Raub der Kindheit

Der Spiegel, 21.4.1007

http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-8700439.html

Credo der Freiheit, Die Zeit

Die Zeit, 14.2.1997

http://lrd.yahooapis.com/_ylc=X3oDMTVna2E1dTZiBF9TAzIwMjMxNTI3MDIEYXBwaWQDc1k3Wlo2clYzNEhSZm5ZdGVmcmkzRUx4VG5makpERG5QOWVKV1NGSkJHcTJ1V1dFa0xVdm5IYnNBeUNyVkd5Y2REVElUX2tlBGNsaWVudANib3NzBHNlcnZpY2UDQk9TUwRzbGsDdGl0bGUEc3JjcHZpZANDUE9KOFdLSWNycUMydzBsTC5ERi5LbEhXODV4amsxNWhEd0FDb1Ff/SIG=1297n8ak4/**http%3A//www.zeit.de/1997/07/Credo_der_Freiheit_Klarspueler_fuers_Hirn

Was bedeutet Solidarität

Pfarrerin Marion Eimuth

Andacht, 20. 1. 1997

Orgelvorspiel

Lied: EG 72, 1-6

Psalm 92, Nr. 737

Ansprache:

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

Dieses Jahr findet der Kirchentag in Leipzig statt. Er steht unter dem Motto: „Auf dem Weg der Gerechtigkeit ist Leben“.

Ich selbst bin bei der Vorbereitung im Markt der Möglichkeiten mit der Bundesvereinigung Kindertagesstätten. Wir haben gemerkt, daß das Thema eine Herausforderung für uns ist. Was ist gerecht oder ungerecht? Ist es gerecht, daß Menschen die einen Arbeitsplatz haben sich krank schuften oder andere krank werden, weil sie keinen Arbeitsplatz haben und sich überflüssig fühlen?

So ist in dem Vorbereitungsheft zum Kirchentag zu lesen, daß Leben nur gelingen und weitergehen kann, „wenn es gerecht zugeht in unseren Familien, in unserem Land, in Europa und in der Welt… Unsere kleine Gerechtigkeit ist der menschenmögliche Versuch, Gottes Gerechtigkeit zu entsprechen“. Leben behält seinen Sinn und Wert, wenn es sich auf die Gerechtigkeit Gottes verläßt.

Hierzu sind für jeden Tag Bibeltexte ausgesucht die dies unterstreichen sollen. Einen mögchte ich mit Ihnen heute morgen lesen: Es sind die Arbeiter im Weinberg im Matthäusevangelium, im 20. Kapitel, die Verse 1-16:

Text

Jesus erzählt eine Geschichte aus dem Leben. Ein alltäglicher Vorgang wird beschrieben, nämlich, daß ein Weinbergbesitzer auf dem Markt Tagelöhner mietet. Die Arbeitssuchenden warten dort auf Aufträge. Der Weinbergbesitzer geht selbst auf die Suche nach Arbeitern. Daraus läßt sich schließen, daß er keiner von den Großgrundbesitzern ist. Die lassen solche Arbeiten durch Verwaltungssklaven ausführen und von der Weinernte selbst merken sie nicht viel.

Auf dem Marktplatz warten genügend Tagelöhner. Selbst in der Erntezeit scheint Arbeitslosigkeit bei Landarbeitern die Regel zu sein.

Fünf Gruppen von Arbeitern werden zu unterschiedlichen Stunden gemietet.

Mit der ersten Gruppe wird ein Tagelohn vereinbart. „Sie stimmen dem Preis und der Arbeitszeit zu und werden dann an die Arbeit geschickt.

Mit den vier weiteren Gruppen wird jedoch so keine vollständige Vereinbarung getroffen. – Die Lohnhöhe bleibt offen: „was recht ist will ich euch geben“.

Die Position der Arbeitslosen ist offensichtlich so schwach, daß sie ohne klare Lohnvereinbarung an die Arbeit gehen und in Kauf nehmen, von dem Weinbergbesitzer auch unter ihren Erwartungen entlohnt zu werden. Bei der letzten Gruppe, die um die 11. Stunde gemietet werden, ist überhaupt nicht mehr von Lohn die Rede.

Der Arbeitstag dauert von Sonnenaufgang bis vor Sonnenuntergang. Es sind z.Zt. der Traubenernte im August/September etwa 12-13 Stunden. Die Arbeiter der 11. Stunde haben vermutlich nur noch eine gute Stunde gearbeitet.

Das Wesentliche in dieser Erzählung ist die Auseinandersetzung um den Lohn, die an den beiden extremen Gruppen demonstriert wird.

Die Lohnauszahlung ist am Abend. Sie dürfte bei Tagelöhnern die Regel gewesen sein, es sei denn, der Arbeitgeber versucht, die Tagelöhner um ihren Lohn zu betrügen.

Die Lohnhöhe für die letzte Gruppe ist absolut ungewöhnlich. Deshalb erwartet die erste Gruppe bei einem so güten Arbeitsherrn einen wesentlich höheren Lohn als den vereinbarten.

Eine Geschichte wird erzählt, die in allen Einzelheiten so hätte passieren könne, nur die Güte des Arbeitgebers ist ungewöhnlich. Die Auseinandersetzung darüber ist der Punkt, auf den das Gleichnis hinaus will.

Das Verhalten des Arbeitgebers bei der Löhnung steht in scharfem Kontrast zur Realität. Das Gegenteil hätte man erwartet. Normale Arbeitgeber nehmen gerade jede Gelegenheit wahr, den Lohn zu drücken.

Das Gleichnis will von der Güte Gottes reden und vom Verhalten von Menschen untereinander, das im Zusammenhang mit der Güte Gottes steht.

Die murrende Gruppe der ersten haben mehr als die letzten geleistet. Nicht ihr Wunsch nach Lohngerechtigkeit als solcher setzt sie ins Unrecht, sondern die Art, wie sie mit diesem Wunsch umgehen.

Sie machen ihren Wunsch nach Lohngerechtigkeit zur Waffe gegen andere. Sie sind neidisch.

Kritisiert werden hier nicht abstrakt Lohndenken oder Lohngerechtigkeitsforderungen, sondern unbarmherziges, unsolidarisches Verhalten.

Verhandelt wird in diesem Gleichnis nicht das Lohndenken, sondern die Benutzung des Gerechtigkeitsempfindens, als Waffe gegen andere Menschen.

Das Gleichnis hat kein negatives, sondern ein positives Ziel: Es will Solidarität lehren. Es wirbt um die Solidarität von Menschen, die die gemeinsame Gottesvorstellung vom barmherzigen Gott haben. Bei all den derzeitigen Verteilungskämpfen in unserem Land will uns dieses Gleichnis die Augen für diesen Maßstab öffnen. Was kann Solidarität mit vier Millionen Arbeitslosen heißen?

Was bedeutet Solidarität der jungen mit der älteren Generation angesichts leerer Rentenkassen?

Was heißt Solidarität mit der sogenannten 3. Welt angesichts der Globalisierungsdebatte?

Die Liste kann täglich erweitert werden. Antworten auf diese Fragen habe auch ich nicht. Liebe Kolleginnen und Kollegen: Aber es lohnt sich sicher bei mancher Narichtensendung innezuhalten und den Maßstab des Gleichnisses vom Weinberg anzulegen. Amen

Gebet:

Mein Gott, es fällt uns nicht leicht, heute wieder anzufangen. Es war schön, das Wochenende über frei zu haben. Dafür danken wir. Jetzt aber beginnt wieder der Alltag. Wir bitten dich, Gott, für unser gemeinsames Leben und Arbeiten: Gib uns Kraft und Ruhe. Hilf uns zu unterscheiden zwischen dem, was wichtig und dem, was unwichtig ist. Im Vertrauen auf dich wollen wir die Woche beginnen. Bleibe bei uns. Amen.

Lied: 171 1-4

Segen: Herr, wir bitten dich: Segne uns. Halte deine schützenden Hände über uns und gib uns deinen Frieden. Amen.

Gott klopft an unsere Türen

Sonntag, 2. Advent, Lk 1, 26-33 u.38

7.12.1996

Pfarrerin Marion Eimuth

Orgelvorspiel

Gemeinde: Eingangslied: EG 8, 1-6

Zum heutigen Sonntag, den 2. Advent, begrüße ich sie ganz herzlich mit dem Wochenspruch aus dem Lukasevangelium, dem 21. Kapitel: Seht auf und erhebt eure Häupter, weil sich eure Erlösung naht.

Wir feiern diesen Gottesdienst im Namen Gottes, des Vaters, und des Sohnes und des Heiligen Geistes, Amen.

Pfarrerin: Psalm : 80, 2-7;15-20

Du Hirte Israels, höre, der du Josef hütest die Schafe! Erscheine, der du thronst über den Cherubim, vor Ephraim, Benjamin und Manasse! Erwecke deine Kraft und komm uns zu Hilfe!

Gott, tröste uns wieder und laß leuchten dein Antlitz, so genesen wir. Herr Zebaoth, wie lange willst du zürnen, während dein Volk zu dir betet? Du speisest sie mit Tränenbrot und tränkest sie mit einem großen Krug voll Tränen. Du läßest unsre Nachbarn sich um uns streiten, und unsre Feinde verspotten uns.

Gott Zebaoth, wende dich doch! Schaue vom Himmel und sieh darein, nimm dich dieses Weinstocks an! Schütze doch, was deine Rechte gepflanzt hat, den Sohn, den du dir großgezogen hast! Sie haben ihn mit Feuer verbrannt wie Kehricht; vor dem Drohen deines Angesichts sollen sie umkommen. Deine Hand schütze den Mann deiner Rechten, den Sohn, den du dir großgezogen hast. So wollen wir nicht von dir weichen. Laß uns leben, so wollen wir deinen Namen anrufen. Herr, Gott Zebaoth, tröste uns wieder; laß leuchten dein Antlitz, so genesen wir.

Kommt , laßt uns anbeten:

Gemeinde: Ehr sei dem Vater und dem Sohn..

Pfarrerin: Sündenbekenntnis:

Guter Gott,

wir haben das Warten auf dich und dein Reich verlernt. Alles wollen wir uns selbst verschaffen, und zwar sofort.

Erwartung und Vorfreude haben keinen Platz bei uns.

Wir bitten dich:

Schenke uns Geduld,

damit wir beharrlich warten auf deinen Tag.

Guter Gott,

wir haben die Hoffnung verlernt.

Alles meinen wir tun zu müssen und tun doch nichts.

Der Angst, der Verunsicherung haben wir viel zuviel Platz eingeräumt.

Wir bitten dich:

Schenke uns Mut und Ausdauer,

damit wir tun, was deiner Welt dient.

