Tag Archiv für Gethsemane

Ein halbes Jahrhundert Gethsemanekirche im Nordend

von Kurt-Helmuth Eimuth 30. Juni 2020

Vor fünfzig Jahren wurde die Gethsemanekirche im Frankfurter Nordend eingeweiht. Das Konzept mit einem Kirchenraum im ersten Stock und Gemeinderäumen und Büros im Erdgeschoss bewährt sich bis heute. Auch den Glockenturm gibt es noch, aber das war haarscharf: Mitte der 1990er Jahre wäre er beinahe abgerissen worden.

Außergewöhnlich: Der acht Meter hohe Kirchraum im ersten Stock hat fast keine Fenster. | Foto: Rui Camilo
Außergewöhnlich: Der acht Meter hohe Kirchraum im ersten Stock hat fast keine Fenster. | Foto: Rui Camilo

Angesichts aktueller Zahlen zum Mitgliederrückgang der Kirchen mag manchem die Zeit von vor fünfzig Jahren geradezu rosig erscheinen. Doch schon 1970, als die Gethsemanekirche an der Eckenheimer Landstraße im Frankfurter Nordend eingeweiht wurde, mischten sich skeptische Töne in die Feierlichkeiten: „Wie könnte es uns gleichgültig sein, wenn die Öffentlichkeit die Bautätigkeit unserer Gemeinde (und der ganzen Kirche!) zunehmend kritisch beurteilt?“ fragte der damalige Pfarrer Hermann Strohmeier. Und der Hochschullehrer Dieter Stoodt spitzte die Frage in seinem Grußwort zur Einweihung noch einmal zu: „Der Gottesdienst hat zweifellos im Ganzen gesehen an Bedeutung verloren. Viele zweifeln nicht daran, dass er weiterhin an Bedeutung verlieren wird.“

Trotzdem freute sich die junge Gemeinde natürlich über ihre Kirche. Die Gemeinde war 1964 als Ausgründung aus der Petersgemeinde entstanden und hatte damals 6000 Mitglieder. Heute sind es noch 1400. Trotzdem beantwortet auch der heutige Pfarrer Thorsten Peters die Frage nach der Notwendigkeit eines Kirchenbaus ähnlich wie die Vorgängergeneration: „Es braucht einen liturgischen Raum. Ich bejahe, dass es diese Kirche gibt“. Auch wenn heute nur noch drei Prozent der Kirchenmitglieder Gottesdienste besuchen – für Peters sind drei Prozent eine Größe, mit der man gut singen, beten und Abendmahl feiern kann.

Die nach Entwürfen des Architekten Hans-Georg Heimel gebaute Kirche hat so manche Besonderheit. Der Kirchraum liegt im ersten Stock und ist barrierefrei mit einem Aufzug erreichbar. Im Erdgeschoss ist ein Gemeinderaum mit Küche sowie Gemeinde- und Pfarrbüro eingerichtet. Bei einem Umbau im Jahr 2013 wurden diese Räumlichkeiten modernisiert und erweitert. Dort, im Erdgeschoss, findet – wenn nicht gerade Coronakrise ist – auch jeden Sonntag ein Kirchencafé statt. Nach der Abgabe des alten Gemeindehauses wird heute auch die Kirche nicht mehr nur für Gottesdienste, sondern immer stärker auch für Gemeindeveranstaltungen aller Art genutzt.

Der innere Grundriss des Kirchenraums ist fast quadratisch und verfügt über eine Empore. Der Kirchenraum wird von nahezu geschlossenen Wandflächen bestimmt. Tageslicht tritt im Altarbereich indirekt aus der Dachzone ein. Auch Altar, Altarkreuz, Altarleuchter und die Deckenlampen als moderne Kronleuchter wurden nach den Entwürfen von Hans-Georg Heimel gestaltet. Lediglich drei kleine Fenster unter der Empore, seitlich der Kanzel und im Turmbereich mit farbigen Glascollagen setzen noch einen Akzent. Dominiert wird der acht Meter hohe Kirchenraum von den Klinkerwänden und einer stilisierten Dornenkrone über dem Altar. Die Eisenplastik hat Hermann Tomada geschaffen.

