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Margot Käßmann über Geschwister in der Bibel

von Kurt-Helmuth Eimuth 12. Juli 2019

Mit ihrem neuen Buch ist Margot Käßmann ein ungewöhnlicher Blick auf die Heilige Schrift gelungen: Von Geschwisterbeziehungen auszugehen eröffnet eine Perspektive, die wir tagtäglich erleben und gerade deshalb kaum wahrnehmen.

Margot Käßmann: Geschwister der Bibel. Geschichten über Zwist und Liebe. Herder Verlag 2019, 176 Seiten, 16 Euro.
Margot Käßmann: Geschwister der Bibel. Geschichten über Zwist und Liebe. Herder Verlag 2019, 176 Seiten, 16 Euro.

Beziehungen sind für Menschen überlebensnotwendig. Freundinnen und Freunde kommen und gehen, Partner und Partnerinnen auch, und in der Regel überleben Kinder ihre Eltern. Die Beziehung, die im Verlauf des Lebens am Längsten besteht, ist die zu den Geschwistern.

„Da gibt es große Liebe zueinander und große Konkurrenz, Solidarität und Abgrenzung, Zusammengehörigkeitsgefühl und Auseinandersetzung“, schreibt Margot Käßmann in ihrem Vorwort. Offenbar war dies auch schon zu biblischen Zeiten so.

Allerdings waren damals die gesellschaftlichen Umstände anders. Der Wert einer Frau wurde an der Zahl ihrer Geburten (von Jungen) gemessen, Intimsphäre kam im engen Zelt kaum auf. Käßmann erzählt die alten Geschichten spannend aus heutiger Perspektive. Zum Beispiel den Streit zwischen Jakob und Esau um das Erstgeburtsrecht. Die beiden waren Zwillinge. Was bedeutete es damals für ihre Mutter Rebekka, zwei Kinder gleichzeitig zu bekommen? Anders als heute konnte sie das ja vor der Geburt nicht wissen.

Und dann bevorzugt die Mutter einen der Brüder. Für Margot Käßmann ist das nicht nachvollziehbar: „Ein Kind zum Liebling zu erklären, wird immer den Familienfrieden stören.“ Und dann eines Tages begegnen sich die Brüder wieder. Käßmann, die selbst Mutter von Zwillingen ist, vermutet, dass die Bindung der Brüder trotz allem stark war. Sie hätten gewiss oft aneinander gedacht oder voneinander geträumt. Obgleich Jakob Esau betrogen hat, liegen sie sich in den Armen. „Was für eine wunderbare Geschichte von Versöhnung ohne viel Worte, von Versöhnung, die es in Familien nach aller Auseinandersetzung und allem Streit eben auch geben kann.“

In vielen der auf wenigen Seiten beschriebenen Geschwisterbeziehungen werden Verhältnisse deutlich, die uns zunächst fremd zu sein scheinen. Doch auf dem zweiten Blick kennen wir die Probleme auch: Leihmutterschaft, die Sehnsucht nach „eigenen“ Kindern, sexuelle Gewalt. In der Bibel werden diese Probleme häufig sehr direkt, geradezu brutal erzählt. Etwa wenn Lot seine sexuell noch unerfahrenen Töchter an einen Männermob herausgeben will. Später machen dieselben Töchter ihren Vater betrunken und bringen ihn dazu, sie zu schwängern.

Margot Kässmann ist überzeugt, dass hier in Wahrheit ein klassischer Fall von häuslicher Vergewaltigung erzählt wird. „Inzest galt auch in jenen Zeiten als Tabu. Also wird erklärt: Sie haben den armen betrunkenen Vater verführt.“ Für Käßmann ist das einzig Tröstliche an dieser furchtbaren Geschichte, dass die Schwestern nicht alleine sind. Sie haben einander, und sie hatten die Kraft, ihre Söhne groß zu ziehen.

Das Buch lässt die biblischen Familienbanden, die Verzwickungen und Verflechtungen, die Abhängigkeiten und die Zuneigungen, die Sanftheit und Brutalität biblischer Geschichten vor den Augen des Lesers und der Leserin entstehen. Es liest sich Spannend wie ein Krimi, und man bekommt Lust, mehr zu erfahren. Eine empfehlenswerte Lektüre, die einen neuen Blick auf die biblische Überlieferung eröffnet.

Margot Käßmann in der Paulskirche am 3. September 2019 Foto: Kurt-Helmuth Eimuth

Vorwärts gelebt, rückwärts verstanden

Abschied von Steinperf

Obgleich Frankfurter kam ich 1978 in eine hessische Gegend, die mir bisher verborgen geblieben war. Ich erinnere mich noch genau. Meine damalige Freundin zeigte mir wie die Kurven sportlich zu fahren waren und ich staunte in den Sitz des Audi 50 gepresst über eine Landschaft, die mich an Österreich mit seinen Wiesen und Wäldern erinnerte. Nur die Berge waren niedriger. Und dann die Sprache. Ich lernte, dass es nicht einfach nur Hessisch gibt. Der Sprachraum in Mittelhessen, im hessischen Hinterland, ist ein ganz eigener. Die ersten drei Tage verstand ich wenig bis nichts.

Doch im Laufe der Jahrzehnte habe ich mich eingehört, verstehe 98 Prozent, Platt schwätzen heute auch nur noch die alten Leute, zu denen meine Generation gehört. Das Leben im kleinen Dorf Steinperf im Altkreis Biedenkopf habe ich lieben und schätzen gelernt. Und nun gilt es Abschied zu nehmen. Die Schwiegereltern sind lange verstorben und auch wir können das Haus, das wir zwischenzeitlich für uns ausgebaut haben, nicht mehr nutzen. Es ist nicht barrierefrei und nur mit hohem Aufwand umzubauen. Ein Ausschlusskriterium, da meine Frau, jene Dame, die mich so flott ins Hinterland beförderte, seit vier Jahren auf den Rollstuhl angewiesen ist.

