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Die enthemmte Mitte und ihr Populismus

Viele Menschen in Deutschland sind angesichts rascher Veränderungen verunsichert – das ist idealer Nährboden für Populismus. Deshalb müssen alle gesellschaftlichen Gruppen daran arbeiten, eine positive Zukunftsperspektive zu entwickeln. Eine Debatte darüber, wie unsere Gesellschaft in ein, zwei Generationen aussehen soll, ist überfällig.

Die enthemmte Mitte und ihr Populismus

Viele Menschen in Deutschland sind angesichts rascher Veränderungen verunsichert – das ist idealer Nährboden für Populismus. Deshalb müssen alle gesellschaftlichen Gruppen daran arbeiten, eine positive Zukunftsperspektive zu entwickeln. Eine Debatte darüber, wie unsere Gesellschaft in ein, zwei Generationen aussehen soll, ist überfällig.

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Kurt-Helmuth Eimuth ist Mitglied in der Redaktion von Evangelisches Frankfurt. Foto: Rolf Oeser

Jeder Zehnte in Deutschland wünscht sich einen Führer, der das Land zum Wohle aller mit starker Hand regiert. Elf Prozent glauben, dass „Juden“ zu viel Einfluss haben. Zwölf Prozent sind der Ansicht, Deutsche seien anderen Völkern von Natur aus überlegen. Und ein Drittel hält das Land für „gefährlich überfremdet“.

Diese Zahlen aus der Studie „Die enthemmte Mitte“ der Universität Leipzig zeigen: Extremistisches Gedankengut findet sich nicht nur am Rand der Gesellschaft, sondern ist längst in ihrer Mitte angekommen. Der Hass auf bestimmte Menschengruppen wie Asylsuchende ist gestiegen und wird öfter und offener gezeigt. Dabei geht es nicht um rational nachzuvollziehende Argumente. Ausschlaggebend für extremistische Positionen sind Gefühle, und vor allem die gefühlte eigene Benachteiligung.

Die Menschen haben in den letzten zwei Jahrzehnten sehr wohl gespürt, dass die Gesellschaft auseinanderdriftet. Die Reichen wurden immer reicher, während der Reallohn sank. Die Bildungschancen von Kindern sind wieder eng an den sozialen Status der Eltern gekoppelt. Alle Lebensbereiche werden nur noch unter ökonomischen Aspekten betrachtet, vom Gesundheitswesen bis zur Alterssicherung. Es gibt keinen öffentlichen Diskurs darüber, wie eine gerechte Gesellschaft aussehen soll. Wie viel Solidarität wollen wir uns als Wertegemeinschaft mit Kranken, Arbeitslosen, Rentnerinnen und Rentern oder Flüchtlingen leisten?

Aus dem Gefühl der Verunsicherung heraus greifen Menschen nach einfachen Antworten, seien sie auch rational betrachtet falsch und sinnlos. In anderen Ländern ist dieser Prozess ebenfalls zu beobachten. Die Brexit-Bewegung in England lebte genau von diesem Gefühl, benachteiligt zu werden. Gegen Gefühle helfen keine Argumente. Vielmehr muss man versuchen, diesen Menschen zu vermitteln, dass sie dazugehören. Man muss sie als Person annehmen und doch ihre Position ablehnen. Wer die AfD, wie kürzlich beim Katholikentag geschehen, kategorisch auslädt, festigt nur ihr Weltbild.

Alle gesellschaftlichen Gruppen müssen daran arbeiten, angesichts der Verunsicherung eine Zukunftsperspektive zu entwickeln. Eine Debatte darüber, wie unsere Gesellschaft in ein, zwei Generationen aussehen soll, ist überfällig. Das ist Aufgabe von Parteien, aber auch von Gewerkschaften, Kirchen und Medien. Visionen sind dabei ebenso notwendig wie pragmatische Politik.

Beitrag von Kurt-Helmuth Eimuth, veröffentlicht am 14. Juli 2016 in der Rubrik Meinungen, erschienen in der Ausgabe 2016/4 – Juli, Web.

Kurt-Helmuth Eimuth ist Mitglied in der Redaktion von Evangelisches Frankfurt. Foto: Rolf Oeser

Jeder Zehnte in Deutschland wünscht sich einen Führer, der das Land zum Wohle aller mit starker Hand regiert. Elf Prozent glauben, dass „Juden“ zu viel Einfluss haben. Zwölf Prozent sind der Ansicht, Deutsche seien anderen Völkern von Natur aus überlegen. Und ein Drittel hält das Land für „gefährlich überfremdet“.

