Es kommt ein Schiff geladen

2. Advent, 5. 12. 99

Pfarrerin Marion Eimuth

gelesen von Kurt-Helmuth Eimuth

Orgelvorspiel

Gemeinde: Eingangslied: EG 12, 1 + 2

Votum:

Liebe Gemeinde,

ich begrüße Sie herzlich zu diesem Adventsgottesdienst.

Ich stehe hier in Vertretung für meine Frau. Der Arzt riet hier dringend dazu diesen Gottesdienst nicht zu halten. Sie leidet an einer Kelhkopfentzündung. So darf ich hier das vollenden, was sie vorbereitet hat.

Wir sind mitten drin in einer Zeit der Vorbereitung und der Erwartung: Weihnachten steht vor der Tür.

Wir warten darauf, die frohe Botschaft wieder zu hören vom Kommen Gottes zu den Menschen.

Und vielleicht erwarten wir noch mehr, – nämlich daß etwas spürbar wird von seinem Dasein mitten unter uns. Daß etwas spürbar wird von seiner Liebe, von seiner heilsamen Zuwendung.

Und wir feiern unseren Gottesdienst, wie alle unsere Gottesdienste im Namen Gottes, im Namen Jesu Christi und im Namen des Heiligen Geistes. Amen

Pfarrerin: Psalm 80:

Herr, Gott Zebaoth, tröste uns wieder;

lass leuchten dein Antlitz, so genesen wir.

Du Hirte Israels, höre, der du Josef hütest wie Schafe!

Erscheine, der du thronst über den Cherubin,

vor Ephraim, Benjamin und Manasse!

Erwecke deine Kraft und komm uns zur Hilfe!

Gott Zebaoth, tröste uns wieder;

lass leuchten dein Antlitz, so genesen wir.

Herr, Gott Zebaoth, wie lange willst du zürnen,

während dein Volk zu dir betet?

Du speisest sie mit Tränenbrot

und tränkest sie mit einem großen Krug voll Tränen.

Du lässt unsere Nachbarn sich um uns streiten,

und unsere Feinde verspotten uns.

Herr, Gott Zebaoth, wende dich doch!

Schaue vom Himmel und sieh darein,

nimm dich dieses Weinstocks an!

So wollen wir nicht von dir weichen.

Lass uns leben, so wollen wir deinen Namen anrufen.

Herr, Gott Zebaoth, tröste uns wieder;

lass leuchten dein Antlitz, so genesen wir.

Kommt, laßt uns anbeten:

Gemeinde: Ehr sei dem Vater und dem Sohn..

Pfarrerin: Sündenbekenntnis:

Das Warten fällt uns schwer, Gott

wir sind ungeduldig,

haben zu wenig Zeit,

für andere und für uns selbst,

auch für dich haben wir zu wenig Zeit.

Lieber lenken wir uns ab,

stürzen uns in Arbeit oder Zerstreuung,

machen uns etwas vor

und können es nur schwer aushalten,

wenn etwas Zeit braucht

oder nicht nach unserem Kopf geht.

So bitten wir:

„Herr, erbarme dich!“

Gemeinde: Herre, Gott, erbarme dich,

Christe, erbarme dich,

Herre Gott, erbarme dich!

Pfarrerin: Gandenwort:

Mitten in unserem Leben willst du neues Leben stiften.

Mitten in dieser Welt schenkst du uns Zeichen deiner neuen Welt.

Gerechtigkeit und Frieden sind deine Spuren,

an denen wir erkennen können, wie du es mit uns meinst.

Dein Geist will uns beflügeln, wenn wir mutlos sind.

Gott, dir sei’s gedankt. Dich loben wir und rufen:

„Ehre sei Gott in der Höhe!“

Gemeinde: Allein Gott in der Höh sei Ehr

und Dank für seine Gnade, darum daß nun

und nimmermehr uns rühren kann kein

Schade. Ein Wohlgefalln Gott an uns hat;

nun ist groß Fried ohn Unterlaß, all Fehd

hat nun ein Ende.

Pfarrerin: Gebet

Ich möchte den Mut zur Freude haben, Gott

in dieser Zeit der Vorbereitungen,

den Mut zur Freundlichkeit inmitten von Hetze und Erschöpfung,

den Mut zum Lächeln angesichts von Sorgen und Enttäuschung,

ja, den Mut, der oftmals bedrückende Realität

befreit und hoffnungsfroh ins Gesicht zu lachen!

Denn ich weiß:

Du kommst, Gott,

und deine Verheißung erfüllst du gewiß.

Eine tiefe Freude erfüllt mein Herz

und beseelt meinen Alltag.

Komm, Gott, und gib mir den Mut,

diese Freude groß werden zu lassen!

Amen.

Pfarrerin: 1. Schriftlesung:

Jesaja 63, 15-19 und 64, 1-3

So schau nun vom Himmel und sieh herab von deiner heiligen, herrlichen Wohnung! Wo ist nun dein Eifer und deine Macht? Deine große, herzliche Barmherzigkeit hält sich hart gegen mich.

Bist du doch unser Vater; denn Abraham weiß von uns nichts, und Israel kennt uns nicht. Du, Herr, bist unser Vater; „Unser Erlöser“, das ist von alters her dein Name.

Warum läßt du uns, Herr, abirren von deinen Wegen und unser Herz verstocken, daß wir dich nicht fürchten? Kehr zurück um deiner Knechte willen, um der Stämme willen, die dein Erbe sind!

Kurze Zeit haben sie dein heiliges Volk vertrieben, unsre Widersacher haben dein Heiligtum zertreten.

Wir sind geworden wie solche, über die du niemals herrschtest, wie Leute, über die dein Name nie genannt wurde.

Ach daß du den Himmel zerrissest und führest herab, daß die Berge vor dir zerflössen,

wie Feuer Reisig entzündet und wie Feuer Wasser sieden macht, daß dein Name kundwürde unter deinen Feinden und die Völker vor dir zittern müßten, wenn du Furchtbares tust, das wir nicht erwarten – und führest herab, daß die Berge vor dir erflössen! –

und das man von alters her nicht vernommen hat. Kein Ohr hat gehört, kein Auge hat gesehen einen Gott außer dir, der so wohl tut denen, die auf ihn harren.

Halleluja

Gemeinde: Halleluja, Halleluja, Halleluja

Gemeinde: Lied, 6, 1-5

Pfarrerin: 2. Schriftlesung:

Lukas 21, 25-33

Und es werden Zeichen geschehen an Sonne und Mond und Sternen, und auf Erden wird den Völkern bange sein, und sie werden verzagen vor dem Brausen und Wogen des Meeres,

und die Menschen werden vergehen vor Furcht und in Erwartung der Dinge, die kommen sollen über die ganze Erde; denn die Kräfte der Himmel werden ins Wanken kommen.

Und alsdann werden sie sehen den Menschensohn kommen in einer Wolke mit großer Kraft und Herrlichkeit. Wenn aber dieses anfängt zu geschehen, dann seht auf und erhebt eure Häupter, weil sich eure Erlösung naht.

Und er sagte ihnen ein Gleichnis: Seht den Feigenbaum und alle Bäume an:

wenn sie jetzt ausschlagen und ihre seht es, so wißt ihr selber, daß jetzt der Sommer nahe ist.

So auch ihr: wenn ihr seht, daß dies alles geschieht, so wißt, daß das Reich Gottes nahe ist.

Wahrlich, ich sage euch: Dieses Geschlecht wird nicht vergehen, bis es alles geschieht.

Himmel und Erde werden vergehen; aber meine Worte vergehen nicht.

„Ehre sei dir Herr!“

Gemeinde: Lob sei dir o Christe!

Pfarrerin und Gemeinde:

Laßt uns Gott loben und preisen mit dem Bekenntnis unsers Glaubens:

Ich glaube an Gott, den Vater,

den Allmächtigen,

den Schöpfer des Himmels und der Erde;

und an Jesus Christus,

seinen eingeborenen Sohn, unseren Herrn,

empfangen durch den Heiligen Geist,

geboren von der Jungfrau Maria,

gelitten unter Pontius Pilatus,

gekreuzigt, gestorben und begraben,

hinabgestiegen in das Reich des Todes,

am dritten Tage auferstanden von den Toten,

aufgefahren in den Himmel;

er sitzt zur Rechten Gottes,

des allmächtigen Vaters;

von dort wird er kommen,

zu richten die Lebenden und die Toten.

Ich glaube an den Heiligen Geist,

die heilige, christliche Kirche,

Gemeinschaft der Heiligen,

Vergebung der Sünden

Auferstehung der Toten

und das ewige Leben. Amen.

Gemeinde: Lied 7, 1-3

Pfarrerin: Preidigt:

Liebe Gemeinde!

Unser heutiger Predigttext steht im Gesangbuch. Er ist ein Lied. Bevor wir selbst dieses Lied singen, wollen wir auf seine Melodie hören – auf jene jahrhundertealte Weise, die uns allen so vertraut ist – die sich so wunderbar entfaltet aus der Tiefe zur Höhe – und die dann wieder zurückschwingt zum Grund – wie eine Blüte, die sich öffnet und wieder schließt.

