativen Singen am Ufer des Sees, beim Walken und beim Pilgern zu den 15 Kapellen des Sacro Monte bei Varese.
Mitarbeiterinnen zu stärken, ihnen im Käßmann’schen Sinne Zugang neu oder wieder zur eigenen evangelischen Spiritualität zu eröffnen, ist sicher im besten protestantischen Sinne Bildung.
Rechtsextremismus
Entscheidung mit Augenmaß
Entscheidung mit Augenmaß
Der Bundestag hat die Präimplantationsdiagnostik in Deutschland begrenzt zugelassen.
Nach langer, ernsthafter Debatte hat der Bundestag die Zulassung der Präimplantationsdiagnostik (PID) begrenzt zugelassen: Eine Lösung, die den betroffenen Eltern, vor allem aber den Frauen entgegenkommt.
Monatelang haben die Abgeordneten aller Fraktionen um eine Entscheidung gerungen. Der Druck war groß. Ging es doch um nichts Geringeres als um die Existenz menschlichen Lebens. Gut, dass in diesem Fall der Fraktionszwang aufgehoben war. So konnte das Plenum tatsächlich eine Gewissensentscheidung treffen. Wenn es um die Frage geht, ob und wenn ja in welchen Fällen beginnendes menschliches Leben vernichtet werden darf, kann es kein Richtig oder Falsch geben. Es kann nur Entscheidungsgründe geben, die in gegenseitigem Respekt ausgetauscht werden.
Künftig haben Paare die Möglichkeit, schwere genetische Schäden schon bei der künstlichen Befruchtung feststellen zu lassen. Bisher mussten sie warten, bis eine Fruchtwasseruntersuchung im fortgeschrittenen Schwangerschaftsstadium möglich war. In ihrer Not haben sich zahlreiche Frauen dann zur Abtreibung entschlossen. Die notwendige medizinische Indikation liegt in solchen Fällen vor. Oder die Betroffenen sind ins europäische Ausland gefahren. Dort ist PID weitgehend zugelassen. Nach Schätzungen wird die jetzige Regelung etwa 200 Paare im Jahr betreffen.
Die Gegner der Zulassung, auch die beiden Kirchen, befürchten einen Dammbruch, wenngleich einige Mitglieder des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland die jetzige Lösung ethisch verantwortbar finden. Die katholische Kirche hingegen will weiterhin für eine strenge Begrenzung der Methode eintreten.
Befürchtet wird, dass künftig eben nicht nur nach Gendefekten gesucht wird, sondern auch nach bestimmten körperlichen Merkmalen. Soll es ein Junge sein, soll das Kind blond, stark oder dünn sein? Auch wenn heute technisch die so genannten „Designerbabys“ noch nicht selektiert werden können, so ist diese Technik doch für viele der Einstieg in die Kindesauswahl nach Katalog. Es ist aber zu hoffen, dass Lilo Berg von der Frankfurter Rundschau Recht behält, wenn sie die rhetorische Frage stellt: „Warum sollte eine Bevölkerung, die aus Sorge um künftige Generationen ihre Kernkraftwerke abschaltet, plötzlich Designerbabys in die Welt setzen wollen?“
Kurt-Helmuth Eimuth
Finanzkrise gefährdet die Demokratie
Finanzkrise gefährdet die Demokratie
Foto: Rolf Oeser
Geahnt haben wir es schon immer. Es gibt genügend Lebensmittel für alle. Nur die Verteilung ist zutiefst ungerecht. Der Film „Taste the waste“ hält es uns drastisch vor Augen. Doch wir sorgen uns um Aktienmärkte und Staatsverschuldung, retten eben mal mit dreistelligen Milliardenbeträgen Banken oder stützen die eigene Währung. Die Welt scheint aus den Fugen.
Hier zu Lande bereiten die hohen Staatsschulden den Bundesbürgern enormes Kopfzerbrechen. Laut dem „Sorgenbarometer“ des „Stern“ rangiert die Furcht, die Verschuldung könnte ins Immense steigen, auf Platz eins. Auf die Frage, was sie im Augenblick am meisten beunruhigt, nannten danach 63 Prozent die Angst davor, dass die Staatsschulden weiter steigen.
