Anlass zur Umkehr gibt es genug

Evangelisches Frankfurt November 2007
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Vor gut zehn Jahren verschwand er als gesetzlicher Feiertag, und heute, so scheint es, ist er schon völlig in Vergessenheit geraten: der Buß- und Bettag. Selbst die evangelische Kirche scheint ihn nicht so richtig ernst zu nehmen. Wie sonst ist es zu erklären, dass auch der Terminkalender kirchlicher Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter am 21. November so prall gefüllt ist wie an jedem anderen Tag? Das ist wohl auch der Grund, warum der zentrale Gottesdienst in der Katharinenkirche an der Hauptwache von 10 Uhr auf 19 Uhr verlegt wurde. Auch der kirchliche Betrieb legt eben für den Buß- und Bettag keine Pause mehr ein.

So halbherzig wie die evangelische Kirche mit diesem protestantischen Feiertag umgeht, so halbherzig hat sie seinerzeit auch ihre Stimme gegen seine Abschaffung erhoben. Schließlich sollte der Verzicht auf den arbeitsfreien Tag einem guten Zweck dienen, nämlich der Finanzierung der Pflegeversicherung: Die Mehrarbeit der Arbeitnehmer sollte die Mehrbelastung der Arbeitgeber ausgleichen. Übrigens gab es den Buß- und Bettag als arbeitsfreien Tag auch in der DDR. Dort hat man ihn 1966 für die Einführung der Fünf-Tage-Woche gestrichen.

Am Buß- und Bettag geht es um die Umkehr zu Gott, um eine Haltungsänderung also. In Frankfurt gab es früher die Tradition eines ökumenischen Bußgangs an diesem Tag. Es war ein Gang zu Orten der Stadtzerstörung und der sozialen Herausforderung. Heute wären wohl das Arbeitsamt und die Obdachlosenunterkunft, die Stadtautobahn oder der Hauptbahnhof geeignete Stationen. Schließlich schreien Themen wie Arbeitslosigkeit, Armut, Umweltzerstörung oder Privatisierung der Bahn geradezu nach Umkehr. Es ist gut, wenn Christinnen und Christen konkrete Schlussfolgerungen aus dem Auftrag ziehen, die Schöpfung zu bewahren. Doch mit der Abschaffung des Buß- und Bettages wurde ein regelmäßiger Anlass dafür aus dem kollektiven Gedächtnis entfernt.

Die Abschaffung des Buß- und Bettages war ein Schritt hin zu einer Gesellschaft, die zwischen Alltag und Feiertag nicht mehr unterscheidet. Nur mühsam und mit Einschränkungen gelang es, den Sonntag vor den Interessen des Einzelhandels vorerst zu schützen. Doch die Begehrlichkeiten bleiben. Kurzsichtiges Konsumdenken sollte das Kulturgut der arbeitsfreien Tage nicht zerstören. Menschliches Leben ist mehr als Arbeiten und Konsumieren. Dafür stehen Feiertage. Sie abzuschaffen macht die Einzelnen, aber auch eine säkular geprägte Gesellschaft ärmer.

Kurt-Helmuth Eimuth

Kirchen in Konkurrenz

Evangelisches Frankfurt November 2007

In Zeiten zurückgehender Mitgliederzahlen und nachlassender Milieubindung setzen die Konfessionen auf Abgrenzung, um das eigene Profil zu schärfen.

Als Ökumene wird gemeinhin das Miteinander der katholischen und evangelischen Kirche bezeichnet. Nach römischem Verständnis ist dieser Satz schon falsch, denn die katholische Kirche ist nach eigener Auffassung die einzig wahre Kirche. Die Orthodoxen werden als Schwesterkirchen verstanden, alle anderen, ob lutherisch, reformiert, anglikanisch oder baptistisch, sind – so der feine Unterschied – lediglich „kirchliche Gemeinschaften“.

Solchen theologischen Spitzfindigkeiten zum Trotz geht auf der praktischen Ebene dennoch vieles gemeinsam: In Frankfurt zum Beispiel erscheint seit 1970 das „Ökumenische Kirchliche Jahrbuch“, in dem alle Anschriften kirchlicher Dienststellen gesammelt sind. Oder es gibt das ökumenische Reformationsgedenken: Ausgerechnet an dem Tag, der wie kein anderer für die Trennung der Kirchen steht, setzen Evangelische und Katholische sich gemeinsam mit einem aktuellen Thema auseinander. Diese Traditionen stammen jedoch aus einer Zeit des ökumenischen Aufbruchs. Ob so etwas heute noch einmal gestartet werden könnte, erscheint fraglich. Denn auch am Main weht zwischen den Konfessionen heute ein rauerer Wind. Der ökumenische Beratungsdienst an der Hauptwache wurde geschlossen – beiden Partnern war wohl der Einspareffekt wichtiger als die Symbolkraft einer gemeinsamen Einrichtung. Der katholische Kirchenladen an der Liebfrauenkirche hätte als ökumenischer Kirchenladen ein Gewinn für die Mitglieder beider Kirchen sein können. Doch das wurde vom katholischen Bischof strikt abgelehnt. Andererseits verkaufte der Kirchenladen auch Eintrittskarten zum evangelischen Kirchentag.