Diese Zahlen aus der Studie „Die enthemmte Mitte“ der Universität Leipzig zeigen: Extremistisches Gedankengut findet sich nicht nur am Rand der Gesellschaft, sondern ist längst in ihrer Mitte angekommen. Der Hass auf bestimmte Menschengruppen wie Asylsuchende ist gestiegen und wird öfter und offener gezeigt. Dabei geht es nicht um rational nachzuvollziehende Argumente. Ausschlaggebend für extremistische Positionen sind Gefühle, und vor allem die gefühlte eigene Benachteiligung.

Die Menschen haben in den letzten zwei Jahrzehnten sehr wohl gespürt, dass die Gesellschaft auseinanderdriftet. Die Reichen wurden immer reicher, während der Reallohn sank. Die Bildungschancen von Kindern sind wieder eng an den sozialen Status der Eltern gekoppelt. Alle Lebensbereiche werden nur noch unter ökonomischen Aspekten betrachtet, vom Gesundheitswesen bis zur Alterssicherung. Es gibt keinen öffentlichen Diskurs darüber, wie eine gerechte Gesellschaft aussehen soll. Wie viel Solidarität wollen wir uns als Wertegemeinschaft mit Kranken, Arbeitslosen, Rentnerinnen und Rentern oder Flüchtlingen leisten?

Aus dem Gefühl der Verunsicherung heraus greifen Menschen nach einfachen Antworten, seien sie auch rational betrachtet falsch und sinnlos. In anderen Ländern ist dieser Prozess ebenfalls zu beobachten. Die Brexit-Bewegung in England lebte genau von diesem Gefühl, benachteiligt zu werden. Gegen Gefühle helfen keine Argumente. Vielmehr muss man versuchen, diesen Menschen zu vermitteln, dass sie dazugehören. Man muss sie als Person annehmen und doch ihre Position ablehnen. Wer die AfD, wie kürzlich beim Katholikentag geschehen, kategorisch auslädt, festigt nur ihr Weltbild.

Alle gesellschaftlichen Gruppen müssen daran arbeiten, angesichts der Verunsicherung eine Zukunftsperspektive zu entwickeln. Eine Debatte darüber, wie unsere Gesellschaft in ein, zwei Generationen aussehen soll, ist überfällig. Das ist Aufgabe von Parteien, aber auch von Gewerkschaften, Kirchen und Medien. Visionen sind dabei ebenso notwendig wie pragmatische Politik.

Beitrag von Kurt-Helmuth Eimuth, veröffentlicht am 14. Juli 2016 in der Rubrik Meinungen, erschienen in der Ausgabe 2016/4 – Juli, Web.

Eine Religion unter Generalverdachton

Kurt-Helmuth Eimuth. Foto: Ilona Surrey

Vergleiche mit der NS-Zeit sind immer schwierig. Aber wenn der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime in Deutschland, Aiman Mazyek, warnt, dass erstmals seit den Nazis wieder eine ganze Religionsgemeinschaft bedroht wird, so wird die Ungeheuerlichkeit der Positionen der rechtspopulistischen „Alternative für Deutschland“ zum Islam deutlich. „Eine unerträgliche Grenzüberschreitung und Provokation“ nannte der Hessische Ministerpräsident Volker Bouffier deren Forderungen. In einer einstimmigen Entschließung betonte der Hessische Landtag, „dass Fremdenhass, die Verklärung des Nationalsozialismus, Islamfeindlichkeit, Sexismus oder das Absprechen der Menschenwürde nicht akzeptabel sind“.

Formal bekennt sich die AfD im Wahlprogramm zwar zur Glaubensfreiheit, doch solle der Staat dieser Schranken setzen. Minarette und Rufe von Muezzins sollen verboten, muslimische Organisationen formal nicht den Kirchen gleichgestellt werden. Die Privilegien einer Körperschaft des öffentlichen Rechts sollen islamische Organisationen nicht erhalten. Außerdem will die AfD die Beschneidung von Kindern verbieten, was auch gegen die jüdische Religionspraxis geht. Man braucht aber nicht weiter zu betonen, dass das Grundgesetz die Religionsfreiheit garantiert. Dies gilt ohne Einschränkungen für alle Religionen, eben auch für den Islam.

Religiöse Radikalisierung gibt es in allen Religionen. Wenn man die Akteure der AfD genau anschaut, dann finden sich hier zahlreiche so genannte „bibeltreue Christen“, die zu den religiösen Scharfmachern zählen. Die FAZ schrieb 2014 sogar: „In der Alternative für Deutschland übernehmen bibeltreue Protestanten die Macht. Längst kritisieren sie nicht mehr nur den Euro, sondern auch Schwule und Muslime. Sogar die Schulpflicht stellen sie in Frage.“

Fundamentalisten, ob christlich oder muslimisch, sind tendenziell antidemokratisch. Eine offene, tolerante Gesellschaft braucht aber eine Kultur der gegenseitigen Anerkennung. Nur so kann man Gemeinsamkeiten feststellen, aber auch Unterschiede aushalten. Wer eine ganze Religionsgemeinschaft, sogar eine Weltreligion, in gehässiger Absicht diskriminiert, stellt sich gegen das Grundgesetz.