Die Furcht ist durchaus berechtigt. Um die Staatsverschuldung einordnen zu können, wird sie ins Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt, also zu allen Waren und Dienstleistungen, die in einem Jahr geschaffen und geleistet werden, gesetzt. In der Eurozone soll diese Quote 60 Prozent nicht übertreffen. Tatsächlich liegt Deutschland bei 83, Belgien und Irland bei 96 Italien bei 119 und Griechenland bei 142 Prozent. Getrieben von der Krise steigt die Verschuldung Deutschlands in diesem Jahr deutlich. Eine Schuldenbremse soll die Neuverschuldung deckeln. Ein erster Schritt. Denn ein Staat, der sein Budget nur durch immer mehr Schulden ausgleichen kann, treibt auf den Konkurs zu. Ratingagenturen haben die schlechte Botschaft überbracht. Doch es hilft nicht, den Überbringer der Botschaft zu köpfen.
Volkswirtschaftlich wird diese Situation zu einer steigenden Inflation führen. Die Flucht der Anleger in Gold und Immobilien sind ein Symptom für die Angst vor der Geldentwertung. Doch Inflation ist die Geißel des viel zitierten kleinen Mannes (und der weniger oft zitierten kleinen Frau). Denn ihr Erspartes, zum Beispiel die Lebensversicherung, leidet. Und alle die Transferleistungen erhalten, etwa die Rentner, werden überproportional betroffen sein.
Die politischen Folgen eines sparsamen Staates sind unkalkulierbar. Die Unruhen in Griechenland und in Großbritannien zeigen, welche Gefahren für die Demokratie in der Finanzkrise stecken. Aber auch Überbevölkerung und Unterernährung lassen viele den Glauben an ein gerechtes Wirtschaftssystem verlieren. So gesehen ist nicht nur die Währung in Gefahr. Die globalen Turbulenzen gefährden den gesellschaftlichen Konsens.
Kurt-Helmuth Eimuth
Evangelisches Frankfurt August 2011
Terror und Fundamentalismus
Terror und Fundamentalismus
Schnell waren Erklärungen für die Attentate in Norwegen zur Hand. Zuerst vermuteten viele islamische Terroristen, dann wurde die krude Gedankenwelt von Anders Breivik mit christlichem Fundamentalismus in Verbindung gebracht. Doch auch damit hat er nichts zu tun. Seine Motivation war der Hass vor allem auf Menschen anderer Nationalität und Religion. So kommt Massimo Introvigne, italienischer Soziologe und Experte für neue religiöse Bewegungen, zu dem Schluss: „Wenn man eine Methode in seinem Wahnsinn finden will, so muss man den roten Faden in seinem Denken aufspüren, und das ist in erster Linie seine Islam-Feindlichkeit, die sich im Westen bisher kaum gewaltsam manifestierte.“
Hingegen gab Breivik klare Anleitungen für die Planung und Durchführung von Terroraktionen – von der Weitergabe seiner Sprengstoffkenntnisse bis zu strategischen Überlegungen zur Planung von Terrorakten. Breivik ist also ein Terrorist, der seine Taten mit verworrenen Überzeugungen begründet, die er von religiösen Fundamentalisten übernimmt, weil sie zu seinem Hass auf „Andere“ passen – ähnlich ist es im Übrigen auch bei „islamistischen” Terroristen.
Fundamentalismus und pseudoreligiöser Terrorismus ähneln sich zwar im Hinblick auf ihre Intoleranz – man denke nur an den ehemaligen US-Präsidenten George W. Bush, der mit Blick auf feindliche Länder von einer „Achse des Bösen“ sprach. Oder auch an einen christlich fundamentalistischen Prediger, für den zum Umkreis dämonischer Mächte alle Hochreligionen Asiens und der Islam gehören, ebenso übrigens Homöopathie, Fußzonenreflexmassage und andere alternative Heilmethoden, da sie eine „dämonische Verführung“ darstellen.
