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„Sitzungen nur bis zehn Uhr“

Evangelisches Frankfurt Oktober 2009

„Sitzungen nur bis zehn Uhr“

Rita Meinecke ist Gerichtspräsidentin und Kirchenvorsteherin

In den hohen Räumen des Altbaus im Frankfurter Nordend wirkt sie noch zierlicher und gar nicht so, wie man sich die Chefin eines großen Gerichts vorstellt. Rita Meinecke ist seit 2007 Präsidentin des Frankfurter Sozialgerichts. Ihre Antworten sind nachdenklich, und doch ist in jedem Satz, in jedem Wort etwas von der Kraft einer Frau zu spüren, die genau weiß, was sie will.

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So räumt Meinecke gleich mit einem Vorurteil auf. „Wir sind nicht die Sozialtanten der Nation, sondern wir sprechen Recht bei strittigen Fragen der Rentenversicherung, Krankenversicherung, Arbeitslosenversicherung, auch bei Fragen des Elterngelds, und des Schwerbehinderten- und Versorgungsrechts.“ Auch alle Streitigkeiten rund um das Arbeitslosengeld II, auch Hartz IV genannt, gehören dazu. Beide Begriffe mag die Richterin nicht. „Hier geht es um Grundsicherung und nicht um eine Leistung aus der Arbeitslosenversicherung.“

Rita Meinecke ist im katholischen Hildesheim aufgewachsen. Ihre Mutter wurde bei der Heirat mit einem Protestanten evangelisch. Es war selbstverständlich, dass die Tochter in die Jungschar der Gemeinde und später auch zum Flötenkreis ging. In Hildesheim war man kirchlich, gleich ob evangelisch oder katholisch.

Als Tochter von Gewerbetreibenden wusste Rita Meinecke, dass der Beruf auch seine Frau ernähren muss. „Mir war wichtig, einen Beruf zu finden, mit dem man Geld verdienen kann.“ Einige Semester Sozialwissenschaften eröffneten da keine Perspektive. Es blieb die Jurisprudenz.

Geblieben ist aber auch die Liebe zur Kunstgeschichte und zur Archäologie. „In Hildesheim gibt es ein wunderbares ägyptisches Museum. Da habe ich in den Semesterferien gejobbt.“ Während sie das erzählt, entdeckt man jenes Funkeln in den Augen, das die Begeisterung verrät.

Gerne hätten sie es in Hildesheim gesehen, wenn Rita Meinecke geblieben wäre. Über der elterlichen Bäckerei im Zentrum der Stadt wären auch für die junge Juristin Räume für eine Anwaltskanzlei gewesen. Und da sie als Tochter von Selbstständigen früh auf eigenen Beinen stand, war das durchaus eine reizvolle Option. Doch schließlich zog es sie aus persönlichen Gründen nach Gießen. In der mittelhessischen Kleinstadt übernahm sie das Richteramt am So­zialgericht.

Mit der Karriere ging es dann steil bergauf: Landessozialgericht, später Direktorin des Sozialgerichts in Darmstadt. Und jetzt Frankfurt. In den vergangenen 18 Monaten hat sie den Umzug des Gerichts in die Gutleutkaserne organisiert, bei laufendem Betrieb. Zur Zeit sind 10 000 Verfahren anhängig. Und wenn man weiß, dass Gerichtsakten 30 Jahre aufbewahrt werden müssen, ahnt man, welche Leistung hier vollbracht wurde.

Kirche und kirchliches Engagement lagen Rita Meinecke nicht fern. „Aber es bedurfte des Anstoßes.“ Der Anstoß kam über den evangelischen Kindergarten. Die junge Mutter engagierte sich und wurde gefragt, ob sie im Kirchenvorstand mitarbeiten will. Das war vor zwölf Jahren. Auch für die nächste Wahlperiode steht sie der Katharinengemeinde zur Verfügung. Darüber hinaus gehört sie dem Dekanatssynodalvorstand, dem Satzungs- und Geschäfts­ordnungsausschuss und der Kindertagesstätten-Kommission des Evangelischen Regionalverbandes an. Doch ihre Passion bleibt der Kindergarten. „Die Arbeit mit Kindern ist die Zukunft der Kirche. Auch für den neuen Kirchenvorstand konnten Mitglieder aus der Elternschaft gewonnen werden.“

Von der Kirche wünscht sich Meinecke, dass sie schonender mit der Zeit der Ehrenamtlichen umgeht. „Als der Dekan mich fragte, ob ich bereit wäre, mich in den Dekanatssynodalvorstand wählen zu lassen, sagte ich: Nur wenn die Sitzungen um zehn Uhr beendet sind.“

Kurt-Helmuth Eimuth

Die „Religionifizierung“ des Alltags

Evangelisches Frankfurt Oktober 2009

Die „Religionifizierung“ des Alltags

Wenn es für „Gottes Willen“ keinen Interpretationsspielraum mehr gibt, ist das religiöser Fundamentalismus. Als christliche Bewegung entstand er vor hundert Jahren in den USA.

