Multikulti braucht Reli

Evangelisches Frankfurt: Juli/August 2005 · 29. Jahrgang · Nr. 4

Multikulti braucht Reli

Noch besucht die Hälfte aller Schülerinnen und Schüler an Frankfurter Grundschulen den evangelischen oder katholischen Religionsunterricht. Doch diese Zahlen können nicht beruhigen, denn die Entwicklung ist rückläufig: Von den Kindern, die in diesem Jahr in Frankfurt eingeschult werden, gehört nur noch ein gutes Drittel einer Kirche an, Tendenz sinkend. Ist der Religionsunterricht da eigentlich noch zeitgemäß? Warum kommen die Kirchen nicht wenigstens der Forderung der hessischen FDP nach und legen den katholischen und evangelischen Religionsunterricht zusammen? Fragen, die zu Recht gestellt werden.„In ihrer Konstruktion der Welt und ihrem unermesslichen Wissensdrang sind Kinder kleine Philosophen und Theologen. Die Frage nach Gott kann in diesem Sinne eine zentrale Lebensfrage sein.“ Dieses Zitat ist nicht einer kirchlichen Schrift entnommen, sondern dem Entwurf des Hessischen Bildungsplans für Kinder von 0 bis 10 Jahren. Die Notwendigkeit, sich mit den Fragen des Lebens und den Antworten der Religionen auseinander zu setzen, ist unstrittig. Der Religionsunterricht leistet nicht Wissensvermittlung im Sinne einer Religionskunde, sondern bietet eine Person, die an das glaubt, was sie lehrt. Dieses kann kein Ethikunterricht und auch kein Werte-Unterricht nach Berliner Vorbild leisten. Der Religionsunterricht bietet hier einzigartige (Bildungs-)Möglichkeiten.
Es ist nicht die Frage zu stellen, ob wir den Religionsunterricht brauchen, vielmehr ist die Frage zu stellen, wie das System Schule sich auf die Herausforderungen einer multireligiösen Schülerschaft einstellen kann. Die beiden wichtigsten Forderungen liegen dabei auf der Hand: Der Ethikunterricht muss flächendeckend stattfinden, und für die muslimischen Kinder muss ein entsprechendes Angebot gemacht werden. Dies hätte den charmanten Nebeneffekt, dass der muslimische Religionsunterricht aus der Enge mancher Koranschule herausgeholt würde.
Auch die Kirchen müssen abrücken von ihrem Festhalten an überkommenen Strukturen. Der Religionsunterricht sollte sich öffnen. Die Frankfurter Studienleiterin denkt hier in die richtige Richtung (siehe auch Seite 3). Vor Ort ist zu entscheiden, wie das organisiert wird. Dabei wird man je nach Schule zu ganz unterschiedlichen Modellen gelangen. Mal wird klassisch getrennt unterrichtet, mal gemeinsam, mal alternierend. Jede Schule sollte die jeweils auf ihre Situation passende Lösung suchen.
Kurt-Helmuth Eimuth

Religionsunterricht verändert sich

Evangelisches Frankfurt: Juli/August 2005 · 29. Jahrgang · Nr. 4

Religionsunterricht verändert sich

Die Älteren werden sich noch erinnern: Wenn „Reli“ angesagt war, wurde die Klasse geteilt, und es kamen immer die (Blöden) von der Parallelklasse. Nun, heute kommen immer noch die von den anderen Klassen, aber die vertretenen Religionen sind weit vielfältiger: Da gibt es die großen Gruppen der Muslime und Atheisten und natürlich in Frankfurt allerlei andere Glaubensgemeinschaften, etwa die Weltreligionen Hinduismus und Buddhismus. Wie soll die Schule mit dieser organisatorischen Herausforderung umgehen?

Der Berliner Bischof Wolfgang Huber, Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland, drückte die Schulbank, um für den Religionsunterricht zu werben (siehe Box). (Foto: bph/Wikimedia)