Aber während der Fundamentalist diese Auffassungen nur predigt und praktiziert, stellt sich der Terrorist selbst an Gottes Stelle. Er überschreitet „die Schwelle der Zu- und Aberkennung der Existenzberechtigung anderer“, wie es der Psychiater Robert Jay Lifton formuliert. Für Terroristen sind Menschen, die ihrer „Wahrheit“ entgegenstehen, Feinde, die massiv bekämpft werden müssen, wobei alle Mittel erlaubt sind.
Sowohl Terrorismus als auch Fundamentalismus bedienen sich eines Weltbildes, in dem das Gute mit dem Bösen kämpft. Konflikte zwischen Menschen, zwischen Nationen, zwischen Kulturen sind Teil dieses immer währenden Kampfes. Man selbst steht natürlich auf der Seite des Guten. Ob nun islamische Staaten angeblich eine Achse des Bösen bilden oder ob der Islam Norwegen bedroht – das Böse greift an, und man selbst muss das Gute verteidigen.
So gesehen greifen George W. Bush und der Attentäter Breivik durchaus auf ähnliche Denkmuster zurück.
Kurt-Helmuth Eimuth
Evangelisches Frankfurt August 2011
Geistliche Kampfführung
Geistliche Kampfführung
Evangelisches Frankfurt August 2011
Geistliche Kampfführung
In Norwegen verübt ein Terrorist Massenmord und beruft sich dabei auf die christlichen Kreuzritter. In Amerika ruft ein republikanischer Gouverneur zum Mega-Gottesdienst, um die Finanzkrise wegzubeten. Hinter solchen kruden Vorstellungen steht ein Weltbild, in dem das Böse als Teufel oder Satan personifiziert wird.
Pfarrerin Lieve Van den Ameele war erstaunt über die Anfrage, die im Büro der Gemeinde Fechenheim eintraf: Ob sie denn einen „Jesus-Marsch“ unterstützen wolle. Als Veranstalter firmierte eine Bewegung namens „Himmel über Frankfurt“. Auf deren Internetseite heißt es, man sei eine übergemeindliche Bewegung von bibelgläubigen Christen, „die ihrem Herrn Jesus Christus ernsthaft nachfolgen und SEINEN Auftrag erfüllen wollen“. Ziel sei, „den Thron Gottes in Frankfurt aufzurichten und die Stadt mit dem Wort Gottes zu füllen, damit möglichst viele Menschen zu Erkenntnis der Wahrheit, die Jesus Christus selbst ist, kommen.“
Die Sprache klingt etwas merkwürdig, aber auf den ersten Blick hört sich das unverfänglich an. Doch der Jesus-Marsch ist ein Instrument der so genannten „geistlichen Kampfführung“. Mit ihrer Hilfe sollen räumlich begrenzte Gebiete „zurückerobert“ werden. Gemeint ist der Kampf gegen dämonische Mächte, die über bestimmte Nationen, Regionen, Städte und Wohngebiete oder sogar einzelne Häuser und Wohnungen herrschen. Frankfurt mit seiner materialistischen und pluralistischen Kultur steht nach Ansicht dieser Bewegungen unter besonders starkem Einfluss dämonischer Mächte.
Solche Vorstellungen gehen davon aus, dass es einen weltgeschichtlichen Kampf zwischen „Gut“ und „Böse“ gibt. Engel und Dämonen kämpfen in den Lüften miteinander, und Christinnen und Christen können durch ihr Handeln und Beten den Engeln und damit Gott selbst zum Sieg verhelfen. Dies geschieht meist durch Gebete und offensive Kampfansagen gegen die „Mächte der Finsternis“. Auf diese Weise soll die Herrschaft Satans und seiner Dämonen gebrochen werden.
Die Mittel, derer man sich bedienen soll, sind hauptsächlich Fürbitte und offensives Gebieten „im Namen Jesu“ sowie Lobpreis und Anbetung. Hierzu gibt es eine genaue Strategie. Zunächst wählt man eine geographische Einheit aus. Die Gläubigen sollen sich einer persönlichen „Reinigung“ unterziehen. Buße, Fasten und Gebet sollen die „geistliche Optik“ schärfen und dem „Feind“ jegliche Angriffspunkte entziehen. Die Anwesenden stellen sich unter den „Schutz des Blutes Jesu“.
