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Meine Corona-Freuden

von Kurt-Helmuth Eimuth 18. März 2020

Entschleunigen heißt für viele von uns das Zauberwort der Stunde. Vor allem Menschen aus Risikogruppen bleiben jetzt am besten ganz zuhause. Unser Redakteur hat aufgeschrieben, wie es ihm damit ergeht.

Kurt-Helmuth Eimuth ist Mitglied in der Redaktion des EFO-Magazins.  |  Foto: Tamara Jung
Kurt-Helmuth Eimuth ist Mitglied in der Redaktion des EFO-Magazins. | Foto: Tamara Jung

Ich sitze im Homeoffice. Termine werden weitgehend abgesagt, nur gelegentlich aufgeregte Anrufe. Lässt sich aber klären. Wir haben uns eine Art Quarantäne verordnet, da wir zur Hochrisikogruppe gehören. Ja, wir sind alt, jedenfalls über 60, und chronische Erkrankungen liegen auch vor.

Den Kühlschrank habe ich gefüllt, so dass wir hoffentlich 14 Tage durchhalten ohne Einkaufen, ohne direkte Begegnung mit Menschen. Es wird das gute alte Telefon benutzt, sehen kann man sich auch über Skype und kommunizieren auch über facebook. Nun muss jeden Tag überlegt werden, was gekocht wird. Momentan ist die Auswahl noch groß, aber es werden andere Zeiten kommen. Bei den Konserven war ich spät. Sie sind nicht unser Ding. Noch haben wir frisches Gemüse im Angebot.

Vor Hamsterkäufen warnte nicht nur unsere Landwirtschaftsministerin. Ist eine Vorratshaltung für 14 Tage hamstern oder Vorsorge? Und hatte nicht das Volk ein feines Gespür als die Rede davon war, dass dieses Virus doch so ähnlich sei wie eine Grippe? Nein es geht und ging nicht um Panik, aber die jetzigen Maßnahmen waren schon damals abzusehen und in China anzusehen.

Die Menschen haben Angst. Ministerpräsident Armin Laschet spricht davon, dass es um Leben und Tod geht. Danke für die deutlichen Worte. Ja, darum geht es. Und es fühlt sich auch so an. Es ist ein Krieg gegen ein Virus. Läden schließen, Ausgangssperren werden erwogen, Reservisten mobilisiert. Notlazarette geplant. Ist das eine gefühlte Generalmobilmachung?

Die Arbeit lässt sich organisieren. Sicher, sie wird öfter unterbrochen. Aber man kann, wenn man ein Arbeitszimmer hat, konzentriert arbeiten. Anders sieht es wohl bei einer fünfköpfigen Familie aus. Wie sollen da die Kinder Aufgaben machen und die Eltern noch gleichzeitig arbeiten? Werden sie dann eher Spätabends den PC anwerfen, wenn die Kinder im Bett sind?

Soziale Distanz ist gefordert. Gut und richtig. Den heutigen Friseurtermin haben wir abgesagt. Wäre eh nichts geworden, sagte mir die Chefin am Telefon, da die Friseurin zuhause bleiben musste, um ihr Kind zu betreuen. Das ist die brutale Kehrseite der Medaille.

Unsere Logopädin, die viermal die Woche kam, haben wir abbestellt. Taten auch viele andere. Zudem ist sie alleinerziehende Mutter einer Sechsjährigen. Was soll sie jetzt tun? Ihre Einnahmen sind weggebrochen. So geht es weiteren zwei Millionen Soloselbstständigen.

In Krisen braucht der Mensch Beistand. Menschliche Nähe tut gut und trotz allem Gottes Nähe zu spüren, beruhigt. Deshalb ist es hart, dass gerade hier auch die Vorsichtsmaßnahmen greifen. Aber es muss sein. Es kann ja nicht Gottes Wille sein, sich zu infizieren. Gottesdienste als Corona-Partys sind sicher nicht Gottes Wille. Mein katholischer Freund Lutz Lemhöfer machte mich auf die Heilige Corona aufmerksam. „Diese frühchristliche Märtyrerin wird in Niederbayern sogar teilweise mit Wallfahrten verehrt. Und sie ist Schutzheilige gegen Seuchen! Freilich auch für Schatzgräber und (Veganer bitte weghören) für den Stand der Metzger.“ Manchmal haben es die Katholiken doch einfacher als die Protestanten.