Hinzu kommt die medizinische Versorgung auf dem Land. Die Arztpraxen in den umliegenden Dörfern schließen nach und nach. Der öffentliche Nahverkehr findet praktisch nicht statt und von schnellem Internet darf man träumen. Alles Argumente, die uns schon vor vielen Jahren von unserem ursprünglichen Plan, im Ruhestand ganz aufs Land zu ziehen, abbrachten. Und noch eines sollten die bedenken, die für die Rahmenbedingungen unseres Zusammenlebens verantwortlich sind. Immer nur neue Wohnungen zu bauen, obgleich die Bevölkerung schrumpft, kann nicht die einzige Antwort sein. Auch im Hinterland, gut einhundert Kilometer von Frankfurt entfernt, stehen in jedem Dorf zehn Häuser leer. Für eine Drei-Zimmer-Wohnung in Frankfurt bekommt man dort fünf Häuser. Die Mieten liegen entsprechend weit unter dem, was in Frankfurt eine geförderte Wohnung kostet. Die Förderung des ländlichen Raums hätte mindestens so viel Aufmerksamkeit verdient wie die explodierenden Mieten in den Ballungszentren.

Aber wir können nicht mehr so lange warten bis die Politik den Trend wendet. Das Haus muss geräumt werden. Jedes Buch, jeder Schrank hat seine Geschichte. So wie das Gebäude selbst. Meine Schwiegermutter hatte es per Los zugesprochen bekommen. So wie man sich das vorstellt: Mit langen und kurzen Streichhölzern. Sie zog das Lange und ihre Brüder hatten das Nachsehen. Das 1900 erbaute Fachwerkhaus fiel ihr zu und die Brüder mussten ausgezahlt werden. Das war Anfang der 50er Jahre des letzten Jahrhunderts. Ein Drittel des Hauses war Scheune, im Keller war ein kleiner Stall in dem eine Kuh gehalten wurde. Gemeinsam mit der Bewirtschaftung eines Ackers und eines Gartens trug diese Mini-Nebenerwerbs-landwirtschaft erheblich zum Unterhalt der Familie bei. Auch ich Stadtkind half dann später bei der Kartoffelernte und durfte auch mal Traktor fahren. Schönes Landleben, wenn auch der Rücken schmerzte.

Vor diesem Hintergrund kann man den Stolz nachvollziehen, wenn die Schwiegermutter vom Kauf des Küchenbuffet erzählt. Lange hatten sie sparen müssen. Der Dorfschreiner hat es in Handarbeit hergestellt. Die Schütten für Mehl und Zucker sind noch vorhanden. Dank der liebevollen Behandlung mit Möbelpolitur ist der Schrank noch gut erhalten. Längst ist er in den Keller gewandert. Fristete dort ein vernachlässigtes Dasein, wurde zweckentfremdet zur Aufbewahrung von Bastelmaterialien und ja, nicht verbrauchte Spielzeugeisenbahnutensilien hatte ich dort gelagert. Jetzt muss auch dieser Schrank entsorgt werden. Gut, dass die Schwiegermutter dies nicht mehr miterlebt.

Ein Freund kam während des Räumens vorbei und meinte. Auch er müsse mal mit seiner Frau das Haus räumen. Schließlich könne man das nicht den Kindern überlassen. Aber vom Gefühl könne er sich nicht vorstellen, alles wegzuwerfen. Mein Rat: „Tu dir das nicht an. Vererbe etwas Geld mit dem die Kinder den Entrümpler bezahlen können. Dann ist alles gut.“

Verschwiegen habe ich, dass das Wegwerfen nicht das Problem ist. Das Aussortieren ist das Problem. Welche Erinnerungsstücke möchte ich noch behalten. Wo habe ich Erinnerungen, was hat für mich einen ideellen Wert? Klar, Fotos wirft man nicht weg. Die Fotoalben finden sicher irgendwo einen neuen Platz. Auch die kleine Plastiktüte mit Bildern aus dem Krieg, die noch im Wohnzimmerschrank lag. Mein Schwiegervater stolz in Uniform. Er, den ich nur als eingefleischten Sozialdemokraten kannte. Brief-markengroße Bilder von fremden Landschaften, vermutlich Frankreich. Und Gruppenbilder wie wir sie heute auch machen. Nur eben eine Gruppe Soldaten. Auch das alte Soldbuch fand sich noch. Mit deutscher Gründlichkeit ist alles festgehalten, etwa auch ob Feldmütze, Drillichzeug, Unterhose oder Mantel an den Gefreiten ausgegeben wurde. Genau Buch geführt wurde auch über das Aushändigen einer Gasmaske. Und schließlich die Eintragungen des Lazaretts im Jahre 1944. Wie so viele seiner Generation sprach auch mein Schwiegervater nicht über seine Kriegserlebnisse. Wir hatten es gelegentlich versucht. Lungensteckschuss, Lazarett, Kriegsgefangen-schaft. Alles kein Zuckerschlecken. Viele Fragen bleiben unbeantwortet. Und dann nach dem Krieg Schleifarbeiten im Metallgewerbe. Ergebnis Staublunge. Bei allem, was die EU kritikwürdig macht, sind über sieben Jahrzehnte Frieden ein Geschenk für unsere Generation.