Sie kommen modern und locker daher. „Es sieht eher aus, als würde Thomas Gottschalk predigen“, sagt Lutz Lemhöfer, Weltanschauungsbeauftragter des Katholischen Bistums Limburg. Dieses Kompliment macht Lemhöfer christlichen Gemeinden, die er dem Bereich des Fundamentalismus zuordnet. In Frankfurt sind hier die Ichthys-Gemeinde in Nied und das Christliche Zentrum im Riederwald zu nennen. Von Fundamentalismus spricht Lemhöfer, wenn die Verkündigung sich als direkt biblisch versteht und keinen Interpretationsspielraum lässt. Bibelwort und unmittelbare Eingebungen bestimmen dabei nicht nur das Glaubensleben, sondern den ganzen Alltag.

Lemhöfer spricht von einer „Religionifizierung des Alltags“. Während in den großen Kirchen Raum für unterschiedliche Auslegungen der Botschaft sei, werde in solchen Gruppen jede Alltagserfahrung unmittelbar religiös gedeutet: Ob ein Bewerbungsgespräch erfolgreich ist oder nicht, entscheidet nicht die Qualifikation oder der Gesprächsverlauf, sondern es hängt allein davon ab, ob es Gottes Wille ist, dass die Bewerberin die Stelle bekommen soll.

Der Begriff Fundamentalismus ist abgeleitet von einer gleichnamigen Zeitschriftenreihe: Zwischen 1910 und 1915 wurde in den USA mit kräftiger Unterstützung kalifornischer Ölmillionäre eine theologisch konservative Schriftenreihe herausgegeben und kostenlos an nichtkatholische Pastoren, Evangelisten, Missionare und Theologen verteilt. Ihr Titel lautete: „The Fundamentals“ – die Fundamente. Kritisch wandte sie sich gegen die historisch-kritische Erforschung der Bibel, aber auch gegen das moderne Weltbild der Natur- und Sozialwissenschaften, nicht zuletzt gegen die Evolutionstheorie von Darwin.

Neben dem wörtlichen Bibelverständnis (Wortfundamentalismus) gewinnt auch die unbedingt gültige Autorität persönlicher Erfahrungen und Offenbarungen, die dem Heiligen Geist zugeschrieben werden, an Bedeutung (Geistfundamentalismus). Der Gemeindeleiter, durch den Gott seinen Willen verkündet, gilt als höchste Autorität.

Von besonderer Bedeutung sind Heilungsdienste. Dies reicht vom „Befreiungsdienst“, bei dem angeblich okkulte Mächte den Körper verlassen, bis hin zu Spontanheilungen, bei denen selbst verkürzte Beine wieder wachsen sollen. An erster Stelle ist hier Reinhard Bonnke und seine Organisation „Christus für alle Nationen“ zu nennen, die ihre Zentrale in Frankfurt hat: Von Seckbach aus werden Großevangelisationen vor allem in Afrika gesteuert. Bis zu einer Million Menschen sollen an diesen Massenspektakeln teilnehmen. Bonnke wörtlich: „Tumore weicht in Jesu Namen! Alle Infektionen, Neurosen, ich breche die Kette aller Depressionen, in Jesu Namen! Die Freude am Herrn wird deine Stärke sein und deine Medizin sein.“ Neben den zweifelhaften Wunderheilungen wird Bonnke vorgeworfen, dass er Vorurteile zwischen Muslimen und Christen schürt.

Seit einigen Jahren hat die so genannte Healing-Rooms-Bewegung auch in Deutschland vermehrt Zuspruch gefunden, auch im Rhein-Main-Gebiet. Ähnlich wie in einer Arztpraxis kommen Ratsuchende dorthin, jedoch in der Hoffnung, durch Gebete geheilt zu werden. Gesundheit gilt als ein „Recht“ der Kreatur, und Krankheit wird in die Nähe einer Strafe für sündiges Verhalten gerückt.

Kurt Helmuth Eimuth

Unaufgeregter Einblick in die Fundi-Szene

Weitgehend unbemerkt ist eine Form des Christentums auf dem Vormarsch, das mit Begriffen wie „evangelikal“ und „fundamentalistisch“ schnell in eine Schublade gesteckt wird. Nicht nur wegen der wachsenden Zahl solcher Gruppen, man schätzt 700 000 Mitglieder in Deutschland, lohnt der Blick auf Inhalt und Ausrichtung.

Oda Lambrecht und Christian Baars werfen in ihrem Buch „Mission Gottesreich“ einen differenzierten Blick auf die Szene. Anhand der Themen Sexualität und Wissenschaftsverständnis, Schulpflicht, Missionsbefehl und der Stellung zu Israel zeigen sie Grundpfeiler eines christlichen Fundamentalismus auf, vor dem man erschrickt. In einem eigenen Kapitel geht es um Kinder, die in solchen Gruppen aufwachsen. Sie leben in einer ständigen inneren Zerrissenheit, da sie quasi in einer Parallelwelt erzogen werden. Kultur, Mode, Kino oder Tanz der „normalen“ Welt bleiben ihnen verschlossen. Dadurch würden die Kinder zu „sozialen Märtyrern“ erzogen.

Ein unaufgeregtes und auch durch seine Quellenvielfalt überzeugendes Buch, das sich dem christlichen Fundamentalismus weniger theologisch als phänomenologisch nähert.

