Gangster mit weißem Kragen: Wir müssen uns mehr über den Cum-Ex-Betrug empören

von Kurt-Helmuth Eimuth 23. Oktober 2018

Ein Netzwerk aus Anwälten, Investment-Bankern und superreichen Investoren hat mit den sogenannten Cum-Ex- und Cum-Cum-Geschäften die Staatskassen in ganz Europa ausgeplündert. Wo bleiben eigentlich all die Talkshows und Sondersendungen dazu?

Kurt-Helmuth Eimuth ist Mitglied in der Redaktion des EFO-Magazins.  |  Foto: Tamara Jung
Kurt-Helmuth Eimuth ist Mitglied in der Redaktion des EFO-Magazins. | Foto: Tamara Jung

Sicher haben Sie sich auch schon einmal überlegt, was Sie mit einem Lotto-Gewinn von einer Million Euro machen würden: Ein Haus kaufen, den Kindern was geben, Reisen, vielleicht auch einen Teil einem karitativem Zweck spenden. Bliebe vermutlich immer noch was über. Eine Million ist viel Geld. Wenn Sie gut, sehr sehr gut verdienen, dauert es zehn Jahre, bis Sie soviel Geld zusammen haben. Ausgeben dürfen Sie in dieser Zeit leider nichts.

Und nun stellen Sie sich vor, was Sie mit 1.000 Millionen machen würden. Sicher nicht einfach, so viel Geld auszugeben. Da wird man schon lange überlegen müssen, was man damit machen kann. Den europäischen Staaten sind sagenhafte 55.000 Millionen Euro geklaut worden, davon allein Deutschland 31.800 Millionen Euro. Mit dieser unvorstellbaren Summe hätte man jeder Schule hierzulande eine Million Euro zur Verfügung stellen können. Oder etwa alle Dieselautos nachrüsten. Oder man könnte den Hunger in der Welt bekämpfen – denn immerhin leiden auf dieser so reichen Welt 705 Millionen Menschen Hunger.

Aber das Geld ist futsch: Ein Netzwerk aus Anwälten, Investment-Bankern und superreichen Investoren hat mit den sogenannten Cum-Ex- und Cum-Cum-Geschäften die Staatskassen auf dem ganzen Kontinent ausgeplündert. Und die Gangster mit weißem Kragen wussten, was sie tun: „Wer sich nicht damit identifizieren kann, dass in Deutschland weniger Kindergärten gebaut werden, weil wir solche Geschäfte machen, der ist hier falsch“ – ein Zitat, das so bei einem Meeting von Cum-Ex-Investoren in Frankfurt gefallen sein soll.

Die Vorstellung dieses Diebstahls sprengt offenbar unsere Phantasie. Denn alle Warnzeichen wurden übersehen und überhört. Schon vor 25 Jahren wurden die Finanzpolitiker von einem Staatskommissar gewarnt. Und noch 2017 wurde das wahre Ausmaß des Betruges klein geredet oder nicht gesehen. Rund eine Milliarde sei der Schaden groß wurde in einem Bundestagsausschuss behauptet.

Über den Steuersünder Uli Hoeneß wurde wochenlang öffentlich diskutiert. Dabei sind die von ihm hinterzogenen Steuern in Höhe von 28,5 Millionen Euro Peanuts im Vergleich zu diesem Betrug. Immerhin hat Hoeneß sich auch sozial engagiert und schien Reue zu zeigen. Dies ist bei den Herren (vermutlich kaum Damen) der Cum-Ex-Verbrechen kaum zu vermuten. Und doch bleibt die öffentliche Aufregung mau. Im ersten Halbjahr 2018 konnten wir schon neun Talkshows zum Thema „Flüchtlinge“ sehen, aber keine zum größten Betrugsfall der Geschichte.

Auch wenn das Ausmaß kaum fassbar ist, so müssen sich alle, die ein Interesse an einer solidarischen Gesellschaft haben, empören. Ja, etwas Wut gehört auch zur Empörung. Über die, die betrügen, und über die, die es nicht mit aller Macht bekämpfen.

Die katholische Kirche und die Sexualität

von Kurt-Helmuth Eimuth 10. Oktober 2018

In der katholischen Kirche brodelt es. In Sachen Sexualität muss dort nun eine Diskussion nachgeholt werden, die in der evangelischen Kirche schon vor fünfzig Jahren begonnen hat.