Bei der wichtigsten Frage, die beide Kirchen derzeit umtreibt, der Nutzung von Kirchen und Gemeindehäusern, gibt es ebenfalls kein Gespräch. Besonders absurd ist das im Neubaugebiet am Riedberg: Eine gemeinsame Kirche für beide Konfessionen und daneben je ein eigenes Gemeindezentrum hätte doch für Organisationen, die unter einer angespannten Finanzlage leiden, nahe gelegen.

Immerhin ist in vielen Stadtteilen der so genannte Kanzeltausch selbstverständlich. Dies bedeutet, dass die Geistlichen im Gottesdienst der jeweils anderen Konfession predigen. In der kirchlichen Praxis vor Ort werden dogmatische Unterschiede nämlich weit weniger beachtet als an der Spitze. Theologische Probleme hält man hier eher für „Probleme der Theologen“.

Kurt-Helmuth Eimuth

„Wir kommen in den Himmel!“

Im Privaten hat die evangelisch-katholische Zusammenarbeit schon immer weit besser funktioniert als auf kirchenoffizieller Ebene. Mit ironischem Augenzwinkern schilderte etwa der Frankfurter Dichter Friedrich Stoltze seine „Mischehe“ mit der Katholikin Mary Messenzehl. Als die beiden im Jahr 1849 in der Katharinenkirche heirateten, war Mary bereits zum dritten Mal schwanger. Stoltzes Gedicht „Mischehe“ erschien am 26. August 1882 in der „Frankfurter Latern“:

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Wir armes altes Ehepaar!
Ach wehe! Wehe! Wehe!
Wir leben schon so manches Jahr
In einer wilden Ehe!

Den lutherischen Dickkopf, ach,
Anstatt ihn zu verfehmen,
Warst du, o Frau, dereinst so schwach,
Zu lieben und zu nehmen!

Und weil du Katholikin bist
Und ich hab’ dir gefallen,
So hat dich nun der Antichrist,
Der Teufel in den Krallen.

Ein Pfarrer hat uns zwar getraut,
Doch luth’risch-diabolisch,
Und Gott war nicht davon erbaut,
Denn Gott ist streng katholisch.

Und was mich ganz besonders beugt,
Denn es verdiente Hiebe:
Die Kinder all, die wir erzeugt,
Sind Kinder, ach, der Liebe!

Verschlossen ist die Kirche dir,
Zu meiner ist’s noch weiter;
Wenn Andre beten, müssen wir
Spazieren gehen leider.

Du darfst zu keiner Ohrenbeicht
Und mußt sie ewig missen; –
Du machst dir selbst die Seele leicht:
Du hast ein gut Gewissen!

Und stieß man dich auch grausam aus
Wie Sündenrost und Schimmel, –
Wir machen uns den Teufel draus
Und kommen in den Himmel.

Reklame an Kirche umstritten

Evangelisches Frankfurt November 2007

Zur Automobilausstellung prangte ein Plakat an der Matthäuskirche

Ein koreanischer Automobilkonzern warb zur Internationalen Automobilausstellung mit einem Großplakat an der Kirchenmauer der Matthäuskirche. Dabei versteht sich diese Kirche, zwischen Hauptbahnhof und Messe gelegen, eigentlich als Gegenpol zu den sie umgebenden Banken-Symbolen von Macht und Geld.

Es war nicht die erste Werbung an einer Kirche in Frankfurt. Den Dom, dessen Turm während der Renovierung dick eingerüstet und in Baustellenfolie verpackt war, zierte seinerzeit ebenfalls weithin sichtbar eine Autowerbung. Da wie dort ging es ums Geld: Die Stadt, die als Eigentümerin für die Dom-Werbung verantwortlich war, mochte auf die finanzielle Unterstützung ebenso wenig verzichten wie nun die Hoffnungsgemeinde. Von den Werbeeinnahmen an der Kirche, immerhin 10000 Euro für zwei Wochen, solle der Küster bezahlt werden, so Pfarrer Johannes Herrmann, der auch Vorsitzender des Kirchenvorstandes ist. Und fügt mit Blick auf seinen Etat hinzu: „Uns steht das Wasser bis zum Hals.“

Umstritten: Plakatwerbung an der Matthäuskirche. | Foto: Rolf Oeser

Umstritten: Plakatwerbung an der Matthäuskirche.
Foto: Rolf Oeser

Die Vorstandsvorsitzende des Evangelischen Regionalverbandes, Pfarrerin Esther Gebhardt, hat allerdings große Bedenken, eine Kirche als Plakat- und Werbefläche zu nutzen: „Schließlich ist eine Kirche ein Ort der Gottesbegegnung und keine Litfass-Säule.“

Ein öffentliches Bekenntnis legte die Hoffnungsgemeinde trotz aller Werbefreundlichkeit ab, Greenpeace durfte ganz ohne finanzielle Gegenleistung ein Plakat am Kirchengemäuer aufhängen, etwas höher und kleiner. „IAA – Klimaschweine“ war da zu lesen. Nicht gerade feine Sprache, aber für Johannes Herrmann inhaltlich korrekt: „Jeder Mensch, der die Umwelt unnötig verpestet, ist ein Umweltschwein“, bekräftigt der Pfarrer. Dem werbenden Automobilkonzern gegenüber habe man kein schlechtes Gewissen: „Die wussten das,“ so Herrmann.