Und was ist mit all denen, die im Supermarkt, bei der Müllabfuhr oder im Krankenhaus für unser Wohlergehen sorgen. Es sind gerade die, die oft wenig in der Lohntüte haben, die jetzt plötzlich systemrelevant sind. Corona lehrt uns, was wirklich wichtig ist. Ja, sie haben unseren Dank und unsere Anerkennung verdient, auch nach der Corona-Krise.

Corona stellt uns alle vor ganz neue Herausforderungen. Neue Formen des Miteinanders und der Solidarität entstehen. Und das ist doch ein gutes Zeichen.

Die Armen bleiben arm, die Reichen wurden reicher

von Kurt-Helmuth Eimuth 3. Januar 2020

Zehn Prozent der Menschen in Deutschland sind überschuldet, das sind fast sieben Millionen. Trotz dem Konjunkturboom der vergangenen Jahre ist ihre Zahl gleich geblieben. Drei Maßnahmen, die man sofort ergreifen müsste.

jeder zehnte Mensch in Deutschland hat mehr Schulden als Vermögen. |Foto: Josh Appel / Unsplash
jeder zehnte Mensch in Deutschland hat mehr Schulden als Vermögen. |Foto: Josh Appel / Unsplash

Der Einzelhandel ist noch in erwartungsvoller Stimmung: Die ersten zwei Wochen eines neuen Jahres gelten als umsatzstark, die weihnachtlichen Gutscheine und Geldgeschenke müssen ausgegeben werden. Aber auch die Börse jubelt. Die Kurse steigen und steigen, schließlich gibt es kaum noch Zinsen, Aktien bleiben die Alternative. Das vergangene Jahrzehnt mit seiner positiven Entwicklung gilt schon als eine Art zweites deutsches Wirtschaftswunder.

Doch zehn Prozent der Deutschen haben ein ganz anderes Problem: Sie sind überschuldet, das heißt, sie haben mehr Schulden als Vermögen. Zum Stichtag 1. Oktober 2019 betrug die Überschuldungsquote bundesweit exakt 10 Prozent – das heißt, über 6,9 Millionen Bürgerinnen und Bürger können ihre Schulden nicht mehr bezahlen und weisen „nachhaltige Zahlungsstörungen“ auf. Die Zahl ist im Vergleich zum Vorjahr praktisch unverändert.

Nicht alle von ihnen werden auf Dauer zahlungsunfähig sein. Viele werden ihre persönliche Misere wieder in den Griff bekommen. Aber rund vier Millionen Menschen bleiben in einer harten und damit tieferen Überschuldungsspirale gefangen. Von 2006 bis 2019 ist die Zahl der Überschuldungsfälle insgesamt um 611.000 gestiegen.

Auch in Hessen geht die Schere zwischen Reich und Arm immer weiter auseinander, und zwar stärker als in anderen Bundesländern, wie dem im Dezember veröffentlichten Armutsbericht des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes zu entnehmen ist. Der Frankfurter Jugendring weist zudem auf das Problem der Kinderarmut hin: Seinen Erkenntnissen nach lebt jedes vierte Kind in Frankfurt von Hartz IV.

Frauen (12,5 Prozent) sind insgesamt häufiger verschuldet als Männer (7,65 Prozent). Im Vergleich zum Vorjahr ist zudem die Zahl der verschuldeten Rentnerinnen und Rentner über 70 Jahre um 45 Prozent gestiegen, auf insgesamt 381.000 Fälle. Allerdings sind alte Menschen immer noch deutlich seltener überschuldet als Jüngere: Ihr Überschuldungsquote liegt nur bei knapp 3 Prozent.

Der langjährige Konjunkturboom in Deutschland hat also offensichtlich nicht dazu beigetragen, dass die Armutsgefährdungs- und Überschuldungsquoten zurückgegangen sind: Die Armen bleiben arm, die Reichen wurden reicher. Diese Kluft steht einer Gesellschaft, deren Werte Solidarität und Gemeinschaft sind, nicht gut an.

Drei Dinge gilt es jetzt zu tun und staatlich zu fördern:

Erstens darf kein Kind in der Schule zurückgelassen werden. Dass jährlich 70.000 Kinder ohne Schulabschluss und damit ein Leben lang in die Arbeitslosigkeit entlassen werden, ist nicht tragbar.

Zweitens muss die Langzeitarbeitslosigkeit bekämpft werden. Wir dürfen uns nicht an Millionen Arbeitslose gewöhnen, zumal davon häufig auch deren Familien betroffen und von gesellschaftlicher Teilhabe ausgegrenzt sind.

Drittens schließlich muss der Altersarmut vorgebeugt werden. Es sollte für alle Menschen eine Mindestrente geben – die Nachbarländer Schweiz und Österreich machen vor, dass das geht.