(Melodie wird gespielt)

Ich habe gesagt, daß diese Weise uns vertraut ist – vielleicht von Kind an. Aber ist sie uns nicht zugleich auch fremd? Fremd in unserer Welt, die ja nach Meinung unserer Werbefachleute und unserer Medien eine stets dynamische, aktive, leistungsbezogene, stets jugendliche und immer moderne Welt ist oder sein sollte? Vertraut und doch fremd ist diese Weise;

denn es geht von ihr eine große Ruhe aus – obwohl sie ganz bewegt ist und obwohl eine große Spannung in ihr wirkt. In diesen Tönen verbindet sich eine Art von Erwartung, die sich in weiterem Bogen nach oben ausrichtet, mit einer Gelassenheit, die Frieden und Stille ausströmt.

Stille. Das Erste, was unser Predigttext uns sagt, zunächst ohne Worte, nur mit Hilfe dieser alten Melodie, ist dies: Stille tut wohl. Wir brauchen Stille, wenn wir Menschen bleiben wollen. Wir brauchen sie so nötig wie das tägliche Brot. Zunächst hat das noch gar nichts mit Glauben oder mit Kirche zu tun, sondern „nur“ mit Mensch-Sein. Mensch-Sein heißt: hören können.

Es gibt heute eine Umweltverschmutzung der Seele durch Lärm. Vor lauter Worten, Klängen, Slogans und Sprüchen hören wir nichts mehr. Vor lauter Unterhaltung und Betrieb vergessen wir, wie das ist, wenn das Herz aufatmet. In unserem Gemeindehaus suchen ja auch jeden Mittwoch ein Dutzend Menschen in der Meditation Stille. Kämpfen um Stille – das scheint mir heute eine Aufgabe zu sein für uns. Jesus hat sie gesucht – immer wieder. Jeder braucht das Atemholen der Seele: der Einzelne, die Gemeinde, die Kirche – jeder, der Mensch bleiben will.

Das ist das Erste.

(Die Gemeinde singt die ersten drei Strophen. Ansagen!) Lied-Nr. 8, 1-3:

Das Schiff. Ein uraltes Bild – schon bei den Ägyptern als Symbol verwendet: im Allerheiligsten des Tempels zu Heliopolis stand die Barke des Sonnengottes. Im 14. Jahrhundert verwendet ein Dichter – es sprechen gute Gründe dafür, daß es der Mystiker Johannes Tauler war – dieses Bild für Maria. Sie ist „das Schiff“, sie ist es, die „des Vaters ewigs Wort“ trägt. Zunächst ist dieser Vergleich für uns vielleicht überraschend. Wir wollen ein wenig bei dem Bild vom Schiff verweilen.

Wer schon einmal gesehen hat, wie ein Schiff ankommt – ein Segelschiff – der weiß: am Horizont taucht es auf, es nähert sich, langsam, lautlos, faszinierend. Freude kommt auf, Erwartung. Spannend der Augenblick der Ankunft: ein Ruck – ein Stoß – der Anker wird ausgeworfen. Es ist da. Es ist „am Land“ – es berührt eine andere Dimension: Boden – Erde – Land. Das Schiff berührt das Land- und doch gehört es in die Dimension von Wasser, Weite, fernem Horizont. Getrieben ans Land wird das Schiff von einer unsichtbaren Kraft, deren Wirkung deutlich spürbar ist: vom Wind. Und es trägt eine Last, deren Ursprung woanders liegt als auf dem Land, das das Schiff nun berührt.

So ist es mit dem Wort Gottes: auf dieser Welt erklingt es – aber es ist nicht von dieser Welt. Wir nehmen es in den Mund – auch wenn wir dieses Lied singen – aber es ist nicht unser Wort – kein Mensch hat es erfunden. Luther konnte sagen, daß es Lieder gebe, die der Heilige Geist gemacht habe. Es war nicht Hochmut, der ihn so reden ließ. Es war Demut – Staunen darüber, daß es das gibt: Worte, die Menschen sagen und singen und aufschreiben und die doch zugleich größer sind als eines Menschen Herz.

Und wie mit dem Wort Gottes, so ist es auch mit dem Sohn. Er geht über diese Erde. Er kennt Hunger und Durst, Einsamkeit und Tränen, Angst und Verratenwerden – wie wir alle auch – ein Mensch wie wir, die wir hier in der Kirche sitzen, und doch ganz anders als wir – fremd.

Ist er uns nicht sehr fremd?

Paßte er hier zu uns? Wenn er sich hier in der Stadt, im Nordend ansiedelte – würde er vielleicht ein wenig stören? Wenn wir unser Geld aufs Sparbuch bringen? Oder wenn wir dem Nachbarn begegnen, mit dem wir kein Wort mehr sprechen? – Was könnten wir mit ihm anfangen?

Das ist das Zweite:

Der Sohn ist nicht von dieser Welt. Er paßt nicht in diese Welt. Aber er kommt in sie hinein. Für uns. Und Maria ist es, die ihn „auf die Welt“ gebracht hat.

(Melodie noch einmal spielen. Danach spricht eine Einzelstimme die Verse 4-6)

Bethlehem: der Berührungspunkt von Wasser und Land – von Himmel und Erde – von Höhe und Tiefe – von Gotteslob und menschlicher Verlorenheit. In diesem Lied sind Advent und Weihnachten ganz nah beieinander – ja, ineinander: der Sohn „kommt“. Und er kommt immer heute.

Dieses alte Lied lädt uns ein, über die Schwelle des Stalls von Bethlehem zu treten und ganz nah an die Krippe zum Kind zu gehen.

Man kann die Krippe auch von einem angenehmen Ort außerhalb des Stalls betrachten: sozusagen in seinem Wohnzimmer oder in einer schönen Kirche sitzen und durch das Fenster über den Hinterhof zum Stall schauen. Die Tür steht offen, und man sieht Engel, Kripp, Stern, Hirten, Weise, Ochs und Esel und das ganze Weihnachtszubehör. Und man singt schöne Lieder und freut sich am süßen Kind und seiner schönen Mutter. Ein Idyll. Eine ganze Weihnachtsindustrie lebt von diesem Idyll und von der Anfälligkeit unserer Seele für das Idyll.

Aber wenn man sich aufmacht, hinaus aus dem Wohnzimmer oder der Kirche über den Hinterhof zum Stall geht und über die Schwelle tritt: da ist kein Idyll. Da ist es eiskalt. Weil keiner dieses Kind will. Es ist kein Wunschkind. Es kommt uns nicht gelegen. Es ist nicht geplant.

Dieses Kind liegt auf Stroh – und die Strohhalme sind, wie es ein altes Weihnachtsbild von Hieronymus Bosch zeigt, kreuzförmig angeordnet. Dreißig Jahre später folgt Golgatha. … „Gibt sich für uns verloren…“

Dieses Kind, dieser Mensch Jesus von Nazareth, der den Weg aus der Höhe in die Tiefe gegangen ist, wartet auf Menschen, die seinen Weg mitgehen. Es ist der Weg des Leidens, des Schmerzes, des Todes: ..“mit ihm“…

Dieses Kind fragt, ob wir nicht bereit sind, „mit ihm“ zu gehen: aus der Höhe in die Tiefe.

Es ist kein glatter Weg – und er ist auch nicht für jedermann gedacht. Die meisten lieben breite und wohlbekannte Wege, auf denen sie mit vielen anderen gehen. Wir haben darüber nicht zu urteilen. Es wird wohl auch so bleiben bis ans Ende der Welt.

Aber das Kind, das für alle Menschen gekommen ist – und das darauf achten wird, daß kein einziger für ewig verloren geht – sucht ein paar Leute, die „mit ihm“ auf einem schmalen, mühseligen Weg gehen, auf dem Weg der Hingabe und des Opfers.

Es sucht Leute, die nicht zuerst fragen: was bringt das mir? – sondern: was bringt es dem Menschen neben mir? Es sucht Leute, die nicht zuerst darauf achten, daß sie bekommen, was ihnen zusteht, sondern darauf, ob der Mensch neben ihnen sein Recht bekommt. Solche Leute sind keine Asketen und keine Moralisten. Sie haben das Kind lieb: Unser Lied spricht ja von „umfange“ und „küssen“, und das ist die Sprache der Liebe. Menschen, die das Kind liebhaben, haben ein weites Herz, einen freien Blick und einen leichten Sinn. Es sind Menschen, die „Salz“ für diese Welt sind. Salz konserviert, und Salz gibt der Speise die Würze. Jesus sucht Menschen, die dieser Welt den Geschmack der Hoffnung geben.

Ohne solche Menschen wäre diese Welt schon längst zerfallen. Und ohne solche Menschen wird sie untergehen. –

Das war das Dritte.

Und noch ein Letztes: Wer jetzt etwas betroffen fragt, ob das alles wirklich so ernsthaft sein muß und ob man das nicht für die Passionszeit aufheben könnte – der sei auf den Schluß des Liedes verwiesen: da ist vom „ewigen Leben“ die Rede. Das ist erfülltes Leben. Leuchtendes Leben. Leben für hier und heute.