Guter Gott,

wir haben die Liebe verlernt.

Alles haben wir an uns gerissen und dabei nichts und niemanden geschont. Uns selber und deine Welt richten wir zugrunde.

Wir bitten dich:

Schenke uns Demut,

damit wir lassen, was deiner Welt schadet.

„Herr, erbarme dich!“

Gemeinde: Herre, Gott, erbarme dich,

Christe, erbarme dich,

Herre Gott, erbarme dich!

Pfarrerin: Gandenwort:

Gott läßt uns nicht allein:

Sein Sohn wurde Mensch und lebte unter uns.

Sein Reich ist uns nah

als Hoffnung für uns und für die Welt.

Darum loben und preisen wir Gott.

„Ehre sei Gott in der Höhe:“

Gemeinde: Allein Gott in der Höh sei Ehr

und Dank für seine Gnade, darum daß nun

und nimmermehr uns rühren kann kein

Schade. Ein Wohlgefalln Gott an uns hat;

nun ist groß Fried ohn Unterlaß, all Fehd

hat nun ein Ende.

Pfarrerin: Gebet

Guter Gott,

wir kommen zu dir in einer Zeit, die schon geprägt ist von dem bevorstehenden Fest,

dem Fest der Geburt deines Sohnes.

Laß uns hier Abstand gewinnen,

mach uns offen

für die Erwartung deiner Zukunft,

für die Hoffnung auf dein Reich.

Darum bitten wir dich

im Namen deines Sohnes Jesus Christus,

der mit dir und dem Heiligen Geist uns und diese Welt zum Ziel führt.

Amen.

Pfarrerin: 1. Schriftlesung:

Jes 63, 15-19; 64, 1-3

So schau nun vom Himmel und sieh herab von deiner heiligen, herrlichen Wohnung! Wo ist nun dein Eifer und deine Macht? Deine große, herzliche Barmherzigkeit hält sich hart gegen mich. Bist du doch unser Vater; denn Abraham weiß von uns nichts, und Israel kennt uns nicht. Du, Herr, bist unser Vater; „Unser Erlöser“, das ist von alters her dein Name. Warum läßt du uns, Herr, abirren von deinen Wegen und unser Herz verstocken, daß wir dich nicht fürchten? Kehr zurück um deiner Knechte willen, um der Stämme willen, die dein Erbe sind! Kurze Zeit haben sie dein heiliges Volk vertrieben, unsre Widersacher haben dein Heiligtum zertreten. Wir sind geworden wie solche, über die du niemals herrschtest, wie Leute, über die dein Name nie genannt wurde.

Wie Feuer Reisig entzündet und wie Feuer Wasser sieden macht, daß dein Name kund würde unter deinen Feinden und die Völker vor dir zittern müßten, wenn du Furchtbares tust, das wir nicht erwarten – und führest herab, daß die Berge vor dir erflössen! – und das man von alters her nicht vernommen hat. Kein Ohr hat gehört, kein Auge hat gesehen einen Gott außer dir, der so wohl tut denen, die auf ihn harren.

Halleluja

Gemeinde: Halleluja, Halleluja, Halleluja

Gemeinde: Lied, 6, 1-5

Pfarrerin: 2. Schriftlesung:

Jak 5, 7-8

So seid nun geduldig, liebe Schwestern und Brüder, bis zum Kommen des Herrn. Siehe, der Bauer wartet auf die kostbare Frucht der Erde und ist dabei geduldig, bis sie empfange den Frühregen und Spätregen. Seid auch ihr geduldig und stärkt eure Herzen; denn das Kommen des Herrn ist nahe.

„Ehre sei dir Herr!“

Gemeinde: Lob sei dir o Christe!

Pfarrerin und Gemeinde:

Laßt uns Gott loben und preisen mit dem Bekenntnis unsers Glaubens:

Ich glaube an Gott, den Vater,

den Allmächtigen,

den Schöpfer des Himmels und der Erde;

und an Jesus Christus,

seinen eingeborenen Sohn, unseren Herrn,

empfangen durch den Heiligen Geist,

geboren von der Jungfrau Maria,

gelitten unter Pontius Pilatus,

gekreuzigt, gestorben und begraben,

hinabgestiegen in das Reich des Todes,

am dritten Tage auferstanden von den Toten,

aufgefahren in den Himmel;

er sitzt zur Rechten Gottes,

des allmächtigen Vaters;

von dort wird er kommen,

zu richten die Lebenden und die Toten.

Ich glaube an den Heiligen Geist,

die heilige, christliche Kirche,

Gemeinschaft der Heiligen,

Vergebung der Sünden

Auferstehung der Toten

und das ewige Leben. Amen.

Gemeinde: Lied , 13, 1-3

Pfarrerin: Predigt:

Text, Lk 1, 26-33 u. 38

Und im sechsten Monat wurde der Engel Gabriel von Gott gesandt in eine Stadt in Galiläa, die heißt Nazareth, zu einer Jungfrau, die vertraut war einem Mann mit Namen Josef vom Hause David; und die Jungfrau hieß Maria. Und der Engel kam zu ihr hinein und sprach: Sei gegrüßt, du Begnadete! Der Herr ist mit dir! Sie aber erschrak über die Rede und dachte: Welch ein Gruß ist das? Und der Engel sprach zu ihr: Fürchte dich nicht, Maria, du hast Gnade bei Gott gefunden. Siehe, du wirst schwanger werden und einen Sohn gebären, und du sollst ihm den Namen Jesus geben. Der wird groß sein und Sohn des Höchsten genannt werden; und Gott der Herr wird ihm den Thron seines Vaters David geben, und er wird König sein über das Haus Jakob in Ewigkeit, und sein Reich wir kein Ende haben.

Maria aber sprach: Siehe, ich bin des Herrn Magd; mir geschehe, wie du gesagt hast. Und der Engel schied von ihr.

Ein Engel verkündet Maria das unglaubliche, das Unfaßbare. Sie soll Jesus gebären. Doch Maria nimmt diese Ankündigung des Engels hin. Sie wehrt sich nicht. Maria will als Magd des Herrn es so geschehen lassen, wie der Engel es ankündigt.

Vor einiger Zeit habe ich mit zwanzig Erzieherinnen evangelischer und katholischer Konfesseion, die in kirchlichen Kindergärten tätig sind, diesen Text für die Adventszeit erarbeitet. Mit sehr viel Engagement und großem Interesse haben die Erzieherinnen sich an diesen Text gewagt. Haben ihre Fragen gestellt und haben die wesentlichen Punkte dieser Textstelle für Kinder zusammengetragen. Deutlich wurde, daß gerade dieser Text wichtig für die Vorbereitungszeit ist. Wichtig auch für Kinder, daß sie sich in der Adventszeit nocheinmal vergewissern, was dieser Jesus von Nazaret für uns ist, auch nach fast 2000 Jahren.

Der jüdische Gelehrte Shalom Ben-Chorin hat für diese Szene, die gerade in der Kunst oft umgesetzt worden ist, im Blick auf das Marienbild festgestellt, daß sie von einem siebenfachen Schleier umhüllt sei. Der Text sei gewebt von Tradition, Dogma, Liturgie, Legende, Kunst, Dichtung und Musik.

Vielleicht gelingt es, den einen oder anderen Schleier zu lüften und ein wenig innezuhalten und uns von der Botschaft dieser Geschichte anrühren zu lassen.

Kaum eine Geschichte ist von den Künstlern, den Malern und Bildhauern in zweitausend Jahren so zart und liebevoll gemalt worden wie die von dem scheuen Menschenkind, das sich von einem Augenblick zum anderen zum Träger eines so einzigartigen Schicksals ausersehen wußte.

Immer kommt der Engel mit großen Flügeln, Botschafter einer anderen Welt, aufrecht, mit erhobener Hand, in Vollmacht verkündend – oder vor Maria kniend, ihr, der künftigen Gottesmutter, seine Ehrerbietung erzeigend…

Und Maria empfängt ihn in Demutshaltung oder aufrecht stehend, oft in Schriftstudium oder Gebet vertieft, manchmal ist in ihrer Nähe eine weiße Lilie, Symbol ihrer Reinheit, der Geist Gottes im Bild der Taube über ihrem Haupt.

Ich denke, die Maler zeigen in ihren Bildern nicht die äußere Szene, so wie sie sich tatsächlich ereignet hat, sondern das innere Ereignis.

In dieser Geschichte steht Maria im Mittelpunkt. Im sechsten Monat der Schwangerschaft der alten Elisabeth besucht der Engel die junge Frau in Nazaret. Die Sohneszusage von Elisabeth und Zacharias ist also eng verknüpft mit der Sohneszusage an Maria. Bei näherer Betrachtung fällt Marias Selbständigkeit auf. Der Bote, der zu ihr kommt, hat einen Namen, er wird uns vorgestellt als der Engel Gabriel. Wie er ausgesehen hat, welche Gestalt er hat, davon erfahren wir aus dem Text nichts. Gabriel war angesehen als ein Ankünder der letzten Zeit vor dem Ende der Welt. Gabriel bedeutet soviel wie „Gottes Starker“, „der vor Gottes Sicht gestellt ist“, also der Thronengel. Dieser nun kündigt der Maria die Geburt eines Sohnes an.

Aus dem Text erfahren wir, daß Maria erschrocken ist, aber nicht erschrocken, daß ein Bote Gottes sie besucht, sondern erschrocken ist sie über den Gruß. „Sei gegrüßt, du Begnadete, der Herr sei mir dir“. Dies ist eine Wortspielerei zwischen Alltagsgruß und außerordentlichen Anrede. Der Schluß des Grußes kommt im AT nämlich nur zweimal vor und deutet schon hier bei der Geburtsankündigung auf eine Berufungsgeschichte hin.

Der Engel ist nicht beunruhigend durch seine Erscheinung oder aufgrund seines Aussehens, sondern durch seine Worte.

Sie, Maria, soll sich nicht fürchten, denn sie ist auserwählt, einem besonderen Menschen das Leben zu schenken.

Mit dieser Verheißung bekommt sie gleichzeitig die Aufforderung, ihrem Sohn den Namen Jesus zu geben. Die Namensgebung war zu der Zeit das ureigenste Recht des Vaters und gleichzeitig Ausdruck seines Herrseins.

Nun bekommt Maria die Aufforderung der Namensgebung. Der Name ist von Gott festgelegt. Namen die von Gott her gegeben werden, gelten als vom Heiligen Geist gewirkt. Sie bestimmen Leben und Werk dieser Menschen. So soll es nun bei Jesus ein.