Schon Kinder im Grundschulalter stellen Fragen nach den letzten Dingen: Woher komme ich? Wer bin ich? Wohin gehe ich? Sie wollen diese Fragen nicht nur abstrakt beantwortet haben, sie wollen vielmehr einen Menschen vor sich haben, der die Antworten glaubhaft vertritt. Jeder Lehrer kennt die plötzlich gestellte Frage: „Glauben Sie denn daran?“ Hier erwarten Kinder und Jugendliche eine persönliche Antwort, keine abstrakten Erläuterungen. Auch lässt es sich besser einen Dialog mit anderen Religionen führen, wenn die eigene Position gefunden ist.
Religion ist als einziges Fach im Grundgesetz verankert: „Der Religionsunterricht ist ordentliches Lehrfach,“ heißt es da unmissverständlich. Ferner ist geregelt, dass er in „Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Religionsgemeinschaft“ erteilt wird. Dies bedeutet, dass der Religionsunterricht nicht nur einfach eine neutrale Religionskunde ist, sondern die Dinge aus einer Perspektive betrachtet und wertet. Das Bundesverfassungsgericht hat darum festgestellt: „Der Religionsunterricht ist keine überkonfessionelle Betrachtung religiöser Lehren, nicht bloße Morallehre, Sittenunterricht, historisierende und relativierende Religionskunde, Religions- oder Bibelgeschichte. Sein Gegenstand ist vielmehr der Bekenntnisinhalt, nämlich die Grundsätze der jeweiligen Religionsgemeinschaft. Diese als bestehende Wahrheiten zu vermitteln, ist seine Aufgabe. Dafür, wie dies zu geschehen hat, sind grundsätzlich die Vorstellungen der Kirchen über Inhalt und Ziel der Lehrveranstaltung maßgeblich.“
Das größte Problem des konfessionellen Religionsunterrichts ist nicht er selbst, sondern die (fehlende) Alternative. Welches Unterrichtsangebot gibt es für Kinder, die keiner oder einer anderen als der christlichen Religion angehören? Weder gibt es bisher einen flächendeckenden Ethikunterricht, noch gibt es einen islamischen Religionsunterricht für die muslimischen Schülerinnen und Schüler. Dabei wäre das vor allem in multikulturellen Städten wie Frankfurt besonders notwendig. Denn die religiöse Unterweisung im öffentlichen Raum ist der beste Schutz gegen Fundamentalismus, gleich welcher Religion. Der Religionsunterricht in der Schule kann verhindern, dass sich Religionsgemeinschaften in soziale Gettos zurückziehen und unbehelligt von allen kritischen Anfragen quasi eine sektenhafte Religiosität pflegen.
Die Studienleiterin des Religionspädagogischen Amtes in Frankfurt, Pfarrerin Karin Frindte-Baumann, setzt auf kontinuierliche Veränderung. „Der evangelische Religionsunterricht will sich in die Entwicklung der Schulen im Rahmen ihrer Eigenverantwortung einfügen.“ Derzeit unterrichten in Frankfurt 410 Lehrkräfte evangelische Religion – in allen Schulformen. Frindte-Baumann könnte sich vorstellen, dass neben dem reinen Unterricht die Schulseelsorge ausgebaut wird, dass es Schulgottesdienste oder interreligiöse Projekte gibt. Hessens Kultusministerin Karin Wolff stellt klar: „Eine Werteerziehung auf der Grundlage humanistischer und christlicher Tradition ist zentraler Bestandteil des Bildungs- und Erziehungsauftrags der Schule.“ Auch die Hessische Verfassung schreibt den Religionsunterricht als ordentliches Lehrfach fest. Dennoch bleibt angesichts einer Bevölkerungsentwicklung, in der die Schülerinnen und Schüler mit christlichem Hintergrund eine Minderheit sind, die Diskussion um die Zukunft des Religionsunterrichts eine Herausforderung (siehe auch den Kommentar auf Seite 2).
Kurt-Helmuth Eimuth

Jauch und Co. sind für „Reli“
Altbundespräsident Johannes Rau, Bundestagspräsident Wolfgang Thierse, die TV-Moderatoren Günter Jauch und Sabine Christiansen sowie andere Prominente unterschrieben einen Aufruf der Berliner Kirchen und der Jüdischen Gemeinde für Wahlfreiheit zwischen dem Religionsunterricht und dem geplanten neuen Ethikfach. Insgesamt kamen seit April bereits 55000 Unterschriften zusammen. In der Diskussion um den „Werteunterricht“ verweist Bischof Wolfgang Huber auf die Aussage eines Schülers: „Der Staat verfügt nicht über Antworten auf die Frage, was gut ist. Es fällt ihm schon schwer genug, die Frage zu beantworten, was gerecht ist.“ Schärfer formuliert es Huber selbst: Kein Fach dürfe zum „Herrschaftsinstrument über Seelen und Köpfe von Schülern“ werden. Nach Plänen des Berliner Senats soll vom Schuljahr 2006/2007 an ein Pflichtfach „Ethikunterricht“ ohne Abwahlmöglichkeit eingeführt werden. Die Kirchen könnten dann zwar weiterhin Religionsunterricht als freiwilliges Angebot erteilen, fürchten aber ein deutlich nachlassendes Interesse. Derzeit nehmen rund 150000 Kinder und Jugendliche in Berlin am Religionsunterricht teil.
Kurt-Helmuth Eimuth

„Welche Werte will man unterrichten?“

In vielen Klassen sind evangelische Kinder die Minderheit, welche Berechtigung hat da noch ein evangelischer Religionsunterricht?