Kurt-Helmuth Eimuth ist Mitglied in der Redaktion des EFO-Magazins.  |  Foto: Tamara Jung
Kurt-Helmuth Eimuth ist Mitglied in der Redaktion des EFO-Magazins. | Foto: Tamara Jung

Es brodelt in der katholischen Kirche. Auf der einen Seite die Vorschläge des katholischen Stadtdekans Johannes zu Eltz, der sich verheiratete Priester und Frauen im Priesteramt vorstellen kann, auf der anderen die Weigerung Roms, P. Angar Wucherpfennig als Rektor der Hochschule St. Georgen zu bestätigen. Offenbar waren die Aussagen Wucherpfennigs zur Homosexualität und zur Segnung gleichgeschlechtlicher Paare dem Vatikan ein Dorn im Auge.

Dabei hat die katholische Kirche in Deutschland gerade erst begonnen ein neues Verhältnis zur Sexualität des Menschen zu finden. Auch Sexualität ist eine gute Gabe Gottes. Sie ist weder zwangsweise zu unterdrücken, noch darf sie zur Gewalt über andere genutzt werden.

Richtigerweise stellen Pfarrer der Frankfurter katholischen Gemeinden fest, dass „dass auch der pathologische Umgang der Kirche mit dem Thema (Homo-)Sexualität sexualisierte Gewalt begünstigt.“

Johannes zu Eltz fordert im Interview mit Evangelisches Frankfurt einen offenen Diskussionsprozess zu Zölibat und Priesteramt für Frauen. Ein Diskussionsverbot sei „total unsinnig und unbiblisch.“

Die katholische Kirche wird jetzt eine Diskussion nachholen müssen, die die evangelische Kirche vor fünfzig Jahren geführt hat und heute immer noch führt. Denn auch hier wurden verheiratete Frauen erst spät im 20. Jahrhundert zum Pfarramt zu gelassen, und die Aufarbeitung des Kindesmissbrauchs, beispielsweise in evangelischen Kinderheimen, hat erst vor wenigen Jahren so richtig begonnen.

Es ist für die katholische Kirche zu hoffen, dass der begonnene Diskussionsprozess auch in Rom nachvollzogen wird, und dass der Frankfurter Stadtdekan Recht behält, wenn er im Interview sagt: „Nichts ist so mächtig wie eine Idee, deren Zeit gekommen ist.“

„Wir fragen ja nicht die, die negativ betroffen sind“

von Kurt-Helmuth Eimuth 9. Oktober 2018

Ginge es nach dem katholischen Stadtdekan Johannes zu Eltz, würden katholische Gemeindepriester bald heiraten dürfen und Frauen zur Priesterweihe zugelassen, zumindest in jenen Weltregionen, wo die Frauenemanzipation gesellschaftlicher Mainstream ist. Wir haben ihn gefragt, wie realistisch das ist.

Der katholische Frankfurter Stadtdekan Johannes zu Eltz.  |  Foto: epd-Bild/Heike Lyding
Der katholische Frankfurter Stadtdekan Johannes zu Eltz. | Foto: epd-Bild/Heike Lyding

Herr zu Eltz, Sie fordern die teilweise Aufhebung des Zölibats. Damit würden Sie den Unterschied zwischen katholisch und evangelisch einebnen, oder?

Ich bestreite mal die Prämisse höflich. Das trifft nicht den wesentlichen Unterschied zwischen evangelisch und katholisch. Sowohl bei Ihnen als auch bei uns ist die Frage der Lebensordnung der Geistlichen eine Frage kirchlicher Disziplin und steht nicht im Mittelpunkt des Glaubens. Ich bin total für den Zölibat und dafür, dass er gepflegt und gefördert wird in der katholischen Kirche, aber so, dass er für Seelsorgsgeistliche, für die „Leutpriester“, nicht obligatorisch ist.

Sie sind für die Freiwilligkeit?

Genau, für Freiheit und Freiwilligkeit bei den Seelsorgsgeistlichen, die allein in Gemeinden leben. Im Unterschied zu den Ordensgeistlichen, die in Gemeinschaften leben. Damit würde unsere klerikale Lebensart der evangelischen Kirche ähnlicher, aber auch den Kirchen des Ostens. Dort gibt es seit jeher die verheirateten Leutpriester. Das darf man nicht geringschätzen.