Kurt-Helmuth Eimuth

Oda Lambrecht, Christian Baars: Mission Gottesreich – Fundamentalistische Christen in Deutschland, 245 Seiten, Ch. Links-Verlag 2009, 16,90 Euro. Evangelisches Frankfurt verlost fünf Exemplare, bitte E-Mail, Postkarte oder Fax schicken.

Nachtrag: Das Buch „Mission Gottesreich“ gewannen Birgit Koller, Olaf Lewerenz, Hartmut Menhorn, Anke Rapsch und Margit Scherf.

„Reliunterricht neu denken“

Evangelisches Frankfurt September 2009

„Reliunterricht neu denken“

Scheidende Studienleiterin kritisiert konfessionelle Schranken

Ihre Schlussfolgerungen sind klar und selbstkritisch: Pfarrerin Karin Frindte-Baumann, die die Leitung des Religionspädagogischen Amtes in Frankfurt nach 18 Jahren zum Schuljahreswechsel abgegeben hat, fordert die Kirchen dazu auf, den Religionsunterricht neu zu denken. Es sei „schwierig“, dass sie sich so auf den konfessionellen Religionsunterricht festgelegt hätten, bei dem evangelische und katholische Kinder getrennt werden.

Foto: Rolf Oeser

Foto: Rolf Oeser

Als Studienleiterin begleitete Frindte-Baumann in den 172 Frankfurter Schulen 460 Religionslehrerinnen und -lehrer und zwölf für den Schuldienst freigestellte Pfarrerinnen und Pfarrer. Sie organisierte Fortbildungen und hielt eine Fachbibliothek vor. Jetzt ging sie in den Ruhestand.

Der konfessionsgetrennte Religionsunterricht sei vor allem in der Grundschule den Eltern nicht mehr zu vermitteln, so Frindte-Baumann. Zudem seien die christlichen Kinder in den Grundschulen Frankfurts in der Minderheit. „Die Eltern wünschen sich in der Grundschule einen gemeinsamen christlichen Unterricht und daneben einen muslimischen Unterricht.“

Überholt sei die in kirchlichen Kreisen noch häufig anzutreffende Vorstellung, wonach der Religionsunterricht in der „Mitte der Schule“ stehe. „Das tut er nicht. Es nimmt nur eine Minderheit der Schülerinnen und Schüler an ihm teil.“ Insofern begrüßt Frindte-Baumann die Einführung eines verbindlichen Ethik-Unterrichts. Leider gebe es hierfür bisher noch zu wenig Lehrerinnen und Lehrer.

Nachdrücklich betont die scheidende Studienleiterin, dass sie nicht grundsätzlich für einen konfessionsübergreifenden Religionsunterricht plädiere, „aber ich bitte um Verständnis für die Schulleitungen“. Diese hätten nämlich enorme Probleme bei der Organisation. Frindte-Baumann hält es für wichtig, sich differenziert zu überlegen und auch nach außen zu zeigen, was im Religionsunterricht jeweils vermittelt werden soll. Vor allem in der Grundschule gehe es hauptsächlich darum, Kinder mit biblischen Texten bekannt zu machen. Bei den aufsteigenden Klassen kämen dann später immer stärker die Traditionen von Kirche und Glaube hinzu und natürlich auch Informationen über andere Religionen.

„Der Religionsunterricht soll beheimaten und befähigen, eine Reise anzutreten, um Menschen anderer Religionen kennen zu lernen“, so Frindte-Baumann. Ihrer Meinung nach reicht es auch nicht, sich auf den Religionsunterricht zu beschränken. „Wenn wir als Kirche in multikulturellen Metropolen Mitverantwortung für die Bildung tragen wollen, müssen wir auch selbst Schulen betreiben“, ist sie überzeugt. Insofern hält sie es für einen großen Fehler, dass der Plan, eine evangelische Schule in Frankfurt zu gründen, aufgegeben wurde.

Kurt-Helmuth Eimuth

„Sicherheit und Wertschätzung“

Evangelisches Frankfurt September 2009

„Sicherheit und Wertschätzung“

Seit 100 Jahren wird Frauen in sozialen Notlagen am Zoo geholfen

„Die Arbeit ist absolut notwendig und verdient Anerkennung“ konstatierte die Chefredakteurin des ZDF-Magazins Mona Lisa, Sybille Bassler, anlässlich des 100-jährigen Bestehens des Hauses „Lilith – Wohnen für Frauen“, das in Not geratenen Frauen Hilfe bietet. Als Teil des Zentrums für Frauen am Alfred-Brehm-Platz unterstützt die Einrichtung Frauen, die wohnungslos sind.

Das Haus bietet 28 Einzelzimmer und 4 Notbetten, sodass auch Frauen in akuten Krisen mit ihren Kindern aufgenommen werden können. Es gelingt den Frauen, eine neue Perspektive zu entwickeln, da die ärgste Not wie Obdachlosigkeit entfällt. Ergänzend zur individuellen Hilfe bietet Lilith das Leben in einer Wohngruppe an. Hier hören die Frauen, wie andere Frauen in ähnlichen Situationen gehandelt haben.