Der Turm der Gethsemanekirche ist im Nordend weithin sichtbar. | Foto: Rui Camilo
Der Turm der Gethsemanekirche ist im Nordend weithin sichtbar. | Foto: Rui Camilo

Der gut sichtbare Glockenturm an der Eckenheimer Landstraße verkörpert das, was sich Pfarrer Peters wünscht: Ein Kirchengebäude als „öffentliches Zeichen“. Mitte der 1990er Jahre gab es Überlegungen, den sanierungsbedürftigen Kirchturm abzureißen, doch die Gethsemanegemeinde kämpfte mit dem damaligen Pfarrer Martin Zentgraf erfolgreich für dessen Erhalt und hat dann auch die Sanierung mitfinanziert.

Heute steht die Gemeinde wieder vor einem großen Bauprojekt: Das benachbarte alte Gemeindehaus wird abgerissen, an der Stelle wird ein Investor Wohngebäude errichten sowie neue Räume für den Kindergarten schaffen, der erweitert wird.

Trotz aller vor einem halben Jahrhundert schon bestehenden Skepsis kann Pfarrer Peters garantieren: „Die Kirche ist bis heute in Gebrauch.“ Künftig will man durch eine verstärkte pfarramtliche Zusammenarbeit mit den umliegenden Gemeinden den zurückgehenden Mitgliederzahlen entgegenwirken. An Gemeindefusionen ist allerdings nicht gedacht. Denn die Identität der Gemeinde soll erhalten bleiben, sagt Peters.

Die Kirche wird sich verändern – wahrscheinlich zum Besseren

von Kurt-Helmuth Eimuth 16. April 2020

Die beiden großen Kirchen haben schnell und kreativ auf die Herausforderungen der Corona-Epidemie reagiert. Eine unübersichtliche Lage, „für die es keine Blaupause gab“ (um diese beliebte Formulierung aufzunehmen), setzte kreative Potentiale frei. Das kann eine Chance auch für die Zukunft sein.

Gottesdienst aus der Gethsemanekirche am Bildschirm: Geht auch irgendwie! | Foto: Kurt-Helmuth Eimuth
Gottesdienst aus der Gethsemanekirche am Bildschirm: Geht auch irgendwie! | Foto: Kurt-Helmuth Eimuth

Wer hätte das gedacht: Plötzlich gibt es Andachten und Gottesdienstübertragungen via Internet aus vielen Kirchen. Zu Ostern wurden Tüten an die Mitglieder verteilt, Telefonkonferenzen geschaltet, Gottesdienstmanuskripte in Briefkästen geworfen.

Der Gottesdienst im Gemeindeleben bekommt eine neue Aufwertung, „in dieser Zeit kann viel Neues wachsen“, sagt Pfarrerin Petra Lehwalder, die für die Frankfurter nördlichen Gemeinden Nieder-Erlenbach und Harheim zuständig ist. „Bei uns sehen auch Menschen die Online-Gottesdienste, die nicht zu den üblichen Gottesdienstbesuchern gehören. Den älteren Gemeindegliedern, die mit dem Internet nichts anfangen können, werfe ich den Gottesdienst analog in den Briefkasten und wir verteilen an alle Gemeindemitglieder Briefe mit guten Worten.“

Auch lange Telefonate mit Gemeindemitgliedern sind nicht selten, und oft findet eine Unterhaltung zufällig auf der Straße von Bürgersteig zu Bürgersteig statt – mit Sicherheitsabstand natürlich. Neue Riten wurden erfunden und gerne angenommen, etwa wenn beim täglichen Glockengeläut Kerzen in die Fenster gestellt werden. Hier wächst vielleicht eine neue Kultur. Die Kirche wird von vielen Menschen bewusster und aktiver wahrgenommen. Das Gottesdienstgeschehen rückt dadurch, dass es nicht mehr im Kirchenraum stattfinden kann, stärker in den Mittelpunkt des Gemeindelebens. Ein Paradox.

Und doch, so behaupten manche Kommentatoren, kämen die Kirche stärker unter Druck. Finanziell stimmt das auf jeden Fall, denn das absehbare Wegbrechen von Steuereinnahmen wird auch die Kirchensteuereinnahmen dahinschmelzen lassen wie die Schokolade in der Sonne.