Wichtig an der Botschaft des Engels ist nicht die „wunderbare Geburt“, sondern die Zielsetzung. Sie, Maria, wird einen Sohn bekommen, der „Sohn des Höchsten“ genannt wird. Sein Mane Jesus heißt „Gott hilft“, „Retter“. Und er wird den Thron Davids bekommen. Das soll heißen, er wird gerecht regieren und zwar so, daß es keine Benachteiligung mehr geben wird, daß es wieder Hoffnung geben wird, daß Frieden einkehren wird und die Menschen es gut haben werden.

Dieser wird anders regieren als alle Gewaltherrscher. Erwartet wird von ihm, daß die Zeit des Friedens endlich einkehren wird, daß es keine Kriegswerkzeuge mehr geben wird, daß ohne Macht und Gewalt eine weltverändernde Friedensherrschaft anbrechen wird. Und diese Hoffnung auf einen solchen Messias, gibt es bereits im Jesajabuch.

Wir erfahren außerdem, daß sein Königreich ohne Ende sein wird. Sein Leben gehört Gott.

Hier werden Erwartungen geweckt, die jede menschliche Vorstellungen weit übersteigen. Die Befreiung aus den Ängsten des Lebens, die Befreiung der Unterdrückten und Benachteiligten.

Diese junge Frau wird vom Engel Gottes angesprochen, sie entzieht sich nicht, sondern öffnet sich den Worten. Sie zeigt sich damit zur Gottesfamilie zugehörig.

Wer kann schon ermessen, was da geschieht: Heiliger Geist von gott über eines Frau, und sie überläßt sich ihm. Zu einer nie geahnten Höhe und Würde emporgehoben, von Gott selbst angeredet, zu einem Dasein zwischen Erde und Himmel ausersehen!

Wer unter uns erwartet noch, daß ihn dies widerfahren könnte: ein Anruf von Gott selbst, der wie ein Sturm über ihn kommt und dem er sich überläßt, wohin er ihn auch immer tragen sollte?

Maria hat keine Einwände gegen ihre Berufung. Sie sagt „Ja“ zu der Rede des Engels. Sie bezeichnet sich als Magd des Herrn und drückt damit Gehorsam und Demut gegenüber Gott aus. Selbstsicher nimmt sie an, wofür sie bestimmt wurde. Im NT ist dieser Ausdruck „Magd des Herrn“ einmalig. Als Frau redet so im AT auch Hanna, die Mutter Samuels, oder Mose, David, die Propheten, wenn sie sich als „Knecht Gottes“ bezeichnen.

Mit Magd und Knecht ist hier das Gegenüber vor Gott gemeint, es weist auf den Zuspruch Gottes hin „Ich bin der Herr, dein Gott“.

Der Gehorsam gegen Gottes Willen zerstört nicht Selbstbewußtsein, sondern richtet es auf.

Mit diesem Selbstbewußtsein kann Maria einige Verse weiter ihr Loblied singen. „Er stößt die Gewaltigen vom Thron und erhebt die Niedrigen. Die Hungrigen füllt er mit Gütern und läßt die Reichen leer ausgehen“.

Sicher haben wir Menschen, im 20. Jahrhundert es schwer, uns eine Engelsbegegnung vorzustellen. Vielleicht erkennen wir erst im nachhinein, daß wir Menschen getroffen haben, die uns zu unserer Rolle in der Geschichte Gottes verhalten. Engel, die uns davon überzeugt haben, daß wir überhaupt eine Rolle spielen. Daß wir gemeint sind, nicht gering, sondern wertvoll, begnadet in je besonderer Weise, angeblickt vom Angesicht Gottes. Wir müssen dannnicht wie Maria gebären, aber doch mit ihr singen, die Worte ihres Lobliedes, das Magnificat.

Und wir werden lernen müssen, ja zu sagen. Einverstanden zu sein, so wie Maria: „Mir geschehe, wie du gesagt hat.“

Gott klopft an vor einer und eines jeden Tür und auf tausendfache Weise. Die Geschichte von damals wiederholt sich überall dort, wo Menschen offene Ohren und ein offenes Herz haben für den Gott, der den Menschen sucht. Daß wir Stille werden, um uns auf Gott zu besinnen, das ist der Sinn der Adventszeit. Heute fällt uns dies schwer. Aus der Zeit der Besinnung und Vorfreude wurde Weihnachtstrubel, Weihnachtsmarkt, Weihnachtsgeschäft. Doch trotz alledem sind die Menschen gerade in dieser Adventszeit doch etwas offener, sensibler. Und tatsächlich klopft Gott auch heute noch an unsere Türen. Doch es wird nicht immer bemerkt. Heute nicht und auch nicht vor 2000 Jahren. Doch wünsche ich uns allen offene Ohren und so ein offenes Herz wie es in der Bibel oft bezeugt wird.

Amen.

Gemeinde: Lied 4, 1-5

Pfarrerin: Abkündigungen

Gemeinde: Lied 16, 1-5 und Kollekte

Pfarrerin: Fürbittengebet

Guter Gott, wir bitten dich für die, deren Welt ins Wanken geraten ist durch Krankheit oder Arbeitslosigkeit, durch den Tod oder den Weggang eines geliebten Menschen: Laß sie spüren, daß sie nicht allein sind. Gib ihnen neue Kraft, ihr Leben zu leben. Sende un, damit wir ihnen Begleiterinnen und Begleiter sind.

Guter Gott, wir bitten dich für die, die besonders darunter leiden, daß diese Welt aus den Fugen ist, für die Opfer von Katastrophen und Kriegen, von menschlicher Bosheit und menschlichem Leichtsinn: Laß sie erfahren, daß ihnen Hilfe zuteil wird. Gib ihnen Mut, für ihr Recht zu kämpfen. Send uns, damit wir ihre Anwältinnen und Anwälte sind.

Guter Gott, wir bitten dich für die, die in dieser Welt Zeichen der Hoffnung setzen durch gelebten und bezeugten Glauben, durch das Eintreten für Gerechtigkeit, Frieden und die Bewahrung deiner Schöpfung: Laß sie merken, daß ihre Arbeit Früchte trägt. Gib ihnen Ausdauer, wenn die Mühe vergeblich scheint. Sende uns, damit wir ihre Verbündeten sind.

Und was uns noch bedrängt bringen wir vor dich

mit den Worten die Christus uns gelehrt hat:

Vater unser im Himmel, geheiligt werde dein Name.

Dein Reich komme.

Dein Wille geschehe,

wie im Himmel so auf Erden.

Unser tägliches Brot gib uns heute.

Und vergib uns unsere Schuld,

wie auch wir vergeben unsern Schuldigern.

Und führe uns nicht in Versuchung,

sondern erlöse uns von dem Bösen.

Denn dein ist das Reich und die Kraft

und die Herrlichkeit in Ewigkeit. Amen.

Segen:

Geht in diesen Tag, in diese Woche mit dem Frieden

unseres Gottes:

Der Herr segne dich und behüte dich,

Der Herr lasse sein Angesicht leuchten über dir

und sei dir gnädig.

Der Herr hebe sein Angesicht auf dich und

gebe dir Frieden. Amen.

Orgelnachspiel

Die Gewißheit genügt uns

Andacht, Lk 12, 35

25. 11. 1996

Pfarrerin Marion Eimuth

Psalm: 126 Nr. 750

Lied: EG 147, 1-3

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

Der Wochenspruch steht im Lukasevangelium, im 12. Kapitel. „Laßt eure Lenden umgürtet sein und eure Lichter brennen“.

Dieser Vers, es ist der 35., ist uns zunächst unverständlich. Unser heutiger Alltag ist so grundverschieden, daß wir die Symbolik erst übersetzen müssen. Das lange Gewand des Orientalen soll mit einem Gürtel hochgebunden sein, sodaß er jederzeit zur Wanderung oder auch zur Arbeit aufbrechen kann. Auch die Lampen sollen brennen, denn die Nacht steht kurz bevor.

Unser Vers beschreibt damit eine Alltagssituation. Doch für die damalige Christenheit am Ende des ersten Jahrhunderts beschrieb diese Szene noch eine andere Erwartung. Das Gewand soll mit einer Schürze hochgebunden sein um den heimkommenden Herrn sofort bedienen zu können. Selbstverständlich sollen bei der Wiederkunft Christi auch in der Nacht die Lampen brennen, damit er erkannt wird und Eingang findet.

Die Gemeinde, für die Lukas schreibt, lebt nicht mehr in der Erwartung, daß die Wiederkunft Christi noch zu ihren Lebzeiten stattfindet. Vielmehr hat sie die Erfahrung gemacht, daß ihre Väter- und Müttergeneration vergeblich auf die Wiederkunft gewartet hat. Deshalb fährt Lukas in den Versen 39 und 40 fort: „Das sollt ihr aber wissen: Wenn ein Hausherr wüßte, zu welcher Stunde der Dieb kommt, so ließe er nicht in sein Haus einbrechen. Seid auch ihr bereit! Denn der Menschensohn kommt zu einer Stunde, da ihr’s nicht meint.“

Die Frage was unser Glaube bewirkt und wann er zum Erfolg führt ist damals wie heute aktuell.

Da hat etwas begonnen, z.B. die Arbeit für das Reich Gottes, aber das Reich Gottes ist unendlich fern. Wir leben und arbeiten für Ziele, aus unserem Glauben heraus, auf Gottes Wort hin, aber die Erfüllung, der „Erfolg“ bleibt aus. Unsere Fragen könnten vielleicht so lauten:

Wann endlich verändert sich denn etwas hin zu Friede und Gerechtigkeit? Wann fruchtet unsere Arbeit mit den Kindern- und Jugendlichen. Wann gelingt es uns, die Ohren für die Probleme der Obdachlosen zu öffnen – anstatt wie hier in Frankfurt eine „Gefahrenabwehrverordnung“ zu erlassen.

Wann kommt Gottes Reich? Wie kann es gelingen, daraufhin zu leben angesichts ausbleibender „Erfolge“, ausbleibender Veränderungen?

Das Reich Gottes ist kaum wahrnehmbar, leben wir Christinnen und Christen wirklich in einer begründeten Hoffnung?

Gerade zur Jahrtausendwende macht sich wieder eine Angst vor dem Weltuntergang breit. Da kommen eine Vielzahl von neuen religiösen Gruppen auf, die sich dieser Entzeitstimmung bemächtigen. Versprechen das Heil und Überleben nur in ihrer jeweiligen Gruppe und nutzten die Ängste der Menschen schamlos aus.