Mit dem Ende der IAA ist das Thema Werbung an der Matthäuskirche keineswegs abgeschlossen. Es gibt nämlich bereits eine weitere Anfrage für ein Großplakat, das ein Jahr lang die Matthäuskirche zieren könnte – die erwarteten Einnahmen lägen im sechsstelligen Bereich. Der Kirchenvorstand wird demnächst entscheiden.

Kurt-Helmuth Eimuth

San Clemente in Rom

Eine Kirche aus dem 12. Jahrhundert, erbaut auf den Resten einer Kirche aus dem 4. Jahrhundert, die wiederum auf einem Heiligtum des vorchristlichen Mithras-Kultes errichtet war: die Kirche San Clemente in Rom ist ein eindrückliches Beispiel dafür, wie Wandel im Glauben und Wandel in der Architektur aufeinander einwirken. | Foto: Kurt-Helmuth Eimuth

Eine Kirche aus dem 12. Jahrhundert, erbaut auf den Resten einer Kirche aus dem 4. Jahrhundert, die wiederum auf einem Heiligtum des vorchristlichen Mithras-Kultes errichtet war: die Kirche San Clemente in Rom ist ein eindrückliches Beispiel dafür, wie Wandel im Glauben und Wandel in der Architektur aufeinander einwirken.
Foto: Kurt-Helmuth Eimuth
Evangelisches Frankfurt Sept 2007

Auf dem Weg zur Normalität

Polen ist heute ein modernes Land im Umbruch. Glasbürobauten, Einkaufszentren und Discounter machen deutlich: Hier brummt die Wirtschaft. In der Begegnung mit Menschen ist viel von einem aufgeklärten, dem Fortschritt und Europa zugewandten Geist zu spüren.

Aber es gibt auch das andere Polen, das politisch und katholisch rückständige, antieuropäische Polen. Unvergessen ist die beschämende Karikatur der Bundeskanzlerin auf der Titelseite des polnischen Gegenübers zur Bildzeitung. Polen gilt auch als das christlichste aller EU-Länder. Bei den Gottesdiensten, die sonntags im Stundentakt abgehalten werden, sind die Kirchen bis auf den letzten Platz gefüllt. Der Einfluss der evangelischen Kirche hingegen ist gering. Mit der Ver­ treibung etwa aus Ostpreußen schmolz auch die Zahl der Evangelischen, bis heute gilt der Protestantismus als „deutsche“ Religion. So sagt etwa der Pfarrer von Rastenburg (Kêtrzyn), er werde als deutscher Pfarrer bezeichnet, obgleich er Pole sei.

Noch immer ist das Verhältnis von Deutschen und Polen weit von der Normalität entfernt. Doch Begegnungen und Gesten wie etwa der Kniefall von Willy Brandt am Denkmal des Warschauer Ghettos sind wichtige Stationen. Und die Initiative „Zeichen der Hoffnung“ ist weit mehr als eine Geste.

Kurt-Helmuth Eimuth

Evangelisches Frankfurt Sept 2007

Abschied vom Pfarrhaus

Der Trend geht zur Multifunktions-Kirche

Welche Räume eine Kirchengemeinde braucht, hängt immer auch mit dem gesellschaftlichen Umfeld zusammen. Bis ins frühe 20. Jahrhundert stand das Pfarrhaus im Zentrum des evangelischen Gemeindelebens. Vorbild war dabei das Wittenberger Heim des Reformators Martin Luther und seiner Ehefrau, Katharina von Bora.

Glaubt man den zahlreichen Beschreibungen in der Belletristik, so lebten die Pfarrersleut’ früher in einer geradezu biedermeierlichen Idylle. Ihr Haus wurde zum Beispiel für eine christliche Lebenskultur. Dort war der Ort für Hausandachten, für diakonische Tätigkeiten wie die Speisung von Armen – meist durch die Frau des Pfarrers – und Bildungsveranstaltungen, etwa dem Konfirmandenunterricht. Wie selbstverständlich war die ganze Pfarrfamilie im Gemeindeleben engagiert. Selbst in Sachen des Gemüseanbaus war der Pfarrgarten beispielgebend.