Zu den schöneren Funden gehört ein grauer Karton mit Briefen. Vor allem die Glückwünsche zu unserer Hochzeit vor 38 Jahren, aber auch einige Briefe, die wir uns geschrieben haben. Vergessen, verstaut im Trempel des Dachgeschosses. Viele, von denen, die uns gratulierten, sind nicht mehr unter uns. Es gilt der Satz von Sören Kierkegaard: „Das Leben wird vorwärts gelebt und rückwärts verstanden.“

Jeder Haushalt hat Geschirr. Die beiden Haushalte, unserer und der der Schwiegereltern, hatten unvorstellbare Mengen von Geschirr. Schließlich brauchte man auch für Geburtstagsfeiern jede Menge. Normale Geburtstage, keine Runden. Da wurde schon drei Tage vorher mit dem Backen begonnen, Tische und Stühle wurden herbeigeschleppt, das Wohnzimmer umgeräumt. Meine ungläubige Frage, wer denn alles eingeladen sei, entgegnete man mit einem unverständlichen Schweigen. Also schleppte ich mit, deckte Tische. So dreißig Personen waren unterzubringen. Und tatsächlich. Pünktlich um 15 Uhr war das Wohnzimmer mit Nachbarn, Freundinnen und Freunde und Verwandtschaft gefüllt. Auf jedem Tisch standen drei Torten und den Kaffee durften wir Kinder einschenken. Bedienung gehörte dazu. Kein Wunder also, dass hier Ess- und Kaffeeservices jeweils für 18 Personen in den Schränken gestapelt waren. Hinzu die zahllosen Kuchenplatten aus Bleikristall oder auch einfach Tupper für den Transport, denn schließlich bekam jede Familie noch etwas vom Geburtstagskuchen mit nach Hause.

Jetzt will niemand das Geschirr mehr haben. Selbst auf eBay erzielt es keine nennenswerte Nachfrage mehr. Man merkt, wir sind die Generation der Erben. Demografischer Wandel einmal ganz praktisch. So bleibt für Vieles nur noch der Restmüllcontainer.

Nachbarschaft ist auf den Dörfern etwas Besonderes. Es sind nicht nur Nachbarn, die sich Jahrzehnte kennen. Sondern auch die Generation davor und die Generation danach leben in der Dorfgemeinschaft. Man besucht sich, nimmt Anteil und übt natürlich auch soziale Kontrolle aus. „Du musst die Vorhänge waschen, man spricht schon darüber“, war der in einem Brief gefundene Ratschlag meiner Schwiegermutter.

Damit doch noch etwas Nachhaltigkeit erzielt wird, haben wir einen Hausflohmarkt veranstaltet. Mit mäßigem Erfolg. Auch da zeigt sich das Landleben negativ. Vieles hätte in Frankfurt seinen Abnehmer gefunden, doch wer will schon für gebrauchte Möbel, Geschirr und Haushaltsutensilien viele Kilometer fahren? Und die Zeitgenossen, die dann anrufen und fragen, ob man die geschenkte Couch nicht doch vorbeibringen könne, sind leider gar nicht so selten. Die, die flehentlich um die Reservierung des Tisches oder der Bank gebeten haben, erscheinen dann häufig nicht. Verbindlichkeit fehl am Platze.

Zu den ideellen Werten gehören immer Dinge, die selbst hergestellt wurden. Da sind die Intarsienarbeiten des Schwiegervaters, ob als Bild oder als Verschönerung der Möbeltüren. Oder die Kommode, die er für seine Enkelin in der Tradition naiver Bauernmalerei gestaltet hat. Natürlich werden solche Objekte sorgfältig verpackt und eingelagert. Auch die alte Bandonika, eine Art Akkordeon, gehört dazu. Überhaupt war der Schwiegervater ein begabter Künstler. Musik und Malerei waren seine Passion.

Bücher sind der Schreck eines jeden Möbelträgers. Wohin? Und warum nicht aufheben? Diesen Krimi wollte auch ich noch lesen und der Band über Masuren diente immerhin zur Vorbereitung einer wunderbaren Fahrradtour. Und was mache ich mit den Fachbüchern? Brauche ich sie trotz Internet nicht doch noch einmal zum Nachschlagen? Es hilft nichts. Für die allermeisten bleibt nur die Papiertonne.

Und wie überall wurde am Haus ständig gewerkelt. Den Einbau einer Zentralheizung, den Bau eines Zimmers in die Scheune, den Bau einer Garage waren die kleinen Projekte. Beim Bau der Garage konnte ich dem 1991 verstorbenen Schwiegervater helfen. Ob Maurerkellen oder Zollstocksammlung, alles von Schwiegervater Otto. Immer wieder erschall beim Ausräumen der Ruf: „Oh, das ist noch von Otto“. Schließlich die Frage eines helfenden Freundes: „Wer war denn dieser Otto?“ In der Erinnerung leben wir weiter. Und das ist doch schön.

Kurt-Helmuth Eimuth, Juni 2019

Woher kommen wir? Wohin gehen wir? Darauf haben nur die Religionen eine Antwort.

Die christlichen Kirchen in Deutschland verlieren Mitglieder. Bis zum Jahr 2060 wird sich ihre Zahl voraussichtlich halbieren, wie eine aktuelle Studie der Universität Freiburg ergeben hat. Für Frankfurt und Offenbach heißt das, dass in vierzig Jahren wohl weniger als ein Viertel der Bevölkerung der Kirche angehören wird.

er absehbare Rückgang der Kirchenmitglieder ist nur zum Teil mit der Demografie zu erklären, also damit, dass mehr Kirchenmitglieder sterben als geboren werden. Der Hauptgrund ist, dass sich viele aus der Generation um die Dreißig von der Kirche abwenden: Rund ein Drittel aller Getauften tritt bis zum Alter von 35 Jahren aus.