Aber es wird auch Kritik daran laut, wie die Kirche mit der Krise umgeht. Der Journalist Uli Fricker etwa schrieb im Südkurier zum Verbot, sich in Kirchengebäuden zu versammeln: „Die Kirchen nehmen sich selbst aus dem Rennen“. Sie betrachteten sich wohl selbst nicht mehr als systemrelevant. „Eine Tankstelle darf öffnen, ein Bäcker, ein Zeitungsverkäufer. Sie garantieren nach verbreiteter Ansicht, dass die Grundbedürfnisse gestillt werden. Die Dienste der religiösen Gemeinschaften zählen dazu nicht.“

Aber da irrt der Kommentator. Zahllose Beispiele aus Kirchengemeinden auch in Frankfurt und Offenbach widerlegen seine These mannigfaltig. Gleichwohl zeigt sich in solchen Kommentaren auch eine Herausforderung: Die Corona-Krise verändert die Kirche. Nach Corona wird sie eine andere Gestalt haben.

Um sich das besser vorzustellen, hat der Zukunftsforscher Matthias Horx die Methode der Re-Gnose entwickelt, der Rück-Schau (im Unterschied zur Vorschau, der Pro-Gnose). Stellen wir uns also mal vor, wir seien im kommenden Herbst. Das Leben mit Corona hat sich eingespielt. Händeschütteln vor und nach dem Gottesdienst ist weiterhin tabu, und dass jeder und jede eine Bank für sich alleine hat, ist jetzt Pflicht.

Die Videokamera im Gottesdienst ist inzwischen Standard, Gottesdienste werden direkt für Gemeindemitglieder übertragen, die nicht in die Kirche kommen. Den Konfis macht es Spaß, sich um die Technik zu kümmern. Wem Sonntag, 10 Uhr, einfach zu früh ist, oder wer gerne mal eine Tasse Kaffee während der Predigt trinkt, kann den Gottesdienst im Internet schauen.

Es kommt seither häufiger vor, dass die Pfarrerin von Menschen, die sie gar nicht kennt, auf ihre Predigt angesprochen wird. Überhaupt ist die Vernetzung im Stadtteil dichter geworden. Die verstärkte Mediennutzung hat die Kirche dazu gebracht, auch auf anderen Internetplattformen wie nebenan.de mehr Präsenz zu zeigen. Der Sitzungsaufwand im Kirchenvorstand und in Ausschüssen hat sich verringert. Zu konkreten Fragen werden einfach kurze Videokonferenzen vereinbart.

Die Identifikation mit der Kirchengemeinde und die Bindung zur Gemeinde ist höher geworden. Zwar hat sich die Zahl der Gemeindemitglieder verringert, aber die Zahl derer, die das Angebot schätzen, hat sich erhöht.

„Paradoxerweise erzeugte die körperliche Distanz, die der Virus erzwang, gleichzeitig neue Nähe. Wir haben Menschen kennengelernt, die wir sonst nie kennengelernt hätten. Wir haben alte Freunde wieder häufiger kontaktiert, Bindungen verstärkt, die lose und locker geworden waren. Familien, Nachbarn, Freunde sind näher gerückt und haben bisweilen sogar verborgene Konflikte gelöst.“ So schreibt Matthias Horx. Wir werden sehen, wie uns die Zeit füreinander, sei es am Telefon oder per Videochat, gut getan hat.

Auch Pfarrerin Lehwalder ist bei aller Herausforderung davon überzeugt, „dass die Krise auch für die Kirche ein Besinnungsprozess sein kann. Was trägt uns wirklich? Was ist der Mittelpunkt unserer Gemeinschaft?“ So ist Corona nicht nur Krise, sondern auch Chance.