Wer Ja zu Kirchtürmen sagt, muss auch Ja sagen zu Minaretten. Unsere leidvolle deutsche Geschichte verpflichtet uns in dieser Hinsicht besonders. Nie wieder dürfen in Deutschland Menschen wegen ihres Glaubens verfolgt werden.

Beitrag von Kurt-Helmuth Eimuth, veröffentlicht am 2. Mai 2016 in der Rubrik Meinungen, erschienen in der Ausgabe 2016/3 – Mai.

Wertevermittlung nicht Sache der Polizei

Von Kurt-Helmuth Eimuth – 8. Februar 2016

Kurt-Helmuth Eimuth ist Mitglied der Redaktion von „Evangelisches Frankfurt“. Foto: Rolf Oeser

Die Polizei soll es also richten. Nach den sexualisierten Übergriffen gegen Frauen am Kölner Hauptbahnhof fordern viele mehr Polizistinnen und Polizisten. Keine Frage: Wo Menschen bedroht, beklaut oder gar Opfer sexueller Gewalt werden, muss die Polizei einschreiten. Dazu muss sie personell und materiell gut ausgestattet sein – die jetzt zu Tage tretenden Defizite sind auch das Ergebnis der Sparwut derer, die so gerne einen schlanken Staat wollten.

Aber die Ausschreitungen in Köln stehen keineswegs isoliert. Seit Jahren erleben wir einen schleichenden Prozess der Entsolidarisierung, der Ich-Bezogenheit. Die Gesellschaft scheint auseinanderzufallen. Sie ist schon lange keine Werte-Gemeinschaft mehr. Eine Branche wie die der „Security“ gab es vor vier Jahrzehnten nicht, da sind höchstens nachts einige Männer der Wach- und Schließgesellschaft durch leere Büroräume gelaufen. Heute gibt es kaum noch einen Kaufhauseingang ohne Security.

Eine funktionierende Gesellschaft benötigt Verbindlichkeit. Wenn nur ein Prozent sich nicht an Regeln hält, wird es schwierig – man muss sich nur einmal das Chaos vorstellen, wenn jedes hundertste Auto bei Rot über die Ampel fahren würde. So ähnlich ist es auch mit anderen Regeln: Sie müssen beachtet werden, auch wenn keine Polizei in der Nähe ist. Regeln lernt man vor allem in der Familie, aber auch in der Schule. Erwachsene, die in ein fremdes Land kommen, müssen sich in die dortigen Regeln erst einfinden. Vieles ist zunächst fremd, es bedarf der Erklärung und Einübung.

Vorfälle wie die in Köln zeigen, dass der Respekt vor der Würde anderer Menschen oft fehlt. Aber ein Blick in die Kriminalstatistik belegt auch, dass dies keineswegs nur ein Problem „nordafrikanischer“ Männer ist. Wir brauchen in vielerlei Hinsicht mehr selbstverständliche Rücksichtnahme im Alltag, mehr Achtsamkeit im Umgang miteinander. Sicher: Die Polizei soll und muss helfen, wenn das Kind in den Brunnen gefallen ist. Aber wir alle müssen dafür sorgen, dass es gar nicht erst hineinfällt.

„Behandle andere Menschen so, wie du von ihnen gern behandelt werden möchtest“ – diese so genannte „Goldene Regel“ gilt in allen Weltreligionen. Insofern kann die Religion helfen, eine Gesellschaft zu einer menschlichen zu machen. Sicher brauchen wir eine starke Polizei. Aber vor allem brauchen wir verbindliche Werte. Die Polizei wird Werte nicht vermitteln können.

Beitrag von Kurt-Helmuth Eimuth, veröffentlicht am 8. Februar 2016 in der Rubrik Meinungen, erschienen in der Ausgabe 2016/1 – Februar.

Fürchtet Euch nicht!

Von Kurt-Helmuth Eimuth – 29. November 2015

Kurt-Helmuth Eimuth ist Leiter der Redaktion von „Evangelisches Frankfurt“. Foto: Ilona Surrey

Nach den Terroranschlägen von Paris kommt einem die Botschaft des Engels „Fürchtet Euch nicht“ besonders fremd vor. Schließlich ist vielen jetzt etwas mulmig. Nein, Angst ist es nicht. Aber die Gefahr ist in diesem Jahr deutlich näher gerückt. Beirut, Bagdad, Ankara sind gefühlt weit weg. Doch Hannover? Ein Fußballländerspiel wird abgesagt. Terrorgefahr. Wenig beruhigend die Botschaft der politisch Verantwortlichen: Die Lage sei ernst, sagen sie, und stellen richtigerweise fest, dass es keine hundertprozentige Sicherheit gibt. Kann da eine adventliche Stimmung aufkommen?