Der Mitgliederschwund der Kirchen vollzieht sich also im dritten und vierten Lebensjahrzehnt, in der sogenannten „Rushhour“ des Lebens. In der Zeit, in der Menschen ins Erwerbsleben eintreten, die ersten Kirchensteuern zahlen müssen, Familien gründen und Kinder bekommen.

Die heute um die Dreißigjährigen werden in zehn oder fünfzehn Jahren die Entscheidungsträger und -trägerinnen der Gesellschaft sein. Kann die Kirche ihnen dann noch vermitteln, warum ihre besondere Stellung nötig ist? Auf einem Plakat der atheistischen Giordano-Bruno-Stiftung ist eine junge Frau zu sehen, die in einer SMS schreibt: „Hallo Kirche, wir sind seit 100 Jahren getrennt, aber du liegst mir noch auf der Tasche. Es reicht!“ Die Deutsche Bahn lehnte das Anbringen des Plakats mit Verweis auf „fehlende Neutralität“ ab. Ob die Verantwortlichen in zwanzig Jahren noch so entscheiden würden, ist fraglich.

Die Kirchen steuern auf eine Legitimationskrise zu. Sie können ihr nur begegnen, wenn sie die 25- bis 40-Jährigen ansprechen. Kontakt zu dieser Altersgruppe haben sie, zum Beispiel in Kindergärten und Krabbelstuben, aber auch im Religionsunterricht. Dort erreichen sie noch alle Familien, dort sind sie noch Volkskirche.

Die Kirchen müssen ihr Anliegen und eine christliche Haltung aber auch vermitteln. Das bedeutet nicht Mission, sondern Kommunikation. So ist Respekt gegenüber allen Menschen sicher eine gute ethische Haltung, aber ihr Ursprung liegt darin, dass Gott alle Menschen geschaffen hat. Klimaschutz ist überlebensnotwendig, aber er begründet sich christlich in der Bewahrung der Schöpfung. Die Kirchen sind von der Überzeugung geprägt, dass der Mensch nicht zerstören darf, was Gott geschaffen hat. Das gilt im Umgang miteinander ebenso wie im Umgang mit der Umwelt. Man darf ruhig etwas von dem Geist Gottes im Alltag spüren. Denn nur die Religionen haben eine Antwort auf die Frage, woher der Mensch kommt und wohin er geht.

Ihrer Legitimationskrise können die Kirchen nur mit Offenheit und dem Hinweis auf ihr Fundament begegnen.

Kurt-Helmuth Eimuth, 3.6.2019

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In hundert Geschichten heiter durchs Jenseits

Fabian Vogt stellt hundert Beispiele vor, wie verschiedene Kulturen und Religionen sich das Leben nach dem Tod vorstellen.
Was kommt nach dem Tod? Der Schriftsteller und Theologe Fabian Vogt lädt ein zu einem Ritt durch die Jenseitsvorstellungen zahlreicher Kulturen und Religionen. „100 Dinge, die du nach dem Tod auf keinen Fall verpassen solltest“ heißt sein Buch; vielfältig, verblüffend, hoffnungsvoll und gelegentlich auch irritierend sind die darin beschriebenen Bilder.

Dazu gehören neben den bekannteren Vorstellungen der großen Religionen oder auch der Literatur (von Dante bis Tolkien) auch weithin unbekannte Mythen. So müssen in der buddhistischen Tradition Japans die Toten einen Fluss überqueren – die Guten dürfen über eine Brücke gehen, die nicht ganz so Guten benutzen eine Furt, und die „verkommenen Gestalten“ müssen schwimmen. Die nassen Kleider werden an einen Baum gehängt. Das Gewicht der nassen Kleider zeigt die Sündhaftigkeit der Seele an. „Je tiefer der Ast, desto verdorbener der Charakter.“

Die Azteken schicken die Seelen in drei Paradiese: Eines für diejenigen, die sich nichts zu Schulden haben kommen lassen, aber sich auch nicht angestrengt haben, das zweite für alle, die sich für das Gute engagiert haben, und das dritte für die, die ihr Leben lang nach Erleuchtung und Weisheit gesucht haben.

Auf je zwei Buchseiten beschreibt Fabian Vogt insgesamt 100 Jenseitsvorstellungen. Er sieht in ihnen vor allem eine Auseinandersetzung mit den Fragen des Diesseits. Ein religionswissenschaftlich anspruchsvolles Buch, das sich trotzdem leicht liest, weil es gelassen und heiter mit diesem schwierigen Thema umgeht.

Der Fall Sylvia D. zeigt: Sekten sind immer noch ein Problem

von Kurt-Helmuth Eimuth 22. Mai 2019

Mitten in Hessen tummelt sich seit drei Jahrzehnten eine sektenähnliche Gruppe, jetzt endlich soll ein fürchterlicher Vorfall aus dem Jahre 1988 geklärt werden: Ein vierjähriger Junge starb damals. Der Fall erinnert daran, dass Extremismus in kleinen religiösen Gruppierungen nach wie vor ein Problem ist.