Weihnachtsbeleuchtung? Fehlanzeige!

von Kurt-Helmuth Eimuth 26. November 2019

Advent, das heißt eigentlich Lichtervorhänge, Sterne, beleuchtete Kugeln aller Art. Überall soll der festliche Glanz sichtbar sein – bloß nicht in Frankfurt. Das bleibt streckenweise dunkel.

Foto: Karine Germain / Unsplash
Foto: Karine Germain / Unsplash

Ausgerechnet auf der Zeil sucht man Weihnachtsbeleuchtung in diesem Advent vergebens. Und das, obwohl erst vor wenigen Jahren eine neue Beleuchtung angeschafft wurde, für 250.000 Euro. Doch die ist schon wieder kaputt – Lampen defekt, Material brüchig.

Pläne für eine Neubeschaffung konnte der Anlieger-Verein „Neue Zeil“ nicht realisieren. Nein, es lag nicht am Geld. Es war nur irgendwie nicht klar, wer die Verantwortung für ein solches Projekt übernimmt. Ehrlich: So kann der Einzelhandel gegenüber dem Online-Handel nicht punkten.

Aber auch in der Neuen Altstadt sucht man Weihnachtsbeleuchtung vergebens. Der Grund hier: Es gibt keine Straßenlaternen, an denen man sie befestigen könnte. Da müssen beim Planen ja echte Weihnachtsmuffel am Start gewesen sein.

Immerhin lässt Frankfurt drei Mainbrücken illuminieren. Und die Einkaufsstraßen in den Stadtteilen sind ebenfalls festlich beleuchtet. Vielleicht ist es ohnehin die bessere Idee, im Advent dort einzukaufen.

Ehrlichkeit tut Not: Fürs Klima müssen wir den Gürtel enger schnallen

von Kurt-Helmuth Eimuth 17. September 2019

Inzwischen rufen, so scheint es, alle relevanten Gruppen zum Klimastreik auf, und das ist auch gut so. Aber in der Diskussion um notwendige Maßnahmen braucht es auch Mut zur Ehrlichkeit: Ohne auch persönliche Einschränkungen wird es nicht gehen.

Demonstrieren für den Klimaschutz  |
Demonstrieren für den Klimaschutz | Bild: http://www.unsplash.com

Eigentlich, so dachte ich, ist mein Leben achtsam, was Natur und Klima angeht. Der Zweitwagen ist abgeschafft, in den Urlaub fliegen wir seit Jahren nicht mehr, und wir sind in eine deutlich kleinere Wohnung umgezogen. Doch beim Klimatest auf der Seite Fussabdruck.de musste ich feststellen, dass mein Lebensstil mehr als drei Erden verbraucht.

Vielen von uns ist noch gar nicht klar, wie groß die Dimension dessen ist, was passieren muss, um eine Klimakatastrophe abzuwenden. Trotz der Mahnungen von Experten ist seit vier Jahrzehnten politisch fast nichts geschehen. Dass die Jugend radikale Forderungen stellt, ist also richtig. Entweder wir nehmen die Klimakatastrophe hin, oder wir stemmen uns mit Macht dagegen.

Für Letzteres bedarf es klarer, radikaler Änderungen, die uns allen Verhaltensänderungen abverlangen. Es ist falsch zu glauben, wir könnten den Klimawandel technisch beherrschen, etwa mit der Einführung von E-Autos. Ohne spürbare Einschränkungen des privaten Konsums wird es nicht gehen. Allerdings würde wohl keine Partei die Einführung einer Klimasteuer von 25 Prozent auf Kleidung, Autos, Fleisch und Käse überleben. Trotzdem wäre genau das eigentlich nötig. Zur sozialen Abfederung müssten die Sozialleistungen entsprechend angehoben werden. Und warum nicht Inlandsflüge unter 500 Kilometer verbieten? Gerade angesichts der Prognose, dass sich der Flugverkehr in Europa in den kommenden zwanzig Jahren noch einmal verdoppeln soll?

Natürlich hilft es dem Klima wenig, wenn allein Deutschland sich radikal ändert. Angesichts der Tatsache, dass in China gerade 176 Flughäfen im Bau sind, erscheint die Lage trostlos. Aber wir haben eben zunächst einmal die Verantwortung für unser eigenes Tun. Eine Verantwortung gegenüber den nachkommenden Generationen und gegenüber Gottes Schöpfung.