Ferner soll die Region aus religionsgeschichtlicher Perspektive untersucht werden. Da praktisch alle nichtchristlichen Religionen als dämonisch gelten (außer dem Judentum), findet sich hier immer ein Ansatzpunkt. Auch wird nach den in einer Region vorherrschenden Sünden gesucht. In Frankfurt gelten zum Beispiel das Rotlichtviertel und die Bankniederlassungen – als Anhaltspunkte für einen Geist der sexuellen Unzucht beziehungsweise der Habgier – als besonders belastet. Manche gehen dabei so weit, dass sie Landkarten in einzelne Territorien zerlegen, über die jeweils ein bestimmter Dämon herrscht, um gezielt für geistliche Befreiung beten zu können. Diese Vorgehensweise bezeichnet man als „spiritual mapping“. Für eine erfolgreiche geistliche Kriegsführung ist die „Geisterunterscheidung“ bedeutsam. Die Geister und ihre Namen müssen identifiziert werden, damit man sie vertreiben kann.
Die Vertreibung Satans und der Dämonen geschieht durch Lobpreis und durch die Proklamierung des Namens Jesu. Dahinter steht letztlich ein magisches Verständnis von Gebet: Man glaubt, dass das Beten und Rufen des Namens Jesu bewirkt, dass die dämonischen Mächte verschwinden. Solche „Wirkautomatismen“ sind im Prinzip ein in christlicher Verkleidung daher kommender Okkultismus. Denn nach der christlichen Lehre hat eben nicht der Mensch, sondern allein Gott die Wirkung eines Gebetes in der Hand.
Abschied vom Teufelsglauben
Christinnen und Christen, die sich das Böse als personifizierten Teufel oder Satan vorstellen, stoßen an eine gedankliche Grenze. Denn nach christlicher Überzeugung hat Gott ja die ganze Welt geschaffen – also auch den Teufel. Ein allmächtiger Gott kann nicht im Kampf mit dem Teufel stehen.
Um diesem logischen Widerspruch zu entgehen, wird der Teufel oft als gefallener Bote Gottes gesehen. Das heißt, der Teufel übt zwar Macht aus, aber grundsätzlich könnte Gott diese Macht jederzeit zurückfordern. Allerdings stellt sich dann die Frage, warum Gott den Teufel gewähren lässt.
Die moderne protestantische Theologie verzichtet gänzlich auf personalisierte Teufelsvorstellungen. Die menschliche Freiheit besteht darin, sich für oder gegen etwas entscheiden zu können. Das Böse kommt nicht von außen, sondern ist Teil des menschlichen Denkens und Handelns.
Krieg und Terror, Finanzkrisen und Ungerechtigkeiten sind zwar sicherlich böse, aber sie werden von Menschen angezettelt und ausgeführt. Deshalb hilft dagegen auch keine Teufelsaustreibung – sondern nur Umkehr und Buße.
Kurt-Helmuth Eimuth
Geistliche Kampfführung: Das krude Weltbild der Fundamentalisten
von Kurt-Helmuth Eimuth 26. August 2011
In Norwegen verübt ein Terrorist Massenmord und beruft sich dabei auf die christlichen Kreuzritter. In Amerika ruft ein republikanischer Gouverneur zum Mega-Gottesdienst, um die Finanzkrise wegzubeten. Hinter solchen kruden Vorstellungen steht ein Weltbild, in dem das Böse als Teufel oder Satan personifiziert wird.