Ja, es gibt Gruppen, die sich auf den Islam, das Christentum, den Hinduismus und sogar auf den Buddhismus berufen, wenn sie zur Gewalt aufrufen, wenn sie plündern und morden. Es war der Frankfurter Psychologe Erich Fromm, der zwischen humanistischer und autoritärer Religion unterschieden hat. Autoritäre Religion sei gekennzeichnet durch die Vorstellung, dass eine höhere Macht Anspruch auf Verehrung und Anbetung hat, und auch auf den Gehorsam der Menschen. Wesentliches Element autoritärer Religion ist nach Fromm die Unterwerfung unter eine jenseitige Macht, die allerdings meistens von einem irdischen Führer direkt ausgeübt werden kann. Bei der humanistischen Religion hingegen besteht das religiöse Erlebnis „in der Empfindung des Einsseins mit dem All, gegründet auf die Beziehung zur Welt“, schreibt Fromm. Selbstverwirklichung, nicht Unterwerfung will der Mensch in dieser Art von Religion erreichen. „Die vorwiegende Stimmung ist Freude, während sie in autoritären Religionen in Kummer und Schuldgefühl besteht.“ Jede Religion kann auf die eine oder auf die andere Weise gebogen werden.

„Fürchtet Euch nicht, denn Euch ist heute der Heiland geboren.“ Das ist die christliche Weihnachtsbotschaft. Sie verlangt gerade angesichts von Gewalt und Terror eine Gesellschaft der Offenheit, der Toleranz und auch der offenen Grenzen. Denn die Zusage, dass der Erlöser der Welt geboren ist, richtet sich an alle Menschen, gleich welcher Nation, gleich welcher Religion sie angehören.

Vielleicht haben wir jetzt beim ein oder anderen Stadion- oder Weihnachtsmarktbesuch ein mulmiges Gefühl. Aber die Weihnachtbotschaft gilt. Irregeleitete Menschen, die Religion zur Legitimierung ihrer Gewalt missbrauchen, können daran nichts ändern.

Im Namen der Redaktion wünsche ich uns allen eine friedliche Advents- und Weihnachtsfest.

Beitrag von Kurt-Helmuth Eimuth, veröffentlicht am 29. November 2015 in der Rubrik Meinungen, erschienen in der Ausgabe 2015/7 – Dezember.

Flüchtlingskrise: Mehr Ehrlichkeit wagen

Von Kurt-Helmuth Eimuth – 7. Oktober 2015

Die Herausforderung durch die vielen geflüchteten Menschen, die zurzeit nach Deutschland kommen, wird nicht in wenigen Wochen beendet sein. Es wird viel Geld und Engagement nötig sein, um ihnen eine Perspektive zu verschaffen. Aber genau das birgt auch die Chance, Schieflagen in unserer Gesellschaft zu begradigen.

Kurt-Helmuth Eimuth ist Leiter der Redaktion von „Evangelisches Frankfurt“. Foto: Rolf Oeser

Viele Flüchtlinge stehen noch vor den Grenzen Europas, ein Ende der Kriege in Syrien und Afghanistan ist nicht in Sicht. Deutschland zeigt bisher überwiegend ein freundliches Gesicht. Auch die Kirchen helfen, wo sie können. Doch daneben hat eine Diskussion darüber eingesetzt, wie es nun weitergehen soll.

Bundespräsident Joachim Gauck sagte bei der Einheitsfeier in der Alten Oper: „Wir wollen helfen. Unser Herz ist weit. Aber unsere Möglichkeiten sind endlich.“ Endlich sind unsere Möglichkeiten sicherlich. Aber sind sie bereits ausgeschöpft? Was bedeuten die vielen Flüchtlinge für unser Gemeinwesen?

Manchmal hilft ein Blick in die Statistik: Schon lange beträgt die Zahl der Neuankömmlinge zwischen 1,5 Millionen (1992) und 700.000 (2006) jährlich; 2013 waren es 1,2 Millionen. Deutschland ist längst ein Einwanderungsland. Jetzt kommen Menschen hinzu, die nicht freiwillig ihre Heimat verlassen haben. Viele von ihnen sind seelisch schwer verletzt, traumatisiert. Und doch sind sie auch eine Chance für Deutschland. Die Hälfte von ihnen ist unter 25 Jahre alt. Mit Blick auf den demografischen Wandel kann der deutschen Gesellschaft und auch der Wirtschaft gar nichts Besseres passieren.

