Esoterik im Kinderzimmer

Kurt-Helmuth Eimuth /Evangelisches Frankfurt Mai 2002

Esoterik erreicht die Kinderzimmer

Die Esoterik ist ein wichtiger Wirtschaftszweig geworden. In Deutschland bieten über tausend Hellseherinnen und Geistheiler ihre Dienste an, 15 bis 25 Millionen Euro werden jährlich für Charakter- und Schicksalsanalysen, Tierkreisbücher, astrologische Unternehmensberatungen und ähnliches ausgegeben. Und was sich die Erwachsenen gönnen, dass erreicht inzwischen auch die Kinder. Kurt-Helmuth Eimuth beschreibt einige Beispiele.

Dass ein vierblättriges Kleeblatt Glück verspricht, das glauben 43 Prozent der Deutschen. Die Zahl 13 hingegen bereitet Kummer, deswegen wurde sie aus Flugzeugen und Hotels verbannt. Fast achtzig Prozent der Deutschen lesen regelmäßig ihr Horoskop, 18 Millionen Bundesbürger deuten ihr persönliches Schicksal nach dem Lauf der Sterne. Immer mehr Menschen sind abergläubisch, das geht aus einer aktuellen Studie des Instituts für Demoskopie Allensbach hervor.
Wo Bedarf ist, entsteht auch ein Markt, man hält Ausschau nach immer neuen – und immer jüngeren – Kundinnen und Kunden. Längst hat der Esoterik-Boom auch die Kinderzimmer erobert. Ob Konzentrationsprobleme,Bettnässen oder Fehler im Diktat: Der Esoterik-Laden an der Ecke hält

Ob Bettnässen oder Fehler im Diktat …

die richtige Lösung bereit. Dem Zeitgeist entsprechend helfen schnell und sanft Bachblüte, Bio-Saft oder Hirngymnastik.
Da stellt eine Mutter nach – stundenlangem Üben für’s nächste Diktat die Bachschen Notfalltropfen neben das Bett – ihre „feinstoffliche“ Wirkung soll das bevorstehende Rechtschreib-Desaster abwenden. Die Mutter einer sechsjährigen Bettnässerin bestellt einen Fachmann zum Lokalisieren von gefürchteten Wasseradern. Das Bett steht jetzt im Flur.
Der Kinderpsychologe Heinz Zangerle hält solche Beispiele nicht für schrullige Einzelfälle: „Schulfitness-Angebote aus dem Repertoire der Esoterik liegen im Trend, die schnelle Lösung hat Konjunktur: Verbesserung der kindlichen Konzentration durch Bewegung aus der Edu-Kinestik, Legasthenikertherapie durch Bachblüten, Behandlung von Aggressionen mit Qui-Gong und Reduzierung diffuser Ängste mit Aromatherapie. Nebenbei – damit Prüfungsstress erst gar nicht aufkommt: Es liegt am Lehrer, für den Rosenquarz am Schülerpult zu sorgen und die individuell günstigste Mondphase für den Prüfungstermin zu beachten.“
Besonders im Trend ist Reiki, eine japanische Heilslehre von einer universalen Lebensenergie, die den Menschen zur „Harmonie mit sich selbst und den grundlegenden Kräften des Universums“ führen soll. „Liebe Eltern, sind auch eure Kinder total Reiki-begeistert?“ fragt etwa die Reiki-Dienstleisterin Michaela Weidner in einem Werbebrief an ihre Kundschaft und fährt fort: „Viele meiner Reiki-Schüler erzählen mir, dass ihre Kinder ohne Reiki überhaupt nicht mehr ins Bett wollen.“ Durch die Hände der geweihten Heilbehandlerin ströme Lebensenergie. Medizinische Behandlungen würden dadurch bereichert, Reiki sei zudem ein praktischer Weg zur Erleuchtung. Sozialwissenschaftler vermuten, dass die steigende Zahl von Reiki-Anhängerinnen und Anhänger sich nicht nur in der Sehnsucht nach Irrealem begründet, sondern darin, dass man hier ganz praktische Zuwendung erfährt: Etwa dreißig Minuten lang wendet sich die Reiki-Meisterin dem Ratsuchenden intensiv zu, legt die Hände über den Körper und lässt „Energie fließen“. Häufig spüren die Menschen, dass es ihnen dabei unmittelbar warm wird. Das ist nachvollziehbar und ungefährlich – aber ist es das Geld wert?
Beliebt ist auch die Verwendung von Bachblüten. „Sie eignen sich besonders gut zur Behandlung von Kindern, denn sie reagieren auf die Blüten-Essenzen noch viel unmittelbarer als Erwachsene,“ ist auf den Verpackungen zu lesen. Der englische Arzt Edward Bach entwickelte diese Methode, einzelne Blütenessenzen ordnete er bestimmten Erkrankungen zu, sie sollen bei psychosomatischen Störungen ebenso wie bei Neurodermitis oder Asthma helfen.
Gefährlich ist die Behandlung mit Bachblüten nur dann, wenn ihretwegen auf die Anwendung herkömmlicher Medizin verzichtet wird. Gerade beim Umgang mit Kindern sollte man aber auch auf die Ursachen der Krankheiten achten – psychosomatische Störungen etwa, deren Ursache ein überzogener Leistungsdruck von Eltern oder Schule ist, können Bachblüten nicht kurieren.
Der neueste Hit in der esoterischen Szene ist das so genannte