Leben, das wirklich „lebendig“ ist, ist immer Leben, das sich verströmt und verschenkt. Es wird dabei nicht ärmer. Es wird reich und weit. Es hat etwas von jenem Schiff an sich, das zwar über Untiefen fährt, das aber bewegt wird von einer unsichtbaren und doch spürbaren Kraft. Der Horizont, von dem es herkommt, ist hell. Amen.

Gemeinde: Lied 8, 4-6

Pfarrerin: Abkündigungen

Gemeinde: Lied 13, 1-3 und Kollekte

Pfarrerin: Fürbittengebet

Du, Gott des Lebens,

nach deinem Willen bringen wir Dank und Fürbitte vor dich

für die Menschen, die uns am Herzen liegen

ebenso wie für die Menschen, die uns das Leben schwer machen.

Wir beten für die vielen Menschen,

die sich einsam und verlassen fühlen,

denen ein offenes Ohr fehlt,

die Menschen suchen, die sie verstehen und lieben.

Hilf du, daß wir nicht achtlos aneinander vorübergehen.

Wir bitten dich für alle Menschen,

die auf der Suche sind nach dir.

Lass sie neue Hoffnung schöpfen

und Worte der Zuversicht für ihr Leben entdecken.

Wir verbinden uns mit allen,

die an ihrer Ohnmacht leiden,

mit den schwerkranken Menschen,

und denen, die ihnen nicht helfen können,

mit den Menschen, die gegen Haß und Ungerechtigkeit kämpfen und die nichts ausrichten können.

Wir bitten dich für die mächtigen, die gefürchteten und die gehaßten Menschen unserer Erde.

Hilf ihnen zu erkennen, wenn sie auf dem falschen Weg sind, und stelle ihnen andere gegenüber,

die Haß in Liebe verwandeln,

Gewalt in gegenseitige Achtung

und Angst in Zuversicht.

Wir bitten dich, der du Hüter über Leben und Tod bist, sei du bei denen, die um die Verstorbene Frieda Heß trauern.

Tröste die Hinterbliebenen.

Laß sie Kraft gewinnen aus dem Glauben,

daß auch der Tod uns durch deine Liebe

nicht trennen kann.

Und was uns noch bedrängt bringen wir vor dich

mit den Worten die Christus uns gelehrt hat:

Vater unser im Himmel, geheiligt werde dein Name.

Dein Reich komme.

Dein Wille geschehe,

wie im Himmel so auf Erden.

Unser tägliches Brot gib uns heute.

Und vergib uns unsere Schuld,

wie auch wir vergeben unsern Schuldigern.

Und führe uns nicht in Versuchung,

sondern erlöse uns von dem Bösen.

Denn dein ist das Reich und die Kraft

und die Herrlichkeit in Ewigkeit. Amen.

Segen:

Geht in diesen Tag, in diese Woche mit dem Frieden

unseres Gottes:

Der Herr segne dich und behüte dich,

Der Herr lasse sein Angesicht leuchten über dir

und sei dir gnädig.

Der Herr hebe sein Angesicht auf dich und

gebe dir Frieden. Amen.

Orgelnachspiel

Heilung

Liebe Gemeinde,

in diesem Augenblick predigen in zahlreichen Frankfurter Kirchen Männer und Frauen, die ihren Dienst sonst nicht in der Gemeinde versehen. Es sind Menschen, die sogenannte Funktionsstellen begleiten. Es sind Menschen, die spezielle Aufgaben in der christlichen Gemeinschaft übernommen, die eine einzelne Gemeinde so nicht übernehmen kann. Aus der Einsicht, dass es neben der Gemeinde auch in der Kirche eine städtische Ebene geben muß, wurde mit der Aufteilung der einen Frankfurter Kirche sofort auch der Verband dieser Gemeinden gegründet. Fast auf den Tag genau vor einhundert Jahren begründeten sie den Verbund der evangelischen Kirche, der mal eigene Landeskirche, mal Gemeindeverband war und heute eben Evangelischer Regionalverband ist.

Die Geschichte dieses Verbandes ist – so eine Frankfurter Tageszeitung – eine Erfolgsstory. Vor einhundert Jahren war die Notwendigkeit der Aufteilung der Frankfurter Kirchengemeinden aufgrund des explosionsartigen Wachstums notwendig. Aus der einen Frankfurter Gemeinde wurden sechs: Tortenstückartig wurden diese um die Innenstadtkirchen geplant. Es entstanden die Weißfrauengemeinde, die Paulsgemeinde, die Katharinengemeinde, die Petersgemeinde, die Nikolaigemeinde und in Sachsenhausen die Dreikönigsgemeinde.

Das Wachstum der Gemeinden ging unvermindert mit dem Bevölkerungswachstum weiter. Und der Verband konnte aufgrund seiner Finanzstärke diesen Gemeinden Kirchen bauen. Auch nach dem zweiten Weltkrieg war wieder Bauen und Bevölkerungswachstum angesagt. Schließlich wuchs der Evangelische Regionalverband auf 73 Kirchengemeinden.

Doch die Zeiten des Mitgliederwachstums sind vorbei. Und wieder leistet der Verband und seine Mitglieder, die Kirchengemeinden, eine ungeheure Anpassungsleistung. In den letzten drei Jahren sank – dank einiger Fusionen – die Zahl der Kirchengemeinden auf 62. Und sie alle erleben ja auch, wie schmerzlich solche Anpassungsprozesse sind. Die Reduzierung, die Beschränkung auf das Wesentliche, die Abgabe von Räumen, dies alles fällt uns schwer.

Deshalb kann man auch nicht vom Ende der Erfolgsstory – wie es eben jene Frankfurter Zeitung im gleichen Artikel tat – sprechen. Ich halte es im Gegenteil für eine wesentliche Leistung des Evangelischen Regionalverbandes solche Anpassung an veränderte Lebensbedingungen immer und immer wieder zu vollbringen. So werden wir etwa in der gesamten Evangelischen Kirche in Deutschland darum beneidet, daß die Regionalversammlung, also unser Frankfurter Kirchenparlament in dem auch ihr Vertreter sitzt, eine Prioritätenliste verabschiedet hat. Diese Liste legt eine Rangfolge der einzelnen Arbeitsbereiche fest. So wurde in den letzten Jahren eben nicht nach dem Rasenmäherprinzip gespart. Es wurde nicht überall einfach etwas weg genommen. Vielmehr wurde darüber nachgedacht, was uns wirklich wichtig ist, was unverzichtbar ist. Diese Arbeitsbereiche werden weiterhin ausreichend mit Mitteln ausgestattet. Eine solche Entscheidung erfordert Mut, Sachkenntnis und den Willen nach Eindeutigkeit.

Sie sehen, ich muß dem Eindruck, hier gehe eine Erfolgsstory zu Ende, heftig widersprechen. Die Anpassung an die Verhältnisse wird auch in Zeiten der Reduzierung und der Beschränkung in der Selbstverwaltung der Frankfurter Kirchengemeinden gelingen.

Aber eigentlich ist dieses ja nur ein kleiner Widerspruch gegen die Aussage der Zeitung, hier gehe eine Erfolgsstory zu Ende. Schließlich ist dieser Verband ja nicht Selbstzweck, sondern er will dazu dienen, dass das Evangelium verbreitet wird. Verbreitet in Wort und Tat. Schließlich sind wir ja nicht einfach ein humanitärer Verein, sondern Kirche. Die eigentliche Erfolgsstory ist doch im Neuen Testament überliefert. Seit 2.000 Jahren machen sich Menschen auf, um diesem Jesus von Nazareth zu folgen.

Es sind auch die Heilungs- und Wundergeschichten, die die Kraft des Glaubens bezeugen. Eine dieser Überlieferungen findet sich im Markusevangelium. Ich lese die Verse 17 bis 27:

Markus schildert hier die Heilung eines an Epilepsie erkrankten Jungen. Glaube ermöglicht Wunder und Heilung. Es sind eben dem alle Dinge möglich, der da glaubt. Eine Erfahrung, die die moderne Medizin lange verdrängte. Inzwischen wissen viele Mediziner, dass Heilung immer auch die Heilung der Seele einschließt.

Alle Dinge sind möglich, dem der glaubt! Für uns ist eine solche Aussage ein Gegensatz zum Wissen, zur Wissenschaftlichkeit. Glauben heißt nicht Wissen, behauptet der Volksmund. Wissen, das ist nachprüfbare Naturwissenschaft. Wir unterscheiden zwischen Glauben und Wissen.

Die Bibel setzt diesem Bild eine andere Erfahrung entgegen. Mit Glaube ist das Ver- und das Zutrauen zu Gott gemeint. Gottvertrauen ist immer bezogen auf alle Lebensbereiche des Menschen. Gottvertrauen auch in der Krankheit, eine wahrlich schwere Aufgabe. Und doch berichtet die Bibel immer wieder von Menschen, die mit dieser Glaubensgewißheit leben. Wer glaubt, der schaut mit anderen Augen in die Welt. Gläubige akzeptieren, dass es Dinge zwischen Himmel und Erde gibt, die nicht zu erklären sind, die sich menschlichem Wissen entziehen.