1909 eröffnete der Verein „Weibliche Stadtmission“ das Haus „für hilfs- und ratbedürftige, ferner für gefährdete sowie für verwahrloste oder gefallene Personen weiblichen Geschlechts.“ Übrigens sehr zum Ärger der Anwohner und des Frankfurter Magistrats, der den Betrieb in dieser wohlsituierten Wohngegend nicht zulassen wollte. 1944 wurde das Haus durch einen Bombenangriff zerstört. Alle Bewohnerinnen sowie zwei Betreuerinnen kamen dabei ums Leben. 1952 konnte man das Haus wieder aufbauen.

In den 1970er Jahren kam es im Zuge der Neuausrichtung der Heimpädagogik zu einem radikalen Wandel. Der Evangelische Regionalverband übernahm das Haus. Frauen konnten jetzt bis zu sechs Monaten hier verweilen. Im Zuge der weiteren Professionalisierung und Arbeitsteilung entstand am Alfred-Brehm-Platz noch die Beratungsstelle für Frauen, später kamen „Tamara – Beratung und Hilfe für Prostituierte“ und „17 Ost – Tagesstreff für Frauen“ hinzu.

Heute ist Lilith ein Haus, das in erster Linie Hilfe zur Selbsthilfe bietet. Ein Haus, in dem Frauen „Sicherheit, Halt und Vertrauen und vor allem Wertschätzung erfahren“, wie Karin Kühn, Leiterin des Hauses, betont. „In den Anfängen war der moralische Anspruch hoch und man hat diese Frauen entmündigt. Heute stehen Privatsphäre, Selbstbestimmung und individuelle Hilfestellung im Mittelpunkt.“

Pfarrerin Esther Gebhardt, die Vorsitzende des Evangelischen Regionalverbandes, dessen Diakonie das Haus betreibt, wies darauf hin, dass sich zwar die Notlagen der Frauen verändert hätten, es aber immer noch strukturell benachteiligte Frauen gebe. Sybille Bassler benannte in ihrer Festrede zahlreiche Beispiele: Frauen verdienen in Deutschland ein Viertel weniger als Männer. Ursache sei, dass zahlreiche Frauen in Frauenberufen wie Krankenschwester, Friseurin oder in Teilzeit arbeiteten. Auch das Elterngeld habe trotz anfänglicher Euphorie weder mehr Männer zur Elternzeit ermutigt noch eine erhöhte Geburtenrate gebracht. Armut sei immer noch weiblich. 6,8 Millionen Menschen lebten von Hartz IV, davon seien zwei Millionen Kinder.

Kurt-Helmuth Eimuth

Qualität für Krippen

Evangelisches Frankfurt Juli 2009

Qualität für Krippen
Sozialminister Banzer gegen Akademisierung

Durch den massiven Ausbau des Betreuungsangebots für Kinder unter drei Jahren sieht der Hessische Sozialminister Jürgen Banzer die Gefahr, dass die Qualität auf der Strecke bleibt. Bei einer Podiumsdiskussion in der Evangelischen Akademie Arnoldshain über die Perspektiven frühkindlicher Erziehung sagte Banzer, zur Zeit habe man für 18 Prozent dieser Altergruppe einen Krippenplatz, angestrebt seien 35 Prozent. Der Hessische Bildungsplan für Kinder von null bis zehn Jahren könne ein Weg sein, die Qualität zu sichern. Da die Kindertagesstätten von zahlreichen freien Trägern unterhalten werden, können Standards nicht von oben verordnet werden. Darum will der Minis­ter bei der Qualitätssicherung „goldene Zügel“ nutzen. „Es geht nur mit viel Kommunikation, Elternarbeit und einem umfangreichen Fortbildungsangebot.“.

Banzer wandte sich gegen die Forderung, die Ausbildung von Erzieherinnen zu akademisieren. Er bescheinigte der derzeitigen Ausbildung eine hohe Qualität. „Die Fachschulen bilden hervorragend aus.“ Vielmehr solle man darüber nachdenken, ob während der Ausbildung nicht ein Lehrlingsgehalt gezahlt werden könne. „Wir müssen den Beruf attraktiver machen.“

Den Wandel des Kindergartens zu einer Bildungseinrichtung mahnte Pfarrer Michael Frase, der Leiter des Diakonischen Werks für Frankfurt, an. Die Kindergärten kämen historisch betrachtet aus der Tradition der familienergänzenden Betreuung. Dies habe durchaus seine eigene Qualität. Jetzt gehe es aber darum, träger­übergreifende Netzwerke in den Stadtteilen zu knüpfen, um die Übergänge zwischen den Bildungseinrichtungen „flach zu halten“. Frase begrüßte die Entstehung von Familienzentren, die verschiedene Angebote unter einem Dach bündeln.

Kurt-Helmuth Eimuth

Ohne Ökumene geht es nicht

Evangelisches Frankfurt Juli 2009

Kommentar:
Ohne Ökumene geht es nicht

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Raban Tilmann geht in den Ruhestand. Feierlich wurde der katholische Stadtdekan mit einem Gottesdienst verabschiedet. Zwölf Jahre lang hatte der zum konservativen Flügel zählende Katholik dieses Amt inne. Über den Zustand seiner Kirche sagt Tilmann zufrieden: „Uns geht es gut“. Trotz Mitgliederschwund, langfristig zurückgehenden Kirchensteuereinnahmen und dem wachsenden gesellschaftlichen Bedeutungsverlust, dem sich beide Kirchen stellen müssen. Raban Tilmann konnte sich schon immer auf seine kommunikativen Fähigkeiten verlassen. Auch beim Zudecken von Problemen.