Pfarrerin Lieve Van den Ameele war erstaunt über die Anfrage, die im Büro der Gemeinde Fechenheim eintraf: Ob sie denn einen „Jesus-Marsch“ unterstützen wolle. Als Veranstalter firmierte eine Bewegung namens „Himmel über Frankfurt“. Auf deren Internetseite heißt es, man sei eine übergemeindliche Bewegung von bibelgläubigen Christen, „die ihrem Herrn Jesus Christus ernsthaft nachfolgen und SEINEN Auftrag erfüllen wollen“. Ziel sei, „den Thron Gottes in Frankfurt aufzurichten und die Stadt mit dem Wort Gottes zu füllen, damit möglichst viele Menschen zu Erkenntnis der Wahrheit, die Jesus Christus selbst ist, kommen.“
Die Sprache klingt etwas merkwürdig, aber auf den ersten Blick hört sich das unverfänglich an. Doch der Jesus-Marsch ist ein Instrument der so genannten „geistlichen Kampfführung“. Mit ihrer Hilfe sollen räumlich begrenzte Gebiete „zurückerobert“ werden. Gemeint ist der Kampf gegen dämonische Mächte, die über bestimmte Nationen, Regionen, Städte und Wohngebiete oder sogar einzelne Häuser und Wohnungen herrschen. Frankfurt mit seiner materialistischen und pluralistischen Kultur steht nach Ansicht dieser Bewegungen unter besonders starkem Einfluss dämonischer Mächte.
Solche Vorstellungen gehen davon aus, dass es einen weltgeschichtlichen Kampf zwischen „Gut“ und „Böse“ gibt. Engel und Dämonen kämpfen in den Lüften miteinander, und Christinnen und Christen können durch ihr Handeln und Beten den Engeln und damit Gott selbst zum Sieg verhelfen. Dies geschieht meist durch Gebete und offensive Kampfansagen gegen die „Mächte der Finsternis“. Auf diese Weise soll die Herrschaft Satans und seiner Dämonen gebrochen werden.
Die Mittel, derer man sich bedienen soll, sind hauptsächlich Fürbitte und offensives Gebieten „im Namen Jesu“ sowie Lobpreis und Anbetung. Hierzu gibt es eine genaue Strategie. Zunächst wählt man eine geographische Einheit aus. Die Gläubigen sollen sich einer persönlichen „Reinigung“ unterziehen. Buße, Fasten und Gebet sollen die „geistliche Optik“ schärfen und dem „Feind“ jegliche Angriffspunkte entziehen. Die Anwesenden stellen sich unter den „Schutz des Blutes Jesu“.
Ferner soll die Region aus religionsgeschichtlicher Perspektive untersucht werden. Da praktisch alle nichtchristlichen Religionen als dämonisch gelten (außer dem Judentum), findet sich hier immer ein Ansatzpunkt. Auch wird nach den in einer Region vorherrschenden Sünden gesucht. In Frankfurt gelten zum Beispiel das Rotlichtviertel und die Bankniederlassungen – als Anhaltspunkte für einen Geist der sexuellen Unzucht beziehungsweise der Habgier – als besonders belastet. Manche gehen dabei so weit, dass sie Landkarten in einzelne Territorien zerlegen, über die jeweils ein bestimmter Dämon herrscht, um gezielt für geistliche Befreiung beten zu können. Diese Vorgehensweise bezeichnet man als „spiritual mapping“. Für eine erfolgreiche geistliche Kriegsführung ist die „Geisterunterscheidung“ bedeutsam. Die Geister und ihre Namen müssen identifiziert werden, damit man sie vertreiben kann.
Die Vertreibung Satans und der Dämonen geschieht durch Lobpreis und durch die Proklamierung des Namens Jesu. Dahinter steht letztlich ein magisches Verständnis von Gebet: Man glaubt, dass das Beten und Rufen des Namens Jesu bewirkt, dass die dämonischen Mächte verschwinden. Solche „Wirkautomatismen“ sind im Prinzip ein in christlicher Verkleidung daher kommender Okkultismus. Denn nach der christlichen Lehre hat eben nicht der Mensch, sondern allein Gott die Wirkung eines Gebetes in der Hand.
Abschied vom Teufelsglauben
Christinnen und Christen, die sich das Böse als personifizierten Teufel oder Satan vorstellen, stoßen an eine gedankliche Grenze. Denn nach christlicher Überzeugung hat Gott ja die ganze Welt geschaffen – also auch den Teufel. Ein allmächtiger Gott kann nicht im Kampf mit dem Teufel stehen.