Kurt-Helmuth Eimuth ist Mitglied in der Redaktion des EFO-Magazins.  |  Foto: Tamara Jung
Kurt-Helmuth Eimuth ist Mitglied in der Redaktion des EFO-Magazins. | Foto: Tamara Jung

Das Landgericht Hanau hat nun eine vor zwei Jahren erhobene Anklage gegen die heute 71 Jahre alte Anführerin der Sekte, Sylvia D., wegen Mordes vor über 30 Jahren zugelassen. Nach langem Hin und Her und wohl auch nach zahlreichen Versäumnissen bei den Ermittlungen wird nun also ein Prozess feststellen, ob der Tod des vierjährigen Jan im Jahr 1988 Mord war. Gut so!

Nach Aussage eines ehemaligen Mitgliedes soll Sektenführerin Sylvia D. nach Jans Tod davon gesprochen haben, dass der Junge von Gott „geholt“ worden sei, denn er sei vom „Bösen“, von der „schwarzen Kerze“ und „den Dunklen“ besessen gewesen. Der Vierjährige sei auch als „Reinkarnation Hitlers“ bezeichnet worden. Laut Anklage sei das Kind damals in einen Leinensack eingeschnürt und im Bad sich selbst überlassen worden, obgleich man die Schreie gehört habe. Der Aussteiger schildert die Gruppe als totalitäres System. D. habe völlige Kontrolle ausgeübt und tiefe Ängste bei den Mitgliedern ausgelöst, etwa mit Drohungen, wer ihr nicht folge, bekomme Krebs. Die Gruppe wurde Anfang der 1980er Jahre gegründet, und D. war die zentrale Figur. Die Angeklagte behauptet, von Gott Befehle zu erhalten, die die anderen Mitglieder befolgen müssen. Die Gruppe hat 15 Mitglieder.

Totalitäre Organisationen gibt es in allen Religionen, und religiösen Extremismus in allen Gesellschaften. Religiöse Eiferer bedienen sich dabei gerne an Versatzstücken aus den Weltreligionen, gleich ob Christentum, Islam oder Judentum. Auch im Umfeld von Buddhismus und Hinduismus gibt es Fanatismus und Extremismus.

Es ist gut, dass seit einigen Jahren auf extremistische Tendenzen im Islam geschaut wird. Aber wir sollten darüber nicht vergessen, dass eine solche Gefahr nicht nur dort besteht. Die Debatte der 1980er und 1990er Jahre um Sekten sollte in Erinnerung bleiben, zum Beispiel der Massenselbstmord in Guyana mit über 900 Toten oder auch die Waffengewalt im Umfeld von Bhagwan in den USA. Auch heute sind Sekten in Deutschland weiter aktiv, zum Beispiel der Psychokonzern Scientology. Aufklärung ist also nach wie vor von Nöten.

Der beste Schutz vor totalitären Bewegungen ist es, wenn Menschen in ihrer Familie und in ihrem Umfeld Zuwendung, Sicherheit und Geborgenheit finden. Das schützt übrigens auch vor politischem Extremismus. In Wahrheit sucht nämlich kein Mensch irgendeine krude Dogmatik, sondern was gesucht wird, das ist die Geborgenheit in einer Gruppe, das Gefühl der Zugehörigkeit. Das Problem des Extremismus ist im Vorfeld letztlich ein Problem des Mangels an emotionaler Geborgenheit.

Wenn aber eine Sekte existiert, dann muss sie mit Überzeugungskraft bekämpft werden. Und es ist keine Frage: Bei Straftaten muss die Justiz eingreifen. In diesem Fall ist es der jahrelangen, zähen Aufklärungsarbeit der Frankfurter Rundschau zu verdanken, dass nun in Hanau der Versuch der Aufklärung unternommen wird. Man darf gespannt sein, was dieser Prozess noch alles zu Tage fördert.

Mitgliederrückgang der Kirchen: Rückzug ist keine Lösung

von Kurt-Helmuth Eimuth 8. Mai 2019

Gewusst hat man es schon länger, jetzt gibt es auch die Zahlen dazu: Auf mittlere Sicht wird nur noch eine Minderheit der Menschen in Deutschland Mitglied in einer christlichen Kirche sein. Sich nun in eine fromme Innerlichkeit zurückzuziehen, wäre allerdings der falsche Schritt, warnt Kirchenpräsident Volker Jung ganz zu recht.

Kurt-Helmuth Eimuth ist Mitglied in der Redaktion des EFO-Magazins.  |  Foto: Tamara Jung
Kurt-Helmuth Eimuth ist Mitglied in der Redaktion des EFO-Magazins. | Foto: Tamara Jung

Zahlen können brutal sein, zumindest schonungslos. Die jetzt veröffentlichte Studie zur Mitgliederentwicklung der beiden großen christlichen Kirchen sind es. Bis 2060 werden die Kirchen nur noch die Hälfte des heutigen Mitgliederstandes haben. Ursache ist nach einer Studie des Forschungszentrums Generationenverträge (FZG) der Freiburger Universität zum einen der demografische Wandel – um 21 Prozent wird die Zahl der Evangelischen sich deshalb reduzieren. Weitere 30 Prozent sind auf die sinkende Zahl der Taufen und eine Zunahme der Austritte zurückzuführen.

Der Kirchenpräsident der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau, Volker Jung, setzt daher auf Kommunikation. Die unersetzbare direkte Kommunikation von Mensch zu Mensch müsse mit der medialen und digitalen Kommunikation verbunden werden, äußerte Jung gegenüber dem Evangelischen Pressedienst. „Der Rückzug in eine fromme Innerlichkeit oder ein gemeindliches Vereinsleben ist für mich keine Option“, sagte Jung.