Im Rückblick muss man aus evangelischer Sicht sagen: Es war keine Dekade der Ökumene. In Rom nicht und auch in Frankfurt nicht. „Wir sind nicht füreinander geboren“, räumte Tilmann bei der offiziellen Verabschiedung von Pröpstin Helga Trösken vor drei Jahren ein. Und das war wohl nicht nur persönlich gemeint.

Und doch muss man dem scheidenden Stadtdekan konzedieren, dass er im Laufe seiner Amtszeit offener wurde. Als es um den Moscheebau in Hausen ging, hat er sich für die Religionsfreiheit eingesetzt. Und als die Nazis hier aufmarschieren wollten, hat sich Tilmann erstmals in seinem Leben an einer Demonstration beteiligt: gegen Rechtsextremismus und für Toleranz. Die Gründung des Rates der Religionen ist eine Konsequenz. Hier sollen nach der Vorstellung Tilmanns praktische Fragen erörtert werden. Keine theologischen. Denn da bleibt Tilmann sich treu. Ein gemeinsames interreligiöses Gebet geht für ihn nicht. Weil, so Tilmann, nicht alle zum selben Gott beten und die Buddhisten keinen Gott hätten.

Der Stadtdekan – und nicht nur er – achtete immer sehr auf die Wahrung der (katholischen) Identität. Dabei gibt es so viele Probleme, die von beiden Konfessionen gemeinsam anzupacken wären. Da sind die zahlreichen Kirchen, die eine kleiner werdende Zahl von Christenmenschen unterhalten muss. Da sind Neubaugebiete, in denen man den Bau eines gemeinsames Gotteshauses ablehnt. Und da ist die erschreckend niedrige Zahl von christlichen Erstklässlern, denen man gemeinsamen Religionsunterricht versagt. Und schließlich ist da eine Stadtgesellschaft, die bei vielen Ereignissen nach einem ökumenischen Auftritt der Kirchen verlangt.

Zugegeben, bei allen Problemfeldern sind Lösungen nicht einfach zu finden. Doch egal wer Raban Tilmann nachfolgt, er wird sich der ökumenischen Herausforderung stellen müssen. Denn für beide Kirchen gibt es zur Ökumene keine Alternative.

Kurt-Helmuth Eimuth

Selbsterlösung versus Gottesliebe

Evangelisches Frankfurt Juli 2009

Selbsterlösung versus Gottesliebe

Obgleich er in Deutschland nur rund 200000 Anhänger und Anhängerinnen hat, verfügt der Buddhismus über eine ungemeine Anziehungskraft. Das liegt sicher auch an der charismatischen Persönlichkeit des Dalai Lama.

„Alles steht in wechselnder Abhängigkeit.“ Oder: „Die Welt ist ein Netz von Beziehungsstrukturen, Gedanken und Gefühlen.“ Sätze wie diese faszinieren viele Menschen am Buddhismus. Der Religionswissenschaftler Michael von Brück bezeichnet sie als die Quintessenz des Buddhismus. Dabei blühen gerade im Westen auch „esoterisierte“ Versionen, wie Wellness und para-buddhistische Ego-Kult-Angebote.

Der Buddhismus, im 5. oder 4. Jahrhundert v. Chr. von Siddhar­tha Gautama, dem Buddha, in Nordindien gestiftet, hat sich im Lauf der Jahrtausende zu einem sehr heterogenen religiösen Gebilde ausdifferenziert. Der Kern der Lehre besteht in der Erkenntnis, dass das Leiden des Menschen im umfassenden Sinne durch Anhaften, Gier, Festhaltenwollen und durch die Illusion verursacht wird, die Welt könne „gegriffen“ und festgehalten werden. Alles Leiden entspringe aus der Frustration dieser Gier, denn die Welt ist vergänglich und alles in stetem Werden und Vergehen begriffen.

Diese Lehre ist im Wesentlichen eine psychologische Erkenntnisphilosophie. Erst im Lauf seiner Geschichte wurde der Buddhismus zu einer Religion mit Kultus. Im 19. Jahrhundert tritt er verstärkt auch im Westen in Erscheinung. Arthur Schopenhauer war in Deutschland einer der ersten „bekennenden“ Buddhisten.

Im Unterschied zum asiatischen Buddhismus, der heute fast ausschließlich als Tempelreligiosität und Ritenanbieter wahrnehmbar ist, tritt der westliche Buddhismus als Laienreligion mit deutlichem Bekenntnischarakter in Erscheinung, in deren Mittelpunkt die Meditation als zentrale Praxis steht. In einer Zeit, in der die Prägung durch ein christliches Elternhaus schwächer wird, ist für viele Menschen das Angebot einer erkennbaren Spiritualität, die zugleich seelische Wirkungen und Wandlungsprozesse erhoffen lässt, attraktiv. Zudem idealisiert man den Buddhismus als friedlich, obgleich es auch dort fundamentalistische Strömungen gibt und die Herrschaft der Dalai Lamas in Tibet alles andere als friedlich war.