In der Folge wurde das evan­gelische Pfarrhaus, so der Schriftsteller Rolf Schneider, „für Deutschland eine Institution, ein fester zivilisatorischer Topos.“ Das protestantische Pfarrhaus in Deutschland ist demnach „streng patriarchalisch organisiert und kinderreich. Die Räume sind dunkel. Im Bücherschrank stehen die gesammelten Musterpredigten aus dem Hause Bertelsmann. Der Nachwuchs tut fleißig mit im Kirchenchor. Die Frau Pastor ist eine graue Maus, die das Gewürzgärtlein bestellt und sonst wenig zu bestimmen hat. Der Hausherr selbst ist ein dauerlächelnder selbstverliebter Pfeifenraucher, umwimmelt von lärmenden Konfirmanden und demütigen Diakonissen.“

So wenig man heute noch junge Frauen bei den Diakonissen findet, so wenig gibt es noch das klassische evangelische Pfarrhaus, auch wenn die Pfarrwohnungen oft noch Amtszimmer und Konfirmandensaal aufweisen. Mit der Veränderung der Lebensräume entstanden am Anfang des 20. Jahrhunderts überall Gemeindehäuser. Neben neuen Gottesdienstorten für eine geradezu explodierende Stadtbevölkerung konnten so auch weitere Bedürfnisse abgedeckt werden. In den kleinen Stadtwohnungen gab es meist keinen Platz für größere Versammlungen. So wurden die Kirchengemeinden zu einem wichtigen Ort öffentlichen Lebens.

In den 1960er Jahren kamen weitere Aufgaben hinzu: Kirchen­ musikalische Arbeit, Frauenkreise, Gruppen der Familien- und Erwachsenenbildung, Jungschar, Jugendkreis, Pfadfinder oder Theaterkreise fanden hier ihre Heimat. Oft wurden diese Angebote initiiert und unterstützt von Gemeindepädagoginnen und -pä­ dagogen, die in den 70er Jahren in großer Zahl angestellt wurden.
Heute zeichnet sich hingegen eine Konzentration auf eher funktional genutzte Kirchen ab. Gemeinden stellen wieder stärker Gottesdienst und Seel­ sorge in den Mittelpunkt. Eine Renaissance des protestantischen Pfarrhauses im Stil des 19. Jahrhunderts dürfte allerdings ausgeschlossen sein. Da gibt es wohl keinen Bedarf.

Kurt-Helmuth Eimuth

Evangelisches Frankfurt Sept 2007

Gute Betreuung braucht Vertrauen

Die Bundesregierung hat einen Rechtsanspruch auf die Betreuung von unter Dreijährigen eingeführt. In gut fünf Jahren müssen alle Kommunen ausreichend Plätze für Kleinkinder bereithalten. Das bedeutet allein für Frankfurt, dass bis zum Jahr 2013 etwa 6000 neue Krabbelstubenplätze geschaffen werden müssen.

Schon in den vergangenen Jahren hat die Stadt Frankfurt in diesem Bereich enorme Anstrengungen unternommen und jedes Jahr 300 neue Plätze im Krippenbereich geschaffen. Doch nun wird ein ganz anderes Tempo vorgelegt werden müssen. Frankfurt kann nämlich nicht, wie andere Regionen Deutschlands, darauf hoffen, dass die Kinderzahl rückläufig ist. Im Gegenteil: Seit Jahren steigt die Zahl der Geburten. Frankfurt ist nicht nur eine kinderfreundliche Stadt, sondern verfügt auch über eine vergleichsweise hohe Zahl von Arbeitsplätzen, weshalb gerade junge Menschen hierher ziehen. Vor allem in den innenstadtnahen Quartieren sind Kinderbetreuungsplätze ebenso rar wie begehrt.

Die notwendige planerische Herausforderung beim Neubau von Einrichtungen darf dabei aber nicht darüber hinweg täuschen, dass der Ausbau von Krippenplätzen vor allem eine pädagogische Herausforderung ist. Aus gutem Grund nämlich beginnt der Kindergarten normalerweise erst mit drei Jahren. In diesem Alter können Kinder die Trennung von zuhause und den Wechsel der Bezugsperson meist leicht verkraften, ohne dass große pädagogische Anstrengungen notwendig sind. Jüngere Kinder hingegen bedürfen einer viel stärkeren emotionalen Bindung. Das heißt, die Betreuerinnen in Krabbelstuben müssen viel intensiver auf die Kinder eingehen als in Kindertagesstätten.

Sprache, soziales Verhalten, Bewegungsabläufe – das alles wird in dieser Lebensphase durch Nach­ ­ ahmung gelernt. Dieser Prozess bedarf des Vertrauens zwischen zwei Menschen, zwischen Kind und Betreuungsperson. Nur wer sich intensiv auf das Kind einlässt, fördert es.

Dies hat schon in den 1930er Jahren die ungarische Ärztin Emmi Pikler erkannt. Sie entwickelte, ursprünglich für die Kinder von TBC-kranken Müttern, ein Programm der „achtsamen Pflege“ und der „freien Bewegungsentwicklung“, das auf solche emotionalen Aspekte Rücksicht nimmt und noch heute wertvolle Anregungen für die Betreuung der Kleinsten gibt. Die Krabbelstuben des Diakonischen Werkes für Frankfurt arbeiten zum Beispiel nach dem Ansatz von Emmi Pikler.

So sollte etwa das Wickeln weder für das Kind noch für die Erwachsenen eine lästige Prozedur sein, sondern eine Zeit des intensiven und vergnügten Beisammenseins. Das klingt einfach, ist aber schon im familiären Alltag nicht immer zu verwirklichen. Umso schwieriger in der Krippe. Vor allem Zeit ist gefragt: Behutsam das Händchen waschen oder die Jacke achtsam anziehen, das erfordert mehr als die schnelle Versorgung des Kindes.