… Reiki & Co versprechen Abhile

„Indigo Kind“. Gemeint sind die sprichwörtlichen „Zappelphilippe“,also Kinder, die nicht stillsitzen können, die am „Hyperaktivitätssyndrom“ leiden, wie das Phänomen heute medizinisch genannt wird. Immer öfter werden solche Kinder mit Ritalin, einer Art Beruhigungsmittel, behandelt. Besorgte Eltern lassen sich von Ärzten das Medikament offenbar allzu leichtfertig verschreiben. Das berechtigte Misstrauen gegen den hohen Medikamentenkonsum, der hyperaktive Kinder „ruhig“ stellen soll, wird in esoterischen Kreisen neuerdings in eine abenteuerliche paranormale Legende umgedeutet: In Wahrheit handele es sich bei solchen Kindern um Wesen mit übernatürlichen Eigenschaften. Diese „neuen Kinder“ sind „Indigokinder der neuen Zeit“, da in ihrer Aura verstärkt die Farbe Indigoblau vorkommt.
Die besondere Begabung der Indigo-Kinder werde von der Außenwelt nicht erkannt, deshalb seien sie frustriert über festge- fahrene Systeme, die keine kreativen Gedanken zulassen. In der Schule hätten sie oft Schwierig- kei- ten im sozialen Miteinander. Beispielhaft werden die Fähigkeiten dieser Kinder auf dem Buchdeckel eines esoterischen Bestsellers so beschrieben: „Der 13jährige Lorenz sieht seinen verstorbenen Großvater, spricht mit ihm und gibt dessen Hinweise aus dem Jenseits an andere weiter. Kevin kommt ins Bett der Eltern gekrochen – und erzählt, dass der große Engel – wieder am Bett stand. Peter ist neun und kann nicht nur die Aura um Lebewesen sehen, sondern auch Gedanken anderer Menschen lesen. Ina liest aus – verschlossenen Büchern, und Matthias verbiegt Löffel durch – Gedankenkraft.“
Ungeklärt bleibt die Frage, welchen psychischen Schaden Kinder nehmen können, denen solche Fähigkeiten zugesprochen werden. Denn wer kann solche, mit vermeintlich göttlichen Fähigkeiten ausgestattete Kinder denn noch erziehen, wer setzt ihnen Grenzen? Die „neuen Kinder“ sind vermutlich einfach Kinder, die um ihre ungezwungene Kindheit betrogen werden. Denn elterliche Zuwendung und Erziehung lassen sich nicht ersetzen: Durch Medikamente nicht, und auch nicht durch esoterische Heilswege.

Kurt-Helmuth Eimuth /Evangelisches Frankfurt Mai 2002

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