Das Wunder Jesu am besessenen Kind will uns die Augen für die Größe und die Kraft des Glaubens veranschaulichen.

Glaube kann Heil machen und – er kann gesund erhalten. Regelmäßige Kirchgänger – so eine amerikanische Untersuchung – sind geistig frischer, deutlich gesünder und weniger depressiv als ihre Altersgenossen.

Doch mit dieser Glaubenserfahrung wird auch viel Schindluder getrieben. Gott heilt nicht auf Bestellung. Göttliche Heilung kann weder von einem Arzt noch von Gemeindeleitern verordnet werden. Sie gibt es nicht auf Rezept. Die Überlieferung aus dem Markusevangelium ist eben keine Anleitung zu einem Heilungsautomatismus.

Dies müssen wir auch jenen Freundinnen und Freunden vom Christlichen Zentrum hier im Gewerbegebiet Richtung Fechenheim beheimatet, sagen. Dort wirkt ja quasi auf Bestellung und am Fließband der Heilige Geist. Beim sogenannten Toronto-Segen fallen die Menschen regelrecht um. Sogenannte Gebetsfänger fangen sie auf, um sie sanft zu Boden gleiten zu lassen. Dort liegen sie einige Minuten, zucken, lachen. Sie sind außer sich. Es wird behauptet, sie würden im Geiste ruhen. Doch, so meine ich, der Heilige Geist kann dies nicht sein. Denn der Heilige Geist ist nicht verfügbar. Er entzieht sich menschlicher Verfügungsgewalt. Der Heilige Geist läßt sich eben sicht einfach einspannen.

Das Phänomen im christlichen Zentrum ist einfach zu deuten. Es ist eine Ekstase, die sich aufgrund der Erwartungshaltung einstellt. Das Phänomen ist alt und kann bei vielen Religionen beobachtet werden. Und nicht nur dort. Erinnern sie sich noch wie bei den Auftritten der Beatles die kreisschenden Fans in Ohnmacht fielen? Heute heißen die Popgruppen anders, aber die Mädchen fallen ebenso in Ohnmacht wie ihre Mütter und Großmütter.

Aber zurück zu unserem Wunder im Markusevangelium. Hier wird auch von einem ausfahrenden Geist erzählt. Dieser taube und sprachlose Geist solle ausfahren, gebietet Jesus. Krankheit wurde in jener Zeit immer als Zeichen für einen Dämon gesehen. Anders konnten sich die Menschen damals solche Krankheiten nicht erklären.

Diese und andere Stellen dienen fundamentalistischen Gruppen zur Legitimation von Teufelsaustreibungen. Keine Frage, der Mensch kann wahrhaft von einem Geist des Bösen besetzt sein. Doch halte ich es für anmaßend, wenn Menschen solche Geister erkennen und austreiben wollen. Leichtfertig wird abweichendes Verhalten wie Passivität, Haß, Unsicherheit als Zeichen einer Besessenheit gewertet. Und alle anderen Religionen wie Hinduismus und Buddhismus werden als Lehren der Dämonen bezeichnet. Gerade in charismatisch-fundamentalistischen Kreisen wird unter dem Deckmantel der Seelsorge Menschen viel Leid angetan. Die beiden großen christlichen Konfessionen haben aus ihrer Geschichte gelernt, aber kleine Gruppen, auch hier in Frankfurt, demütigen immer noch unter dem Vorwand der Austreibung von Dämonen Menschen.

Auch wenn es uns manchmal schwer fällt, so müssen wir doch eingestehen: Wunder sind deshalb Wunder, weil sie sich menschlicher Erklärung und menschlicher Verfügungsgewalt entziehen. Wer vorgibt, solche Wunder herbeiführen zu können, setzt sich selbst an die Stelle von Gott. Allein Gott ist es, der Wunder bewirken kann.

Liebe Gemeinde, die Bibel erzählt vom Handeln Gottes. Dieses ist die eigentliche Erfolgsstory. Der Evangelische Regionalverband hat die Aufgabe, zu helfen, diese Erfolgsstory in Wort und Tat unter die Menschen zu bringen. Dies geschieht in vielfältiger Weise. Durch Diakonie, durch das Bauen von Gebäuden, durch gesamtstädtische Vernetzung von Arbeitsfeldern und eben auch durch Öffentlichkeitsarbeit, für die ich seit zwei Jahren die Verantwortung trage, arbeiten wir alle an der Verbreitung des Evangeliums. So gesehen ist insbesondere eine gute Öffentlichkeitsarbeit Mission im besten Sinne des Wortes. Sie will überzeugen, sie will die Botschaft rüberbringen, wie man so sagt.

In den zweitausend Jahren des christlichen Glaubens waren es doch immer auch das Glaubenszeugnis, das Menschen anspornte sich mit dieser Botschaft zu beschäftigen.

Ich möchte sie hier und heute ermutigen, von ihrem Glauben zu erzählen. Machen sie doch einfach nachher beim Mittagessen Öffentlichkeitsarbeit, machen sie ihren Glauben öffentlich. Denn dieses ist in Wahrheit das Geheimnis der Erfolgsstory. Und sie wird, so unser Glaube, erst mit dem jüngsten Gericht einen Einschnitt erfahren.

Der Verbreitung des Evangeliums dient auch der Verbund der Frankfurter Kirchengemeinden und ihrer Dekanate. Und die letzten einhundert Jahre zeigen, die Stadt ist eine vernünftige und anpassungsfähige Organisationsgröße. Lassen sie uns denn auch bei allem notwendigen Streit in den nächsten Jahrzehnten gemeinsam nach Weg suchen, dem Evangelium zu dienen.

Kurt-Helmuth Eimuth

Star Wars

30.8. 1999 Heilig Geist

Kurt-Helmuth Eimuth

Orgelvorspiel

Eingangslied:

EG 445

Gott des Himmels und der Erden

1, 2, 5

Votum: Ich begrüße Sie heute morgen herzlich mit dem Lehrtext des Tages aus Philipper 2, 15

„Gott ist’s, der in euch wirkt beides, das Wollen und das Vollbringen, nach seinem Wohlgefallen“.

Wir feuern diese Andacht im Namen Gottes, im Namen Jesu Christi und im Namen des Heiligen Geistes.

Psalm: 113 Nr. 745

Halleluja! Lobet, ihr Knechte des Herrn,

lobet den Namen des Herrn!

Gelobt sei der Name des Herrn

von nun an bis in Ewigkeit!

Vom Aufgang der Sonne bis zu ihrem Niedergang

sei gelobet der Name des Herrn!

Der Herr ist hoch über alle Volker;

seine Herrlichkeit reicht, so weit der Himmel ist.

Wer ist wie der Herr, unser Gott,

im Himmel und auf Erden?

Der oben thront in der Höhe,

der herniederschaut in die Tiefe,

der den Geringen aufrichtet aus dem Staube

und erhöht den Armen aus dem Schmutz,

daß er ihn setze neben die Fürsten,

neben die Fürsten seines Volkes,

der die Unfruchtbare im Hause zu Ehren bringt,

daß sie eine fröhliche Kindermutter wird.

Halleluja!

Gebet:

Gott, du gütiger und barmherziger Vater aller Menschen, du schenkst uns deinen heiligen Geist, damit wir deinen Willen erkennen. Dafür danken wir dir und bitten dich:

Lehre uns, auf deine Güte zu vertrauen und deinen Willen zu tun, und hilf uns, unsere Freiheit füreinander und zu deiner Ehre zu gebrauchen, wo wie Jesus Christus, dein Sohn, der mit dir und deinem Heiligen Geist lebt in Ewigkeit. Amen.

Lied: EG 557, 1-3

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

die Stadt war ja an diesem Wochenende im Goethetaumel. Überall Feste und Aufführungen. Der Ausruf „Möge die Macht mit Dir sein“ ist nicht von Goethe. Er ist entnommen dem Film Star-Wars.

Nach achtzehn Jahren können wir nun erfahren wie alles begann. „Star Wars – Episode 1 – Die dunkle Bedrohung“ ist das Kinoereignis des Jahres. Die Handlung banal, die Technik genial, der Sound allgegenwärtig und wie immer zu laut.

Und so wie man Menschen wünscht, dass Gott ihnen beistehe wird im Film der Beistand der übernatürlichen Macht beschworen: „Möge die Macht mit Dir sein!“

Gut kämpft gegen Böse. Das Muster kennt man seit David und Goliath. Gut gewinnt. Kennt man auch. Aber da ist noch jene geheimnisvolle Macht. Sie wird nicht weiter beschrieben, aber sie scheint den Lauf der Welt zu bestimmen. Wenn da nicht jener Bösewicht wäre, der diese gute Macht und ihre Machtausübung bestens kennt. Es muß so eine Art gefallener Engel, sprich Jedi-Ritter sein. Aber die Macht wird dieses mittels der Jedi-Ritter bekämpfen. Schließlich verfügen sie über paranormale Fähigkeiten, können das Laserschwert mit Gedankenkraft herbeiziehen und entwickeln durch jahrelanger Schulung übermenschliche Kräfte.