Wir können die Welt nicht im Alleingang ändern, aber wir können für Veränderung eintreten. Und dafür ist es wichtig, bei sich selbst anzufangen. Dass gleichzeitig auch global gehandelt werden muss, widerspricht dem nicht. Ich jedenfalls hoffe, dass Greta und Co. in ihrem Engagement nicht nachlassen.

Woher kommen wir? Wohin gehen wir? Darauf haben nur die Religionen eine Antwort.

Die christlichen Kirchen in Deutschland verlieren Mitglieder. Bis zum Jahr 2060 wird sich ihre Zahl voraussichtlich halbieren, wie eine aktuelle Studie der Universität Freiburg ergeben hat. Für Frankfurt und Offenbach heißt das, dass in vierzig Jahren wohl weniger als ein Viertel der Bevölkerung der Kirche angehören wird.

er absehbare Rückgang der Kirchenmitglieder ist nur zum Teil mit der Demografie zu erklären, also damit, dass mehr Kirchenmitglieder sterben als geboren werden. Der Hauptgrund ist, dass sich viele aus der Generation um die Dreißig von der Kirche abwenden: Rund ein Drittel aller Getauften tritt bis zum Alter von 35 Jahren aus.

Der Mitgliederschwund der Kirchen vollzieht sich also im dritten und vierten Lebensjahrzehnt, in der sogenannten „Rushhour“ des Lebens. In der Zeit, in der Menschen ins Erwerbsleben eintreten, die ersten Kirchensteuern zahlen müssen, Familien gründen und Kinder bekommen.

Die heute um die Dreißigjährigen werden in zehn oder fünfzehn Jahren die Entscheidungsträger und -trägerinnen der Gesellschaft sein. Kann die Kirche ihnen dann noch vermitteln, warum ihre besondere Stellung nötig ist? Auf einem Plakat der atheistischen Giordano-Bruno-Stiftung ist eine junge Frau zu sehen, die in einer SMS schreibt: „Hallo Kirche, wir sind seit 100 Jahren getrennt, aber du liegst mir noch auf der Tasche. Es reicht!“ Die Deutsche Bahn lehnte das Anbringen des Plakats mit Verweis auf „fehlende Neutralität“ ab. Ob die Verantwortlichen in zwanzig Jahren noch so entscheiden würden, ist fraglich.

Die Kirchen steuern auf eine Legitimationskrise zu. Sie können ihr nur begegnen, wenn sie die 25- bis 40-Jährigen ansprechen. Kontakt zu dieser Altersgruppe haben sie, zum Beispiel in Kindergärten und Krabbelstuben, aber auch im Religionsunterricht. Dort erreichen sie noch alle Familien, dort sind sie noch Volkskirche.

Die Kirchen müssen ihr Anliegen und eine christliche Haltung aber auch vermitteln. Das bedeutet nicht Mission, sondern Kommunikation. So ist Respekt gegenüber allen Menschen sicher eine gute ethische Haltung, aber ihr Ursprung liegt darin, dass Gott alle Menschen geschaffen hat. Klimaschutz ist überlebensnotwendig, aber er begründet sich christlich in der Bewahrung der Schöpfung. Die Kirchen sind von der Überzeugung geprägt, dass der Mensch nicht zerstören darf, was Gott geschaffen hat. Das gilt im Umgang miteinander ebenso wie im Umgang mit der Umwelt. Man darf ruhig etwas von dem Geist Gottes im Alltag spüren. Denn nur die Religionen haben eine Antwort auf die Frage, woher der Mensch kommt und wohin er geht.

Ihrer Legitimationskrise können die Kirchen nur mit Offenheit und dem Hinweis auf ihr Fundament begegnen.

Kurt-Helmuth Eimuth, 3.6.2019

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Der Fall Sylvia D. zeigt: Sekten sind immer noch ein Problem

von Kurt-Helmuth Eimuth 22. Mai 2019

Mitten in Hessen tummelt sich seit drei Jahrzehnten eine sektenähnliche Gruppe, jetzt endlich soll ein fürchterlicher Vorfall aus dem Jahre 1988 geklärt werden: Ein vierjähriger Junge starb damals. Der Fall erinnert daran, dass Extremismus in kleinen religiösen Gruppierungen nach wie vor ein Problem ist.

Kurt-Helmuth Eimuth ist Mitglied in der Redaktion des EFO-Magazins.  |  Foto: Tamara Jung
Kurt-Helmuth Eimuth ist Mitglied in der Redaktion des EFO-Magazins. | Foto: Tamara Jung

Das Landgericht Hanau hat nun eine vor zwei Jahren erhobene Anklage gegen die heute 71 Jahre alte Anführerin der Sekte, Sylvia D., wegen Mordes vor über 30 Jahren zugelassen. Nach langem Hin und Her und wohl auch nach zahlreichen Versäumnissen bei den Ermittlungen wird nun also ein Prozess feststellen, ob der Tod des vierjährigen Jan im Jahr 1988 Mord war. Gut so!