Musik „handgemacht“

Kurt-Helmuth Eimuth. Foto: Ilona Surrey

Man meint, dass es die Gethsemanegemeinde nicht erwarten kann. „Weihnachts-Ansingen“ – so ist das alljährliche Weihnachtskonzert am Dritten Advent im Nordend betitelt, am 14. Dezember, um 17 Uhr in der Eckenheimer Landstraße 90. Vor den bereits im Altarraum aufgestellten Weihnachtsbäumen musiziert dann das Gethsemane-Quartett, der Flötenkreis spielt als längeres Werk das Magnificat von Johann Pachelbel, und der Chor singt passend zum 25. Jahr des Mauerfalls ein Lied von Klaus Heizmann mit dem Text „Es war ein Tag der großen Wende“. Das ist Musik handgemacht, von Menschen, denen das Musizieren Freude bereitet, und die mit ganzem Herzen bei der Musik und dem bevorstehenden Fest sind. Und natürlich gibt es im Anschluss Tee und Plätzchen im neuen Gemeindesaal.

Gleich drei Bauprojekte abgeschlossen

Von Kurt-Helmuth Eimuth – 19. Mai 2013

Hoffnungsgemeinde, Nazarethgemeinde und Gethsemanegemeinde feierten Einweihung ihrer neuen oder renovierten Gebäude.

Das Gutleutviertel und der Westhafen haben eine neue Kirche: Im Mai hat die Hoffnungsgemeinde mit einem Gottesdienst ihr Gemeindezentrum in der Hafenstraße in Betrieb genommen. Der große Sakralraum mit seiner hohen Decke streckt sich über Erdgeschoss und ersten Stock, rundherum gibt es auf beiden Ebenen Gruppenräume, Büros und eine Küche. In den übrigen sieben Stockwerken des Neubaus sind Wohnungen untergebracht.

Frankfurt: Einweihung Gemeindezentrum der Hoffnungsgemeinde in der Hafenstraße 8 im Gutleutviertel Foto aufgenommen am 19.05.2013 Foto: Rolf Oeser

Gleich drei Frankfurter Kirchengemeinden begingen in neuen oder zumindest neu gestalteten Räumen das Pfingstfest am Sonntag, 19. Mai. Die Hoffnungsgemeinde nahm ihr neues Gemeindezentrum im Gutleutviertel, Hafenstraße, in Besitz, die Nazarethgemeinde konnte den „150. Geburtstag“ ihrer Kirche in einer frisch sanierten Kirche begehen. Und schließlich weihte die Gethesmanegemeinde im Nordend ihre neuen Räume unterhalb der Kirche in der Eckenheimer Landstraße 90 ein.

Die Seligpreisungen sind auf zwei Außenfenstern angebracht. Programmatik und Sichtschutz zugleich. Foto: Kurt-Helmuth Eimuth

Die Baumaßnahmen sind Teil einer Strategie der evangelischen Kirche, in Frankfurt ihren Gebäudebestand zu verringern. Wie die stellvertretende Vorsitzende des Evangelischen Regionalverbandes, Beate Schwartz-Simon, in der Gethsemanekirche ausführte, habe man sich vorgenommen, die Versammlungsfläche der Frankfurter Gemeinden von 16.500 Quadratmetern auf 12.000 Quadratmetern zu verringern. Diese werde bis 2017 verwirklicht. Der Verband wende hierfür 15 Millionen Euro auf, um künftig Gelder für die Bauunterhaltung einzusparen. Schwartz-Simon dankte der Gemeinde für ihren Mut und ihre Kraft zur Veränderung. Hier im Nordend sei der Sprung für die Gemeinde besonders groß gewesen. Das Gemeindehaus in der Marschnerstraße wird, so die Planung, gänzlich aufgegeben. In den ebenerdigen Räumlichkeiten unter der Kirche sind ein großer Versammlungsraum mit Küche sowie drei Büroräume für das Gemeindebüro, die Gemeindepädagogin und den Pfarrer entstanden. Zudem wurde das Gebäude energetisch optimiert. Die Außenwände der 1970 erbauten Kirche wurden etwas nach außen geschoben und durch zu öffnende Glaswände wurde nicht nur Transparenz, sondern auch eine Öffnung zum Stadtteil geschaffen.

Beitrag von Kurt-Helmuth Eimuth, veröffentlicht am 19. Mai 2013 in der Rubrik Stadtkirche, erschienen in der Ausgabe 2013/4 – Juli, Web.