Würden Sie auch so weit gehen, dass Frauen zum Priesteramt zugelassen werden könnten?

Ich habe gefordert, dass Frauen jetzt sofort zum Diakonat zugelassen werden, also auf die erste Weihestufe. Und zugleich eine ergebnisoffene Diskussion zu führen ist – kein Diskussionsverbot mehr, das ich für total unsinnig und unbiblisch halte – über Frauen auf den weiteren Weihestufen des Priester-und Bischofsamtes.

Wie kann dieses Ziel erreicht werden?

Ich glaube, anders als beim Zölibat, der nur eine ehrwürdige disziplinarische Tradition der lateinischen Kirche ist, ist es bei den Weiheämtern für Frauen nicht mit einem Federstrich getan. Genderfragen schneiden viel tiefer ins Gewebe ein. Das wäre zum Beispiel eine Zerreißprobe im Verhältnis zu den Ostkirchen. Ich könnte mir auch vorstellen, dass es Teile der katholischen Weltkirche gibt, wo das zu einer Kirchenspaltung führen würde. Deshalb plädiere ich dafür, dass diese Frage kultursensibel entschieden wird, also unterschiedlich in den verschiedenen Gegenden der Welt. Subsidiär nach dem klugen Rat der Bischofskonferenzen.

Wäre der andere Umgang mit der Sexualität nicht eine Präventionsmaßnahme gegen sexuellen Missbrauch?

Generell ja. Bei Zölibat und Frauenweihe würde ich sagen: keine direkte, aber eine sehr nachhaltig wirksame indirekte Prävention.

Welche Chancen geben Sie Ihren Vorschlägen?

Na ja, nach menschlichem Ermessen keine großen. Denn das fällt nach unserem Verständnis alles in die Zuständigkeit der Bischöfe, und die würden damit ihre Machtfülle drastisch beschränken. Ob die das wagen? Wir fragen ja nicht die, die negativ betroffen sind von den verschiedenen Restriktionen. Man legt bei uns nicht Frauen die Frage vor, ob Frauen geweiht werden können, und nicht offen Homosexuellen, ob die Lehre über Homosexualität verändert werden müsste. Da ist überall das Lehr- und Leitungsamt der Bischöfe vor. Das ist ein geschlossenes System. Auf der anderen Seite ist nichts so mächtig wie eine Idee, deren Zeit gekommen ist. Dies gilt auch in der Katholischen Kirche und deswegen denke ich, ja, es kann jetzt etwas passieren.

Zeitreise mit Margot Käßmann

von Kurt-Helmuth Eimuth 20. September 2018

Zum 60. Geburtstag erschien eine Biografie der prominenten Theologin. 

Uwe Birnstein: Margot Käßmann. Bene 2018, 224 Seiten, 19,99 Euro.
Uwe Birnstein: Margot Käßmann. Bene 2018, 224 Seiten, 19,99 Euro.

Sie ist die wohl bekannteste und beliebteste Theologin Deutschlands: Zum 60. Geburtstag von Margot Käßmann erschien nun ihre Biografie. Verfasst hat sie der Theologe und Journalist Uwe Birnstein, der seit sieben Jahren ihr Berater ist.

Für ihn und für die Leserinnen und Leser hat Margot Käßmann tiefe Einblicke gewährt. Zahlreiche Fotografien und Zitate aus dem Tagebuch lassen Geschichte, Kirchengeschichte und Familiengeschichte lebendig werden. Käßmanns Auseinandersetzung mit Martin Luther King als Jugendliche und ihre Begegnung mit Nelson Mandela lassen die Wurzeln ihres Pazifismus erahnen.

Wie ein roter Faden zieht sich die Erfahrung durch ihr Leben, als Frau benachteiligt worden zu sein. Immer wieder versuchten Männer, sie auszutricksen. Zum Beispiel der damalige Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, Eduard Lohse, der 1983 ihre Wahl in den Zentralausschuss des Ökumenischen Rates verhindern wollte. 

Auch dass die Kirche wie selbstverständlich von ihr verlangte, ehrenamtlich als Pfarrerin zu arbeiten, während sie ihrem Mann eine volle Stelle gab, gehört zu diesen Erfahrungen. Immer wieder stieß sie auf Vorbehalte: „Wie wollen Sie das mit vier Kindern schaffen?“ 

Ausführlich beschreibt Birnstein auch die Krebsdiagnose, den Rücktritt vom Amt der EKD-Ratsvorsitzenden und ihre letzte Tätigkeit als Luther-Botschafterin.