Nach Aussage eines ehemaligen Mitgliedes soll Sektenführerin Sylvia D. nach Jans Tod davon gesprochen haben, dass der Junge von Gott „geholt“ worden sei, denn er sei vom „Bösen“, von der „schwarzen Kerze“ und „den Dunklen“ besessen gewesen. Der Vierjährige sei auch als „Reinkarnation Hitlers“ bezeichnet worden. Laut Anklage sei das Kind damals in einen Leinensack eingeschnürt und im Bad sich selbst überlassen worden, obgleich man die Schreie gehört habe. Der Aussteiger schildert die Gruppe als totalitäres System. D. habe völlige Kontrolle ausgeübt und tiefe Ängste bei den Mitgliedern ausgelöst, etwa mit Drohungen, wer ihr nicht folge, bekomme Krebs. Die Gruppe wurde Anfang der 1980er Jahre gegründet, und D. war die zentrale Figur. Die Angeklagte behauptet, von Gott Befehle zu erhalten, die die anderen Mitglieder befolgen müssen. Die Gruppe hat 15 Mitglieder.

Totalitäre Organisationen gibt es in allen Religionen, und religiösen Extremismus in allen Gesellschaften. Religiöse Eiferer bedienen sich dabei gerne an Versatzstücken aus den Weltreligionen, gleich ob Christentum, Islam oder Judentum. Auch im Umfeld von Buddhismus und Hinduismus gibt es Fanatismus und Extremismus.

Es ist gut, dass seit einigen Jahren auf extremistische Tendenzen im Islam geschaut wird. Aber wir sollten darüber nicht vergessen, dass eine solche Gefahr nicht nur dort besteht. Die Debatte der 1980er und 1990er Jahre um Sekten sollte in Erinnerung bleiben, zum Beispiel der Massenselbstmord in Guyana mit über 900 Toten oder auch die Waffengewalt im Umfeld von Bhagwan in den USA. Auch heute sind Sekten in Deutschland weiter aktiv, zum Beispiel der Psychokonzern Scientology. Aufklärung ist also nach wie vor von Nöten.

Der beste Schutz vor totalitären Bewegungen ist es, wenn Menschen in ihrer Familie und in ihrem Umfeld Zuwendung, Sicherheit und Geborgenheit finden. Das schützt übrigens auch vor politischem Extremismus. In Wahrheit sucht nämlich kein Mensch irgendeine krude Dogmatik, sondern was gesucht wird, das ist die Geborgenheit in einer Gruppe, das Gefühl der Zugehörigkeit. Das Problem des Extremismus ist im Vorfeld letztlich ein Problem des Mangels an emotionaler Geborgenheit.

Wenn aber eine Sekte existiert, dann muss sie mit Überzeugungskraft bekämpft werden. Und es ist keine Frage: Bei Straftaten muss die Justiz eingreifen. In diesem Fall ist es der jahrelangen, zähen Aufklärungsarbeit der Frankfurter Rundschau zu verdanken, dass nun in Hanau der Versuch der Aufklärung unternommen wird. Man darf gespannt sein, was dieser Prozess noch alles zu Tage fördert.

Mitgliederrückgang der Kirchen: Rückzug ist keine Lösung

von Kurt-Helmuth Eimuth 8. Mai 2019

Gewusst hat man es schon länger, jetzt gibt es auch die Zahlen dazu: Auf mittlere Sicht wird nur noch eine Minderheit der Menschen in Deutschland Mitglied in einer christlichen Kirche sein. Sich nun in eine fromme Innerlichkeit zurückzuziehen, wäre allerdings der falsche Schritt, warnt Kirchenpräsident Volker Jung ganz zu recht.

Kurt-Helmuth Eimuth ist Mitglied in der Redaktion des EFO-Magazins.  |  Foto: Tamara Jung
Kurt-Helmuth Eimuth ist Mitglied in der Redaktion des EFO-Magazins. | Foto: Tamara Jung

Zahlen können brutal sein, zumindest schonungslos. Die jetzt veröffentlichte Studie zur Mitgliederentwicklung der beiden großen christlichen Kirchen sind es. Bis 2060 werden die Kirchen nur noch die Hälfte des heutigen Mitgliederstandes haben. Ursache ist nach einer Studie des Forschungszentrums Generationenverträge (FZG) der Freiburger Universität zum einen der demografische Wandel – um 21 Prozent wird die Zahl der Evangelischen sich deshalb reduzieren. Weitere 30 Prozent sind auf die sinkende Zahl der Taufen und eine Zunahme der Austritte zurückzuführen.