Star Wars ist hier mehr als ein modernes Märchen. Der Film greift uralte Deutungsmuster, religiöse Deutungsmuster auf. Schließlich wurden alle bedeutenden Männer von Jesus bis Sokrates nicht auf biologischem Weg empfangen. Dies gilt auch für den neuen Messias (?) Skywalker, auch wenn an dieser Stelle des Films großes Gelächter ausbricht.

Gut und Böse kämpfen einen immerwährenden Kampf. Der Gegenspieler des Göttlichen ist der Teufel und dessen Handlanger, der gefallene Engel. Solch duales Denken in den Kategorien Gut und Böse vereinfacht das Leben enorm. Es entspricht fundamentalistischem Denken. Entweder ist eine Handlung für Gott oder gegen Gott. So einfach ist es. Dabei wissen wir doch spätestens seit Karl May, dass es immer wieder Situationen gibt, in denen man schuldig wird. Selbst Winnetou und Old Shatterhand wurden schuldig, wenn sie Verbrecher töten mußten, um das Leben unschuldiger Menschen zu retten. Da gibt es keinen Königsweg.

Es ist der Grundkonflikt, der sich so oft in unserem Alltag zeigt. Der ethische Imperativ ist nicht immer so einfach einzuhalten. „Du sollst nicht töten“ ist eines der wichtigsten und eindeutigsten Gebote des Christentums. Du sollst nicht töten. Klarer kann es nicht gesagt werden. Und welche Kathastrophen durch die Überschreitung dieses Gebotes aus gelöst werden, daran erinnern wir uns in dieser Woche. Am Mittwoch jährt sich zum 60. Mal der Tag des Ausbruches des 2. Weltkrieges. Klar ist und bleibt, daß Krieg nach Gottes Willen nicht sein darf.

Dies gilt auch für den Kosovo-Krieg. Er durfte nicht sein. Aber hätte es sein dürfen, dass die Welt zuschaut wie ein Volk vertrieben und hingerichtet wird. Gleich, welche Entscheidung getroffen worden wäre, die entscheidenden Personen wurden schuldig. Die Verantwortungsethik steht gelegentlich der Gesinngsethik unversöhnlich gegenüber.

Im Film Star Wars ist es wie in jedem Krimi: Das Gute wird siegen. Und die Macht, die mit einem sein soll, wird wohl das Gute sein. Sie bleibt aber im Nebulösen. Wir erfahren nur wie die Story um Skywalker begann, nicht aber wie alles anfing.

Dass diese Welt, dieser Kosmos teil von Gottes Schöpfung ist, wird im Film Star Wars nicht vermittelt. Die Mächte bleiben im Verborgenen.

Deshalb wünsche ich Ihnen für den heutigen Tag und für die neue Woche nicht, dass irgendeine Macht mit Ihnen sein möge.

Wir erbitten für die neue Woche Gottes Segen, denn er trägt auch im wirklichen Leben .

Lied: EG 322, 1-5

Mitteilungen

Gebet:

Gott,

bei dir ist die Fülle des Lebens

Hilf uns, diese Fülle auch in unserem Leben zu entdecken.

Schenke uns einen Blick für die Schönheit deiner Schöpfung, daß wir sie bestaunen und sorgsam damit umgehen.

Laß uns als eine Gemeinschaft leben, die einander schützt und stärkt.

Laß uns Bilder der Hoffnung wecken,

wo sich Resignation ausbreitet.

Aber hilf uns auch, der Realität standzuhalten,

daß wir uns nicht in Scheinwelten flüchten.

Gott des Himmels und der Erde,

laß dich finden mitten unter uns!

Und was uns noch bedrängt bringen wir vor dich mit den Worten die Christus uns gelehrt hat:

Vater unser im Himmel,

geheiligt werde dein Name.

Dein Reich komme.

Dein Wille geschehe,

wie im Himmel so auf Erden.

Unser tägliches Brot gib uns heute.

Und vergib uns unsere Schuld,

wie auch wir vergeben unsern Schuldigern.

Und führe uns nicht in Versuchung,

sondern erlöse uns von dem Bösen.

Denn dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit. Amen.

Segen:

Geht in diesen Tag, in diese Woche mit dem Frieden und Segen unseres Gottes:

Der Herr segne dich und behüte dich.

Der Herr lasse sein Angesicht leuchten über dir

und sei dir gnädig.

Der Herr hebe sein Angesicht auf dich

und gebe dir Frieden. Amen.

Lied: EG 322, 6 + 7

Stichwort: Neuapostolische Kirche

Mit ca. 450.000 Mitgliedern ist die Neuapostolische Kirche (NAK) die größte Sekte in Deutschland. Insgesamt hat sie mehr Mitglieder als die Freikirchen zusammen, obgleich eine öffentliche Mission kaum stattfindet. Vielmehr werden Freunde und Bekannte zu den dreimal wöchentlich stattfindenden Gottesdiensten eingeladen.

„Ich glaube, dass der Herr Jesu seine Kirche durch lebende Apostel regiert bis zu seinem Wiederkommen, dass er seine Apostel gesandt hat und noch sendet mit dem Auftrag zu lehren, in seinem Namen Sünden zu vergeben und mit Wasser und mit dem Heiligen Geist zu taufen.“ Dieser Glaubenssatz – entnommen dem Bekenntnis der NAK -dokumentiert den Anspruch dieser Religionsgemeinschaft. Sie wird geleitet von einem Stammapostel, dem etwa 260 Apostel zur Seite stehen. Allein diese können den eigentlichen Gehalt der Bibel erfassen und weitergeben. Dabei lassen sie sich allein von Gottes Geist leiten. Ein Bibel- oder Theologiestudium sind nicht vonnöten. Sie sind die wahren Bibelinterpreten. Dieser Anspruch bewirkt eine Ablehnung christlicher Kirchen. Auch verfügen die Apostel über die Fähigkeit, den Heiligen Geist zu spenden. Das Apostelamt wird so gefährlich nahe an Jesus Christus herangerückt.

Um 1860 entstand die NAK durch Abspaltung von einer christlichen Reformbewegung. Der Berliner Prophet Heinrich Geyer gründete die „Allgemeine Christliche Mission“. Daraus wurde später die „Neuapostolische Kirche International“. Die NAK lebt – genau wie die Zeugen Jehovas – in der Naherwartung der Wiederkehr Christi in enger Anlehnung an die Johannesapokalypse. Die Neuapostolischen sollen sich möglichst von allem Weltlichen fernhalten. Nur ihrer Arbeit dürfen sie nachgehen.

Dies bewirkt ein enges Gemeinschaftsgefühl, aber auch die Kontrolle des einzelnen. So berichten ehemalige Mitglieder immer wieder von einer Enge und Starrheit des Systems, die sie als beklemmend empfanden. Fast alle Bereiche des Lebens unterliegen den strengen Vorschriften der NAK. Selbst Kino und Tanzen sind verpönt. Über den Besuch der NAK Veranstaltungen wird Buch geführt. Wer nicht regelmäßig kommt, wird zuhause von den Verantwortlichen zur Rede gestellt. Völlig undenkbar ist Kritik an Aposteln oder Stammaposteln. Solch ein Verhalten wird mit der Kritik an Gott gleichgesetzt. Obgleich als Körperschaft des öffentlichen Rechts anerkannt und damit den großen Kirchen gleichgestellt, werfen ehemalige Mitglieder ihr autoritäres Verhalten und Kontrolle vor.

© Kurt-Helmuth Eimuth

Zur Rolle der Apostel
Auszüge aus dem Glaubensbekenntnis der Neuapostolischen Kirche

4. Glaubensartikel: Ich glaube, dass der Herr Jesus seine Kirche durch lebende Apostel regiert bis zu seinem Wiederkommen, dass er seine Apostel gesandt hat und noch sendet mit dem Auftrag, zu lehren, in seinem Namen Sünden zu vergeben und mit Wasser und dem Heiligen Geist zu taufen.

5. Glaubensartikel: Ich glaube, dass sämtliche Ämter in der Kirche Christi von Aposteln erwählt und in ihr Amt eingesetzt werden und dass aus dem Apostelamt Christi sämtliche Gaben und Kräfte hervorgehen müssen, auf dass, mit ihnen ausgerüstet, die Gemeinde Christi ein lesbarer Brief Christi werde.

8. Glaubensartikel: Ich glaube, dass die mit Wasser Getauften durch einen Apostel zur Erlangung der Erstlingschaft den heiligen Geist empfangen müssen, wodurch sie als Glieder dem Leibe Christi eingefügt werden. …Anmerkung: Insgesamt hat das Glaubensbekenntnis der Neuapostolischen Kirche zehn Artikel. Neben sieben eigenen Artikeln ist darin das Apostolische Glaubensbekenntnis der christlichen Kirchen enthalten, allerdings in einer abgeänderten Form.