Religionsunterricht ist nicht nur dann legitim, wenn ein Kind getauft ist, sondern bei jüngeren Kindern auch, wenn die Eltern möchten, dass ihr Kind am evangelischen Unterricht teilnimmt, damit es die Tradition des christlichen Glaubens kennen lernt. Der Religionsunterricht ist in den Bildungsauftrag der Schule integriert. Die Auseinandersetzung mit dem christlichen Glauben und dem Glauben anderer Religionen gehört ebenso wie die Erziehung zur Achtung anderer Religionen zur Aufgabe der Schule.

Regiert die Kirche hier nicht in unzeitgemäßer Form in die Schule hinein?

Nein, und das will sie auch gar nicht. Eher machen die Kirchen den Schulen ein Angebot, die religiöse Frage in den Bildungsauftrag hineinzuholen. Das ist auch gar nicht unzeitgemäß, weil sich ja in den letzten Jahren deutlich zeigt, dass Kinder und Jugendliche ein Interesse an religiösen Fragen haben. Dass in Hessen das Unterrichtsfach, in dem es um diese Fragen geht, in Übereinstimmung mit den Kirchen erteilt wird, ist historisch gewachsen und deshalb Teil unserer Gesellschaft und Kultur.

Was leistet der Religionsunterricht, das andere Fächer nicht leisten können?

Wie der Name schon sagt: Er unterrichtet über religiöse Bezüge. Das kann in anderen Fächern, wenn überhaupt, nur am Rande vorkommen. Religionslehrerinnen und -lehrer stehen den Kindern als Gesprächpartner zur Verfügung, die auch über ihren eigenen Glauben Auskunft geben können und wollen. Neben diesem auf ein Bekenntnis gestützten Unterricht braucht die Schule aber ein Alternativfach, zum Beispiel Ethik, das diejenigen Kinder besuchen, die vom Religionsunterricht abgemeldet sind, denn auch diese Kinder brauchen Orientierung und Hilfestellung für ihr Leben.

Könnte der Religionsunterricht nicht durch ein allgemeines Fach Werteerziehung, so wie in Berlin geplant, ersetzt werden?

Zwar ist Frankfurt eine multikulturelle Metropole wie Berlin oder Hamburg, aber es gibt Unterschiede. In Berlin gibt es keinen Religionsunterricht als ordentliches Lehrfach. Die dortige Debatte über den „Werteunterricht“ zeigt einerseits den Willen, alle Schülerinnen und Schüler, nicht nur die konfessionell gebundenen, in einem Fach zu unterrichten, das Orientierung über „Werte“ zum Inhalt hat. Andererseits fragt man sich aber, warum hier die Partnerschaft mit den Kirchen nicht gewollt ist. Die Inhalte eines solchen „Werteunterrichtes“ kann ich mir nur schwer vorstellen. Welche Werte sind gemeint? Was will man da unterrichten? Wie werden die Lehrerinnen und Lehrer ausgebildet? Über die inhaltlichen Fragen hört man ja so gut wie nichts. In den Bundesländern, in denen der Religionsunterricht als ordentliches Lehrfach seit 1945 existiert, wäre ein Werteunterricht überhaupt keine Alternative. Interview: Kurt-Helmuth Eimuth

Evangelisches Frankfurt: Juli/August 2005 · 29. Jahrgang · Nr. 4

Parolen lassen erschaudern

www.mittelhessen.de
Hinterländer Anzeiger
Parolen lassen erschaudern

25.06.2005

Von Irmela Dörries-Müller
Tel.: (0 64 61) 92 81 44
E-Mail: I.Doerries@mail.mittelhessen.de

Es war ein Thema, bei dem es einem eiskalt den Rücken herunter laufen konnte: Die „Apologetischen Studientage“, zu denen der Evangelische Bund Hessen und Nassau regelmäßig einlädt, beschäftigten sich in der Holzhäuser Freizeit-und Bildungsstätte des Dekanates Gladenbach mit der „Religion von rechts“. Die Zuhörer begegneten der „neuheidnischen Szene“ in ihren unterschiedlichen Ausprägungsformen. Und sie hörten dabei Sätze von solch menschenverachtender Härte, dass man kaum glauben mochte, dass sie im Deutschland des 21. Jahrhundert noch so propagiert werden. Referent des aufklärerischen Abends war Kurt-Helmuth Eimuth. Der Diplom Pädagoge war zehn Jahre lang Weltanschauungsbeauftragter der evangelischen Kirche in Frankfurt,