Gemäß tibetischer Tradition wird angenommen, dass der vorherige verstorbene Dalai Lama eine Wiedergeburt als Mensch annimmt und dieser dann aufgefunden werden kann. Dies geschieht durch eine Findungskommission. Besondere Zeichen werden entsprechend gedeutet, etwa ungewöhnliche Fähigkeiten eines Kindes oder besondere Vorkommnisse bei der Geburt.

Für Ulrich Dehn von der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen unterscheidet sich der christliche Glaube grundsätzlich vom Buddhismus: „Viele westliche Buddhisten betrachten die buddhistische Philosophie als Erkenntnislehre über die Wirklichkeit und als Weg zur Selbstfindung.“ Dies sei ein Weg der „Erlösung aus sich selbst heraus, während der christliche Glaube von der Hoffnung auf Errettung durch die Gnade Gottes lebt.“

Kurt-Helmuth Eimuth

„Ich gestehe jedem seine eigene Glaubenswahrheit zu“

Evangelisches Frankfurt Juli 2009

„Ich gestehe jedem seine eigene Glaubenswahrheit zu“

Kirchenpräsident Volker Jung spricht mit „Evangelisches Frankfurt“ über die Aufgabe der Kirche in globalen Krisenzeiten und die Chancen für den Dialog der Religionen.

Herr Jung, Sie kommen aus dem Vogelsberg und arbeiten jetzt in Darmstadt, dem Sitz der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau – verbindet Sie auch etwas mit Frankfurt?

Ich finde Frankfurt hoch spannend und bin gerne hier. Ganz abgesehen davon, dass ich seit meinem sechsten Lebensjahr Eintracht Frankfurt-Fan bin und mir diese Stadt daher schon immer emotional etwas bedeutet hat.

Volker Jung beim Redaktionsgespräch. Der 49-Jährige ist seit Anfang dieses Jahres Kirchenpräsident der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau. Seine Amtszeit beträgt acht Jahre. Vorher war Jung Pfarrer in Lauterbach und Dekan im Vogelsbergkreis. | Foto: Rolf Oeser

Volker Jung beim Redaktionsgespräch. Der 49-Jährige ist seit Anfang dieses Jahres Kirchenpräsident der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau. Seine Amtszeit beträgt acht Jahre. Vorher war Jung Pfarrer in Lauterbach und Dekan im Vogelsbergkreis.
Foto: Rolf Oeser

In guten wie in schlechten Zeiten?

In guten wie in schlechten Zeiten, davon bin ich nie abgewichen! Eine sehr schöne Sache für mich war es auch, den Pfingstgottesdienst auf dem Römerberg mitzufeiern. Da sind sicher viele Menschen gewesen, die ansonsten gar nicht in die Kirche gehen. In einer Großstadt hat die Kirche schon tolle Chancen.

Welche Impulse sollten denn von Frankfurt für die Landeskirche insgesamt ausgehen?

Wir brauchen offene, einladende Kirchen, wo Menschen aus unterschiedlichen Milieus erreicht werden. Die Stadt bietet da besondere Möglichkeiten für experimentelle Projekte und kann eine Vorreiterrolle haben. Aber ich würde den Gegensatz von Stadt und Land gar nicht so groß machen. Es gibt ja auch in Frankfurt Stadtteile, in denen noch das traditionelle Gemeindeleben in einem durchaus dörflichen Sinn gelebt wird. Das darf nicht kaputt gehen.

Sie sind angetreten als ein Kirchenpräsident, der die Kirche nicht nur verwalten, sondern auch geistliche Impulse setzen will. Welche Impulse braucht eine von Finanzkrisen und Klimawandel bedrohte Welt?

Die Welt braucht erstens eine geistlich begründete Gelassenheit. Wer sich von Gott getragen weiß, ist hoffentlich vor hektischem Krisenaktivismus etwas besser gefeit. Und zweitens braucht sie ein Krisenmanagement, das auf das langfristige Wohl aller bedacht ist. Auf Krisen reagieren viele mit Entsolidarisierung. Plötzlich geht es nur noch darum, die eigenen Schäfchen ins Trockene zu bringen. Die Welt braucht aber Entwicklungen, die das Leben in den heutigen globalen Beziehungen ernst nimmt, und das gilt sowohl für das Klima als auch für die Wirtschaft. Unser Glaube ruft uns nicht zum Kampf der Starken gegen die Schwachen, sondern er ruft uns in eine globale Solidarität. Dabei geht es nicht nur um die großen politischen Fragen, sondern auch um unsere Glaubwürdigkeit als Christen und als Kirche, um die Frage nach dem persönlichen Lebensstil: Was mache ich selber? Es geht darum, das Glaubensleben und das wache Aufnehmen gesellschaftlicher Fragen zusammenzubringen.

In die Schlagzeilen geraten ist im Streit um den Hessischen Kulturpreis das Verhältnis der Kirche zum Islam. Wie steht es aus Ihrer Sicht um den Dialog?