Um die Betreuung und Bildung der Kleinsten zu ermöglichen, sind deshalb sowohl eine spezielle pädagogische Kompetenz nötig als auch entsprechende Ressourcen. Vor allem müssen die Erzieherinnen über die notwendige Zeit – und das heißt auch, Arbeitszeit – verfügen, um eine echte Bindung zu den Kindern her­ stellen zu können. Wer Ja zum Rechtsanspruch sagt, muss Qualität garantieren. Denn nur gute Betreuungseinrichtungen sind ein Gewinn für Kinder, Eltern und Gesellschaft.

Kurt-Helmuth Eimuth

Evangelisches Frankfurt Sept 2007

Islamunterricht nicht in Sicht

Ministerin Wolff unterstreicht die Bedeutung des Schulfaches Religion

In Hessen wird es in naher Zukunft wohl keinen Islamunterricht an Schulen geben. Zwar hob Kultusministerin Karin Wolff, die auf Einladung des Evangelischen Arbeitskreises der CDU in die Frankfurter Katharinengemeinde gekommen war, die Bedeutung der Religion für die Identitätsbildung des Menschen hervor. Sie erläuterte jedoch auf Nachfrage, dass ihr zur Einführung eines muslimischen Religionsunterrichts die Ansprechpartner fehlten. Es gebe keine Organisationsform, die die Muslime wirklich vertreten könne. „Wir haben eine Vielzahl von Gruppierungen. Das macht Vereinbarungen schwierig“, erläuterte Wolff. Zudem fehlten Lehrpläne und Ausbildungsmöglichkeiten für muslimische Religionslehrerinnen und -lehrer.

Dabei betonte Wolff jedoch, dass der Religion in der Schule eine wichtige Bedeutung zukomme: „Jugendliche müssen sich verorten in der Gesellschaft, und dafür brauchen sie Orientierung.“ In der Schule könne deshalb der Religionsunterricht nicht nur ein „Sahnehäubchen“ sein, vielmehr durchzögen Fragen von Identität und Interkulturalität alle Schulfächer. So sei es Aufgabe aller Lehrkräfte, gleich welchen Glaubens, kulturelle Zusammenhänge darzustellen: Wenn etwa im Re­ ligionsunterricht die biblische Schöpfungsgeschichte vermittelt werde, könne die Biologie dieses Thema naturwissenschaftlich ergänzen.

Die Kultusministerin hob hervor, dass ein Kind ein Recht darauf habe, sich nicht nur in seiner eigenen Kultur zurecht zu finden, sondern auch eine eigene Identität zu finden. „Ein Kind fragt schon im Kindergarten, woher komme ich, warum gibt es mich, was ist
einzigartig.“ Wer einen eigenen Standpunkt zu diesen Fragen finde, werde keine Angst haben, anderen Standpunkten zu begegnen, führte die Ministerin mit Blick auf die Begegnung mit anderen Religionen aus. Das Wissen von anderen Religionen hält Wolff für unabdingbar notwendig. Doch wer nur alles nebeneinander stelle, verwechsele Toleranz mit Gleichgültigkeit.

Die Ministerin betonte, dass der christliche Religionsunterricht in Hessen ordentliches Unterrichtsfach sei. Wenn dieses abgewählt werde, sei der Ethikunterricht als Ersatzfach die Alternative. Wolff kündigte an, dass durch verstärkte Ausbildung von Ethiklehrerinnen und -lehrern in den nächsten drei Jahren flächendeckend dieser Ersatzunterricht angeboten werden könne.

Kurt-Helmuth Eimuth
Evangelisches Frankfurt Juli 2007

Lebendig, kräftig und schärfer

Kommentar

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Religion ist scheinbar wieder gefragt. Die Medien verweisen auf die Großereignisse in Köln. Erst der katholische Weltjugendtag und jetzt der evangelische Kirchentag, zu dem insgesamt auch mehr als eine Million Besucherinnen und Besucher kamen. Tatsächlich scheint der Kirchentag die Talsohle durchschritten zu haben: Die Teilnahmezahlen steigen wieder, die Präsenz in den Medien war nahezu perfekt, und die Botschaft gewinnt an Profil. Spiritualität und Weltverantwortung gehören untrennbar zusammen, das betonte auch Kirchentagspräsident Reinhard Höppner. Auch ihm ist es zu verdanken, dass der Kirchentag seinem Motto „Lebendig und kräftig und schärfer“ gerecht wurde.

Aber ist dies alles wirklich Indiz für eine Renaissance der Religion? Richtig ist, dass der Religion wieder vorurteilsfreier begegnet wird. Die Generation mit den Problemen eines Tilmann Moser, der von „Gottesvergiftung“ sprach, ist nicht mehr prägend. Auch die „Gott ist tot-These“ hat sich überlebt. Heute findet man zum Beispiel im evangelischen Kindergarten Eltern, die beobachten, zuhören und Fragen stellen. Das ist zwar keine neue Gläubigkeit, aber doch eine neue Offenheit für Glaubensfragen.