Über Neuheidentum und Rechtsradikalismus informierte das Seminar der evangelischen Kirche. Anlass waren auch die Nazi-Demonstrationen in Gladenbach.(Archivfoto: Tietz)

Dautphetal-Holzhausen. Eimuth stellte die lange Tradition der antichristlichen Bewegung vor, die einen Höhepunkt während des Dritten Reiches erlebte. Die Gruppen, die bereits Ende des 19. Jahrhunderts existierten, legten mit ihrem völkischen Denken den Grundstein für die nationalsozialistische Rassenideologie. Die NSDAP habe so manchen Kader aus den nordisch-heidnischen Zirkeln rekrutieren können, so Eimuth. Diese neogermanischen Gruppierungen lehnten sowohl das Christentum als auch das Judentum und den Islam als „artfremde orientalische Religionen“ ab. Sie seien nicht nordisch, entsprächen der germanischen Rasse also nicht. Die neogermanische Ideologie, so erklärte Eimuth, fuße auf drei Prinzipien: der nationalen Gesinnung, dem Rassengedanken und dem Blutmythos. Hiermit werde ein „Führungsanspruch“ der „germanischen Rasse“ begründet.

Eimuth machte aber auch deutlich, dass nicht jede neuheidnische Gruppierung automatisch eine rechtsradikale sei. Es gebe unter den Gruppierungen auch solche, die sich ausdrücklich von Rechtsextremismus und Demokratiefeindlichkeit abgrenzten. Eimuth nannte als Beispiel die Gruppe „Rabenclan“.

Es gebe aber eben auch andere, denen man offenen Rechtsradikalismus nachweisen könne. Wenn dieser heidnisch begründet werde, sei es gefährlich. Eimuth zitierte den Extremismus-Forscher Heitmeyer, der als entscheidende Merkmale benennt: die Theorie der Ungleichheit sowie die Akzeptanz von Gewalt.

Warnend wies der Referent auf die Deckmäntel des neuen Rechtsextremismus hin. Er nannte sie „neogermanische Romantik“ oder auch „Germanenkult“. Auch Wikinger, Kelten oder Walhalla müssten oft genug herhalten, um die extremen Anliegen der Neuheiden zu transportieren. Eimuth sah den Versuch „unter dem Deckmantel der Brauchtumspflege sowie des Heimat- und Naturschutzes Jugendliche an rechtsextremistisches Gedankengut heran zu führen.“

Die „Einflugschneise“ für radikale Theorien in der Esoterik sei breit, meinte der Referent. Er nannte als Umschlagplätze für das Gedankengut esoterische Kleingruppen, satanistisch-sozialdarwinistische Gruppen, jugendsubkulturelle „Dark Wave“ Musik- und Kulturprojekte und verschwörungstheoretische Literatur.

Allerdings stelle der Rechtsextremismus anders als die meisten linksextremen Strömungen keine theoretisch durchgearbeitete Ideologie dar, sondern weise „unterschiedliche Begründungen und Ziele auf“, wie der Extremismusforscher Rainer Fromm festgestellt hat.

Eimuth skizzierte in seinem Vortrag verschiedene Gruppierungen, die in der rechten neuheidnischen Szene besonders aktiv sind. Er nannte die 1981 gegründete „Universale Kirche“ und zitierte deren radikale Aussagen zum Judentum. Weiter stellte er den „Armanenorden“ vor, der eine neue „Urreligion“ verkünden will. Die heutige Kirche enthalte den Germanen ihre ureigene Religion in einer permanenten Inquisition vor, kritisiert die Gruppe. Sie setzt dem christianisierten Europa ein neuheidnisches Glaubensmodell entgegen und beansprucht für sich die „wahre Erkenntnis der göttlichen Weltordnung“ aufgrund germanischen und keltischen „Weistums“.

Bund der Goden

Der „Bund der Goden“ mit Sitz in Herborn gelte als aktivste Organisation im völkisch-religiösen Spektrum, berichtete Eimuth. Die Gruppe sehe das Praktizieren von Christentum als „schizophrenen Akt“.

Größte heidnisch-germanische Gruppe in Deutschland sei die „Artgemeinschaft e.V. Germanische Glaubens-Gemeinschaft wesensgemäßer Lebensgestaltung“. Die Gruppe habe 120 Mitglieder, sei aber im Stande, zu ihren Veranstaltungen sehr viel mehr Menschen zu mobilisieren.