Uwe Birnstein ist nicht nur eine Biografie über eine populäre Frau gelungen. Vielmehr ist das Buch eine Zeitreise, spannend erzählt und voller Hintergrundinformationen über die jeweiligen gesellschaftspolitischen Auseinandersetzungen. Das klingt ernst, ist auch ernstm ist aber doch mit lockerer Feder geschrieben, sodass der Leser und die Leserin oft lachen können.

Die Kirche als Plattform für offenen Meinungsaustausch

von Kurt-Helmuth Eimuth 19. September 2018

Die Kirche muss sich neuen Gegebenheiten anpassen. Sie ist zu einer Kirche in der Minderheit geworden. Organisatorisch und strategisch muss sie sich neu aufstellen. Wie das gelingen kann und welche Energie dabei entfaltet werden kann, zeigen beispielhaft drei Projekte in Frankfurt.

Kurt-Helmuth Eimuth ist Mitglied in der Redaktion des EFO-Magazins.  |  Foto: Tamara Jung
Kurt-Helmuth Eimuth ist Mitglied in der Redaktion des EFO-Magazins. | Foto: Tamara Jung

Der Abgesang scheint allgegenwärtig: Der Kirche laufen die Mitglieder weg, es fehle an Geld, zudem drohe bald ein Mangel an Pfarrerinnen und Pfarrern. Der Bedeutungsverlust der Kirchen sei unaufhaltsam, sowohl der evangelischen als auch der katholischen.

Unbestritten: Die Kirche muss sich neuen Gegebenheiten anpassen. Sie ist zu einer Kirche in der Minderheit geworden. Organisatorisch und strategisch muss sie sich neu aufstellen. Wie das gelingen kann und welche Energie dabei entfaltet werden kann, zeigen beispielhaft drei Projekte in Frankfurt:

Die Evangelische Akademie, direkt am Römerberg in umgebauten Räumen gut untergebracht, pflegt den Dialog mit sonst der Kirche eher fernstehenden Zielgruppen. Sie ist ein Forum für den Austausch zu Themen wie Flüchtlingspolitik oder Ethik in der Medizin, aber auch Plattform für unterschiedliche Akteurinnen und Akteure.

Am Standort der Matthäuskirche, zwischen Hauptbahnhof und Messe gelegen, soll bald ebenfalls ein Ort für gesellschaftliche Auseinandersetzungen und neue Formen des Planens, der Kooperation und der Bürgerbeteiligung entstehen, die „Neue Matthäuskirche“. Wie Stadtdekan Achim Knecht sagte: „Der Turm der Matthäuskirche ist ein Symbol für die kritische Kraft des Evangeliums gegenüber den Kräften, die sonst in Wirtschaft, Gesellschaft und Politik bestimmend sind.“

Und als drittes Projekt ist da das neue Gemeindehaus der Paulsgemeinde und der indonesischen Kristusgemeinde, mitten in der Neuen Altstadt, im Haus „Klein Nürnberg“. Es wird wohl noch bis nächstes Jahr dauern, bis der Innenausbau fertiggestellt ist. Doch auch an diesem Standort eröffnen sich neue Möglichkeiten des Kontaktes.

Die evangelische Kirche in Frankfurt nutzt also ihre Chance, den Dialog mit der Zivilgesellschaft zu führen. Da sie im politischen Diskurs keine eigenen parteipolitischen Interessen hat, können dort wirklich ergebnisoffen Meinungen ausgetauscht werden. Das stärkt die Demokratie, gerade in polarisierenden Zeiten wie diesen.

Die Sonntagsruhe ist seit Jahrhunderten umstritten

von Kurt-Helmuth Eimuth 19. September 2018

Dieses Jahr gibt es in Frankfurt keine verkaufsoffenen Sonntage. Gewerkschaften und die katholische Arbeitnehmerbewegung haben gegen entsprechende Pläne erfolgreich geklagt.