In mehr Gerechtigkeit investieren

Allerdings müssen diese Menschen auch eine Chance bekommen. Sie brauchen Deutschkurse, Wohnungen, Arbeitsplätze. Dabei soll niemand sagen, es mangele an Geld: Die Bankenrettung hat einen dreistelligen Milliardenbetrag aus Steuermitteln gekostet. Es ist an der Zeit, in mehr Gerechtigkeit zu investieren.

Der Bau von Sozialwohnungen wird allen zugute kommen, die sich die Mieten in den Ballungsräumen nicht mehr leisten können. Förderprogramme in Kitas und Schulen werden hoffentlich dazu dienen, mehr Bildungsgerechtigkeit zu gewährleisten. Es ist ein Skandal, dass in Deutschland jedes Jahr 70.000 junge Menschen die Schule ohne Abschluss verlassen. Mit den Flüchtlingen haben wir die große Chance, solche Schieflagen unserer Gesellschaft zu begradigen.

Doch dies wird nicht von heute auf morgen gehen. Die Menschen fragen zurecht, wie es weitergehen soll. Hier ist die Politik gefordert, ehrlich zu sagen, dass viel Geld und Engagement nötig ist. Nur dann schaffen wir das. Nur wenn die Flüchtlinge hier eine Perspektive bekommen, werden sie ein Segen sein.

Beitrag von Kurt-Helmuth Eimuth, veröffentlicht am 7. Oktober 2015 in der Rubrik Meinungen, erschienen in der Ausgabe 2015/6 – November, Web.

Mehr Wertschätzung für soziale Berufe

Von Kurt-Helmuth Eimuth – 10. Juli 2015

Es ist das alte Lied in der sozialen Arbeit: Wer Autos produziert, verdient bei gleichwertiger Ausbildung mehr als eine Erzieherin im Kindergarten, ein Sozialarbeiter in der Drogenhilfe oder eine Krankenschwester im Operationssaal. Die Arbeit mit und für Menschen ist weniger wert als die Arbeit an Maschinen. Jetzt hat einer der größten Gesundheitskonzerne Deutschlands, die evangelische Agaplesion AG, Alarm geschlagen.

Kurt-Helmuth Eimuth ist Leiter der Redaktion von „Evangelisches Frankfurt“. Foto: Ilona Surrey

Ein neuer Gesetzesentwurf führe zu weiteren Einsparungen beim Pflegepersonal, prognostiziert der christliche Konzern. Eigentlich ist das kaum vorstellbar. Schon jetzt steht die Pflege doch unter extremem Zeitdruck. Behutsam und sensibel soll mit Kranken umgegangen werden. Doch bei Pflege im Akkord ist dies kaum möglich.

Ein Problem sei, dass Tarifsteigerungen bei der Refinanzierung nicht vollständig übernommen werden. Eine Praxis, die die Stadt Frankfurt bei der Sozialarbeit freier Träger übrigens ebenfalls anwendet. Deshalb müssen die Kliniken Gewinne erwirtschaften, obwohl sie doch eigentlich allein der Allgemeinheit dienen sollten.

Zu Recht ist man in Deutschland stolz auf die soziale Errungenschaft einer staatlichen Gesundheitsfürsorge. Doch diese Fürsorge wird nicht stringent als Dienstleistung der öffentlichen Hand organisiert, sondern in Teilen privatwirtschaftlich. Die Krankenhäuser müssen entgegen der gesetzlichen Verpflichtung ihre Investitionskosten teils selbst finanzieren. Und dann sind da noch die Interessen der einflussreichen Pharmaindustrie. Gleichzeitig wächst die Bürokratie. Zehn Jahre und eine Milliarde Euro hat man für die Geburt der Gesundheitskarte benötigt, die nun doch nicht viel mehr kann als Namen und Adressen zu speichern. „Die durch gesunkene Patiententage eingesparte Zeit ist vollständig von patientenfernen Tätigkeiten geschluckt worden“, kritisiert Agaplesion. Will heißen: Es gibt Einsparungen durch die frühe Entlassung der Patienten und Patientinnen. Doch sie werden von der Bürokratie aufgefressen.

Gut, dass Agaplesion jetzt auf die Fehlentwicklungen hinweist. Der Gesundheitsmarkt bewegt 300 Milliarden Euro im Jahr, das sind mehr als zehn Prozent des Bruttosozialprodukts. Hier muss die Politik handeln. Sie wird es aber erst, wenn unser Wertegefühl sich ändert. Wenn wir der Krankenschwester, dem Sozialarbeiter, der Erzieherin mindestens ebenso viel Wertschätzung entgegenbringen wie dem Arbeiter bei Mercedes.