Um diesem logischen Widerspruch zu entgehen, wird der Teufel oft als gefallener Bote Gottes gesehen. Das heißt, der Teufel übt zwar Macht aus, aber grundsätzlich könnte Gott diese Macht jederzeit zurückfordern. Allerdings stellt sich dann die Frage, warum Gott den Teufel gewähren lässt.
Die moderne protestantische Theologie verzichtet gänzlich auf personalisierte Teufelsvorstellungen. Die menschliche Freiheit besteht darin, sich für oder gegen etwas entscheiden zu können. Das Böse kommt nicht von außen, sondern ist Teil des menschlichen Denkens und Handelns.
Krieg und Terror, Finanzkrisen und Ungerechtigkeiten sind zwar sicherlich böse, aber sie werden von Menschen angezettelt und ausgeführt. Deshalb hilft dagegen auch keine Teufelsaustreibung – sondern nur Umkehr und Buße.
Terror und Fundamentalismus
Schnell waren Erklärungen für die Attentate in Norwegen zur Hand. Zuerst vermuteten viele islamische Terroristen, dann wurde die krude Gedankenwelt von Anders Breivik mit christlichem Fundamentalismus in Verbindung gebracht. Doch auch damit hat er nichts zu tun. Seine Motivation war der Hass vor allem auf Menschen anderer Nationalität und Religion. So kommt Massimo Introvigne, italienischer Soziologe und Experte für neue religiöse Bewegungen, zu dem Schluss: „Wenn man eine Methode in seinem Wahnsinn finden will, so muss man den roten Faden in seinem Denken aufspüren, und das ist in erster Linie seine Islam-Feindlichkeit, die sich im Westen bisher kaum gewaltsam manifestierte.“
Hingegen gab Breivik klare Anleitungen für die Planung und Durchführung von Terroraktionen – von der Weitergabe seiner Sprengstoffkenntnisse bis zu strategischen Überlegungen zur Planung von Terrorakten. Breivik ist also ein Terrorist, der seine Taten mit verworrenen Überzeugungen begründet, die er von religiösen Fundamentalisten übernimmt, weil sie zu seinem Hass auf „Andere“ passen – ähnlich ist es im Übrigen auch bei „islamistischen” Terroristen.
Fundamentalismus und pseudoreligiöser Terrorismus ähneln sich zwar im Hinblick auf ihre Intoleranz – man denke nur an den ehemaligen US-Präsidenten George W. Bush, der mit Blick auf feindliche Länder von einer „Achse des Bösen“ sprach. Oder auch an einen christlich fundamentalistischen Prediger, für den zum Umkreis dämonischer Mächte alle Hochreligionen Asiens und der Islam gehören, ebenso übrigens Homöopathie, Fußzonenreflexmassage und andere alternative Heilmethoden, da sie eine „dämonische Verführung“ darstellen.
Aber während der Fundamentalist diese Auffassungen nur predigt und praktiziert, stellt sich der Terrorist selbst an Gottes Stelle. Er überschreitet „die Schwelle der Zu- und Aberkennung der Existenzberechtigung anderer“, wie es der Psychiater Robert Jay Lifton formuliert. Für Terroristen sind Menschen, die ihrer „Wahrheit“ entgegenstehen, Feinde, die massiv bekämpft werden müssen, wobei alle Mittel erlaubt sind.
Sowohl Terrorismus als auch Fundamentalismus bedienen sich eines Weltbildes, in dem das Gute mit dem Bösen kämpft. Konflikte zwischen Menschen, zwischen Nationen, zwischen Kulturen sind Teil dieses immer währenden Kampfes. Man selbst steht natürlich auf der Seite des Guten. Ob nun islamische Staaten angeblich eine Achse des Bösen bilden oder ob der Islam Norwegen bedroht – das Böse greift an, und man selbst muss das Gute verteidigen.
So gesehen greifen George W. Bush und der Attentäter Breivik durchaus auf ähnliche Denkmuster zurück.