Spaziergang statt Shopping? Der freie Sonntag ist alte Tradition. | Foto: Rolf Oeser
Spaziergang statt Shopping? Der freie Sonntag ist alte Tradition. | Foto: Rolf Oeser

Der Einzelhandel ist gebeutelt. Die Konkurrenz aus dem Netz ist groß, dort kann man rund um die Uhr nach Lust und Laune Waren bestellen. Es wird immer schwerer, Kundschaft in die Geschäfte zu locken, wenn die nicht grade mitten auf der Zeil liegen. Und sonntags, wenn die ganze Familie mal Zeit fürs gemeinsame Shoppen hätte, darf man nicht öffnen.

Ein verkaufsoffener Sonntag war in Frankfurt immer ein Garant für hohen Umsatz. In diesem Jahr aber bleiben die Geschäfte an allen Sonntagen geschlossen. Die Gewerkschaften und die katholische Arbeitnehmerschaft hatten gegen Öffnungspläne geklagt. Und in der Tat stellten die Gerichte fest, dass die gesetzlichen Auflagen zur Sonntagsöffnung nicht eingehalten wurden. Eigentlich dürfen Kommunen in Hessen bis zu vier verkaufsoffene Sonntage genehmigen, aber nur aus besonderem Anlass. Um nicht wieder in die juristische Bredouille zu kommen, hat der Dachverband der Gewerbevereine in diesem Jahr ganz auf eine Sonntagsöffnung verzichtet.

Die Härte der Auseinandersetzung zwischen den Unternehmen auf der einen und den Gewerkschaften und Kirchen auf der anderen Seite zeigt, dass es in diesem Konflikt um etwas Grundsätzliches geht. „Der Sonntag und die staatlich anerkannten Feiertage bleiben als Tage der Arbeitsruhe und der seelischen Erhebung gesetzlich geschützt.“ So steht es bereits in der Weimarer Reichsverfassung von 1919. Wörtlich wurde diese Feststellung dann später in das Grundgesetz übernommen.

Das Gesetz schreibt eine fast 2000 Jahre alte Tradition fest. Bereits im Jahr 321 ordnete der römische Kaiser Konstantin die christliche Sonntagsruhe an und verbot jegliche Arbeit außer der Feldarbeit. Mit dem Ende des weströmischen Reiches ungefähr ab dem Jahr 480 und den daran anschließenden Machtkämpfen verlor jedoch der Sonntag in Mitteleuropa seine Bedeutung als arbeitsfreier Tag wieder. Im Frühmittelalter gab es keine Sonntagsruhe.

Erst im Mittelalter wurden die kirchlichen Gebote wieder stärker beachtet und auch der Sonntag als Ruhetag befolgt. Martin Luther war der Sonntag als Ruhetag deshalb wichtig, weil sich die Menschen an diesem Tag mit dem Glauben beschäftigen konnten.

Bis ins 18. Jahrhundert wurde der Sonntag allgemein beachtet. Im Zuge der Industrialisierung jedoch geriet der arbeitsfreie Tag aus wirtschaftlichen Gründen erneut unter Druck: Die teuren Maschinen sollten weiterlaufen. Erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts wurden die ersten Arbeitsgesetze eingeführt, die den Sonntag als arbeitsfreien Tag festschrieben.

Beim Streit um den Sonntag ging es also meist um die Gewichtung zwischen wirtschaftlichen
Interessen und Lebensqualität. Wenn die Wirtschaft auch am Sonntag brummt, sei es in der Produktion oder im Handel, steigt das Bruttosozialprodukt. Dem halten die Gewerkschaften und die Kirchen die soziale Qualität des Sonntags entgegen: Man fürchtet, dass der Sonntag als Tag der Ruhe, der Familie, der Freizeit und auch der Gottesdienste ausgehöhlt wird. Will man darauf im 21. Jahrhundert wirklich wieder verzichten?

Sonntagsruhe: Eine Gesellschaft braucht Rhythmus.

von Kurt-Helmuth Eimuth 22. August 2018

Unser Leben ist Rhythmus. Von Beginn an. Einatmen und Ausatmen, der Rhythmus des Lebens. Nicht nur die einzelnen Menschen, auch Gesellschaften brauchen einen Rhythmus: Warum wir den Sonntag als freien Tag nicht aufgeben sollten. Ein Kommentar. 