In der abschließenden Diskussion, an der sich auch Schüler eines Religionskurses der Gladenbacher Freiherr-vom-Steinschule lebhaft beteiligten, unterstrich Eimuth, die neuheidnische Bewegung sei zwar keine Massenbewegung, dennoch dürfe man sie nicht verharmlosen. Ihr Gedankengut falle bei manchem auf fruchtbaren Boden. Das rechtsextreme Potenzial in Deutschland sei nicht zu unterschätzen.

Position beziehen

„Christen müssen heute deutlich Position beziehen.“ Dazu ermutigte Dekan Matthias Ullrich in seinen abschließenden Worten. Ullrich erinnerte an die erfolgreiche Mobilisierung aller demokratischen Kräfte gegen die Nazi-Demonstrationen in Gladenbach. Die Erfahrungen dort seien auch Anlass dafür gewesen, das Thema Rechtsradikalismus während eines apologetischen Seminares aufzugreifen.

Geschichte und Geschichtchen aus Schwanheim

Traditionsbewusst ist man im Westen Frankfurts. Die evangelische Martinusgemeinde im ehemals katholischen Dorf Schwanheim, direkt am Main gelegen, hat ihre Geschichte und ihre Geschichtchen. Es geht die Sage, dass der (katholische) Fährmann den evangelischen Pfarrer vom gegenüberliegenden Griesheim des öfteren etwas langsamer über den Main schipperte, damit dieser sich beim sonntäglichen Gottesdienst in Schwanheim verspäte. Doch längst sind die Zeiten des konfessionellen Behakelns vorbei. Pfarrer Burkhard Sulimma bleibt völlig gelassen, als ihm ein Bauarbeiter in der Kirche erklärt, dass es mit der Konfirmation Mitte Mai ja wohl nichts würde. Der Termin sei nicht zu halten. „Dann gehen wir halt in die katholische Kirche.“ Ökumene ist heute selbstverständlich.

So einen Löwen zu restaurieren kostet 3000 Euro: Silke Wedekind-Hirschberger und Burkhard Sulimma werben um Spenden für die Martinuskirche. | Foto: Eimuth

So einen Löwen zu restaurieren kostet 3000 Euro: Silke Wedekind-Hirschberger und Burkhard Sulimma werben um Spenden für die Martinuskirche.
Foto: Eimuth

Genauso selbstverständlich ist der kreative Umgang mit Veränderungsprozessen. Vor bald einhundert Jahren baute man die Martinuskirche. In die alte Kapelle zog der Kindergarten ein. Schon 1907 eröffnete er seine Pforten. Inzwischen verfügt die Gemeinde außerdem noch über einen integrativen Kindergarten und über einen Hort. Eine Krabbelstube, in Regie des Diakonischen Werks für Frankfurt, wird demnächst das Angebot komplettieren. „Ein Schwerpunkt ist die Arbeit mit Kindern“, stellt denn auch Sulimma fest. Krabbelgruppen, Miniclubs, Kindergruppen am Nachmittag und Kochgruppen – auch für Jungen! – und die Kindergottesdienstarbeit belegen dies.

Als die Kirchenmusikerstelle kürzlich dem Rotstift zum Opfer fiel, ließ man sich etwas einfallen. Es gelang, die Dekanatskantorin für Gemeinde-, Senioren-, Kinder- und „Spatzenchor“ zu gewinnen. Auch als immer deutlicher der Zahn der Zeit nicht nur am Putz der Kirche im romanischen Stil nagte, ging man das Problem offensiv an. Flugs gründete die Gemeinde einen Förderverein, der inzwischen die stolze Summe von 30 000 Euro für die Restaurierungsarbeiten gesammelt hat. Insgesamt belaufen sich die Kosten auf 220 000 Euro. Silke Wedekind-Hirschberger, Vorsitzende des Kirchenvorstandes, berichtet, dass sich die Gemeinde nicht leicht tat mit der Entscheidung, soviel Geld in den Bau zu stecken: „Aber letztlich gab das Votum der Denkmalpflege den Ausschlag.“ Und so entsteht wieder der ursprüngliche blaue Sternenhimmel in der Apsis. Für nur 50 Euro kann man „Pate“ eines Sternes werden. Bei den Portallöwen wird’s allerdings richtig happig: 3000 Euro kostet die Restauration und die Patenschaft.