Beitrag von Kurt-Helmuth Eimuth, veröffentlicht am 10. Juli 2015 in der Rubrik Meinungen, erschienen in der Ausgabe 2015/4 – Juli, Web.

Die Impfdebatte an der Kita-Tür

Von Kurt-Helmuth Eimuth – 25. Februar 2015

Seit Jahren tobt eine teils ideologisch geführte Debatte über Impfpflichten für Kinder. In diesen Tagen wird sie am Beispiel der Masern wieder heftiger geführt. Und das nicht nur in den Zeitungen, auf Twitter oder am Küchentisch, sondern auch an einem Ort, wo sie viele wohl nicht vermutet hätten: im Aufnahmegespräch in der Kita.

Kurt-Helmuth Eimuth ist Leiter der Redaktion von „Evangelisches Frankfurt“. Foto: Rolf Oeser

Darf, muss ein Kind geimpft werden? Und wenn es nicht geimpft ist, bekommt es dann einen Kita-Platz?

Das hessische Kindergesundheitsgesetz legt seit Sommer 2008 fest, dass vor der Aufnahme eines Kindes in einer Kita von den Eltern eine Impfbescheinigung des Kinderarztes vorzulegen ist. Wer das eigene Kind nicht hat impfen lassen, muss dies nicht nur schriftlich erklären, sondern sich auch vom Arzt bescheinigen lassen, dass eine Information über die Folgen erfolgt ist. Auch wird darauf hingewiesen, dass die nicht geimpften Kinder beim Auftreten einer Krankheit wie Masern – auch bei anderen Kindern – vom Besuch der Kita ausgeschlossen werden.

Das ist eine komplizierte Vorschrift, und sie wird oft auf einen falschen Nenner gebracht: Nicht-geimpfte Kinder dürften eine Kita nicht besuchen, wird behauptet. Was eben nicht stimmt.

Aber diese Regelung (auch andere Bundesländer haben ähnliche Vorschriften auf den Weg gebracht) verunsichert, auch wenn sie sicher in guter Absicht getroffen wurde. Dass die Impfquote bei Kindern rückläufig ist, ist ja schon seit langem bekannt. Ein wirksamer Schutz der Bevölkerung ist aber nur nur mit Impfquoten oberhalb der 95 Prozent gewährleistet.

Doch die Politik scheut die Auseinandersetzung über die Frage, ob eine Impfpflicht eingeführt werden soll. Zu stark prallen die Interessen und Ideologien einer Gesellschaft, die sich dem gesunden Leben verschrieben hat, aufeinander. Die einen, oft aus einem alternativen oder anthroposophischen Milieu, warnen vor negativen Folgen von Impfungen, die anderen warnen vor den möglichen Folgen der Erkrankungen.

Zurück bleibt dann eine Kita-Leiterin, die doch beim Aufnahmegespräch eigentlich den Eltern das pädagogische Konzept erläutern will und keine Impfdiskussion führen.

Nein, die Diskussion muss dort geführt werden, wo sie in einer Demokratie hingehört: in den Parlamenten. Deshalb, liebe Politikerinnen und Politiker: Übernehmt die Verantwortung, für die ihr gewählt wurdet. Trefft eine Entscheidung. Und wir, das Volk, werden die Entscheidung mit öffentlicher Auseinandersetzung begleiten. Nur so funktioniert ein Meinungsbildungsprozess. Und nur so kann eine Akzeptanz, auch eine Akzeptanz für das Impfen, erreicht werden.

Das würde vor allem den Kindern helfen – und so nebenbei auch zahlreichen Kita-Leiterinnen.

Beitrag von Kurt-Helmuth Eimuth, veröffentlicht am 25. Februar 2015 in der Rubrik Stadtkirche, erschienen in der Ausgabe Web.

Dankbar für den Frieden sein

Von Kurt-Helmuth Eimuth – 4. Oktober 2014

Hilflos, sprachlos und atemlos verfolgt man derzeit die Nachrichten. Kann es wirklich sein, dass die Welt 100 Jahre nach dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs und 75 Jahre nach dem deutschen Überfall auf Polen so aus den Fugen gerät? Hat denn niemand etwas gelernt?

Kurt-Helmuth Eimuth ist Leiter der Redaktion von „Evangelisches Frankfurt“. Foto: Rolf Oeser

Überall scheint es „bewaffnete Konflikte“ zu geben, wie Krieg oft verniedlichend genannt wird: Gaza, der schon so lange andauernde Kampf zweier Völker, die seit Generationen ineinander verhakt sind. Syrien und Irak, die schreckliche Invasion von Terroristen, die einen Gottesstaat errichten wollen. Die inzwischen nicht mehr heimliche Annexion der Ukraine. Gewalt, Tod und Vertreibung sind die Folge des Krieges. Alleine in Syrien sollen sechs Millionen Menschen auf der Flucht sein. Vierzig „gewaltsame Auseinandersetzungen“, also Kriege, soll es derzeit auf der Welt geben.