Kommunikation, auch mediale Kommunikation, ist sicher eine Basis und eine Grundvoraussetzung in einer modernen Gesellschaft. Doch braucht der Glauben Menschen. Menschen, die Vorbild sind. Menschen, die Fragen haben und Fragen beantworten. Menschen, die aus ihrem Glauben heraus eine Haltung entwickeln. Es ist eben etwas anderes, ob ich die Natur schützen will, oder ob ich Gottes Schöpfung bewahren will. Es ist ein Unterschied, ob ich jeden Menschen respektiere, oder ob ich jeden Menschen als Geschöpf Gottes sehe.

Haltung und Werte vermitteln Menschen von Generation zu Generation. Oder besser eigentlich: Von einer Generation zur übernächsten Generation. Ganz wesentlich sind dabei nämlich die Großeltern. Oft sind sie es, die den Kindern Fragen nach Leben und Tod beantworten. Die Familie ist traditionell der Ort, an dem religiöse Sozialisation stattfindet. Doch viele Traditionen sind schon lange abgebrochen. Entweder weil die Großeltern in einer Patchworkfamilie nicht mehr vorkommen oder weil zunehmende Mobilität den familiären Kontakt einschränkt.

Machen wir uns nichts vor: Die Kirche als Institution wird diesen Traditionsabbruch nicht kompensieren können. Sie kann aber dort, wo sie Kontakt zu Menschen hat, glaubhaft agieren. Kindertagesstätten und Religionsunterricht sind wichtige Orte, an denen die Kirche präsent sein und ihre Werte vermitteln kann, auch wenn das keine Orte für die Mission sind.

Die Kommunikation mit dem Evangelium braucht aber nicht nur Orte, sie braucht auch Emotionen. Der Musik kommt hier eine besondere Bedeutung zu. Das Angebot zum Mitsingen von Weihnachtsliedern füllt inzwischen Fußballstadien.

Auch wenn die Mitgliederzahlen einbrechen, wird die Kirche als Minderheitenkirche weiter bestehen und hoffentlich auch Kirche für andere bleiben. Ein Wachsen gegen den Trend wird es nicht geben. Doch es wird auch 2060 Menschen geben, die glaubhaft ihren Glauben leben.

Pflegekrise: Das eine Patentrezept zu ihrer Lösung gibt es nicht

von Kurt-Helmuth Eimuth 16. April 2019

„Von einer Gesellschaft in Sorge zu einer sorgenden Gemeinschaft“ war der Titel eines Studientags zum Thema Pflege in der Evangelischen Akademie Frankfurt. Dabei wollte man vor allem Perspektiven für die Pflege aufzeigen, sagte Martin Niederauer von der Diakonie Hessen. Der derzeitige Diskurs, der sich vor allem auf Personal und Geld konzentriere, zeige die qualitativen und ethischen Folgen der Krise in der Pflege auf.

Die stellvertretende Kirchenpräsidentin Ulrike Scherf (links) beim "Pflegetag" in der Evangelischen Akademie neben der Fernsehjournalistin Constanze Angermann, die die Diakonie als Pflegebotschafterin unterstützt. | Foto: Kurt-Helmuth Eimuth
Die stellvertretende Kirchenpräsidentin Ulrike Scherf (links) beim „Pflegetag“ in der Evangelischen Akademie neben der Fernsehjournalistin Constanze Angermann, die die Diakonie als Pflegebotschafterin unterstützt. | Foto: Kurt-Helmuth Eimuth

„Von einer Gesellschaft in Sorge zu einer sorgenden Gemeinschaft“ war der Titel eines Studientags zum Thema Pflege in der Evangelischen Akademie Frankfurt. Dabei wollte man vor allem Perspektiven für die Pflege aufzeigen, sagte Martin Niederauer von der Diakonie Hessen. Der derzeitige Diskurs, der sich vor allem auf Personal und Geld konzentriere, zeige die qualitativen und ethischen Folgen der Krise in der Pflege auf.

Gudrun Born pflegte ihren Mann 17 Jahre lang. „Die Situation ist plötzlich da, man übernimmt die Pflege ohne zu wissen, was auf einen zukommt.“ Pflegende Angehörige hätten keine Zeit zur Trauer, denn sie müssen funktionieren und der Erkrankte soll ja schließlich ermuntert werden. „Sie dürfen als Angehöriger nicht weinen“, berichtet Born. Die Pflegenden würden „gnadenlos ausgenutzt“.

Die stellvertretende Kirchenpräsidentin der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau Ulrike Scherf betonte, dass die Gewinnung von Fachkräften das Problem nicht lösen würde. Die Sorge-Arbeit hätte eine eher geringe Anerkennung. Doch leisteten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auch in Kirche und Diakonie sowie pflegende Angehörige hier Großartiges. Scherf plädierte für eine Ethik der Achtsamkeit. Dabei gelte es auch achtsam gegenüber sich selbst zu sein. Das biblische Gebot der Nächstenliebe beinhalte auch diese beiden Aspekte: achtsam gegenüber dem Nächsten und gegenüber sich selbst.

Doch um Perspektiven entwickeln zu können, muss es eine Bestandsaufnahme geben. Für Jens-Peter Kruse, Vorsitzender der Evangelischen Arbeitsgemeinschaft für Altenarbeit in der Evangelischen Kirche Deutschlands, steht fest: „Ein Weiter-So wird nicht möglich sein.“ In Zukunft werde jeder und jede vom Thema Pflege berührt werden, denn es wachse nicht nur der Anteil der Pflegebedürftigen aufgrund der demographischen Entwicklung. Gleichzeitig steige die Zahl der Berufstätigen. 76 Prozent würden in der Familie versorgt, davon fünfzig Prozent ohne professionelle Unterstützung durch einen Pflegedienst. „Damit ist die Familie der größte Pflegedienst in Deutschland“, so die Soziologin Tine Haubner von der Universität Jena.