Das ehemals katholische Dorf Schwanheim hat längst, so der Gemeindeprospekt, ein „kleinstädtisches und mittelständiges Gesicht“ und wird zunehmend multikulturell. Im alten Pfarrhaus ist ein therapeutisches Wohn­ heim für Flüchtlinge untergebracht. Obgleich es vom Evangelischen Regionalverband getragen wird, ist es doch Teil der Gemeinde. „Wir sind eben“, so Pfarrer Sulimma, „eine typische Gemeinde im Umbruch.“

Kurt-Helmuth Eimuth

Religion verkauft sich

(Foto von Wolfgang Sauber/Wikimedia)

Evangelisches Frankfurt: Mai/Juni 2005 · 29. Jahrgang · Nr. 3

Religion verkauft sich

Kaum strömten die Menschen zu den Trauerfeierlichkeiten für Papst Johannes Paul II., konstatierten die Beobachter angesichts der zahlreichen Jugendlichen auf dem Petersplatz eine Renaissance der Kirche, zumindest der Religion. Auf allen Kanälen wurde das Medienereignis einem Wiedererstarken der Religion zugeschrieben.
Zum einen handelte es sich um ein mediales Megaereignis. 7000 Journalistinnen und Journalisten berichteten aus Rom. Die schätzungsweise vier Millionen Menschen, die dorthin reisten, wollten nicht nur einfach „dabei sein“. Sie wollten einen Mann ehren, der sich selbst treu geblieben war. Man teilte nicht immer seine Ansichten, aber viele schätzten diesen Papst, der zu seinen Prinzipien stand, gleichgültig woher der Zeitgeist wehte.
Doch ist dies nur eine mögliche Erklärung für ein bemerkenswertes Phänomen. Das Übersinnliche hat Konjunktur, auch wenn es sich dabei meist um eine Form der „Tante-Emma-Esoterik“ handelt. Nach den jüngsten Branchendaten des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels ist der Bereich der religiösen Ratgeber mit über 30 Prozent das umsatzstärkste Segment. Das Magazin „Esotera“ erreicht eine Druckauflage von 100000, das Magazin „Grenzenlos“ über 80000. Der Zukunftsforscher Matthias Horx sieht sogar eine zunehmende Bedeutung des Themas Spiritualität in Wirtschaftsunternehmen. Er spricht von „Faith Based Business“ (auf einem Glauben basierendes Geschäft). Spirituelle Konzepte würden verstärkt in Management-Konzepte einfließen. So arbeite der japanische Konsumgüterhersteller Kao offensiv nach Prinzipien des Zen-Buddhismus.
Die einsetzende Debatte um soziale Marktwirtschaft und Raubtierkapitalismus darf als ein Ringen um Werte gesehen werden. Hier ungezügeltes Profitstreben, dort ein am Gemeinwohl orientiertes Handeln. Horx rechnet damit, dass weitsichtige Unternehmen künftig Raum schaffen für Mitarbeitermeditationen, Gottesdienste und Gesprächsangebote zu spirituellen Themen. Schließlich sind religiöse Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter statistisch gesehen glücklicher, gesünder und damit auch leistungsfähiger.
Man möchte ja solchen Prognosen gerne glauben. Doch trotz religiöser Großereignisse ist die Alltagserfahrung eine andere. Flugs wird der Adventssonntag zum Super-Einkaufstag. Nicht nur auf dem Petersplatz im fernen Rom, sondern auch auf der Frankfurter Zeil findet eine Abstimmung mit den Füßen statt.
Kurt-Helmuth Eimuth
Evangelisches Frankfurt: Mai/Juni 2005 · 29. Jahrgang · Nr. 3

Geschichte und Geschichtchen aus Schwanheim

So einen Löwen zu restaurieren kostet 3000 Euro: Silke Wedekind-Hirschberger und Burkhard Sulimma werben um Spenden für die Martinuskirche. - (Foto: Eimuth)