Doch bereits Tausend Jahre zuvor gab es das auch schon einmal. Damals hat man Zeichen des nahen Endes gesammelt und das eigene Leben im Licht dieser Endzeichen gedeutet. In der damaligen Frömmigkeit drückte sich die Endzeitfurcht auch dadurch aus, daß man möglichst viele gute Werke tun wollte: Höchste Aktivität und baldige Erwartung des Jüngsten Tages schließen sich nicht aus.

„Über Zeit und Stunde brauche ich euch nicht zu schreiben“, so Paulus.

Das ist manchmal ganz schön schwer, so völlig auf sein Gottvertrauen und auf die Hoffnung verwiesen zu sein, eine Hoffnung, die nicht sieht, die unabhängig ist von „Erfolg“, von sichtbarer Erfüllung.

„Denn der Menschensohn kommt zu einer Stunde, da ihr’s nicht meint“. Völlig überraschend, unberechenbar.

Manchmal ist der Tag Gottes heute. Heute, wenn Mauern fallen. Heute, wenn Versöhnung gelingt. Heute, wenn ein Mensch endlich aus seiner Trauer heraustritt. Heute, wenn ein Durchbruch gelingt, politisch, seelisch, gesundheitlich…

Heute ist Gottes Tag, wo wir hier zusammengekommen sind, sichtbares Zeichen der Gegenwart Gottes in dieser Welt. Und wie gering auch immer unser Christsein gegenüber der Finsternis dieser Welt sein mag: es ist doch Gottes Anwesenheit in dieser Welt. Durch uns hindurch. Gott kommt, wann und wie er will. In kleinen Ereignissen, in großen Umwälzungen. In kleinen Leuten, seltener in großen Leuten. Wann Gottes Reich ganz und gar verwirklicht sein wird – da müssen wir uns dieselbe Antwort gefallen lassen wie sie einst Lukas gab.

Wir Christinnen und Christen können eben ganz im Gottvertrauen mit dieser Ungewißheit leben. Wir brauchen kein konkretes Endzeitdatum wie die Zeugen Jehovas, wir müssen uns nicht vor dem Ende der Welt ängstigen, wie die Würzburger Sekte Universelles Leben, die eine neue Sintflut erwartet und wir brauchen auch nicht die Jahrtausendwende als magisches Datum anzusehen wie weltweit zahlreiche Gruppen und Grüppchen. Nein, wir wissen nicht, ob es ein, zehn oder zehntausend Jahre bis zur Wiederkunft Christi dauert. Doch als Christin und Christ können wir all denen die auf ein bestimmtes Datum fixiert sind nur lächelnd entgegnen: Wir brauchen kein Datum, die Gewißheit genügt uns und ansonsten gibt es genug hier und jetzt im Sinne Jesu zu tun. Amen.

Lied: EG 152, 1+4

Gebet:

Dankbar nehmen wir dein Wort auf, Gott. Dankbar sind wir für deine Stärkung. Hilf uns, daß wir es uns auch gegenseitig in der richtigen, bestärkenden Weise zusprechen können. Stärke unseren Glauben und unsere Hoffnung. Komm uns nahe, spürbar! Hilf uns, lieber Gott, daß aus unserer Stärkung neue Schritte folgen, wachsame, kluge Schritte, die anderen Menschen dienen. Hilf uns zu einer liebenden Aufmerksamkeit für alles, was uns umgibt und laß segen für uns und andere daraus fließen.

Gemeinsam beten wir, wie Jesus uns gelehrt hat:

Vater unser im Himmel

geheiligt werde dein Name,

dein Reich komme,

dein Wille geschehe, wie im Himmel so auf Erden

Unser tägliches Brot gib uns heute.

Und vergib uns unsere Schuld,

wie auch wir vergeben unsern Schuldigern.

Und führe uns nicht in Versuchung,

sondern erlöse uns von dem Bösen.

Denn dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit. Amen.

Lied: 590

Segen:

Gott, der Ursprung und Vollender aller Dinge.

segne dich, gebe dir Gedeihen und Wachstum,

Erfüllung deinen Hoffnungen, Frucht deiner Mühe,

und am Ende das Ziel deiner Wege. Amen.

Das neue Leben

Andacht

Kurt-Helmuth Eimuth

25.11.96

L: Lasst uns von Gottes Macht singen und des Morgens rühmen seine Güte

G: Amen

Lied

L: Herr, tue meine Lippen auf,

G: Dass mein Mund deinen Ruhm verkündige.

L: Gott, gedenke mein nach deiner Gnade,

G: Herr, erhöre mich mit deiner treuen Hilfe.

Psalm

Lesung

Der Wochenspruch steht im Johannesevangelium Vers 12, Kapitel 24:

Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und erstirbt, bleibt es allein; wenn es aber erstirbt, bringt es viel Frucht.

Ansprache

Sie sehen mich heute morgen in großer Sorge. Gestern von dem schönen, anregenden Verabschiedungsfest heimkommend, meldeten die Nachrichten, dass Amerika künftig bei Konflikten Atomwaffen einsetzen wolle. Krieg ist leider alltäglich und scheint unausrottbar. Doch mit diesem Szenario der Bush-Administration rückt das Unvorstellbare, das Unglaubliche etwas näher.

Viele Schülerinnen und Schüler fragen mich, was das denn solle, wenn wir mit dem 12-Uhr Läuten für den Frieden schweigen. Gewiß, man könnte meinen es helfe sowieso nichts. Na gut, sage ich jenen Zweiflerinnen, es schadet zumindest auch nicht. Aber es geht doch um mehr. Es geht um eine christliche Grundhoffnung. Es geht um die Hoffnung, dass selbst in solch schlimmen Situationen die Hoffnung auf Veränderung vorhanden ist. Es gibt nichts, was nicht auch den Keim der Veränderung des Wandels in sich trägt.

In unnachahmlicher Weise wird dieses im Bilderbuch Pele und das neue Leben beschrieben. Peles Freund Tomo starb. Gemeinsam hatten sie ein Beet angelegt. Gemeinsam hatten sie dort Samenkörner vergraben.

Als Tomo noch gesund war, hatten sie zusammen auf das neue Leben gewartet. Und dann hatte Pele die Samen des Gärtners vergessen. Er hatte ihnen kein Wasser mehr gegeben. Weil ohne Tomo alles so anders geworden war, waren die Samen sicher vertrocknet.

Pele lief zum feingeharkten Beet, das in der Mitte zwischen dem gelben Haus mit den drei Türmchen und dem Fischerhaus lag. Bei dem Beet aber stand der Fischer. Er stellte gerade seine leere Gießkanne ab.

In der feuchten Erde waren viele grüne Pflanzen gewachsen: hellgrüne, fast gelbe und dunkelgrüne. Pflanzen mit glatten Blättern, Pflanzen mit gezackten Blättern.

„Das neue Leben“, sagte Pele leise. An manchen Pflänzchen klebten ganz vorne an den Blattspitzen noch die vertrockneten Hüllen der Samenkörner, die Tomo und Pele in die Erde gesteckt hatten.

„Das neue Leben“, sagte hetzt Pele etwas lauter. Er schaute ins traurige Gesicht von Tomos Vater. „Auf dieses Leben haben Tomo und ich gewartet. Die Samenkörner sind gestorben.“ Er zeigte auf die vertrockneten Hüllen.

Diese Hoffnung, dass im Tod neues wächst, ist es, die uns täglich auffordert, für den Frieden zu beten, zu schweigen und überall für ihn einzutreten. Deshalb ist es ein guter Brauch, dass uns täglich die Glocke daran erinnert. Aus gutem Grund können wir trotz der grausamen Realität auf Frieden hoffen. Aus gutem Grund können wir trotz der Kriege in Afrika, auf dem Balkan und im nahen Osten auf Frieden hoffen. Der gute Grund hat einen Namen: Jesus Christus.

Lied:

Lasst uns beten:

Gemeinsam beten wir, wie Jesus uns gelehrt hat:

Vater unser im Himmel

geheiligt werde dein Name,

dein Reich komme,

dein Wille geschehe, wie im Himmel so auf Erden

Unser tägliches Brot gib uns heute.

Und vergib uns unsere Schuld,

wie auch wir vergeben unsern Schuldigern.

Und führe uns nicht in Versuchung,

sondern erlöse uns von dem Bösen.

Denn dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit. Amen.

L: Lasst uns preisen den herrn.

G: Gott sei ewig Dank

L:Es segne und behüte uns Gott,

der Allmächtige und Barmherzige,

Vater, Sohn und Heiliger Geist.

G: Amen

City-Religion und Esoterik

Andacht Heiliggeistkirche 7.10.96

Orgelvorspiel

EG 44 1,2,4,5

Votum:

Wochenspruch: 1.Joh 4, 21

Dies Gebot haben wir von ihm, daß, wer Gott liebt, daß der auch seinen Bruder liebe.

Mit diesem Wochenspruch feiern wir die Andacht im Namen des Vaters, und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen

Psalm 104, Nr. 743

Gemeinde: Lied 331, 1-3+11

Predigt:

Liebe Koleginen und Kollegen,

wir sind in Bewegung geraten. Ich meine nicht nur die vielen konzeptionellen Überlegungen. Nein, unübersehbar wird geräumt und geschleppt. Zahlreiche Einrichtungen ziehen um. Auch mein Büro ist jetzt im Rechneigraben.

Sozusagen zum Abschied lade ich sie heute morgen ein, mich gedanklich auf meinem bisherigen Heimweg, den ich 12 Jahre gegangen bin, von der Saalgasse ins Nordend zu begleiten.

Die Evangelische Arbeitsstelle für Religions- und Weltanschauungsfragen befand sich bisher in unmittelbarer Nähe des Römerberges in der Saalgasse. Mithin also in der City. Die City spiegelt wie kaum ein anderer Ort das moderne, säkulare Bewußtsein. Die religiösen Angebote haben sich nahtlos eingefügt. Hans Joachim Höhn hat hierfür den Begriff „City-Religion“ geprägt. Er schreibt: „Die Entsprechnungen zwischen Urbanität und Religiosität werden deutlich, wenn man ein Profil des interlektuellen, mobilen Stadtbewohners erarbeitet und es in Beziehung setzt zu den für die neue Kultszene typischen Strukturen von Angebot und Nachfrage. Die dabei gewonnenen Eindrücke über die Motivlage der Produzenten und Konsumenten rechtfertigen es, für die neue urbane Religiosität den Begriff ‚City-Religion‘ zu verwenden.“1 Die urbane Religiosität ist Teil des Marktes. Gelegentlich sieht man sie auch erst auf den zweiten Blick hinter ihrer säkularen Fassade.