Der Kirchenpräsident der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau, Volker Jung, setzt daher auf Kommunikation. Die unersetzbare direkte Kommunikation von Mensch zu Mensch müsse mit der medialen und digitalen Kommunikation verbunden werden, äußerte Jung gegenüber dem Evangelischen Pressedienst. „Der Rückzug in eine fromme Innerlichkeit oder ein gemeindliches Vereinsleben ist für mich keine Option“, sagte Jung.

Kommunikation, auch mediale Kommunikation, ist sicher eine Basis und eine Grundvoraussetzung in einer modernen Gesellschaft. Doch braucht der Glauben Menschen. Menschen, die Vorbild sind. Menschen, die Fragen haben und Fragen beantworten. Menschen, die aus ihrem Glauben heraus eine Haltung entwickeln. Es ist eben etwas anderes, ob ich die Natur schützen will, oder ob ich Gottes Schöpfung bewahren will. Es ist ein Unterschied, ob ich jeden Menschen respektiere, oder ob ich jeden Menschen als Geschöpf Gottes sehe.

Haltung und Werte vermitteln Menschen von Generation zu Generation. Oder besser eigentlich: Von einer Generation zur übernächsten Generation. Ganz wesentlich sind dabei nämlich die Großeltern. Oft sind sie es, die den Kindern Fragen nach Leben und Tod beantworten. Die Familie ist traditionell der Ort, an dem religiöse Sozialisation stattfindet. Doch viele Traditionen sind schon lange abgebrochen. Entweder weil die Großeltern in einer Patchworkfamilie nicht mehr vorkommen oder weil zunehmende Mobilität den familiären Kontakt einschränkt.

Machen wir uns nichts vor: Die Kirche als Institution wird diesen Traditionsabbruch nicht kompensieren können. Sie kann aber dort, wo sie Kontakt zu Menschen hat, glaubhaft agieren. Kindertagesstätten und Religionsunterricht sind wichtige Orte, an denen die Kirche präsent sein und ihre Werte vermitteln kann, auch wenn das keine Orte für die Mission sind.

Die Kommunikation mit dem Evangelium braucht aber nicht nur Orte, sie braucht auch Emotionen. Der Musik kommt hier eine besondere Bedeutung zu. Das Angebot zum Mitsingen von Weihnachtsliedern füllt inzwischen Fußballstadien.

Auch wenn die Mitgliederzahlen einbrechen, wird die Kirche als Minderheitenkirche weiter bestehen und hoffentlich auch Kirche für andere bleiben. Ein Wachsen gegen den Trend wird es nicht geben. Doch es wird auch 2060 Menschen geben, die glaubhaft ihren Glauben leben.

Auch evangelische Besonderheiten begünstigen sexualisierte Gewalt

von Kurt-Helmuth Eimuth 18. März 2019

Die Fälle von sexualisierter Gewalt in kirchlichen Einrichtungen betreffen beide Kirchen. Es gibt Schätzungen, wonach sich ein Drittel der Fälle im kirchlichen Kontext in der evangelischen Kirche abgespielt hat. Wahrscheinlich hat der Missbrauch in der katholischen Kirche strukturelle Gründe. Aber es gibt auch evangelische Besonderheiten, die problematisch sind.

Kurt-Helmuth Eimuth ist Mitglied in der Redaktion des EFO-Magazins.  |  Foto: Tamara Jung
Kurt-Helmuth Eimuth ist Mitglied in der Redaktion des EFO-Magazins. | Foto: Tamara Jung

Keineswegs segelt die evangelische Kirche bei den Debatten über sexualisierte Gewalt in kirchlichen Einrichtungen im Windschatten der katholischen Kirche. Vielmehr wird ihr vorgeworfen, dass sie selbst im Glashaus sitze, nur eben ihre Verstrickung deutlich leiser bearbeite. Es gibt Schätzungen, wonach sich ein Drittel der Fälle im kirchlichen Kontext in der evangelischen Kirche abgespielt hat.