Kurt-Helmuth Eimuth ist Mitglied in der Redaktion des EFO-Magazins.  |  Foto: Tamara Jung
Kurt-Helmuth Eimuth ist Mitglied in der Redaktion des EFO-Magazins. | Foto: Tamara Jung

Unser Leben ist Rhythmus. Von Beginn an. Einatmen und Ausatmen, der Rhythmus des Lebens. Wir folgen dem Rhythmus von Tag und Nacht und erleben den Kreislauf der Jahreszeiten. 

Die Natur kennt nur rhythmische Verläufe. Die Sterne, die Sonne, ja das ganze Universum basiert auf einem Rhythmus. Die Rhythmen sind geprägt von einer Polarität, einer Spannung zwischen Aus- und Einatmen; dazwischen eine kurze Phase der Ruhe. Der Umkehrpunkt ist auch ein Punkt des Ausgewogenseins. In der Polarität des Rhythmus ist das Innehalten verankert. Der Rhythmus trägt die Idee der Pause in sich.

Und so wie der Rhythmus Symbol für alles Lebendige ist, ist er auch Symbol dafür, dass das Leben ohne Ruhen nicht existieren kann. Der Takt zwischen Ein- und Ausatmen eröffnet Raum für Anderes.

Dies gilt nicht nur für das Individuum, sondern auch für die Gesellschaft als Ganzes. Der Takt braucht die Unterbrechung, sonst ist er nicht zu erkennen. Und so sehr wir uns über volle Straßenbahnen und Busse im Berufsverkehr ärgern, so sind sie doch Zeichen dafür, dass es einen gesellschaftlichen Rhythmus gibt: Tagsüber wird gearbeitet, dann gibt es Privatleben, dann Nachtruhe, und dann geht es wieder los.

Auch der Wochenryhthmus ist ein Takt, der ein gesellschaftliches Innehalten ermöglicht. Treffen, Verabredungen und Veranstaltungen können gut organisiert werden, wenn alle zur selben Zeit „frei“ haben. Doch wir geraten immer mehr aus dem Takt. Die Technik macht‘s möglich: Online wird rund um die Uhr eingekauft, und der moderne Mensch arbeitet auch mal am Wochenende zwischendurch am Computer. Mails, nicht nur private, werden dauernd gecheckt.

Und dann kommt der Aufschrei nach der Work-Life-Balance, nach dem Gleichgewicht zwischen Arbeit und Privatem. Aber die Technik lässt diese Bereiche ineinanderfließen. Arbeit und Privates ist in vielen Bereichen nicht zu trennen. Insbesondere wenn die Arbeit Spaß macht oder Teil des eigenen Lebenswerks ist.

Hier braucht es neue Formen des Rhythmus, hier braucht es einen anderen Takt. Vielleicht war es ja eine gute Idee, als Stadtkirchenpfarrer Jeffrey Myers vor ein paar Jahren anbot, Smartphones während des Urlaubs sicher zu verwahren. Die besten Möglichkeiten und Formen, für sich einen Rhythmus zu finden, muss jeder und jede suchen.

Doch keineswegs sollten wir den Wochenrhythmus mit einem arbeitsfreien Sonntag als Gesellschaft aufgeben. Er ist eine Form von Lebensqualität, ganz egal ob man religiös oder ist oder nicht.

Reformationstag wird in Hessen kein Feiertag

von Kurt-Helmuth Eimuth 9. Juli 2018

In den norddeutschen Bundesländern ist der Reformationstag am 31. Oktober jetzt dauerhaft ein gesetzlicher Feiertag. In Hessen ist dazu jedoch keine Initiative in Sicht. Dabei gibt es auch hier nur zehn Feiertage – und nicht, wie in Bayern, dreizehn.

Im Süden Deutschlands gibt es deutlich mehr gesetzliche Feiertage als im Norden. Aber jetzt holt der Norden mit Hilfe des Reformationstags auf: Die Stadtstaaten Hamburg und Bremen sowie die Länder Schleswig-Holstein und Niedersachsen haben beschlossen, dass der Reformationstag gesetzlicher Feiertag wird. In den fünf ostdeutschen Bundesländern ist das ohnehin schon der Fall.