Eine solch säkulare Fassade steht direkt gegenüber unserem Bürogebäude in der Saalgasse. Die Schirn, eine Kunst- und Ausstellungshalle, ist eines jener Gebäude, das mit ihren Säulen ihren Besuchern jenes erhabene Gefühl vermittelt, das wir Kirchenleute beim Betreten einer Kirche empfinden. Sind nicht überhaupt unsere Museen eher Musentempel und somit dann doch etwas Heiliges im Profanen. Kein Wunder, daß vor kurzem hier eine Ausstellung sich dem Thema Okkultismus widmete.

Doch schreiten wir weiter über den Frankfurter Römerberg, die Alte Nikolaikirche, als Tourismuskirche tagsüber geöffnet, hinter uns lassend, den Blick auf die Frankfurter Skyline gerichtet, gehe ich auf die Hauptwache zu. Schon lange überragen die Türme der Banken die der Kirchen. Und trotzdem – so meine These – ist Frankfurt nicht nur die Stadt der Banken, sondern auch die Stadt der Religionen. Denn es gibt sicherlich mehr Religionsgemeinschaften und religiöse Gruppen als Banken in dieser Stadt. Und Banken soll es immerhin 411 geben. Zum Glück gehört nur die kleinere Zahl zum direkten Beobachtungsfeld eines Sektenbeauftragten. Denn die überwiegende Zahl der Religionsgemeinschaften sind sozialpsychologisch betrachtet unproblematisch.

Zu den womöglich problematischen Erscheinungen gehören die halbjährlich in Frankfurt stattfindenden Esoterik-Tage.

Mein Blick fällt auf ein Plakat für die sogenannten „Esoterik-Tage“. Zweimal jährlich findet im Bornheimer Bürgerhaus die Esoterik-Messe statt. Die Geheimwissenschaft des Weges nach innen wird – ganz im Sinne einer City-Religion – gnadenlos vermarktet. Ob es allerdings der Erleuchtung wirklich egal ist, wie man sie erlangt, wie es in einem vielzitierten Szenesatz heißt, vermag ich nicht zu beurteilen.

Konsum, Kommerz und Religion folgen den gleichen Mustern. So wie ich meine Schuhe sofort besohlt bekomme, die Bilder in nur 30 Minuten abholen kann, so soll es auch mit meiner Entspannung und Erleuchtung sein. „Mindmachines“ folgen genau diesem Muster. Kopfhörer auf, Ton an, Brille auf, Elektronenblitze an, und schon soll sich dank der Wirkung auf das Hirn eine fühlbare Entspannung einstellen. Und es muß wohl mehr sein als Entspannung, sonst würden wir solche Angebote nicht auf der Esoterik-Messe finden.

Aroma-Therapie, Bachblüten-Therapie, Handlesen, Mindmachines, heilende Kristalle, Auraphotographie, Kartenlegen und Meditation werden dort ebenso wie in der Esoterik-Buchhandlung am Steinweg feilgeboten. Immerhin, so wird geschätzt, sollen etwa 10 % der Buchneuerscheinungen diesem Bereich zuzuordnen sein. Bei der am 2. Oktober beginnenden Buchmesse werde ich wie jedes Jahr feststellen können, daß auch die christlichen Verlage sich aus dem Lebenshilfebereich verabschiedet haben oder gar selbst esoterische Literatur anbieten. Selbst vor katholischen Verlagen macht dies nicht halt. Die Buchhandlung Herder, an der wir auf unserem kurzen Weg vorbeikommen, macht hier keine Ausnahme. Im ersten Stock steht neben der kritischen Literatur über Sekten das ganze Spektrum esoterischer Literatur. Kaum 100 Meter weiter begegnen wir vor der Katharinenkirche, in der wegen Urlaubes des Pfarrers gerade keine Andachten stattfinden, den rührigen PR-Aktivitäten der Bahai-Religion. Jugendliche Brake-Dancer werben für die Idee der Vereinigung aller Religionen. Internationalität als Verkaufsschlager für eine kleine Religionsgemeinschaft, die doch auch einen Wahrheitsanspruch hat. Überhaupt scheint sich dieser Platz zwischen Kaufhof und Katharinenkirche zu einer Art locus religiosus auszukristallisieren. Hier werben schon christlich fundamentalistische Gruppen mit dem Slogan „Lust zum Leben“ oder auch eine afrikanische Gemeinde mit uns fremden Heilungsverständnis und einer ordentlichen Portion magischen Gebetsverständnisses. Kaum Beachtung findet hier zwischen all dem Werben und all den Werbern die Skulptur von David und Goliath. Lediglich einige Obdachlose nutzen Goliath als Stütze und Ablage für die Bierflasche.

Anscheinend kommt es auf das besondere Erlebnis, auf den Kick an. Und so wird aus dem einfachen Warenhaus ein Erlebnishaus. Der Kunde soll erzählen können, wie er im italienischen Ambiente seinen Cappuccino trank oder im neuen lichtdurchfluteten Einkaufstempel Les-Faccettes – eine Mischung aus einem sich am Hang entlangschlängelnden Bergweg und amerikanischem Gefängnis – sich den Weg in die höheren Etagen des Konsums, vorbei am Internet-Cafe, bahnte.

Aber natürlich stehen vor diesen Erlebnishäusern die Werber für Sinn und Glück. Vor dem Kaufhof die Zeugen Jehovas. Gerade jetzt beginnt wieder eine neue Werbeoffensive der Wachtturmgesellschaft, deren leitende Körperschaft sich doch als „Kanal Gottes“ versteht. Und durch diesen Kanal erhalten wir schier unglaubliche Anweisungen, Kinder systematisch sozial auszugrenzen, ihnen jede demokratische Meinungs- und Willensbildung zu untersagen und bei Bedarf auch eine körperliche Züchtigung vorzunehmen. – Die deutsche Zentrale der Wachtturmgesellschaft ist im übrigen nicht weit von hier entfernt. Sie ist in Selters im Taunus. Dort leben und arbeiten 1 200 Zeugen Jehovas.

Doch zurück auf die Zeil. Vor Les-Faccettes ist ein charmant-dynamisches Trio am Werk. Man vermutet auf den ersten Blick jene Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen von Umfrageinstituten. Doch die Umfrage entpuppt sich als Einladung zu einem Mangagement-Seminar. Damit auch gleich richtig sortiert wird, wird auch gefragt, wieviel man selbst bereit wäre, für eine solche Schulung auszugeben. Warum sollte man nicht unverbindlich und kostenlos einen Tag in der Akademie für Management und Kommunikation verbringen. Und sicher ist der Betriebswirtschaftsstudent davon angesprochen, daß hier das wahre, alltagstaugliche Wissen für den betriebswirtlichen Alltag vermittelt würde. „Oder“, so sagt der Werber, „fühlst Du dich durch die Uni auf den Berufsalltag hinreichend vorbereitet?“ Natürlich nicht. Trotz großer Aufklärung finden diese Werber immer noch Menschen, die zu ihnen kommen, nicht ahnend, daß es sich bei der Akademie für Management und Kommunikation in Wahrheit um einen Zulieferbetrieb für Scientology handelt.

Auf dem Weg ins Nordend hole ich schnell noch in der Naturbar eine biologische Brottasche für meine Tochter. Mindestens einmal monatlich muß ich hier einkehren, um beispielsweise den Einblick, eine Art esoterische Stadtzeitung, die kostenlos in einer Auflagehöhe von 8 000 Exemplaren verteilt wird, mitzunehmen. Daneben liegen zahlreiche Prospekte für NLP, Yoga-Kurse oder auch Psychokurse in der Toskana. Zum Glück hat sich meine Kirchengemeinde diesem Markt gestellt. Wir selbst bieten wöchentlich eine Meditation mit Elementen des Zen dort an. Der Frankfurter Ring darf Konzerte hier durchführen und auch eine Vereinigung von frommen Christen lädt allmonatlich zum Lobpreisgottesdienst.

Die von Midlifekrisen bedrohte Mittelschicht hat also ein vielfältiges Angebot. Der gebildete und gutverdienende Stadtbewohner sucht eben neben Kommerz und Karriere auch Kultur; er braucht ein spirituelles Sinnsystem, das seinem sozialen Status und Kontext entspricht. Doch Religion, zumal christliche Religion, ist keine Handelsware, die im Ex und Hopp Rhytmus der City vermaktbar wäre.

Ein pures, religiöses Erlebnis ohne Glauben ist für Christen und Christinnen nicht machbar. Nichts anderes meint die Losung für den heutigen Tag aus dem 86.Psalm, der Vers 11: „Erhalte mein Herz bei dem einen, daß ich deinen Namen fürchte.“

Hier wird von Herz gesprochen. Glauben ist Herzenssache und kann deshalb nicht einfach in die Konsumgewohnheiten eingepaßt werden.

Und obwohl wir mit Sicherheit uns den Anforderungen des Marktes stellen müssen, kann unser Glauben nicht zur Ware verkommen.

Amen

Gemeinde: Lied 324, 1-4, 12-13

Mitteilungen:

Gebet

Guter Gott,

Schöpfer alles Sichtbaren und Unsichtbaren,

wir bitten dich:

für alle, die einsam oder allein sind: daß sie Nähe erfahren;

für die, die um einen geliebten Menschen trauern: daß sie Trost finden;

für die Kranken in der Nähe und in der Ferne: daß sie Kraft bekommen;

für die Verzweifelten, die aufgeben wollen: daß sie wieder Mut schöpfen;

für alle, die leiden unter den Ungerechtigkeiten: daß sie Recht erfahren;

für alle, die sich nach einem besseren Leben sehnen: daß sie Leben in Fülle finden.

mit den Worten die Christus uns gelehrt hat:

Vater unser im Himmel,

geheiligt werde dein Name.

Dein Reich komme.

Dein Wille geschehe,

wie im Himmel so auf Erden.

Unser tägliches Brot gib uns heute.

Und vergib uns unsere Schuld,

wie auch wir vergeben unsern Schuldigern.

Und führe uns nicht in Versuchung,

sondern erlöse uns von dem Bösen.

Denn dein ist das Reich und die Kraft

und die Herrlichkeit in Ewigkeit. Amen.

Segen:

Geht in diesen Tag, in diese Woche mit dem Frieden

unseres Gottes:

Der Herr segne dich und behüte dich,

Der Herr lasse sein Angesicht leuchten über dir

und sei dir gnädig.

Der Herr hebe sein Angesicht auf dich und

gebe dir Frieden. Amen.

Lied: 421 (1)

Orgelnachspiel

1 Hans-Joachim Höhn, City-Religion – Soziologische Glossen zur „neuen“ Religiosität, in Forum – Materialien und Beiträge zum religiösen Dialog, Nr. 6, April 1990, herausgegeben von der Arbeitsgemeinschaft Neue Religiöse Gruppen e.V.