Wahrscheinlich hat der Missbrauch in der katholischen Kirche strukturelle Gründe. Deutlich stellten Katholiken und Katholikinnen um den Frankfurter Stadtdekan Johannes zu Eltz in einem offenen Brief einen Zusammenhang her zwischen vorgeschriebenen Lebensformen, sexuellen Tabus und Männerbünden: „Missbrauch in unserer Kirche hat auch systemische Gründe. Die Versuchung des Klerikalismus folgt dem Klerus wie ein Schatten.“

Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) will in zwei wissenschaftlichen Studien das Ausmaß des Skandals in ihren eigenen Strukturen ergründen. Kirsten Fehrs, Bischöfin der Nordkirche, wo es bereits eine 500 Seiten starke Studie dazu gibt, machte in ihrem Bericht vor der EKD-Synode evangelische Spezifika aus. Problematisch seien zum Beispiel „die unreflektierte Vermischung von Privatem und Dienstlichem, dezentrale Strukturen, die unklar machen, wer für was zuständig ist, fehlende Beschwerdemöglichkeiten.“

Im der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN) sind von 1947 bis heute 50 Fälle bekannt geworden, die denen der Verdacht auf sexualisierte Gewalt bestand. Dabei wurden 16 Mal Pfarrer verdächtigt. In 12 Fällen konnten keine Ermittlungen mehr geführt werden, weil die Beschuldigten bereits verstorben waren. Ein Verdacht hat sich als unbegründet erwiesen. Dreimal wurde ein kirchliches Dienstrechts-Verfahren eingeleitet. In den anderen Fällen richteten sich die Anschuldigungen gegen Erzieher, Ehrenamtliche oder Kirchenmusiker. In der Gesamtzahl sind laut EKHN auch alle bekannten Fälle aus Heimen in evangelischer Trägerschaft enthalten.

Bei der Bearbeitung von sexualisierter Gewalt kann sich die evangelische Kirche also strukturell nicht auf den Klerus fokussieren. Sie muss die Mitarbeiterschaft in ihrer ganzen Breite – ob haupt- oder ehrenamtlich – in den Blick nehmen. Mit Hilfe eines neuen Gesetzes gegen Kindeswohlgefährdung und der Vorschrift von erweiterten Führungszeugnissen für Haupt- und Ehrenamtliche sind erste Schritte unternommen worden. Schulungen ergänzen die formalen Anforderungen. Zudem hat die EKHN Ansprechpartnerinnen und Ansprechpartner für Beschwerden ausgewiesen.

Überall, wo Macht ausgeübt wird, ob in der Psychotherapie, in der Seelsorge, in der Schule oder im Kindergarten, kann diese missbraucht werden. Deshalb gilt es weiterhin wachsam für Anzeichen eines Missbrauchs zu sein. Die Analyse der Vergangenheit kann da wertvolle Hinweise geben.

Vatikankonferenz zu sexualisierter Gewalt: Chance leider vertan

von Kurt-Helmuth Eimuth 25. Februar 2019

Die Krise der katholischen Kirche kann evangelischen Christinnen und Christen nicht gleichgültig sein. Es geht hier nämlich nicht nur um die Glaubwürdigkeit einer Institution, sondern auch um die Glaubwürdigkeit christlicher Lebensentwürfe. Leider wurde die Chance, an die Wurzeln des Übels zu gehen, wieder vertan.

Kurt-Helmuth Eimuth ist Mitglied in der Redaktion des EFO-Magazins.  |  Foto: Tamara Jung
Kurt-Helmuth Eimuth ist Mitglied in der Redaktion des EFO-Magazins. | Foto: Tamara Jung

Die Missbrauchsdebatte in der katholischen Kirche fand jetzt auf allerhöchster Ebene statt. Papst Franziskus hatte zur Anti-Missbrauchskonferenz nach Rom geladen. Herausgekommen ist eine Sensibilisierung für die Leiden der Betroffenen. In der etwas blumigen Sprache der Kirche klingt das so: „Das Echo des stillen Schreis der Kleinen, die in ihnen statt Vätern und geistlichen Führern Menschenschinder gefunden haben, wird die durch Scheinheiligkeit und Macht betäubten Herzen erzittern lassen. Wir haben die Pflicht, diesem erstickten stillen Schrei aufmerksam zuzuhören.“

Priester und Bischöfe seien zu „Menschenschindern“ geworden. Scharfe Worte des Papstes. Doch was folgt daraus? Die Kirche werde alle Delikte des sexuellen Missbrauchs an die Justiz weitergeben. Alle Bischofskonferenzen weltweit würden künftig sexuellen Missbrauch unnachsichtig verfolgen. Eigentlich doch eine Selbstverständlichkeit.