In den Medien ist Ähnliches zu beobachten. Das Wort der Kichen findet wieder Gehör. Die christliche Meinung ist gefragt – ob es um Gentechnik oder Ehescheidung geht. Man billigt den christlichen Kirchen bei solchen ethischen Fragen eine moralische Kompetenz zu. Ohne Zweifel sind das erfreuliche Entwicklungen.

Trotzdem kämpfen beide Kirchen mit Mitgliederschwund und zurückgehenden Kirchensteuereinnahmen. Die Religion als sinnstiftendes System verliert weiter an Einfluss. Denn der eigentliche Wert einer Gesellschaft, die sich im globalen Konkurrenzkampf befindet, heißt „Gewinn“, heißt „Geldmaximierung“.

Nicht die Religion, sondern die Hoffnung auf harte Euros gewinnt im Weltbild der Menschen an Einfluss. Das gilt übrigens auch für Migrantenfamilien, wo man diesem Trend zuweilen nur mit einer unerbittlichen Rückbesinnung auf die Tradition vermeint entgegenwirken zu können.

Nur wenn sich die Kirche lebendig, kräftig und schärfer in die Debatte über Mindestlöhne, Renten und Gesundheitsreform einmischt und gleichzeitig ihre Spiritualität glaubhaft lebt, wird sie sich dem Trend zur Säkularisierung entgegen stemmen können. Dann können lebendige Gottesdienste wie der zum Abschluss des Kirchentages Lust machen auf mehr Kirche.

Kurt-Helmuth Eimuth

Evangelisches Frankfurt Juli 2007

Kirche für verschiedene Welten und Milieus

Wie wird sich die evangelische Kirche in den nächsten zehn, zwanzig Jahren verändern? Was bedeuten die gegenwärtigen Reformdebatten konkret für die Stadt Frankfurt? Ein Gespräch mit Pfarrerin Esther Gebhardt und Professor Wolfgang Nethöfel.

Welche Bedeutung haben die gegenwärtigen Reformdebatten (siehe unten) für die evangelische Kirche in Frankfurt?

Gebhardt: In allen Papieren wird zum ersten Mal die besondere Situation der Großstadt gewertet und gewichtet. In Frankfurt hatten wir es immer schwer, zu vermitteln, dass wir eigene Arbeitsschwerpunkte bilden müssen und dass wir die Notwendigkeit zur Veränderung oft schon viel früher erleben und erkennen. Das klassische Gemeindemodell greift hier schon längst nicht mehr so, wie es vielleicht in ländlicheren Gebieten noch vorhanden ist.

Nethöfel: Frankfurt hat als Stadt ja auch eine europaweite Bedeutung. Entwicklungen zeigen sich hier nicht nur besonders schnell, sie verdichten sich auch stärker. Ich bin Kirchenvorsteher im Bahnhofsviertel, und das ist mit all seinen Problemen ein besonderer Stadtbezirk, wie er eigentlich nur mit Berlin und mit New York vergleichbar ist. Wir haben also eine Modellfunktion, und wir können mit guten Gründen sagen, dass wir hier in Frankfurt andere und teilweise auch mehr Ressourcen brauchen.

Foto: Rolf Oeser

Foto: Rolf Oeser

Hat sich die klassische Ortsgemeinde in Frankfurt überlebt?

Nethöfel: Das kann man so nicht sagen. Man kann aber in Frankfurt besonders gut zeigen, dass die traditionelle Ortsgemeinde nicht die einzige Gemeindeform sein kann. Wir brauchen unterschiedliche Gemeindeformen, und dafür muss man kirchenorganisatorisch einen Rahmen finden.

Gebhardt: In der Vergangenheit ist die Diskussion meist als ein Entweder-Oder geführt worden – auf der einen Seite die Ortsgemeinde, die sich verunsichert fühlt, auf der anderen Seite die Spezialpfarrämter, etwa in der City-Seelsorge oder in der Notfallseelsorge, die immer das Gefühl hatten, sie müssten sich legitimieren. Aber das ist eine falsche Blickrichtung. Die Differenziertheit großstädtischen Lebens zeigt ja gerade, dass es unterschiedliche Welten und Milieus gibt. Wir haben vor allem am Stadtrand Gemeinden, die dörflich strukturiert sind und ihren traditionellen Gemeindepfarrer brauchen, und wir haben Innenstadtgemeinden, in denen dörfliche Sehnsüchte und städtische Mobilität nebeneinander existieren.

Frau Gebhardt, Sie haben eine Idee aufgegriffen, die schon seit gut zwanzig Jahren in Frankfurt diskutiert wird, nämlich dass am
Wochenende verschiedene Gottesdienste zu unterschiedlichen Uhrzeiten und für unterschiedliche Zielgruppen angeboten werden müssten. Warum kriegt die Kirche das immer noch nicht hin?