Erziehung zur Unfreiheit


Kurt-Helmuth Eimuths Buch über die Sektenkinder

Jugendsekten sind seit langem ein Thema in den Medien. Weniger Aufmerksamkeit schenkt man bisher den Sektenkindern. Gemeint sind damit jene Kinder, die in eine Sekte hineingeboren werden bzw. durch den Eintritt der Eltern in eine Sekte gelangen und so von klein auf im Sinne der Sekte erzogen werden. Über diese Kinder hat der Leiter der Evangelischen Arbeitsstelle für Religions- und Weltanschauungsfragen in Frankfurt/M. Kurt-Helmuth Eimuth jetzt ein Buch vorgelegt.

Beispielhaft wird an acht Sekten aufgezeigt, welche Formen eine solche Erziehung, die auf totale Vereinahmung ausgerichtet ist, annehmen kann. Und welche Folgen sie für die Kinder hat! Auch wenn die von Eimuth ausgewählten Gruppen ein buntes Spektrum an Weltanschauungen repräsentieren – von Fernöstlichem wie Krishna und Thankar Singh über Altbekanntes wie Zeugen Jehovas und Scientology bis hin zu Modernem wie der Neocharismatischen Bewegung – eines haben sie alle gemeinsam: Die Grundwerte der Erziehung, wie sie unser Kinder- und Jugendhilfegesetz formuliert, nämlich Förderung der Entwicklung zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit, werden durch vollständige Anpassung und blinden Gehorsam gegenüber der Sekte ersetzt. Das Buch belegt dies durch zahlreiche Beispiele, die zum Teil eine erschütternde Lektüre darstellen.

Eimuth stellt zurecht die Frage, ob derartige Praktiken durch die vom Grundgesetz verbriefte Religionsfreiheit gedeckt werden oder ob hier nicht Reaktionen von staatlicher Seite erforderlich sind. Die SPD-Fraktion im Bundestag hat jedenfalls vor einigen Wochen das Buch von Eimuth zum Anlaß genommen, die Einrichtung einer Kommission aus Parlamentariern und Sachverständigen zu fordern, die sich mit diesem Problemkreis befaßt.
(da)

Kurt-Helmuth Eimuth:
Die Sektenkinder. Mißbraucht und betrogen –
Erfahrungen und Ratschläge.
Reihe Herder Spektrum.
Herder Verlag, Freiburg/Br., 1996

17. Sonntag nach Trinitatis 29.9.96

Michaelistag, Hebr. 1,7.13-14

Pfarrerin Marion Eimuth

Orgelvorspiel

Gemeinde: Eingangslied: EG 437, 1-3

Pfarrerin: Psalm 91:

Wer unter dem Schirm des Höchsten sitzt

und unter dem Schatten des Allmächtigen bleibt,

der spricht zu dem Herrn: Meine Zuversicht und

meine Burg,

mein Gott, auf den ich hoffe.

Denn er errettet dich vom Strick des Jägers

und von der verderblichen Pest.

Er wird dich mit seinen Fittichen decken,

und Zuflucht wirst du haben unter seinen

Flügeln.

Seine Wahrheit ist Schirm und Schild,

daß du nicht erschrecken mußt vor dem Grauen

der Nacht,

vor den Pfeilen, die des Tages fliegen,

vor der Pest, die im Finstern schleicht,

vor der Seuche, die am Mittag Verderben bringt.

Denn der Herr ist deine Zuversicht,

der Höchste ist deine Zuflucht.

Es wird dir kein Übel begegnen,

und keine Plage wird sich deinem Hause nahen.

Denn er hat seinen Engeln befohlen,

daß sie dich behüten auf allen deinen Wegen,

daß sie dich auf den Händen tragen

und du deinen Fuß nicht an einen Stein stoßest.

Über Löwen und Ottern wirst du gehen

und junge Löwen und Drachen niedertreten.

„Er liebt mich, darum will ich ihn erretten;

er kennt meinen Namen, darum will ich ihn schützen.

Er ruft mich an, darum will ich ihn erhören; ich bin bei ihm in der Not,

Ich will ihn herausreißen und zu Ehren bringen.

Ich will ihn sättigen mit langem Leben

und will ihm zeigen mein Heil“.

Kommt , laßt uns anbeten:

Gemeinde: Ehr sei dem Vater und dem Sohn..

Pfarrerin: Sündenbekenntnis:

Gott, himmlischer Vater, du kennst uns, dir vertrauen wir uns an: Oft sind wir nur auf uns selbst bedacht und sehen nicht die Menschen, die uns entgegenkommen. Oft sind wir nur von uns selbst überzeugt und achten nicht auf die Worte, mit denen du uns weiterhilfst. Oft sind wir nur von der Hektik des Alltags bestimmt und übersehen die Momente, in denen sich der Himmel öffnet. So bitten wir: Öffne du unsere Ohren und Herzen, hilf uns zu achten auf die Menschen, auf dein Wort, auf deine Liebe.

„Herr, erbarme dich!“

Gemeinde: Herre, Gott, erbarme dich,

Christe, erbarme dich,

Herre Gott, erbarme dich!

Pfarrerin: Gandenwort:

Weil Gottes gute Mächte uns behüten und bewahren auf unseren Wegen, stimmen wir ein in das Lob:

„Ehre sei Gott in der Höhe:“

Gemeinde: Allein Gott in der Höh sei Ehr

und Dank für seine Gnade, darum daß nun

und nimmermehr uns rühren kann kein

Schade. Ein Wohlgefalln Gott an uns hat;

nun ist groß Fried ohn Unterlaß, all Fehd

hat nun ein Ende.

Pfarrerin: Gebet

Gott des Himmels und der Erde,

in vielfältiger Weise kommst du uns nahe,

schenkst uns deine Liebe und Gnade.

Laß deine Engel bei uns sein,

daß sie uns begleiten auf unserem Weg,

daß sie uns Freude schenken

und neue Möglichkeiten zeigen.

Laß uns durch sie deine Nähe erfahren.

Amen.

Pfarrerin: 1. Schriftlesung:

Josua 5, 13-15

Und es begab sich, als Josua bei Jericho war, daß er seine Augen aufhob und gewahr wurde, daß ein Mann ihm gegenüberstand und ein bloßes Schwert in seiner Hand hatte. und Josua ging zu ihm und sprach zu ihm: Gehörst du zu uns oder zu unsern Feinden? Er sprach: Nein, sondern ich bin der Fürst über das Heer des Herrn und bin jetzt gekommen. Da fiel Josua auf sein Angesicht zur Erde nieder, betete an und sprach zu ihm: Was sagt mein Herr seinem Knecht? Und der Fürst über das Heer des Herrn sprach zu Josua: Zieh deine Schuhe von deinen Füßen; denn die Stätte, darauf du stehst, ist heilig. Und so tat Josua.

Halleluja

Gemeinde: Halleluja, Halleluja, Halleluja

Gemeinde: Lied, 346, 1+3+4

Pfarrerin: 2. Schriftlesung:

Mt. 18, 1-5.10

Zu derselben Stunde traten die Jünger zu Jesus und fragten: Wer ist doch der Größte im Himmelreich? Jesus rief ein Kind zu sich und stellte es mitten unter sie und sprach: Wahrlich, ich sage euch: Wenn ihr nicht umkehrt und werdet wie die Kinder, so werdet ihr nicht ins Himmelreich kommen. Wer nun sich selbst erniedrigt und wird wie dies Kind, der ist der Größte im Himmelreich. Und wer ein solches Kind aufnimmt in meinem Namen, der nimmt mich auf. Seht zu, daß ihr nicht einen von diesen Kleinen verachtet. denn ich sage euch: Ihre Engel im Himmel sehen allezeit das Angesicht meines Vaters im Himmel.

„Ehre sei dir Herr!“

Gemeinde: Lob sei dir o Christe!

Pfarrerin und Gemeinde:

Laßt uns Gott loben und preisen mit dem Bekenntnis unsers Glaubens:

Ich glaube an Gott, den Vater,

den Allmächtigen,

den Schöpfer des Himmels und der Erde;

und an Jesus Christus,

seinen eingeborenen Sohn, unseren Herrn,

empfangen durch den Heiligen Geist,

geboren von der Jungfrau Maria,

gelitten unter Pontius Pilatus,

gekreuzigt, gestorben und begraben,

hinabgestiegen in das Reich des Todes,

am dritten Tage auferstanden von den Toten,

aufgefahren in den Himmel;

er sitzt zur Rechten Gottes,

des allmächtigen Vaters;

von dort wird er kommen,

zu richten die Lebenden und die Toten.

Ich glaube an den Heiligen Geist,

die heilige, christliche Kirche,

Gemeinschaft der Heiligen,

Vergebung der Sünden

Auferstehung der Toten

und das ewige Leben. Amen.

Gemeinde: Lied 331, 1-3+5+10

Pfarrerin: Predigt:

Hebr. 1, 7.13-14

Von den Engeln spricht er zwar: „Er macht seine Engel zu Winden und seine Diener zu Feuerflammen“,

Zu welchem Engel aber hat er jemals gesagt: „Setze dich zu meiner Rechten, bis ich deine Feinde zum Schemel deiner Füße mache?“

Sind sie nicht allesamt dienstbare Geister, ausgesandt zum Dienst um derer willen, die das Heil ererben sollen?

Liebe Gemeinde,

Heute ist Michaelistag, der Tag des Erzengels Michael. Übersetzt heißt er: „wer (ist) wie Gott?“

Michael wurde zum Schutzpatron des deutschen Volkes, daher später „der deutsche Michel“. Luther hat das Fest des Erzengels Michael hochgeschätzt.

In einer Überlieferung heißt es: „er ist der Schlüsselbewahrer des Himmelreiches, nimmt die Gebete der Menschen entgegen und trägt die guten Werke der Frommen zu Gott empor“.

Der Tag an dem dem Engel Michael, eben Michaelis, gedacht wird, ist Grund genug, auch heute an diesem Sonntag über das Wirken der Engel nachzudenken.

Sicherlich kennen viele von Ihnen den Abendsegen aus Engelbert Humperdincks Oper „Hänsel und Gretel“:

Abends, will ich schlafen gehn,

vierzehn Engel um mich stehn:

zwei zu meinen Häupten,

zwei zu meinen Füßen,

zwei zu meiner Rechten,

zwei zu meiner Linken,

zweie, die mich decken,

zweie, die mich wecken,

zweie, die mich weisen,

zu Himmels Paradeisen!

Für Kinder ist die Welt voller Geheimnisse und Wunder. Sie können mehr sehen und erfahren, weil für sie alles möglich ist und die Welt noch nicht festgelegt. Die meisten haben das verlernt, als sie erwachsen wurden. Vernünftig und aufgeklärt trauen wir den kleinen Wundern des Alltags nicht mehr – und so sind auch die Engel in Vergessenheit geraten.