Angesichts all dieser Gewalt können wir in Deutschland dankbar auf die letzten Jahrzehnte zurückschauen. Dankbar als Nachkriegsgeneration, dass wir in Frieden aufgewachsen sind und bis heute leben. Dankbar auch für ein geeintes Europa. Viele haben es im Sommerurlaub genossen: Ob man von Deutschland aus nach Schweden, Österreich oder Ungarn fährt – man muss schon genau aufpassen, um zu bemerken, wann man die Staatsgrenze passiert. Europa ist zusammengewachsen, und das ist gut so.

Das Erntedankfest am 5. Oktober ist ein guter Anlass, uns an all das zu erinnern. Dank zu sagen für den Frieden, der immer und überall die erste Voraussetzung für ein Leben in Freiheit, Wohlstand und seelischer Unverletztheit ist. Deshalb muss Friedenspolitik in allen internationalen Konflikten immer die höchste Priorität haben. Über den Weg, wie bedrohten Menschen zu helfen ist, ist zu diskutieren. Die Völkergemeinschaft muss die Terroristen des IS stoppen. Und dabei gerät man immer in ein moralisches Dilemma: Wenn man militärisch eingreift, wird man schuldig, wenn man dem Massenmord tatenlos zuschaut, wird man es ebenfalls.

Wichtig ist jedoch, bestmöglich die Verantwortung zu übernehmen und sich Entscheidungen niemals leicht zu machen. Die Debatte muss intensiv, aber ohne Häme geführt werden. Und es darf keine isolierte Diskussion über militärische Maßnahmen sein, sondern sie muss immer einhergehen mit der Frage, wie wir als Deutsche humanitär helfen können. Die Aufnahme von Flüchtlingen zum Beispiel ist eine solche humanitäre Maßnahme. Und zwar eine, die wir sofort umsetzen können.

Salafismus: Es geht um Gefühle, nicht um die Lehre

Von Kurt-Helmuth Eimuth – 7. Juli 2014

Große Aufregung in Frankfurt: Ein Jugendhaus schließt, weil Salafisten eine Mitarbeiterin bedrohen. Der Träger, die AWO, wusste sich nicht mehr anders zu helfen. Und wer hat schon in einer solchen Situation ein Patentrezept? Wie soll man mit diesem Phänomen umgehen?

Kurt-Helmuth Eimuth ist Leiter der Redaktion von „Evangelisches Frankfurt“. Foto: Rolf Oeser

Weitgehende Ratlosigkeit allerorten. Aus dem Sozialdezernat hört man, dass Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter verstärkt geschult werden sollen. Man möchte die Mitarbeiterschaft informieren und sensibilisieren. Gut so. Der Träger will verstärkt mit Moschee-Gemeinden zusammenarbeiten und einen interreligiösen Dialog organisieren. Ein gewaltiger Schritt für einen säkularen Träger. Anerkennenswert.

Aber es wird immer noch so getan, als sei das Phänomen ein Problem des Islam. Ja, es gibt Fundamentalisten im Islam. Die Salafisten sind eine dieser Gruppen. Allerdings ist nicht jeder Fundamentalist gewaltbereit oder wird sogar Terrorist.

Dass fundamentalistische Gruppen für ihre Weltsicht werben, ist ein Phänomen, das seit den 1970er Jahren bekannt ist. Damals versuchten Organisationen wie etwa die Krishna-Bewegung oder die Scientology-Organisation, die auch als „Jugendreligionen“ bezeichnet wurden, hierzulande Fuß zu fassen. Aufklärung half damals, und hilft sicher auch heute.

Humanistische Religion, autoritäre Religion

Doch kein Jugendlicher sucht eine Ideologie. Es war der Frankfurter Psychologe Erich Fromm, der damals die Unterscheidung zwischen humanistischer und autoritärer Religion vornahm.

Autoritäre Religion sei gekennzeichnet durch die Vorstellung, dass eine höhere Macht Anspruch auf Verehrung und Anbetung, aber auch auf Gehorsam der Menschen habe. Wesentliches Element der autoritären Religion sei die Unterwerfung unter eine jenseitige Macht, die allerdings meisten von einem irdischen Führer direkt ausgeübt werden könne.