Kruse plädierte für eine Stärkung lokaler Strukturen und nachbarschaftlichen Engagements, weil einheitliche, zentrale Lösungen den jeweiligen Verhältnissen vor Ort nicht gerecht würden. „Soziale Netzwerke in den Kommunen sind gefragt.“ Diese Hilfesysteme müssten gut auf einander abgestimmt sein. „Wir brauchen einen Wohlfahrtsmix“, forderte Kruse. Allerdings sah auch Kruse, dass weder Staat noch Politik Mitmenschlichkeit verordnen können. Der Staat lebe von der moralischen Instanz der Zivilgesellschaft.

Die Entwicklung der Pflege seit Einführung der Pflegeversicherung 1995 beleuchtete Tine Haubner wesentlich kritischer. Schon in ihrer Konzeption reflektiere sie auf den Beitrag pflegender Angehöriger, hier vor allem der Partner und Töchter. Solche familienbasierte Systeme müssten als rückständig bezeichnet werden. Sie basierten auf einer prekär bezahlten Sorge-Arbeit, so die Soziologin.

Die Situation der pflegenden Angehörigen ist gekennzeichnet von Überlastung und gleichzeitig finanziellen Einbußen. Jede zweite Pflegeperson ist zwischen 40 und 64 Jahren und 68 Prozent versuchen Beruf und Pflege zu vereinbaren. Die Mehrheit ist bis zu 40 Stunden in der Woche in die Pflege eingebunden. Die durchschnittliche Pflegedauer beträgt zwischen fünf und acht Jahren. Die Folge sind oftmals Depression, Beziehungsprobleme aber auch körperliche Auswirkungen wie Bluthochdruck oder die Schwächung des Immunsystems sind nachgewiesen.

Ein Patentrezept aus der Pflegekrise wurde auch bei diesem Studientag nicht gefunden. Es zeichnete sich nur klar ab, so Stefan Heuser in seinem Tagungsresümee, dass „Nachbarschaft keine Alternative zur professionellen Hilfe ist.“ Sie ist allenfalls eine Ergänzung. Angehörige plädierten vor allem für eine Vereinfachung der Bürokratie und der Zuständigkeiten. Durch größere Transparenz der Förderungen könnten auch mehr Menschen diese in Anspruch nehmen. Aber das kostet Geld.

Musik verbindet, weckt Gefühle, bestimmt den Takt des Lebens

von Kurt-Helmuth Eimuth 2. April 2019

Kirchenmusik lockt oft mehr Publikum an als Gottesdienste. 67 000 Konzerte finden pro Jahr in deutschen evangelischen Kirchen statt, insgesamt 7,6 Millionen Menschen besuchen sie.

Musik lockt viele Menschen in die Kirchen - hier beim Abendgottesdienst in der Friedenskirche in Offenbach. | Foto: Ilona Surrey
Musik lockt viele Menschen in die Kirchen – hier beim Abendgottesdienst in der Friedenskirche in Offenbach. | Foto: Ilona Surrey

Welche Macht Musik hat, das kann man vor jedem Fußballspiel im Waldstation erleben: „Im Herzen von Europa liegt mein Frankfurt am Main. Die Bundesliga gibt sich hier gar oft ein Stell-Dich-ein.“ So erklingt es aus Tausenden Kehlen. Musik verbindet, Musik stellt Gemeinschaft her.

Musik gehört einfach zu uns. Zu unserem Jahrgang, zu unserer Beziehung, zu unserem Milieu. Eigentlich läuft doch immer Musik. Im Auto, unterwegs mit Kopfhörer oder als Begleitmedium in der Wohnung.

In den 1970er Jahren war die Aufteilung noch einfach: Stones oder Beatles? Heute läuft deren Musik im Altenheim – es ist eben die Musik dieser Generation. Musik steht für ein prägendes Lebensgefühl, das bleibt. Es ist wahr, dass Musik „mehr als Worte“ sagt. Musik drückt Gefühle aus. Trauer. Liebe. Kaum ein Paar, das nicht „sein Lied“ hat. Das Lied zum ersten Tanz, das Lied, das man beim ersten Kuss gehört hat. Musik kann aber auch für politische Ziele eingesetzt werden. In allen Armeen der Welt wird gesungen und musiziert. Marschmusik.

Dass Musik „wirkt“, lässt sich sogar wissenschaftlich nachweisen: Beim Musizieren oder Musikhören werden Endorphine ausgeschüttet, also körpereigene Glückshormone. Erwiesen ist auch, dass Musik das logische Denken fördert. Deshalb ist Musizieren schon im Kindergarten wichtig.

Für die Theologin Margot Käßmann ist die Musik auch „eine der tragenden Säulen evangelischer Spiritualität“. Schon Martin Luther war nicht nur Bibelübersetzer, sondern schrieb auch Lieder, die heute noch gesungen werden. Jedes Jahr finden in Deutschland 67 000 kirchenmusikalische Veranstaltungen in evangelischen Kirchen statt. Sie werden von 7,6 Millionen Menschen besucht – sonntagsmorgens beim Gottesdienst sind die Kirchen oft nicht so voll.

Die Vielfalt christlicher Musik will die Evangelische Kirche in Hessen und Nassau mit ihrer aktuellen „Impulspost“ nahebringen, die allen Kirchenmitgliedern in diesen Wochen in die Briefkästen geschickt wird.