Doch in der Bibel wird viel erzählt von Gottes Engeln, immer wieder begegnen Menschen ihnen – von den Anfängen bis zu den Visionen des Johannes. Engel lassen die Menschen erfahren, was Gott ihnen Gutes bringt: Sie helfen und schützen, sie bringen Menschen auf den Weg und trösten. Sie gehen mit auf dem Weg des Volkes Israel durch die Wüste, und ein Engel sagt Maria die Geburt Jesu an. Dabei spielt es keine Rolle, wie die Engel aussehen, ja, das kann sogar sehr verschieden sein: Sichtbar oder unsichtbar, manchmal in der Gestalt von Menschen erscheinen sie. Im Hebräerbrief wird knapp zusammengefaßt, was sich über die Engel sagen läßt: „Sind sie nicht allesamt dienstbare Geister, ausgesandt zum Dienst um derer willen, die das Heil ererben sollen?“

Dem Schreiber des Hebräerbriefes kommt es darauf an: Engel gelten nichts für sich, sie gehen ganz auf in ihrem Auftrag: Als dienstbare Geister bringen sie Gottes Güte unter die Menschen: Engel helfen und begleiten Menschen, Engel kündigen Neues an.

So sind die Engel nicht faßbar, nicht dingfest zu machen. Und doch läßt sich ihr Wirken erfahren: Wie sie uns schützen und ermutigen, wie sie uns Gottes Liebe nahebringen. Darum möchte ich von den Engeln nicht allgemein reden, sondern ihre Spuren im Alltag und in der Bibel suchen; von vier solcher Spuren will ich erzählen.

„Sie sind ein Engel“, sagte die alte Frau und sah ihre Nachbarin freudestrahlend an. Die war gerade hereingekommen mit einer schweren Einkaufstasche. Seit die Frau nach ihrer Operation nicht mehr so gut gehen konnte, war sie darauf angewiesen, daß ab und an jemand für sie einkaufen ging. Schön, daß ihre Nachbarin dazu Zeit hatte.

Du bist ein Engel – meist ist ein solcher Satz wohl einfach so, halbernst, dahingesagt. Und doch: Mindestens in unserer Sprache haben sie sich gehalten. Menschen, die uns helfen, die uns Gutes tun, werden als Engel bezeichnet. Mein Engel wird die Geliebte genannt, und die Helferinnen im Krankenhaus heißen rosa Engel. Hinter solchen Worten verbirgt sich vermutlich oft mehr: ein Wissen darum, daß die Engel nicht ausgestorben sind, daß ihre Spuren mitten in unserer modernen Welt zu finden sind. Es gibt eine Sehnsucht danach, auch heute Gottes Engel zu begegnen.

Wie das geschehen kann, dazu gibt der Hebräerbrief einen Hinweis: „Vergeßt die Gastfreundschaft nicht; denn dadurch haben einige, ohne es zu ahnen, Engel beherbergt.“ Gastfreundschaft, das ist auch die Freundlichkeit gegenüber Fremden. Menschen aus anderen Ländern und Kulturen freundlich aufzunehmen, das ist nicht nur ein Gebot der Menschlichkeit, denn hier wird gesagt: „Dadurch haben einige, ohne es zu ahnen, Engel beherbergt.“ Wie eintönig verliefe unser Leben, wären da nicht die Begegnungen mit unbekannten Menschen. Sie weiten den Horizont und zeigen, wie bunt und vielfältig das Leben sein kann. In der Begegnung öffnet sich die Welt der Engel.

Müde war der Prophet Elia. Einfach müde und enttäuscht. Darum zog er sich zurück, ganz allein in die Wüste. Von den Menschen wollte er nichts mehr wissen. Und auch von Gott nicht. So legte er sich, es konnte ihn nichts mehr halten. Er wollte nur noch Ruhe, schlafen, sterben. Es ist genug, sprach er, so nimm nun, Herr, meine Seele.

Wer weiß, wie lange er so gelegen hat und geschlafen. Auf einmal erwachte er. Der Duft von frisch gebackenem Brot hatte ihn aufgeweckt: Oder war es ein Engel, der gesagt hatte: Steh auf und iß? Er richtete sich auf und schaute um sich. Fladenbrot lag da, und daneben stand ein Krug voll frischen Wassers. Elia merkte, wie seine Lebensgeister sich wieder regten. Noch hielt ihn aber seine Müdigkeit, und er legte sich wieder schlafen. Und wieder spürte er, wie ein Engel ihn anrührte und sagte: Steh auf und iß! Denn du hast einen weiten Weg vor dir. Und da aß Elia vom Brot, trank Wasser und ging los – auf den Weg ins Leben.

Der Engel hat ihn auf den Weg gebracht. Ein Bote Gottes, der ins Leben zurückruft. Er ist da – im richtigen Moment. Als Elia ganz am Ende ist, gefangen in seiner Depression. Ohne Mut und Hoffnung. Da ist der Engel bei ihm und rührt ihn an. Er läßt Elia nicht fallen in die Schatten des Todes, sondern holt ihn heraus. Mit Hilfe des Engels kommt Elia wieder auf die Beine, seine Verzweiflung wandelt sich in neuen Mut, und der Engel zeigt ihm: Du bist noch nicht am Ende, du hast noch viel vor dir.

Wie gut, daß es Engel gibt. Sie zeigen uns die Möglichkeiten des Lebens, gerade wenn alle Wege verschlossen scheinen. Der Schmerz kann allen Lebensmut verzehren. Die Engel zeigen uns, daß das Leben noch viele Möglichkeiten für uns bereithält, von denen wir noch gar nicht wissen.

„Der hat aber einen Schutzengel gehabt“ – heißt es. Nach einem gefährlichen Unfall ist er noch einmal glimpflich davongekommen, es hätte ganz anders ausgehen können. Aber das ist wohl meistens nur schnell dahingesagt, das mit dem Schutzengel. Wer glaubt denn wirklich, daß es ein Schutzengel war? Immerhin, in solchen Worten kommt wohl eine Sehnsucht zum Ausdruck – nach dem, was wir als Kinder einfach so glauben konnten: daß wir nicht alleingelassen sind in den Gefahren des Lebens. Die Sehnsucht, daß unser Leben in guten Händen ist.

Für Martin Luther war das selbstverständlich. In seinem Morgengebet heißt es: „Dein heiliger Engel sei mit mir, daß der böse Feind keine Macht an mir finde.“ So sollte jeder Tag beginnen: mit der Bitte, daß Gottes Engel bei uns ist. Der kann uns begleiten und trösten, der bietet uns Schutz und öffnet uns die Augen, für den Himmel über uns und in uns. Der Engel, den Luther meint, ist die gute Macht Gottes, die jedem persönlich gilt. Gott ist für uns unverfügbar, und doch ist seine Liebe erfahrbar im Engel, der uns begleitet. So wie ein Kind begleitet und geführt wird von der Hand der Mutter oder des Vaters, so geht im Engel Gott mit ins.

Das ist freilich keine Garantie für ein sorgenfreies Leben; so, als könnte uns nichts passieren, weil die Schutzengel schon auf uns aufpassen. Aber im Vertrauen auf Gottes Engel kann ich wissen: Ich bin nicht allein auf den Wegen des Lebens. Ich bleibe behütet im Auf und Ab des Alltags. Trotz aller Probleme, Gefahren und Auforderungen: Ich bleibe geborgen im Schutz des Engels Gottes. In dem eben gehörten Psalm heißt es: „Gott hat seinen Engeln befohlen, daß sie dich behüten auf allen deinen Wegen“.

Meistens singen oder musizieren Engel. So jedenfalls hat es den Anschein, wenn man sich ältere Darstellungen von Engeln ansieht. Warum werden Engel so oft singend und musizierend dargestellt? habe ich mich gefragt; und ich glaube: Die Musik der Engel ist wie eine Melodie mitten in der Nacht. Mitten in einer Welt voll Streit und Haß ertönt leise diese Melodie von Frieden und Hoffnung, von Gottes Reich. Die Musik der Engel verrät uns: Es gibt noch mehr als das, was wir sehen; wir bleiben gehalten von Gottes Kraft. Dietrich Bonhoeffer hat das in seiner Haft in einem Brief an seine Braut so zum Ausdruck gebracht:

„Deine Gebete, gute Gedanken, Worte aus der Bibel, längst vergangene Gespräche, Musikstücke und Bücher – das alles gewinnt Leben und Realität wie nie zuvor. Es ist eine große unsichtbare Welt, in der man lebt. An ihrer Realität gibt es keinen Zweifel. Wenn es in dem alten Kirchenlied von den Engeln heißt: zwei, um mich zu decken; zwei, um mich zu wecken – so ist diese Bewahrung durch gute unsichtbare Mächte am Morgen und in der Nacht etwas, das Erwachsene heute genau so brauchen wie die Kinder. Darum sollst du nicht denken, ich wäre unglücklich.“

Wohlgemerkt, das schreibt Bonhoeffer wenige Monate vor seiner Hinrichtung. Die Schrecken von Bombennächten und Naziterror bestimmen seine Tage; und doch weiß er mitten im Leid um die andere Dimension des Lebens. Mitten im Unfrieden der Welt bleibt leise die Musik der Engel.

Amen.

Gemeinde: Lied 142, 1+2+5+6

Pfarrerin: Abkündigungen

Gemeinde: Lied 170 und Kollekte

Pfarrerin: Fürbittengebet

Guter Gott,

Schöpfer alles Sichtbaren und Unsichtbaren,

der du uns nahe kommst in deinen Boten, den Engeln,

wir bitten dich:

für alle, die einsam oder allein sind: daß sie Nähe erfahren;

für die, die um einen geliebten Menschen trauern: daß sie Trost finden;

für die Kranken in der Nähe und in der Ferne: daß sie Kraft bekommen;

für die Verzweifelten, die aufgeben wollen: daß sie wieder Mut schöpfen;

für alle, die leiden unter den Ungerechtigkeiten: daß sie Recht erfahren;

für alle, die sich nach einem besseren Leben sehnen: daß sie Leben in Fülle finden.

Laß deine Engel unter uns gegenwärtig sein:

Und was uns noch bedrängt bringen wir vor dich

mit den Worten die Christus uns gelehrt hat:

Vater unser im Himmel, geheiligt werde dein Name.

Dein Reich komme.

Dein Wille geschehe,

wie im Himmel so auf Erden.

Unser tägliches Brot gib uns heute.

Und vergib uns unsere Schuld,

wie auch wir vergeben unsern Schuldigern.