Bei der humanistischen Religion hingegen, so Fromm, bestehe das religiöse Erlebnis „in der Empfindung des Einsseins mit dem All, gegründet auf die Beziehung zur Welt.“ Selbstverwirklichung, nicht Unterwerfung, wolle der Mensch in dieser Art von Religion erreichen: „Die vorwiegende Stimmung ist Freude, während sie in autoritären Religionen in Kummer und Schuldgefühl besteht.“

Sozialform ist unabhängig von der Dogmatik

Ob eine konkrete Sozialform von Religion in diesem Sinne autoritär oder humanistisch ist, ist also völlig unabhängig von der Dogmatik, die darin gilt. Autoritäre Religionserscheinungen gibt es in sämtlichen Weltreligionen.

Jugendliche suchen Geborgenheit, Halt, Anerkennung und Sicherheit. Dass der Salafismus unter Jugendlichen Erfolg hat, ist kein theologisches sondern ein soziales Problem. Es geht um Gefühle, nicht um die Lehre. Erst wenn diese Jugendlichen in eine Kultur eingebettet sind, die ihnen Sicherheit gibt, wird sich das Problem wirklich lösen. Schule, Jugendarbeit aber vor allem das Elternhaus sind hier gefragt.

Bis dahin bleibt nur die Aufklärung. Sie ist jedoch ein schwaches Mittel, wenn das Gefühl der Anerkennung fehlt.

Beitrag von Kurt-Helmuth Eimuth, veröffentlicht am 7. Juli 2014 in der Rubrik Gott & Glauben, erschienen in der Ausgabe 2014/4 – Juli, Web.

Religion geht nur mit Eltern

Von Kurt-Helmuth Eimuth – 22. März 2014

Immer seltener erfahren Kinder in der Familie eine religiöse Erziehung. Können evangelische Kindertagesstätten das kompensieren? Eher nicht, meint Kurt-Helmuth Eimuth.

Frankfurt: Kurt-Helmuth Eimuth Portrait Foto aufgenommen am 01.10.2013 Foto: Rolf Oeser

Wer hat mit Ihnen früher gebetet, biblische Geschichten erzählt und religiöse Lieder gesungen? Vielleicht die Mutter, sehr oft aber sind es die Großeltern, die in den Familien für die Weitergabe religiöser Überzeugungen verantwortlich sind.

Doch das ist immer seltener der Fall. Die aktuelle Mitgliedschaftsstudie der Evangelischen Kirche in Deutschland zeigt Alarmierendes auf. Bei den 14- bis 21-Jährigen sind nach eigener Auskunft knapp die Hälfte der westdeutschen Kirchenmitglieder nicht religiös erzogen worden. Von den Konfessionslosen dieses Alters berichten nur 8 Prozent im Westen und 14 Prozent in Ostdeutschland über eine religiöse Erziehung.

Die Offenheit für religiöses Denken wird in der Kindheit geweckt, oftmals durch die Großeltern. Heute sind diese jedoch in vielen Familien aufgrund von Entfernungen oder sich verändernden Familienkonstellationen nicht mehr präsent. Hier solle oder könne der evangelische Kindergarten einspringen, lautet eine weit verbreitete Meinung. Schließlich wendet die Kirche für den Elementarbereich erhebliche Mittel auf.

Doch das greift zu kurz. Aus der Integrationsdebatte ist bekannt, dass eine nachhaltige Förderung von Kindern immer die ganze Familie im Auge haben muss – sie ist entscheidend für den Erfolg. Erst wenn zum Beispiel die Familie die Notwendigkeiten eines deutschen Schulsystems versteht, können die Anstrengungen der Pädagogen und Pädagoginnen wirklich fruchten. Aus diesen Überlegungen heraus entstand die Idee der Kinder- und Familienzentren: Hier soll das System Familie als Ganzes in den Blick genommen werden.

Ähnlich ist es bei der religiösen Bildung. Auch hier müssen die Kirchen die Familien mit ins Boot nehmen. Der Kindergarten alleine ist mit der Aufgabe, religiöse Sozialisation zu leisten, überfordert. Zu erwarten, dass Kindertagesstätten die religiöse Erziehung in den Familien ersetzen können, ist eine Überdehnung der Möglichkeiten. Vielmehr müssen die Kitas in Sachen Religion so etwas Ähnliches werden wie ein Kinder- und Familienzentrum mit dem Schwerpunkt religiöser Kommunikation.

An vielen Stellen gelingt das in Frankfurt auch längst. Die Kindertagesstätte ist ein wesentlicher Pfeiler der gemeindlichen Kommunikation sowohl mit Menschen, die der Kirche verbunden sind, als auch mit Distanzierten.

Diese Ansätze gilt es vor dem Hintergrund des sich ausdifferenzierenden Familienbegriffs auszubauen. Das heißt: Alle Formen von Familie sind einzubeziehen. Kirche und Kindertagesstätte können hiervon nur profitieren.

Beitrag von Kurt-Helmuth Eimuth, veröffentlicht am 22. März 2014 in der Rubrik Meinungen, erschienen in der Ausgabe Web.