Evangelisches Frankfurt: Mai/Juni 2005 · 29. Jahrgang · Nr. 3

Geschichte und Geschichtchen aus Schwanheim

Traditionsbewusst ist man im Westen Frankfurts. Die evangelische Martinusgemeinde im ehemals katholischen Dorf Schwanheim, direkt am Main gelegen, hat ihre Geschichte und ihre Geschichtchen. Es geht die Sage, dass der (katholische) Fährmann den evangelischen Pfarrer vom gegenüberliegenden Griesheim des öfteren etwas langsamer über den Main schipperte, damit dieser sich beim sonntäglichen Gottesdienst in Schwanheim verspäte. Doch längst sind die Zeiten des konfessionellen Behakelns vorbei. Pfarrer Burkhard Sulimma bleibt völlig gelassen, als ihm ein Bauarbeiter in der Kirche erklärt, dass es mit der Konfirmation Mitte Mai ja wohl nichts würde. Der Termin sei nicht zu halten. „Dann gehen wir halt in die katholische Kirche.“ Ökumene ist heute selbstverständlich.
Genauso selbstverständlich ist der kreative Umgang mit Veränderungsprozessen. Vor bald einhundert Jahren baute man die Martinuskirche. In die alte Kapelle zog der Kindergarten ein. Schon 1907 eröffnete er seine Pforten. Inzwischen verfügt die Gemeinde außerdem noch über einen integrativen Kindergarten und über einen Hort. Eine Krabbelstube, in Regie des Diakonischen Werks für Frankfurt, wird demnächst das Angebot komplettieren. „Ein Schwerpunkt ist die Arbeit mit Kindern“, stellt denn auch Sulimma fest. Krabbelgruppen, Miniclubs, Kindergruppen am Nachmittag und Kochgruppen – auch für Jungen! – und die Kindergottesdienstarbeit belegen dies.
Als die Kirchenmusikerstelle kürzlich dem Rotstift zum Opfer fiel, ließ man sich etwas einfallen. Es gelang, die Dekanatskantorin für Gemeinde-, Senioren-, Kinder- und „Spatzenchor“ zu gewinnen. Auch als immer deutlicher der Zahn der Zeit nicht nur am Putz der Kirche im romanischen Stil nagte, ging man das Problem offensiv an. Flugs gründete die Gemeinde einen Förderverein, der inzwischen die stolze Summe von 30 000 Euro für die Restaurierungsarbeiten gesammelt hat. Insgesamt belaufen sich die Kosten auf 220 000 Euro. Silke Wedekind-Hirschberger, Vorsitzende des Kirchenvorstandes, berichtet, dass sich die Gemeinde nicht leicht tat mit der Entscheidung, soviel Geld in den Bau zu stecken: „Aber letztlich gab das Votum der Denkmalpflege den Ausschlag.“ Und so entsteht wieder der ursprüngliche blaue Sternenhimmel in der Apsis. Für nur 50 Euro kann man „Pate“ eines Sternes werden. Bei den Portallöwen wird’s allerdings richtig happig: 3000 Euro kostet die Restauration und die Patenschaft.
Das ehemals katholische Dorf Schwanheim hat längst, so der Gemeindeprospekt, ein „kleinstädtisches und mittelständiges Gesicht“ und wird zunehmend multikulturell. Im altenPfarr-haus ist ein therapeutisches Wohn heim für Flüchtlinge untergebracht. Obgleich es vom Evangelischen Regionalverband getragen wird, ist es doch Teil der Gemeinde. „Wir sind eben“, so Pfarrer Sulimma, „eine typische Gemeinde im Umbruch.“
Kurt-Helmuth Eimuth

Evangelisches Frankfurt: Mai/Juni 2005 · 29. Jahrgang · Nr. 3

Das Leben Jesu zum Anfassen

Erlebnisparcours mit Gebetsgarten im Evangelischen Jugendwerk

Bild: Wikimedia/3268zauber

Der Raum ist abgedunkelt, Kerzen brennen in der Mitte, sphärische Klänge wabern, an der Wand Bilder von Neugeborenen. Die erste Station des Erlebnisparcours über das Leben Jesu knüpft an Bethlehem an. Zahlreiche Jugendliche haben per Zettel auf der Pinnwand die Frage beantwortet, wo sie einen Neuanfang erlebt haben. „Am Ende einer Beziehung“, „nach einer Lungenentzündung“ oder auch „nach dem Sitzenbleiben in der neuen Klasse“ ist da zu lesen. Von den Ängsten junger Menschen ist auch etwas an einer anderen Station zu spüren. „Ich habe oft Angst zu versagen“, bekennt jemand auf gelbem Papier.
Das Evangelische Jugendwerk, das mit seinen ehrenamtlich geleiteten Jugendgruppen in 26 Frankfurter Kirchengemeinden aktiv ist, hatte in seiner Zentrale in Echersheim einen so genannten „Gebetsgarten“ aufgebaut.
„Eigentlich ist der Begriff irreführend, es müsste Erlebnisgarten heißen“, räumt der zuständige Jugendreferent Ralf Herold ein. Doch man habe eben auf den eingeführten Namen gesetzt. Und der Erfolg gab den Initiatoren Recht.
Gut zehn Tage hat es gedauert, bis aus schwarzen Zeltplanen und einem Baugerüst die unterschiedlichen Stationen gebaut waren. Neben dem Engagement Ehrenamtlicher wurden die Kosten mit Hilfe von Sachspenden niedrig gehalten. Zum Beispiel wurde das Gerüst kostenlos zur Verfügung gestellt, das in der Mitte des Saals einen kleinen Turm bildete, der mit seinen Etagen auf die Bergpredigt hinwies.
Ralf Herold ist zufrieden: Über tausend Besucherinnen und Besucher waren da. Vor allem Konfirmandengruppen zeigten sich begeistert von dem Angebot, das Leben Jesu mit allen Sinnen zu erleben.
Kurt-Helmuth Eimuth