Hintergrundinformation:
Name: Neuapostolische Kirche International
Gründung: etwa 1863
Sitz; Zürich, Schweiz
Druckerei und Verlag: Frankfurt/Main
Mitglieder in Deutschland: etwa 450.000
Mitglieder weltweit: über 7,5 Millionen in über 150 Ländern
Stammapostel: Richard Fehr
Ämter:Apostel, Bischöfe, Älteste, Hirten, Evangelisten und Priester

1999 Kurt-Helmuth Eimuth

Stichwort: Zeugen Jehovas

Ein zehn Tage alter Säugling stirbt, obwohl die Ärzte es hätten verhindern können. Ein Blutaustausch nach der Geburt wäre lebensrettend gewesen. Doch die Eltern, aktive Zeugen Jehovas, lehnen die rettende Transfusion ab. Sie berufen sich auf die Lehre ihrer Sekte, wonach es Gottes Wille sei, von keinem Geschöpf das Blut zu genießen (3. Mose 17,14). Dabei ist dieses alttestamentliche Gebot aus Ehrfurcht vor dem Leben entstanden. „Wenn dieses Gebot eingesetzt wird, um lebenserhaltende Maßnahmen zu verhindern, wird das Gebot Gottes in unerhörter Weise pervertiert“, stellt der österreichische Theologe Johannes Dantine fest.

Zeugen Jehovas bleiben in der Regel unter sich. Ihr ganzes Tun ist auf die Verkündigung ihrer Lehre ausgerichtet. Im so genannten Predigtdienst stehen sie an Plätzen und in Fußgängerzonen, um ihre Zeitschrift, den Wachtturm, abzugeben, oder sie gehen von Tür zu Tür, um zu missionieren. Fünfmal die Woche treffen sie sich zur Unterweisung. Das Verhalten, ob in Kindergarten, Schule, Beruf oder Freizeit, wird von klein auf von der Organisation bestimmt. Selbst Kindergartenkinder dürfen ihren Geburtstag nicht feiern, da Gott nicht gewollt habe, dass man sich selbst in den Mittelpunkt stelle. Eine Mitgliedschaft in Parteien, Gewerkschaften, Verbänden oder Vereinen ist verpönt.

Die leitende Körperschaft gilt als „Kanal oder als Sprachrohr Gottes“, durch das Jehova zu seinem Volk spricht. Zwar lesen die Zeugen Jehovas auch die Bibel, doch sie lernen in ihrem Studium die Textteile anzuführen, die ihre Ansicht belegen. Mit so völlig aus dem Zusammenhang herausgelösten Texten, zudem in eigener Übersetzung, argumentieren sie an den Haustüren.

Die Zeugen Jehovas sind davon überzeugt, dass die Endzeit bereits angebrochen ist. Christus habe 1914 den himmlischen Thron bestiegen und seine Herrschaft über die Erde angetreten. Dieses müsse jetzt allen Menschen verkündet werden, denn die Menschheitsgeschichte gehe zu Ende.

Schon bald müssten sich die Menschen verantworten: Wer nicht auf der Seite Jehovas steht, wird im Endgericht vernichtet werden. Nur die treuen Zeugen Jehovas überdauern und werden bald in einem „tausendjährigen Paradies“ leben. Schon mehrmals berechneten die Zeugen Jehovas den Zeitpunkt dieses letzten Gerichtes. Schon 1874 wurde das Endgericht erwartet, doch nach eigenen Aussagen führten neuere Berechnungen zu anderen Ergebnissen. Ab 1968 wurde verkündet, dass 1975 das Ende von 6000 Jahren Menschheitsgeschichte erreicht sei. Später war zu lesen, dass 1975 ein „helleres Licht von Jehova Gott“ gekommen sei. Derzeit wird kein konkretes Datum prophezeit.

1999 Kurt-Helmuth Eimuth

© Kurt-Helmuth Eimuth

Hintergrundinformation:
Gründer: Charles Taze Russel (1852-1916), Gründung der Wachtturmgesellschaft 1881, 1931 neuer Name „Zeugen Jehovas“
Präsident: seit 1992 Milton Henschel, geboren 1920
Zentrale: New York, Stadtteil Brooklyn
Deutsches Zentrum, Selters/ Taunus, dort leben und arbeiten über 1 000 Menschen
Mitglieder in Deutschland ca. 167.000, weltweit ca. 4,9 Millionen

Stichwort: Mormonen

Der Raum gleicht eher einer modernen Behörde: Dutzende Computerarbeitsplätze, in der Mitte ein Informationsschalter. Wir sind in Salt Lake City, USA, im größten genealogischen Archiv der Welt. Jeder und jede kann hier, wie übrigens auch in zahlreichen deutschen Niederlassungen, Ahnenforschung betreiben. Im „Joseph Smith Building“, benannt nach dem Gründer der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage, bei uns eher unter dem Namen Mormonen bekannt, wird zahlreich von diesem Angebot Gebrauch gemacht.

Bereits 1823 hatte Joseph Smith (1805 bis 1844) eine Vision. Ihm erschien, nach eigenen Angaben, ein Engel namens „Moroni“, Sohn eines gewissen „Mormon“, der angeblich im 5. Jahrhundert als Prophet in Amerika gewirkt haben soll. Der Engel zeigte Smith vergrabene Goldplatten, die altertümliche Schriftzeichen enthalten haben sollen. Mit Hilfe einer „Prophetenbrille“ entschlüsselte Smith die Schriftzeichen. Das Buch Mormon war, so die Legende, entstanden. Noch im gleichen Jahr gründete Smith die „Kirche Jesu Christi“ in Fayette/New York und wurde zum „Seher, Propheten und Offenbarer“ bestimmt. Aufgrund von Reibereien mit der alteingesessenen Bevölkerung wurden die Mormonen immer wieder vertrieben. Smith selbst wehrte sich durchaus handgreiflich und zerstörte die Redaktionsräume eines Kritikers. Er wurde daraufhin in das Bezirksgefängnis gebracht. Doch die aufgebrachte Menschenmenge stürmte das Gefängnis und erschoss den Religionsgründer.

Brigham Young, Vorsitzender des Apostelkollegiums, übernahm daraufhin die Führung als neuer „Prophet“. Er organisierte einen Treck westwärts. Rund 15 000 Menschen erreichten 1847 das Salzseetal der Rocky Mountains.“This is the place“, das ist der Ort, soll Young ausgerufen haben, als er das Tal erblickte. In einer beachtlichen Aufbauleistung haben die Mormonen Salt Lake City, ja den gesamten Bundesstaat Utah, aufgebaut. Dieser wurde aber erst als Teil der USA anerkannt, als die Religionsgemeinschaft von der Praxis der Vielehe (1890) Abstand nahm.

Die Tatkraft der Mormonen ist auch heute noch unübersehbar. Der Bildungsstand ist hoch, in Provo/Utah wird eine eigene Universität unterhalten. Vermutlich auch wegen des völligen Verzichtes auf Kaffee, Tee, Alkohol und Tabak ist die Gesundheit der Mormonen überdurchschnittlich. Auch bekämpft die Gemeinschaft soziale Not und unterhält eigene Supermärkte für Bedürftige mit eigens dafür produzierten Waren.

1999 Kurt-Helmuth Eimuth

© Kurt-Helmuth Eimuth

Mormonismus und Christentum
Der Mormonismus gehört aufgrund seiner auf „neuen Offenbarungen“ beruhenden unbiblischen Lehren und der geheimen Tempelrituale nicht zum weiten Spektrum des ökumenischen Christentums. Er ist vielmehr als eine amerikanische, synkretistische Neureligion zu bewerten. Fast alle aus dem biblisch-christlichen Kontext übernommenen Begriffe (z.B. Sünde, Gott, Christus, Schöpfung, Apostel, Auferstehung, Taufe, Heil usw.) sind in ihren Inhalten völlig verändert und „mormonisiert“ worden. Daneben propagiert der Mormonismus Amerika als „Kontinent des Heils“, als Mittelpunkt der göttlichen Heilsgeschichte: Das Paradies Adams und Evas liegt im Bundesstaat Missouri, Christus erschien nach seiner Auferstehung auf dem amerikanischen Kontinent und wird dort auch nach seiner Wiederkunft im Endzeit-Tempel von Independence/Mo. residieren, usw. Deshalb bedeutet ein Übertritt zum Mormonentum nicht nur einen Glaubenswechsel, sondern eine völlige Abkehr von der christlich-ökumenischen Kirchengemeinschaft. Der Mormonismus repräsentiert eine ganz andere, fremdartige Welt. Die Folge ist eine starke Belastung der bisherigen gesellschaftlichen, vor allem aber familiären Bezüge. Die extremen Glaubensvorstellungen der Mormonen und die starke zeitliche Beanspruchung des einzelnen Mitglieds in der Mormonengemeinschaft stellen in konfessionsgemischten Familien in der Regel eine Zerreißprobe dar. Author: Rüdiger Hauth (aus: Bernd Dürholt (Hg.), Streifzug durch den religiösen Supermarkt, Evangelischer Presseverband für Bayern, München 1994)


Stichwort: Scientology


Der 65jährige Rentner Gustav R. plagt sich seit Jahren mit Kopfschmerzen herum. Die Ärzte konnten ihm nicht helfen. Die „moderne Wissenschaft der geistigen Gesundheit“ scheint eine Alternative. Das „Beratungsgespräch“ an einer Art Lügendetektor scheint zunächst zu helfen. Gerne zahlt Gustav R. 450 Mark für die Stunde.