Ich würde mir wünschen, dass man sich gerade im Blick auf die Fragen der Weltverantwortung, die ja in jeder Religion vorkommen, verständigt und gemeinsam fragt, vor welchen Herausforderungen wir stehen. Vielleicht ist die Orientierung an ethischen Fragen dabei dialogfähiger als die Orientierung an den dogmatischen Fragen. Wobei natürlich beides zusammengehört. Es muss auch Platz sein, sich die dogmatischen Glaubensauffassungen gegenseitig zu sagen und sie nebeneinander stehen zu lassen.

Sind Allah und Gott letztlich nicht dasselbe?

Auf eine einfache Form gebracht würde ich sagen: Wir glauben zwar an einen Gott, aber wir beschreiben ihn in unterschiedlicher Weise.

Zur gesellschaftlichen Verantwortung gehört auch, Kinder im Sinne des friedlichen Zusammenlebens zu erziehen. Da hat die Kirche mit ihren vielen Kindertagesstätten ein großes Betätigungsfeld. Wa­rum beharrt die evangelische Kirche darauf, nur christliche Erzieherinnen einzustellen?

Diese Frage wird bei uns kontrovers diskutiert. Einerseits haben wir als Kirche den verständlichen Wunsch, dass in unseren Einrichtungen ein deutliches evangelisches Profil erkennbar ist. Aus meiner Sicht kann das bei einer Kindertagesstätte, in der viele muslimische Kinder sind, aber auch so erfüllt werden, dass man überlegt, ob eine muslimische Erzieherin dem Team und den Kindern gut tun würde. In diesem Sinn denkt die Synode über eine Änderung der Richtlinien nach.

Ihr Vorgänger im Amt, Peter Steinacker, vertrat im Interview mit „Evangelisches Frankfurt“ die Auffassung, dass der Buddhismus für das Christentum eigentlich eine größere Herausforderung darstellt als der Islam. Gerade in Zusammenhang mit dem Besuch des Dalai Lama ist das ein spannendes Thema. Wie sehen Sie das?

Natürlich haben wir so etwas wie einen Markt der Religionen, und darin gibt es viele Mitbewerber. Aber ob man das gewichten kann? Ich glaube, dass jedes religiöse Gespräch dazu führt, das Eigene deutlicher zu erkennen. Da kann man sich durchaus fragen, warum es manche Menschen zum Buddhismus zieht oder andere den Islam attraktiv finden. Ein guter religiöser Dialog gibt beidem Raum: dem gegenseitigen Befragen und dem kritischen Nachfragen an das Eigene.

Und warum ist für Sie das Christentum attraktiv?

Der Glaube, in dem man großgeworden ist, hat eine tiefe, lebensgeschichtliche Verankerung und eine große Prägekraft, sodass man immer mit der eigenen Religion eine höhere Identifikation empfindet als mit einer anderen Religion. Ich schätze am christlichen Glauben sehr, dass der Mensch als Individuum gesehen wird und zugleich auch als gesellschaftliches Wesen. Und dass der Begriff der Freiheit, die in Liebe begründet wird, eine große Rolle spielt. Aber niemand kann in einem absoluten Sinn sagen: Ich kenne die einzige Wahrheit. Sicher, ich habe subjektiv meine Glaubenswahrheit, aber ich gestehe jedem, mit dem ich rede, seine eigene Glaubenswahrheit zu. Auf dieser Ebene können Wahrheitsansprüche dann durchaus auch konkurrieren.

Im Zuge der Finanzkrise ist ja auch die finanzielle Situation der Kirche wieder angespannter. Wie sehen Sie da die Perspektiven für die Zukunft?

Die Evangelische Kirche in Hessen und Nassau hat glücklicherweise in den zurückliegenden Jahrzehnten eine gute Finanzpolitik gemacht. Das heißt, wir haben Rücklagen, die uns in die Lage versetzen, zwei oder drei schwierige Jahre ungefähr auf dem jetzigen Haushaltsniveau durchzuhalten. Dass wir uns perspektivisch auf Zeiten einstellen müssen, in denen uns weniger Finanzkraft zur Verfügung steht, das ist ja längst in unseren Sparbemühungen mit drin. Ich glaube allerdings nicht, dass wir eine Zielperspektive entwickeln können, die bedeutet, dass wir einzelne Arbeitsbereiche völlig brachlegen. Insgesamt werden wir wohl in allen Bereichen kürzen müssen. Aber wir hoffen natürlich sehr, dass die Krise überwunden werden kann und es dann auch wieder einmal in eine andere Richtung geht.

Interview: Antje Schrupp und Kurt-Helmuth Eimuth

Zukunftsstiftung sorgt vor

Evangelisches Frankfurt Mai 2009

Zukunftsstiftung sorgt vor
Evangelische Kirche will innovative Projekte entwickeln

Eine gute Haushälterin sorgt vor. In diesem Sinne ist auch die „Evangelische Zukunftsstiftung Frankfurt am Main“ zu verstehen. Auch künftig soll es noch möglich sein, Spielräume für Neues zu haben. „Wir müssen davon ausgehen, dass wir künftig nicht mehr so viel Geld haben werden,“ stellt Pröpstin Gabriele Scherle, die auch die Aufsichtsratsvorsitzende der Stiftung ist, fest. Deshalb hat der Evangelische Regionalverband fünf Millionen Euro in die Stiftung eingebracht, um aus den Erlösen in Zukunft innovative Projekte fördern zu können. Im Gegensatz zu Vereinsmitteln oder Kirchensteuern kann bei einer Stiftung nur der Zins verbraucht werden. Das Stiftungskapital bleibt unberührt.