Und führe uns nicht in Versuchung,

sondern erlöse uns von dem Bösen.

Denn dein ist das Reich und die Kraft

und die Herrlichkeit in Ewigkeit. Amen.

Segen:

Geht in diesen Tag, in diese Woche mit dem Frieden

unseres Gottes:

Der Herr segne dich und behüte dich,

Der Herr lasse sein Angesicht leuchten über dir

und sei dir gnädig.

Der Herr hebe sein Angesicht auf dich und

gebe dir Frieden. Amen.

Orgelnachspiel

Gottvertrauen

Pfarrerin Marion Eimuth

10.11.1996

Predigt, 1. Thess.5,1-6

Drittletzter Sonntag im Kirchenjahr

Die Gnade Jesu Christi, des Herrn, die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen. Amen.

Liebe Gemeinde,

Immer wieder tauchen die alten quälenden Fragen auf: Wer bin ich? Woran soll ich glauben? Was ist richtig und falsch? Was soll ich tun? Woher komme ich und wohin gehe ich? Es sind die Fragen nach dem Sinn des Lebens. Die Antworten darauf werden von den Kirchen erwartet.

Antworten der gleichen Art wurden auch von Paulus erwartet, der in Thessalonich eine Gemeinde gegründet hatte und zwar schon recht früh. Nachdem Paulus in Philippi große Mißhandlungen erlitten hatte, hat er den Mut in Thessalonich die frohe Botschaft weiter zu predigen. Zur Gemeinde zählten gottesfürchtige Griechen, vor allem auch vornehme Damen der Stadt.

Paulus hatte den Thessalonichern das bevorstehende Kommen Christi verkündigt. Nun, da Paulus weitergereist ist erwarten sie die Wiederkunft Jesu noch zu ihren Lebzeiten. Aber schon einige Jahre waren vergangen und etliche Gemeindeglieder bereits gestorben.

Die Sorge der Thessalonicher mußte brieflich verhandelt werden. Sie fragen Paulus:

Wann kommt Jesus denn nun? Unsere lieben Verstorbenen haben seine Wiederkunft nicht erlebt – sind sie dann von dem Heil, das Jesus uns bringen wird, ausgeschlossen? Und werden wir ihn empfangen können, oder sind auch wir von der Seligkeit ausgeschlossen, wenn wir vorher sterben?

Auf diese Fragen anwortet Paulus:

1. Thess. 5, 1-6

Über Zeit und Stunde, Brüder und Schwestern, brauche ich euch nicht zu schreiben. Ihr selbst wißt genau, daß der Tag des Heern kommt wie ein Dieb in der Nacht. Während die Menschen sagen: Friede und Sicherheit! kommt plötzlich Verderben über sie wie die Wehen über eine schwangere Frau, und es gibt kein Entrinnen. Ihr aber, Brüder und Schwestern, lebt nich im Finstern, so daß euch der Tag nicht wie ein Dieb überraschen kann. Ihr alle seid Söhne und Töchter des Lichts und Söhne und Töchter des Tages. Wir gehören nicht der Nacht und nicht der Finsternis. Darum wollen wir nicht schlafen wie die anderen, sondern wach und nüchtern sein.

Das Entscheidende sind nicht Zeit und Stunde.

Entscheidend ist der Glaube, zu dem ihr gekommen seid, und die Hoffnung auf Gott. Mit Liebe beantwortet er die Fragen seiner Gemeinde: Ihr seid zu dem Glauben an Christus gekommen, das ist eine Hoffnung, die über Zeiten und Stunden hinausgeht.

Ihr habt den Glauben, daß Christus gestorben und auferstanden ist. In diesem Glauben sind eure Angehörigen gestorben.

Dieser Glaube macht euch und eure verstorbenen Angehörigen unverbrüchlich zu Kindern des Lichts. Die Auferstehung Christi ist grenzenlos, sie umfaßt auch eure Toten. In diesem Glauben bleibt, lebt darin, festigt euch darin. Dann kann Jesus wiederkommen, wann er will und wie er will – ihr seid immer schon mit ihm verbunden. Bleibt auf eurem Weg.

Auf den ersten Blick könnte man meinen, daß die Fragen der Thessalonicher uns nicht mehr betreffen. Wem macht es das Herz schwer, daß er Jesus zu seinen Lebzeiten vielleicht nicht mehr begegenen wird? Doch diese Fragen und die Antwort des Paulus beinhalten ein menschliches Grundthema, ein christliches Grundthema, das auch uns betrifft.

Da hat etwas begonnen, z.B. die Arbeit für das Reich Gottes, aber das Reich Gottes ist unendlich fern. Wir leben und arbeiten für Ziele, aus unserem Glauben heraus, auf Gottes Wort hin, aber die Erfüllung, der „Erfolg“ bleibt aus. Unsere Fragen könnten vielleicht so lauten:

Wann endlich verändert sich denn etwas hin zu Friede und Gerechtigkeit? Wann fruchtet unsere Arbeit mit den Kindern- und Jugendlichen. Wann gelingt es uns, die Ohren für die Probleme der Obdachlosen zu öffnen – anstatt wie hier in Frankfurt eine „Gefahrenabwehrverordnung“ zu erlassen.

Wann kommt Gottes Reich? Wie kann es gelingen, daraufhin zu leben angesichts ausbleibender „Erfolge“, ausbleibender Veränderungen?

Das Reich Gottes ist kaum wahrnehmbar, leben wir Christinnen und Christen wirklich in einer begründeten Hoffnung?

Gerade zur Jahrtausendwende macht sich wieder eine Angst vor dem Weltuntergang breit. Da kommen eine Vielzahl von neuen religiösen Gruppen auf, die sich dieser Endzeitstimmung bemächtigen. Versprechen das Heil und Überleben nur in ihrer jeweiligen Gruppe und nutzten die Ängste der Menschen schamlos aus.

Doch bereits Tausend Jahre zuvor gab es das auch schon einmal. Damals hat man Zeichen des nahen Endes gesammelt und das eigene Leben im Licht dieser Endzeichen gedeutet. In der damaligen Frömmigkeit drückte sich die Endzeitfurcht auch dadurch aus, daß man möglichst viele gute Werke tun wollte: Höchste Aktivität und baldige Erwartung des Jüngsten Tages schließen sich nicht aus.

„Über Zeit und Stunde brauche ich euch nicht zu schreiben“, so Paulus.

Das ist manchmal ganz schön schwer, so völlig auf sein Gottvertrauen und auf die Hoffnung verwiesen zu sein, eine Hoffnung, die nicht sieht, die unabhängig ist von „Erfolg“, von sichtbarer Erfüllung.

„Der Tag des Herrn kommt wie ein Dieb in der Nacht“. Völlig überraschend, unberechenbar.

Manchmal ist der Tag Gottes heute. Heute, wenn Mauern fallen. Heute, wenn Versöhnung gelingt. Heute, wenn ein Mensch endlich aus seiner Trauer heraustritt. Heute, wenn ein Durchbruch gelingt, plitisch, seelisch, gesundheitlich…

Heute ist Gottes Tag, wo wir hier Gottesdienst feiern, sichtbares Zeichen der Gegenwart Gottes in dieser Welt. Und wie gering auch immer unser Christsein gegenüber der Finsternis dieser Welt sein mag: es ist doch Gottes Anwesenheit in dieser Welt. Durch uns hindurch. Gott kommt, wann und wie er will. In kleinen Ereignissen, in großen Umwälzungen. In kleinen Leuten, seltener in großen Leuten. Wann Gottes Reich ganz und gar verwirklicht sein wird – da müssen wir uns dieselbe Antwort gefallen lassen wie die Thessalonicher. Ihr seid Kinder des Lichts. Bleibt auf eurem Weg. Festigt euren Glauben. Zeit und Stunde sind unwichtig. Ihr seid doch sowieso mit Gott verbunden.

Einer, der sich mit Gott auch in der Gefangenschaft im Konzentrationslager verbunden fühlte, war Dietrich Bonhoeffer.

Wer bin ich? Sie sagen mir oft,

ich träte aus meiner Zelle,

gelassen und heiter und fest

wie ein Gutsherr aus seinem Schloß.

Wer bin ich? Sie sagen mir oft,

ich spräche mit meinen Bewachern

frei und freundlich und klar,

als hätte ich zu gebieten.

Wer bin ich? Sie sagen mir auch,

ich trüge die Tage des Unglücks

gleichmütig, lächelnd und stolz,

wie einer, der Siegen gewohnt ist.

Bin ich das wirklich,

was andere von mir sagen?

Oder bin ich nur das,

was ich selbst von mir weiß?

unruhig, sehnsüchtig, krank,

wie ein Vogel im Käfig,

ringend nach Lebensatem,

als würgte mir einer die Kehle,

hungernd nach Farben, nach Blumen,

nach Vogelstimmen,

dürstend nach guten Worten,

nach menschlicher Nähe,

zitternd vor Zorn über Willkür

und kleinlichste Kränkung,

umgetrieben vom Warten auf große Dinge,

ohnmächtig bangend um Freunde

in endloser Ferne,

müde und leer zum Beten, zum Denken,

zum Schaffen,

matt und bereit,

von allem Abschied zu nehmen?

Wer bin ich? Der oder jener?

Bin ich denn heute dieser

und morgen ein anderer?

Bin ich beides zugleich?

Vor Menschen ein Heuchler

und vor mir selbst

ein verächtlich, wehleidiger Schwächling?

Oder gleicht, was in mir noch ist,

dem geschlagenen Heer,

das in Unordnung weicht

vor schon gewonnenem Sieg?

Wer bin ich? Einsames Fragen treibt mit mir Spott.

Wer ich auch bin, du kennst mich,

Dein bin ich, O Gott!

Bonhoeffer hat diesen Text im Gefängnis und kurz vor seinem Tod geschrieben. Er ist fern von seinen Freunden und seiner Arbeit, zurückgeworfen auf die Frage Wer bin ich? Und Bonhoeffer antwortet: „Wer ich auch bin, du weißt es.“ Das ist Glaube und das ist die große Erwachsenheit diese Frage sich selber unbeantwortet zu lassen.

Und so stürzt Bonhoeffer sich im Gebet aus dieser Frage in den freien Fall: Dein bin ich, o Gott. Und er hofft, daß er nicht in eisige Abgründe fällt. Er hofft, daß sein Name aufgeschrieben ist im Buch des Lebens, auch wenn er ihn selber noch nicht kennt.

Das ist genau der Glaube, den Paulus sich wünschte. Paulus lehrt uns auch in ausweglosen Situationen Gottvertrauen zu haben. Bonhoeffer hatte es.

Amen.