Der 16jährige Schüler Frank ist von der Anzeige fasziniert: „Gemäß Albert Einstein nützen wir Alltagsmenschen nur zehn Prozent unseres wahren geistigen Potentials“ heißt es da. Lässt sich etwa das Gehirn so optimieren wie die Festplatte eines Computers? Die Anzeige jedenfalls lässt diesen Schluss zu.

Die 25jährige Studentin der Betriebswirtschaft Claudia T. wird auf der Straße für ein Seminar der Akademie für Management und Kommunikation angesprochen. Das Angebot hört sich Erfolg versprechend an.

Ob Schüler, Studentin oder Rentner, sie alle kommen mit einer „Technik“ in Berührung, die auf den ehemaligen Science-fiction Autor L. Ron Hubbard zurückgeht. Danach kann jeder Mensch klar/frei werden, wenn er die „Brücke zur völligen Freiheit“ überschreitet. Diese Brücke ist ein abgestuftes Kurssystem. Am Ende soll eine Art „Übermensch“ stehen. Und so ist schon der Name für den allumfassenden Anspruch kennzeichnend: Scientology soll soviel bedeuten wie das Wissen vom Wissen. Nach Meinung vieler Kritiker ist Scientology keine Religionsgemeinschaft, eher ein multinationaler Psychokonzern. Allerdings wird dem Unternehmen nicht nur das Streben nach Gewinn unterstellt, sondern es heißt, Scientology wolle Herrschaft ausüben. Der Ex-Scientologe Norbert Potthoff ist davon überzeugt, dass Scientology Deutschland vollständig unter ihre Kontrolle bringen wolle. Die unzähligen Firmen und scheinbar sozialen Einrichtungen dienten diesem Zweck.

Für den Politikwissenschaftler Hans Gerd Jaschke handelt es sich bei Scientology um „eine neuartige Form des politischen Extremismus“. Bei einem griechischen Ableger des Psychokonzerns entdeckte man im Herbst 1996 Aktenbände mit einer Liste von 2.500 Personen. Über sie wurden – gesetzwidrig – Dossiers angelegt. Da Scientology als internationaler Konzern keine nationalen Eigenwege kennt, werden solche „schwarzen Listen“ auch in Deutschland vermutet.

Thema: Scientology in der Wirtschaft

Mitten in der Hektik einer Fußgängerzone wirbt ein charmant-dynamisches Trio. Man vermutet auf den ersten Blick Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen von Umfrageinstituten. Doch die Umfrage entpuppt sich als Einladung zu einem Managementseminar. Warum sollte man nicht unverbindlich und kostenlos einen Tag in der „Akademie für Management und Kommunikation“ verbringen?

Trotz großer Aufklärung finden diese Werber immer wieder Menschen, die nichts ahnend zu dieser so genannten Akademie kommen. In Wahrheit ist dieses Schulungsunternehmen ein Zulieferbetrieb für Scientology. „Der Kurs ‚Erfolg durch Kommunikation‘ bringt Ihnen 18 wesentliche Fertigkeiten bei, die die Kommunikation in Ihrem Geschäft und in Ihrer Gesellschaft unter Ihre Kontrolle bringt“. Mit solchen Versprechen wird gelockt und geködert. Am Ende steht dann der bekannte, zweihundert Fragen umfassende Persönlichkeitstest. Scientology hat eigens eine Organisation gegründet, um Einfluss auf die Wirtschaft auszuüben. Das „World Institut of Scientology Enterprises“ (WISE) dient der Verbreitung der Technologie des Sektengründers L. Ron Hubbard. Scientologische „Ethik und Vernunft“ soll in die Wirtschaft hineingetragen werden. Zur Zeit zählt WISE dem Vernehmen nach etwa 3.000 Mitglieder weltweit. Firmen oder Einzelunternehmen können Mitglied werden. In den meisten Fällen ist der Scientology-Hintergrund nicht zu erkennen. Häufig wechseln die Namen der Firmen.

WISE-Unternehmer verpflichten sich, ihre Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen scientologischen Prinzipien zuzuführen. Hinzu kommt, dass zwischen fünf und achtzehn Prozent des Bruttoumsatzes an WISE gezahlt werden sollen. Die Scientology-Kenner Angelika Christ und Steven Goldner warnen: „Das Ziel ist, die Verwaltungstechnologie von L.Ron Hubbard im entsprechenden Betrieb einzuführen und Empfehlungen für weitere Scientology-Angebote auszusprechen. Über diese Schiene können zum Beispiel WISE-Managementschulungen, WISE-Fortbildungen, WISE-Firmen als externe Berater zu Umstrukturierungen, Expansion und Steuerberatung etc. eingeschleust werden.“ Tatsächlich will man, wie es in einer anderen Anordnung heißt, die „Schlüsselpositionen“ erobern. Von besonderem Interesse sind dabei alle Positionen im Personalbereich. Viele WISE-Mitglieder betätigen sich in der Personal- und Managementschulung, denn hier können sie das Menschenbild von Scientology weitergeben. Ebenfalls finden sich überdurchschnittlich viele Scientologen in den Geschäftsbereichen, in denen es, wie beispielsweise im Immobiliengeschäft, um hohe Umsätze und große Verdienstspannen geht.

1999 Kurt-Helmuth Eimuth

„Erobern Sie, egal wie, die Schlüsselposition, die Position als Vorsitzende des Frauenverbandes, als Personalchef einer Firma, als Leiter eines guten Orchesters, als Sekretärin des Direktors, als Berater der Gewerkschaft – irgendeine Schlüsselposition. Verdienen Sie sich einen ordentlichen Lebensunterhalt damit, fahren Sie einen guten Wagen, aber bringen Sie Ihre Aufgabe über die Bühne, handhaben und verbessern Sie die Leute, denen Sie begegnen, und schaffen Sie eine bessere Welt.“ (Scientology-Anweisung)

Hintergrundinformation:
Gründer: L. Ron Hubbard (1911-1986) Gliederungen: Church (Kirche), ABLE (Schule, Ausbildung, soziale Bereiche), WISE (Wirtschaft, Managementtraining, Geldverkehr)
Mitglieder: weltweit angeblich mehrere Millionen, in Deutschland ca. 7.000
Große Zentren: Düsseldorf, Hamburg, Frankfurt, München

© Kurt-Helmuth Eimuth

Stichwort: Universelles Leben

Sie sind auf fast allen Wochenmärkten zwischen Frankfurt und München präsent. Mit ihrem Stand vom „Gut zum Leben“ bieten sie ihre Bio-Produkte feil. Die Bio-Direktvermarkter sind einer der zahlreichen so genannten „Christusbetriebe“ im Umfeld des „Universellen Lebens“ (UL).

Das Universelle Leben (UL), ursprünglich „Heimholungswerk“, ist eine der am stärksten wachsenden Sekten Deutschlands. Dabei begann alles recht bescheiden. Die 1933 geborene Gabriele Wittek lebt seit 1967 in Würzburg. Der Tod ihrer Mutter im Jahre 1970 muss ein tiefer Schock für sie gewesen sein. Sie besuchte spiritistische Zirkel, um mit ihrer Mutter wieder Kontakt aufzunehmen.

Am 6. Januar 1975 soll dann bei Gabriele Wittek das „Innere Wort“ durchgebrochen sein. Durch sie sollen seitdem der „Geistlehrer Emanuel“ und „Jesus Christus“ sprechen, später hat sie auch noch auf telepathischem Wege Kontakt zu einem Wesen namens Mairadi vom „Planeten Maiami-Chuli“.

Den Kern des Universellen Lebens bildet die „Bundgemeinde Neues Jerusalem“, gegründet 1987, die derzeit annähernd tausend Mitglieder zählt. Es handelt sich um eine Art Personalgemeinde, die auch als „Verantwortliche Gemeinde“ bezeichnet wird. Daneben wurden etwa achtzig Ortsgruppen in Deutschland gegründet. Gemeinsam mit den Gruppen im Ausland bilden sie die „lnnere-Geist-Christus-Kirche“, deren Anhängerzahl europaweit auf vierzig- bis fünfzigtausend geschätzt wird.

Der Anspruch Witteks steht im Gegensatz zur christlichen Lehre. Die Lehre des Universellen Lebens ist eine gewagte Mischung aus New Age-Gedankengut, Esoterik, apokalyptischer Prophezeiung, (östlichen) Reinkarnationsvorstellungen und einer Umdeutung christlicher Begriffe. Am Übergang der großen Zeitenwende, dem Übergang vom Fische- zum Wassermannzeitalter, lehrt die große Prophetin den „unmittelbaren christlich-mystischen Pfad zu Gott.