In Hessen allerdings ist derzeit keine entsprechende Gesetzesinitiative geplant. Die Staatskanzlei habe bereits abgewunken, sagt der Beauftragte der evangelischen Kirchen in Hessen am Sitz der Landesregierung, Jörn Dulige. Auch die Kirchen seien in dieser Angelegenheit nicht vorstellig geworden. In der Kirchenleitung würde man gegebenenfalls eher die Wiedereinführung des Buß- und Bettags im November als gesetzlichen Feiertag bevorzugen. Dieser war 1995 als arbeitsfreier Tag abgeschafft worden, um die Arbeitgeber dafür zu entschädigen, dass sie Beiträge für die neu eingeführte Pflegeversicherung aufbringen müssen.

Die Diskussion um den Reformationstag war durch das 500-Jährige Reformationsjubiläum im vorigen Jahr angestoßen worden, als der Reformationstag einmalig bundesweit zum Feiertag erklärt worden war. Auch der Frankfurter Bürgermeister und Kirchendezernent Uwe Becker (CDU) hat sich dafür ausgesprochen, den Reformationstag zu einem gesetzlichen Feiertag zu machen. Nun behalten nur die Länder im Norden den gesetzlichen Feiertag am 31. Oktober. Allerdings gibt es hier auch Nachholbedarf in Sachen Feiertage: Hamburg etwa hatte bisher nur neun Feiertage während es in Bayern hingegen dreizehn gibt. Auch Hessen mit seinen zehn Feiertagen gehört hier eher zu den Schlusslichtern.

Evangelische Kirche arbeitet Misshandlung von Heimkindern auf

von Kurt-Helmuth Eimuth 27. Juni 2018

Heimerziehung im Nachkriegdeutschland bedeutete oftmals Schläge, Isolierung, Falschmedikation und Demütigung. Die evangelische Kirche hat Betroffenen zugehört, Dokumente zusammengetragen und Fachleute befragt. Eine Wanderausstellung und ein Film fassen die Ergebnisse zusammen.

Kinderheim der Diakonie in Hephata, Treysa: Aufnahme aus den 1960er Jahren. | Foto: Dietmar Wegewitz/Flickr.com (cc by-sa)
Kinderheim der Diakonie in Hephata, Treysa: Aufnahme aus den 1960er Jahren. | Foto: Dietmar Wegewitz/Flickr.com (cc by-sa)

Die Situation in den Kinderheimen der 1950er und 1960er Jahren war vielerorts geprägt von Brutalität und Demütigung, auch in den Heimen der evangelischen Kirche. „Es gab Heime, die waren nicht schlimm und es gab Heime, die waren schlimm“, so die Historikerin Anette Neff von der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN). 

Die Landeskirche hat vor sechs Jahren begonnen, die Geschichte der Heimkinder in der Nachkriegszeit aufzuarbeiten. Daraus sind jetzt eine Wanderausstellung und ein 80-minütiger Dokumentarfilm entstanden. Doch besteht auch weiterhin die Möglichkeit, sich als Betroffener oder Betroffene an die Kirche zu wenden. Film und Ausstellung sollen ermutigen, das Gespräch zu suchen. Denn dass Betroffene zu Wort kommen, ist der Schlüssel der Aufarbeitung. 

„Das Gespräch und die Anerkennung waren wichtig“, konstatiert Petra Knötzele, die Leiterin des Aufarbeitungsprojektes. Und genau so ist der Film „Kopf Herz Tisch³“ von Filmemacherin Sonja Toepfer konzipiert. Interviews  mit Betroffenen, mit ehemaligen Heimkindern,  werden Aussagen von Verantwortlichen und Fachleuten gegenübergestellt. Auf erklärende Kommentare verzichtet der Film ganz. Die Schilderungen der Zeitzeugen und Zeitzeuginnen werden allenfalls mit eingeblendeten Originaltexten ergänzt. 

So entsteht ein facettenreiches Bild einer dunklen Zeit, in der Machtausübung gegenüber Kindern gang und gäbe waren. Demütigung, Schläge, Medikamente, Isolierung und all jene schrecklichen Dinge, die man eher in einem Folterzentrum vermutet als in einem Kinderheim.

Der Film dokumentiert auf erschreckende Weise, dass Handlungsmuster der Vorkriegszeit wie etwa die Einteilung in „gesund und krank“ oder „normal und abweichend“ auch noch in den 1960er Jahren gängig waren. Diese Denkmuster reichten weit in der Geschichte zurück, wurden dann aber im Nationalsozialismus auf die Spitze getrieben. „Die Nazis haben dann das Töten hinzugefügt“, erläutert Neff. Die Historikerin weist aber auch darauf hin, dass solche Unterscheidungen in Bezug auf den Wert des menschlichen Lebens im Grundsatz auch bis heute gemacht werden, zum Beispiel bei Abtreibungen wegen einer Behinderung des Kindes. 