Gebhardt: Weil noch immer jede Gemeinde glaubt, alle Angebote vorhalten zu müssen. Aber das wird eine einzelne Gemeinde in Zukunft nicht mehr leisten können. Sie wird sich mit ihren Nachbargemeinden zusammensetzen müssen und fragen: Wer kann was anbieten, damit möglichst viele Menschen mit ihren unterschiedlichen Bedürfnissen angesprochen werden? Junge Familien wollen heute häufig nicht sonntags früh zum Gottesdienst gehen, sondern sie wollen lieber in Ruhe gemeinsam frühstücken. Aber möglicherweise würde ihnen ein gemeinsamer Gottesdienstbesuch nachmittags gut passen.

Esther Gebhardt ist Pfarrerin und seit 1990 Vorstandsvorsitzende des Evangelischen Regionalverbandes Frankfurt, in dem sich Gemeinden und Dekanate der Stadt zusammengeschlossen haben. Zu ihren Aufgaben gehört es, die notwendigen Strukturveränderungen vor Ort in konkrete Projekte zu fassen. | Foto: Rolf Oeser

Esther Gebhardt ist Pfarrerin und seit 1990 Vorstandsvorsitzende des Evangelischen Regionalverbandes Frankfurt, in dem sich Gemeinden und Dekanate der Stadt zusammengeschlossen haben. Zu ihren Aufgaben gehört es, die notwendigen Strukturveränderungen vor Ort in konkrete Projekte zu fassen.
Foto: Rolf Oeser

Brauchen wir auch besonders hervorgehobene Kirchen, zum Beispiel die Katharinenkirche an der Hauptwache?

Nethöfel: Wenn wir der evangelischen Kirche in Frankfurt ein erkennbares Profil geben wollen, müssen wir aus der Katharinenkirche so etwas machen wie den Berliner Dom oder den Hamburger Michel. Es ist eine Riesenchance, dass wir diese prominente Kirche haben, und die müssen wir nutzen.

Das Thema im Hintergrund ist auch die Ausdifferenzierung in verschiedene Milieus, gerade in der Stadt. Welche Antworten kann eine Volkskirche da finden?

Nethöfel: Die Daten, die uns da von Soziologen geliefert werden, legen den Kurzschluss nahe, wir müssten für alle Milieus in gleicher Weise und in gleicher Stärke da sein. Aber das ist nicht richtig. Sondern wir sind für diejenigen da, die uns am meisten brauchen. Trotzdem müssen wir aufmerksam schauen, wen wir mit unserem derzeitigen Angebot wirklich erreichen, und überlegen, ob wir das so wollen. Wir sprechen als Kirche eine sehr bürgerliche Schicht an, und das wird sowohl vom Angebot als auch von der Nachfrage her immer enger.

Gebhardt: Wer Unterhaltung oder Event haben will, muss dafür nicht zwingend zur Kirche gehen. Sinnvoll finde ich den Ansatz, Orte auch vorübergehender Begegnungen zu schaffen, wie etwa Citykirchen, wo man sich nicht gleich verpflichtet, aktiv mit in das kerngemeindliche Leben einzutreten. Noch viel spannender finde ich es, zu sehen, wo die Schnittpunkte sind, an denen viele Menschen der Kirche begegnen, also im Kindergarten, bei Taufen, Hochzeiten, Beerdigungen. Ich treffe immer wieder Menschen, die die Kirche bei solchen Gelegenheiten negativ oder positiv erlebt haben und zwanzig Jahre später noch darüber reden und sagen, diese Beerdigung oder diese Erfahrung war für sie so prägend, dass sie sich entweder von der Kirche ab- oder ihr neu zugewendet haben. Diese Kontakte müssen mit Sorgfalt gestaltet werden.

Könnte es also in Zukunft spezialisierte Pfarrerinnen und Pfarrer geben, weil der eine besonders gut beerdigen, die andere besonders gut predigen kann?

Nethöfel: Ein Großraum wie Frankfurt hat tatsächlich besondere Chancen, durch eine gute Personalpolitik die Menschen dorthin zu bringen, wo sie ihre Talente und Gaben auch besonders gut entfalten können. Aber dahinter steht ja noch ein anderes Problem: Religiöse Bedürfnisse äußern sich nicht nur in Formen, für die wir bereits kirchliche Angebote haben. Die Menschen gehen zum Teil ins Kino oder zu bestimmten Events, um sich dort religiös zu orientieren. Wie beantworten die Menschen denn faktisch die Frage: Woher komme ich, wo geht das Ganze hin, welchen Sinn hat es, und wie soll ich mich daher hier verhalten? Solche religiösen Kernfragen werden teilweise von den Kirchen nicht mehr zufriedenstellend beantwortet. Wir müssen uns mit unserem Angebot auch immer wieder kritisch selber in Frage stellen: Sind wir denn wirklich da, wo wir als Kirche tatsächlich gebraucht werden?