An die strukturellen und theologischen Wurzeln des Übels wollte man nicht gehen. Dabei liegen sie auf der Hand. Es ist ein Amtsverständnis, das den Priester erhöht, ja überhöht. Und auch wenn es theologisch nicht so gemeint ist, verführt es doch zur Herrschaft über Menschen. Deutlich sprachen Katholiken und Katholikinnen um den Frankfurter Stadtdekan Johannes zu Eltz von einem Zusammenhang zwischen vorgeschriebenen Lebensformen, sexuellen Tabus und Männerbünden. „Missbrauch in unserer Kirche hat auch systemische Gründe. Die Versuchung des Klerikalismus folgt dem Klerus wie ein Schatten. Die Aussicht auf Macht in Männerbünden zieht Menschen aus Risikogruppen an“, war in dem offenen Brief zu lesen.

Heribert Prantl nennt die Krise der katholischen Kirche in der Süddeutschen Zeitung eine Jahrtausendkrise, die nur durch Jahrtausendreformen bewältigt werden kann. Die Glaubwürdigkeit der katholischen Kirche kann nur wiedergewonnen werden, wenn sie ihre „vormoderne Ordnung“, so der offene Brief aus Frankfurt, überwindet. Dazu bedarf es vor allem eines anderen Amtsverständnisses der Priester. Die freie Wahl der Lebensform sowie die Zulassung von Frauen zum Priesteramt gehört da ebenso dazu wie eine andere Bewertung der Homosexualität.

Die Krise der katholischen Kirche kann evangelischen Christinnen und Christen nicht gleichgültig sein. Es geht hier nämlich nicht nur um die Glaubwürdigkeit einer Institution. Zum einen ist es eine schwere Hypothek für den Annährungsprozess der beiden großen Kirchen. Zum anderen geht es aber auch um die Glaubwürdigkeit christlicher Lebensentwürfe, gleich welcher Prägung. Mit einer zunehmend den christlichen Kirchen gegenüber kritisch eingestellten Gesellschaft erleichtern die Vorgänge in Rom nicht die Diskussion.

Im Fußball würde man sagen: Der Papst hat eine Torchance kreiert aber dann doch nicht konsequent abgeschlossen. Die Chance wurde vertan.

Das katholische Frankfurt setzt ein notwendiges Zeichen

von Kurt-Helmuth Eimuth 5. Februar 2019

In einem offenen Brief haben sich der Frankfurter katholische Stadtdekan Johannes zu Eltz und weitere Mitstreiterinnen und Mitstreiter an den Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz gewandt. Ein notwendiges Signal für einen gelebten Glauben in einer modernen Welt.

Kurt-Helmuth Eimuth ist Mitglied in der Redaktion des EFO-Magazins.  |  Foto: Tamara Jung
Kurt-Helmuth Eimuth ist Mitglied in der Redaktion des EFO-Magazins. | Foto: Tamara Jung

Deutliche Worte ist man vom katholischen Stadtdekan gewöhnt. Nicht zuletzt im Interview mit dem efo-Magazin wies er auf den Zusammenhang von Zölibat und sexuellem Missbrauch hin.

In einem offenen Brief haben sich jetzt Johannes zu Eltz und weitere Mitstreiterinnen und Mitstreiter an den Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz gewandt. In Rom solle Kardinal Reinhard Marx die Zusammenhänge von vorgeschriebenen Lebensformen, sexuellen Tabus und Männerbünden freimütig zur Sprache bringen: „Missbrauch in unserer Kirche hat auch systemische Gründe. Die Versuchung des Klerikalismus folgt dem Klerus wie ein Schatten. Die Aussicht auf Macht in Männerbünden zieht Menschen aus Risikogruppen an. Sexuelle Tabus blockieren notwendige Klärungs- und Reifungsprozesse.“

Viele aktive Katholiken könnten die „vormoderne Ordnung“ nicht mehr mittragen, schreiben die Verfasserinnen und Verfasser, unter Ihnen Ansgar Wucherpfennig, Direktor der Hochschule Sankt Georgen, und die Direktorin des Frankfurter Caritas, Gaby Hagmans. Es wird die freie Wahl der Lebensform für Priester und die Zulassung von Frauen zum Priesteramt gefordert, inklusive einer „verständigen und gerechten Bewertung von Homosexualität“.

Der Frankfurter Brandbrief zeigt auf der einen Seite die Nöte der katholischen Kirche, auf der anderen Seite den Mut der lokalen Spitze Neuerungen voranzutreiben. Ein notwendiges Signal für einen gelebten Glauben in einer modernen Welt.