Auch die Medizin hat in zahlreichen Fällen, die der Film dokumentiert, eine unrühmliche Rolle gespielt. Einer der Zeitzeugen, der Kinderarzt und Psychiater Hans von Lüpke, bescheinigt der Medizin ein veraltetes Denkmodell. „Erst kommt die Organmedizin, dann das Psychische“, kritisiert er. Dabei hänge beides wechselseitig miteinander zusammen. 

Heute setze sich die Kirche dafür ein, dass überall dort, wo Menschen in Abhängigkeit untergebracht sind, ob im Kinder- oder im Altenheim, eine respektvolle und menschliche Haltung eingenommen werde, sagt Petra Knötzele. Deshalb sollen die Ausstellung und der Film auch in der pädagigischen und pflegerischen Aus- und Fortbildung eingesetzt werden. Der Film kann demnächst auch als DVD gerkauft werden, der Erlös soll dann ehemaligen Heimkindern zugute kommen. 

Gesucht: zeitgemäße Formen für eine moderne Demokratie

von Kurt-Helmuth Eimuth 25. Juni 2018

Könnten Demokratie-Konvente statt verengter Filterbubbles offene Echokammern entstehen lassen? Beim Sommerfest der Evangelischen Akademie Frankfurt ging es um neue Ideen für politische Beteiligung.

Kurt-Helmuth Eimuth ist Mitglied in der Redaktion des EFO-Magazins.  |  Foto: Tamara Jung
Kurt-Helmuth Eimuth ist Mitglied in der Redaktion des EFO-Magazins. | Foto: Tamara Jung

Die erste Generation baut auf, die zweite Generation führt fort, die dritte Generation verkauft, lautet ein Sprichwort. Die Demokratie wird zwar derzeit nicht gerade verkauft, aber doch irgendwie links liegengelassen: Ihre Institutionen werden abschätzig behandelt, Politikerinnen und Politiker verächtlich gemacht. Zwar setzen sich vor allem auf kommunaler Ebene viele tausende Menschen ehrenamtlich für das Gemeinwohl ein, und streiten dabei auch über Ziele und Wege. Aber das wird wenig wahrgenommen.

Was bedeutet es, eine Europäische Union zu haben? Die EU war und ist ein gewaltiges Instrument, das den Frieden in Europa sichert. Noch nie ist in Deutschland eine Generation aufgewachsen, die keinen Krieg erlebte. Die EU sichert Frieden und damit Wohlstand. Ein Wert, der für die heutige Generation zur Selbstverständlichkeit geworden ist.

Aber die Welt hat sich gewandelt. Die alten Institutionen und Handlungsmuster der Demokratie bedürfen der Ergänzung und der Veränderung. Neue Kommunikationsformen sind entstanden. Ja, es geht auch um soziale Medien, um digitale Kommunikation. Es geht aber auch um die persönliche Einbindung von Menschen, um das Entwickeln von Ideen und Visionen.  

Die Evangelische Akademie Frankfurt hat bei ihrem Sommerempfang die Idee eines Demokratiekonvents vorgestellt: Zufällig ausgeloste Menschen der Stadt mit den unterschiedlichsten Hintergründen kommen einmal im Jahr zusammen und tauschen sich aus. Sie erarbeiten gemeinsam Lösungsvorschläge für gesellschaftliche Herausforderungen. Als Gegenmodell zur „Filterblase“ des eigenen Milieus soll so eine „Echokammer“ entstehen, die unterschiedliche Menschen und Meinungen an einen Tisch bringt. 

Mit der „Jungen Akademie“ und all ihren Workshops und kreativen Formen und Methoden spricht man gezielt Menschen an, die sich jenseits eingefahrener Wege für das Gemeinwohl engagieren wollen. Die Demokratie braucht zeitgemäße Formen der Beteiligung, und sie müssen heute anders aussehen als vor 70 Jahren. Nur wenn möglichst viele in die Meinungsbildung einbezogen werden, lässt sich dem Gefühl, dass „die sowieso machen, was sie wollen“ etwas entgegensetzen.