Gebhardt: Da komme ich auch noch mal zu einem Kernproblem dieser ganzen kirchlichen Reformpapiere: Wir arbeiten im Wesentlichen immer noch an der Findung neuer Strukturen vor dem Hintergrund zurückgehender Kirchensteuereinnahmen. Das ist aber nicht das Thema, mit dem wir die Herzen der Menschen gewinnen, sondern eigentlich eine Hausaufgabe, die wir stillschweigend zu erledigen hätten. Die große Herausforderung ist, wie wir auf die religiösen Fragen der Menschen antworten und wie wir ihnen überhaupt wieder helfen, ihre religiösen Fragen und ihre Suche neu zu entdecken. Was bedeutet denn die Auferstehung? Was sind die Dinge, die uns im Leben und im Sterben tragen? Was bedeutet die Trinität, der dreieinige Gott, für uns heute? Diesen Fragen sind wir in den letzten Jahrzehnten zu oft aus dem Weg gegangen. Aber hier setzt glücklicherweise auch eine Neubesinnung der Kirche ein.

Nethöfel: Ich halte es auch für eine Falle, wenn wir unseren Erfolg als Kirche von dem klassischen Kernangebot her definieren. Dieses Angebot ist ja oft fast wie ein Club organisiert, wo sich immer dieselben Leute zu immer demselben Ereignis treffen. Erfolg heißt dann: Wir finden mehr Leute, die da mitmachen. Aber eine solche Sichtweise führt, glaube ich, in eine Spirale hinein, wo der Misserfolg vorprogrammiert ist.

Wolfgang Nethöfel ist Kirchenvorsteher in der Hoffnungsgemeinde und Professor für Sozialethik am Fachbereich Evangelische Theologie der Universität Marburg sowie Organisationsberater im kirchlich-sozialen Bereich. Im Januar hat er am Zukunftskongress der Evangelischen Kirche in Wittenberg teilgenommen. | Foto: Rolf Oeser

Wolfgang Nethöfel ist Kirchenvorsteher in der Hoffnungsgemeinde und Professor für Sozialethik am Fachbereich Evangelische Theologie der Universität Marburg sowie Organisationsberater im kirchlich-sozialen Bereich. Im Januar hat er am Zukunftskongress der Evangelischen Kirche in Wittenberg teilgenommen.
Foto: Rolf Oeser

Zumal ja in dieser Frage, welche Antworten es auf grundlegende Sinnfragen gibt, die Kirche mittlerweile in Konkurrenz steht zu anderen Religionen, der katholischen Kirche, dem Islam, der Esoterik.

Gebhardt: Wir müssen uns angesichts dieser Konkurrenz gar nicht so sehr beängstigen lassen. Früher war mal die Esoterik das ganz große Thema, jetzt sind es vielleicht andere. Ich glaube, wir sollten einfach bei unserer Linie bleiben. Die viel größere Herausforderung sehe ich darin, was wir denen entgegensetzen, die sagen, dass sie gar keine Transzendenz brauchen, dass sie auch ohne eine religiöse Antwort oder eine religiöse Lebensdeutung leben können. Das finde ich viel spannender.

Was ist Ihre Prognose: Wie sieht die evangelische Kirche in Frankfurt in zehn, zwanzig Jahren aus?

Gebhardt: So wesentlich anders als heute wird sie nicht aussehen. Prozesse in der Kirche gehen nicht revolutionär oder eruptiv vonstatten, sondern sehr langsam. Wir werden größere Zusammenschlüsse von Gemeinden haben, die Kleinteiligkeit der derzeit sechzig evangelischen Gemeinden in Frankfurt wird sich nicht aufrecht erhalten lassen. Wir werden weniger Gebäude haben, wir werden weniger Hauptamtliche haben, dafür wird das Ehrenamt an Bedeutung und auch an Einfluss gewinnen. Die Kirche wird ärmer und wohl auch älter, wenn wir auf die demografische Entwicklung schauen. Bestimmte Schwerpunktbildungen haben wir in Frankfurt ja auch schon vorgenommen, etwa bei der Jugendkulturkirche oder der Diakoniekirche. Aber es wird auch in zwanzig Jahren noch Gemeindepfarrämter geben, und ich glaube, wir tun auch gut daran, Themen, Orte, Menschen und auch Feiertage und Feste zu profilieren und herauszustellen und weiter unsere eigenen Themen zur Sprache zu bringen. Wir werden kleiner – aber wir müssen deswegen ja nicht auch Geist-loser werden.

Nethöfel: In der Tat schwimmt da ein Tanker, und die Prozesse werden langsam und zögerlich ablaufen, etwa wie Frau Gebhardt sie beschreibt. Ich denke aber, dass in den kommenden zehn Jahren, also in einer Zeit, wo zunächst noch scheinbar alles weiter seinen Gang geht, Entscheidungen fallen, die sich dann in zwanzig Jahren erheblich auswirken werden. Ich zweifle nämlich daran, dass die rechtliche Rahmensituation, in der unsere Kirche sich heute noch befindet, als eine durch Kirchensteuer finanzierte Körperschaft des öffentlichen Rechts mit Personal im Beamtenstatus, langfristig Bestand haben wird. Wie es danach weiter geht, das hängt von den Entscheidungen ab, die in nächster Zeit fallen. Das ist die spannende Herausforderung, vor der wir stehen.

Interview: Kurt-Helmuth Eimuth und Antje Schrupp

Evangelisches Frankfurt Juli 2007