Zeilsheim: Zwei neue Kitas bieten Platz für 140 Kinder

von Kurt-Helmuth Eimuth 20. März 2019

Die evangelische Kirche hat in Zeisheim gebaut. Zwei neue, nahezu baugleiche Kindertagesstätten in Friedenau und Taunusblick wurden jetzt der Öffentlichkeit vorgestellt. Die modulare Bauweise macht sie effizient und ökologisch zugleich. Zusammen haben sie vier Kita- und zwei Krabbelgruppen.

Effizient und ökologisch zugleich: Die neue evangelische Kita in Zeilsheim Friedenau. Die Schwester-Kita in Taunusblick sieht fast genauso aus. | Foto: Ilona Surrey
Effizient und ökologisch zugleich: Die neue evangelische Kita in Zeilsheim Friedenau. Die Schwester-Kita in Taunusblick sieht fast genauso aus. | Foto: Ilona Surrey

Die beiden Einrichtungen sind fast baugleich: Auf jeweils fast 1000 Quadratmetern können gut siebzig Kinder im Alter zwischen einem und sechs Jahren im den beiden neuen Kitas der Kirchengemeinde Zeilsheim spielen, toben, experimentieren, kochen, forschen oder auch einfach schlafen. In der Lenzenbergstraße in Friedenau sind derzeit 74 Kinder untergebracht, in drei Kita- und einer Krabbelgruppe. In der Kita Taunusblick in der Rombergstraße werden 64 Kinder betreut, hier gibt es zwei Kita- und zwei Krabbelgruppen.

Aufgrund der Modulbauweise, die in Zusammenarbeit mit dem Evangelischen Regionalverband entwickelt wurde, konnten die Kitas schnell und wirtschaftlich gebaut werden, ohne an der Qualität zu sparen, wie Architekt Ferdinand Heide ausführte. Diese Bauweise sei effizient und ökologisch zugleich. Auch die Stadt Frankfurt ist von dem Konzept überzeugt, sie hat es inzwischen auch für sechs ihrer eigenen Kitas übernommen.

Pfarrer Ullrich Matthei hob die Bedeutung von Kitas auch für die Kirchengemeinde hervor. „Wir wollen Kindern mit Respekt begegnen und sie lebendig Gemeinschaft erleben lassen.“ Prodekan Holger Kamlah freute sich, dass zahlreiche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Kitas auch privat im Stadtteil verankert sind. „Wir betreuen Kinder unabhängig von ihrer Herkunft“, so Kamlah, „das Besondere an uns ist, dass wir religiös und zugleich offen sind. Wir bringen unseren Glauben mit in die Arbeit ein, aber in religionssensibler Weise.“

Jede der beiden Kitas kostete 2,6 Millionen Euro, wovon die Evangelische Kirche 500.000 Euro an Eigenmittel aufgebracht hat.

„Kinder werden im Trauerprozess oft übersehen“

von Kurt-Helmuth Eimuth 20. März 2019

Auch Kinder erleben Verlust und Trauer. Aber sie werden im Trauerprozess oft übersehen. Gerade wenn zuhause nach einem Todesfall Ausnahmezustand herrscht, sind auch die Kitas gefragt. Hilfreich sind zudem gewohnte Abläufe und Rituale.

Die Fachautorin Margit Franz sprach beim Fachtag für Erzieherinnen und Erzieher in Frankfurt über Trauerbegleitung in Kitas. | Foto: Kurt-Helmuth Eimuth
Die Fachautorin Margit Franz sprach beim Fachtag für Erzieherinnen und Erzieher in Frankfurt über Trauerbegleitung in Kitas. | Foto: Kurt-Helmuth Eimuth

Auch Kinder trauern. Sie sind zum Beispiel mit dem Tod konfrontiert, wenn ein Haustier stirbt oder wenn Großeltern versterben. Kinder müssen Verlust bewältigen, wenn die Eltern sich scheiden lassen oder ein guter Freund wegzieht.

Doch die Trauer von Kindern wird oft übersehen, sagte die Autorin und Pädagogin Margit Franz bei einem Fachtag für Erzieherinnen und Erzieher in Frankfurt. Gerade wenn die Eltern selbst trauern, könnten sie oft nicht die notwendige emotionale Stabilität bieten. Deshalb sei Hilfe bei der Trauerbewältigung auch eine Aufgabe für Kitas.

Aus dem Rhein-Main-Gebiet und ganz Hessen waren 250 Erziehrinnen und Erzieher aus evangelischen und katholischen Kitas ins Frankfurter Dominkanerkloster gekommen, um neue Perspektiven für ihre Arbeit zu bekommen. Franz forderte sie auf, die Trauer der Kinder zuzulassen. Dabei würden Gefühle wie Angst, und Trauer ohne Worte ausgelebt. Kinder trauerten auch spontan und seien dabei aufrichtig ehrlich. „Sie lassen ihren Gefühlen freien Lauf“, so die Referentin. Dabei könne man ihrer Selbstregulation vertrauen: Kinder lassen nur die Gefühle zu, die sie auch verarbeiten können.

In Situationen der Trauer sei es für die Kinder besonders wichtig, dass sie ihren Alltag weiter erleben – das gemeinsame Essen, der gewohnte Besuch der Kita, das abendliche Vorlesen. „Alltägliche Rituale geben den Kindern gerade in Krisen Halt“, sagte Franz. Gerade wenn zuhause Ausnahmezustand herrscht, könne der Kita-Besuch Sicherheit vermitteln.

Wichtig sei auch, dass Erwachsene ihre eigene Trauer nicht verbergen. Es sei gut, die eigenen Gefühle, aber auch die des Kindes in Worte zu fassen. „Kinder erwarten nicht perfekte Antworten, aber ehrliche.“