Als besonders problematisch muß neben der wirtschaftlichen Expansion die pädagogische Arbeit des UL gesehen werden. Das UL unterhält Kindergärten und eine eigene Grund- und Hauptschule. Der idealtypische Bildungs- und Sozialisationsverlauf der Kinder im Universellen Leben sieht vor, dass ein möglichst geschlossener Kreislauf von der Wiege bis zur Bahre hergestellt wird. Die Kinder kommen in die eigenen (Ganztags-) Kindergärten des UL, später gehen sie auf die Schule des UL, auch ihre(n) Lebenspartner(in) können sie in der Jugend des UL finden und mit ihm/ihr zusammen in eine Wohngemeinschaft des UL ziehen. So fördert das UL sektentypisch das Denken innerhalb eines geschlossenen Systems.

1999 Kurt-Helmuth Eimuth

Über die Prophetin Gabriele Wittek
„Die Prophetin erfasst in einem Augenblick den Bewusstseinszustand ihres Nächsten, sieht, was dieser wirklich denkt und empfindet – ungeachtet dessen, was er spricht und im Äußeren zum Ausdruck bringen möchte. Sie weiß seine Probleme, auch jene, die diesem Menschen selbst noch verschleiert sind. Sie weiß auch deren Ursachen, weiß also, warum er sie hat. Aus dieser tiefen Erkenntnis ihres Nächsten vermag sie ihm wirkungsvoll aus geistiger Sicht zu raten und zu helfen, nach den Gesetzen des Ewigen zu leben. Unsere Schwester, Gabriele, gibt ihm aus der göttlichen Wahrheit genau das, was er zurzeit verarbeiten und verkraften kann, nicht mehr und nicht weniger.“
(Text aus: Liobani – Ich erzähle – hörst Du zu?, Würzburg 1986, zitiert nach Richard Wagner: Gott sprach und spricht durch sie. Das Leben und Denken der großen Prophetin Gottes in der mächtigen Zeitenwende. Verlag Universelles Leben, Würzburg 1988, S.149)

Hintergrundinformation:
Name: Universelles Leben, gegründet 1977 als Heimholungswerk Jesu Christi“
Zentrale Figur: Gabriele Wittek, die „Prophetin“, durch die Jesus angeblich heute spricht.
Anhänger: 40.000 europaweit, vor allem im deutschsprachigen Raum; dem inneren Kern, der „Bundgemeinde Neues Jerusalem“, gehören etwa 1.000 „Glieder“ an.
Zentrale: Würzburg „Urgemeinden“: Nürnberg, Karlsruhe, München und Frankfurt am Main
Wirtschaft: Etwa dreißig „Christusbetriebe“ arbeiten nach den Regeln des UL; zu den Betrieben zählen auch eine „Natur-Klinik“ und eine „Natur-Kurklink“ sowie Kindergärten und eine Grund- und Hauptschule.

© Kurt-Helmuth Eimuth

Psycho-und Esoterikmarkt

Checkliste für kritische Leute

Unsere Seele ist kostbar. Wir sollten sorgsam mit ihr umgehen. Zur besseren Orientierung Tipps
von Kurt-Helmuth Eimuth.

1) Vorsicht bei allumfassenden Versprechungen nach dem Motto „Wenn du unser Angebot annimmst, werden alle deine Probleme innerhalb kurzer Zeit gelöst“. Schnelle Patentlösungen gibt es nicht.

2) Prüfen Sie die Organisationsform der Gruppierung und die Qualifikation der Leiter. Sie sollten sich nicht Menschen mit nur einer „internen Ausbildung“ anvertrauen. Ein Abschluss an einer deutschen Universität ist Mindeststandard. Und: Schauen Sie sehr genau hin. Eine „Diplomparapsychologin“ ist zum Beispiel etwas völlig anderes als eine Diplom-Psychologin.

3) Unterschreiben Sie niemals vor Ort. Lassen Sie sich alle Unterlagen mit nach Hause geben, besprechen Sie diese mit Ihrem Partner, Ihrer Partnerin. Sollten Sie keine Unterlagen ausgehändigt bekommen, oder wird Druck mit Hinweis auf das einmalige Angebot ausgeübt, ist äußerste Vorsicht geboten.

4) Behalten Sie immer Ihre persönlichen Papiere bei sich. Personalausweis und Reisepass gehören nicht in die Hände von Dritten.

5) Einladungen zu kostenlosen Wochenenden oder Persönlichkeitstests sind erfahrungsgemäß lediglich Formen intensiver Werbung. Lassen Sie sich dadurch nicht blenden. Überweisen Sie nicht voreilig Geld.

6) Bei Zweifeln hilft es oftmals, wenn Sie sich die Inhalte aller Telefonate, Besuche und Kontakte zu einer Gruppe aufschreiben. Das hilft bei der Klärung.

7) Im Zweifelsfall informieren Sie sich bei Beratungsstellen und Betroffeneninitiativen. Auch die Pfarrämter helfen Ihnen gerne weiter.

Stichwort: Sekten-Kinder

Immer haben totalitäre Systeme sich der Kinder bemächtigt. Die Gleichschaltung der Seelen und Köpfe ist die Voraussetzung, um Herrschaft unumstritten ausüben zu können. Der Totalitarismus muss sich der Herzen und Sinne bemächtigen. Es wundert also nicht, dass dieses auch für solche totalitäre Systeme gilt, die unter religiösen Vorzeichen antreten. Sie wollen die Welt erretten oder die Weltherrschaft erlangen was für sie das gleiche ist. Etwa 200.000 Kinder und Jugendliche in Deutschland wachsen im Umfeld von rund 600 so genannter Sekten oder neureligiöser Gruppen auf. Die Gleichschaltung der Herzen und Sinne beginnt schon bei den Kindern. Zahlreiche Sekten haben eigene Lehrpläne entwickelt, Kinderkrippen und Kindergärten gegründet und betreiben Internate und Schulen – was insbesondere dem „Universellen Leben“ gelungen ist. Andere – wie „Scientology“ – umgehen auch die deutsche Gesetzgebung und senden ihre Kinder in sekteneigene Internate ins Ausland, etwa nach Amerika oder England. Diese Kinder leben jahrelang in einem geschlossenen sozialen System, in dem alles geregelt ist. Die Orientierung in einer offenen Gesellschaft ist fast unmöglich. Sie unterliegen einem geheimen Erziehungsplan. Eine normale Entwicklung und Kindheit wird ihnen vorenthalten:

  • Sie werden systematisch ausgegrenzt
  • Sie sollen keine Geburtstage und kein Weihnachten feiern („Zeugen Jehovas“)
  • Sie müssen täglich acht Stunden meditieren („Thakar Singh“)
  • Sie schwitzen stundenlang in der Sauna („Scientology“)
  • Sie bekommen „die Rute Gottes“ zu spüren (christlich-fundamentalistische Gruppen)
  • Sie sind die neue Elite, die sündenlos geborene Generation – oder schlicht die „Retter der Menschheit“.
  • Sie dürfen nur in der Sektenwelt leben
  • Sie sind auserwählt und ausgegrenzt

Der Mensch besteht – nach scientologischer Lehre – aus einer Art Seele-Geist-Wesen, dem Thetan. Dieser Thetan ist unsterblich, kann den Körper verlassen und bei Tod sich einen neuen Körper suchen: eine Art technische Reinkarnationsvorstellung, die jedoch für die Kinder weitreichende Folgen hat. Kinder sind für die Scientology-Sekte nur Thetane in einem kleinen Körper. Eine Kindheit gibt es nicht. Folglich können alle Angebote für Erwachsene auch für Kinder angeboten werden. Die Fachwelt hält die Verfahren von Scientology für unverantwortlich, da die psychischen Folgen vielfach nicht übersehen werden können. Um wie viel mehr gilt dies für Kinderseelen! (Kurt-Helmuth Eimuth)

Die Lehre des „Universellen Lebens“ ist damit nach ihren eigenen Aussagen angelegt auf eine Entprivatisierung des Lebens. Die Ehe wird ersetzt durch eine rechtlich unverbindliche Partnerschaft und die Kinder werden gemeinschaftseigenen Erziehungseinrichtungen anvertraut. Die Familie ist nicht existent und wird in der Gemeindeordnung nicht angesprochen. Diese Lehre steht im Widerspruch zur Wertordnung des Grundgesetzes und der bayerischen Verfassung. (Bayerischer Verwaltungsgerichtshof)

Scientology-Kritiker berichten, dass die Sekte Kontaktsperren anordnet und Kinder von nächsten Angehörigen – selbst von ihren Müttern – getrennt werden. (Aus einem Bericht der interministeriellen Arbeitsgruppe für Fragen so genannter Jugendsekten und Psychogruppen)

Sekten-Kinder dürfen sich nicht zu autonomen Persönlichkeiten entwickeln. Sie werden behindert, manipuliert und kontrolliert. Dieses System ist als „psychische Kindesmisshandlung“ zu bezeichnen.(Kurt-Helmuth Einmuth)

© Kurt-Helmuth Eimuth