Pfarrerin Esther Gebhardt als Vorstandsvorsitzende und Pröpstin Gabriele Scherle als Aufsichtsratsvorsitzende bei der Gründung der neuen evangelischen „Zukunftsstiftung“ im Limpurgsaal des Römers mit Stadtkämmerer Uwe Becker - von links nach rechts. | Foto: Rolf Oeser

Pfarrerin Esther Gebhardt als Vorstandsvorsitzende und Pröpstin Gabriele Scherle als Aufsichtsratsvorsitzende bei der Gründung der neuen evangelischen „Zukunftsstiftung“ im Limpurgsaal des Römers mit Stadtkämmerer Uwe Becker – von links nach rechts.
Foto: Rolf Oeser

Derzeit entwickelt man noch Projektmöglichkeiten. „Es geht um Projekte, nicht um langfristige Arbeit“, betont Scherle. Die Pröpstin denkt dabei an so unterschiedliche Dinge wie die Förderung von Ausstellungen, an spezielle Hilfestellungen für Familien, an kirchenmusikalische Projekte, an Stipendien oder auch an die Förderung der Verbreitung einer evangelischen Wirtschaftsethik. Die Satzung weist noch auf die Stärkung der kirchlichen Beratungs- und Bildungsarbeit sowie auf den interreligiösen und interkulturellen Dialog hin.

Zur Unterstützung für dieses Vorhaben hat man einen Vertreter aus der Politik und eine Vertreterin aus der Publizistik gewonnen. Ex-Kämmerer Horst Hemzal gehört ebenso zum Vorstand wie die stellvertretende Chefredakteurin der Zeitschrift Chrismon, Ursula Ott. Vorstandsvorsitzende der Stiftung ist Pfarrerin Esther Gebhardt, die diese Funktion auch im Evangelischen Regionalverband bekleidet.

Kurt-Helmuth Eimuth

Frankfurt ohne Glamour

Evangelisches Frankfurt April 2009

Frankfurt ohne Glamour
Uneinigkeit bei Diskussion über „der Stadt Bestes“

Die Kontroverse kam aus dem Publikum. Theatermacher Willy Praml bezeichnete das neue Einkaufszentrum „MyZeil“ als „Moloch“ und fragte, wer so etwas eigentlich gewollt habe. Dem entgegnete der ebenfalls im Publikum anwesende Stadtrat Christof Warnke, es sei der Baudezernent Martin Wentz gewesen, der dieses Projekt gewollt habe.

„Suchet der Stadt Bestes“ – dieser Aufforderung aus dem Buch des Propheten Jesaja fühlt sich die evangelische Kirche in Frankfurt verpflichtet. In den 1970er und 1980er Jahren, als die Hochhausbauten im Westend in die Höhe schossen und später dann das neue Wohnquartier Am Bügel entstand, diskutierte sie mit und etablierte zum Beispiel Gemeinwesenarbeit im neuen Stadtteil. Diese Tradition nahm nun die Evangelische Stadtakademie wieder auf. Pfarrerin Esther Gebhardt, Vorsitzende des Vorstandes des Evangelischen Regionalverbandes, beschrieb die biblischen Bezüge. Neben dem eingangs zitierten Jesaja-Wort führte sie den Turmbau zu Babel und vor allem Jerusalem an. Schließlich ende die Bibel auch mit einer Vision vom „himmlischen Jerusalem“.

Frankfurt dagegen ist „ganz irdisch“, wie die Diskussion auf dem Podium zeigte: „Es ist eine Stadt der Gegensätze, auf kleinem Raum, ohne Glamour“, konstatierte die Stadtsoziologin Marianne Rodenstein. Dies ist allerdings für den Chef des Diakonischen Werks in Hessen und Nassau, Wolfgang Gern, zu wenig. Er erinnerte da­ran, dass jedes fünfte Kind in dieser Stadt arm sei und fragte: „Wie geht es den Alten, den Migranten?“ Rodenstein stimmte dieser Analyse zu. Bis vor dreißig Jahren seien die Städte als Job-Maschinen gesehen worden, heute brauchten sie als Kitt das bürgerschaftliche Engagement. Zudem forderte die Soziologin billigen Wohnraum und von der Kirche ein entschiedenes Eintreten gegen den Lärm.

Für Christof Warnke hingegen, der nicht nur Stadtrat, sondern auch Pfarrer im Ruhestand ist, gehören auch Autos und der Flughafen zum „Besten“ der Stadt. „Ist es nicht auch ein Stück Lebensqualität, wenn wir in einer halben Stunde am Flughafen sind?“ Esther Gebhardt wollte da doch die Perspektive grundsätzlich geändert wissen. „Unser Lebensstandard ist global gesehen eine Katastrophe.“ Dieser Forderung konnten an diesem Abend alle zustimmen. Aber wenn es konkret wurde, gingen die Meinungen auseinander.

Kurt-Helmuth Eimuth