Evangelisches Frankfurt Mai 2005

Autoritäre und humanistische Religion

Erich Fromm,

Andacht, Kurt-Helmuth Eimuth

14.3.2005

Lied EG: 593, 1+5

Votum:

Guten Morgen

Wir sind hier in der Heiliggeistkirche

In deinem Namen

Gott, du Schutz allen Lebens,

Jesus, du Hoffnung aller Geopferten,

Heiliger Geist, du Überwindung des Todes.

Psalm: 43 Nr. 724

Lied: EG 584, 1-4

Liebe Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter,

Es jährt sich in diesen Tagen der Todestag eines berühmten Frankfurters, eines Denkers, der viel über das Wesen der Religion nachdachte: Erich Fromm

Obwohl Erich Fromm sich ganz bewusst von jeglicher Religion losgesagt hat, ist er bis zu seinem Tod dem Glauben treu geblieben. Die Religion, in die er hineingeboren wurde, ersetzte er mit einer eigenen durch und durch von Erkenntnis und Vernunft geprägten Ethik, die nicht nur dem ureigensten Wesen des Menschen, sondern auch der Gesellschaft gerecht werden sollte.

Aus dem Erfolg der 68er-Bewegung resultierte letzten Endes der Erfolg von Fromms Büchern. Die mehr als 50 Titel seiner Gesamtauflage wurden in alle wichtigen Sprachen übersetzt und bis heute weltweit mehr als 50 Millionen mal verkauft. Nicht nur sein Bestseller „Die Kunst des Liebens“ von 1956, sondern auch sein Alterswerk „Haben oder Sein“ von 1976 wurden Kultbücher.

Der am 23. März 1900 in Frankfurt als Sohn des jüdischen Weinhändlers Naphtali geborene Erich Fromm, beschäftigt sich bereits mit 13 intensiv mit dem Talmud. Nach der Schule studiert er zwei Semester Jura in Frankfurt und wechselt nach Heidelberg, wo er mit Soziologie, Psychologie und Philosophie weiter macht. Während seine Promotion 1922 noch den Titel trägt: „Das jüdische Gesetz. Ein Beitrag zur Soziologie des Diaspora-Judentums“, wendet er sich schon vier Jahre später vom orthodoxen Judentum ab.

Bei Karl Landauer in München studiert er weiter und beendet sein Psychologiestudium 1929 am Psychoanalytischen Institut in Berlin. Gleichzeitig engagiert er sich in Frankfurt und hilft bei der Gründung des Süddeutschen Instituts für Psychoanalyse in Frankfurt. Zusammen mit Theodor W. Adorno, Walter Benjamin, und Herbert Marcuse gehört er zu jenem Kreis um Max Horkheimer am fortan genannten „Frankfurter Institut für Sozialforschung“, der nach der Machtergreifung der Nazis seine Tätigkeit an der Columbia-University von New York fortsetzt.


Vom orthodoxen Juden zum dogmatischen Freudianer zum überzeugten Marxisten entwickelt sich Erich Fromm zum „radikalen Moralisten“. Vom Judentum wendet er sich ab, „weil er nicht an irgendeiner Spaltung der Menschheit – ob religiös oder politisch – beteiligt sein wollte,“ wie er einmal sagte. Von Freud entfernt er sich und stellt dazu fest: „Wir Psychoanalytiker der zweiten Generation stehen auf Freuds Schultern – und darum sehen wir weiter.“ Freud lasse soziale und wirtschaftliche Faktoren weitgehend außer acht. Erich Fromm löst die Psychoanalyse aus ihrem rein therapeutischen Kontext und führt sie in eine umfassende Sozialanthropologie.

Nach einem Herzinfarkt 1968 zieht sich Erich Fromm aus dem öffentlichen Leben zurück, siedelt ins Tessin über und stirbt bei einem Herzinfarkt am 18. März 1980.

Auch wenn er als Moralist sich von der Religion entfernte, so gab er doch aus sozialpsychologischer Sicht entscheidende Hinweise zur Bewertung von Religion:

Erich Fromm unterscheidet zwischen autoritärer und humanistischer Religion. Die autoritäre Religion sei gekennzeichnet durch die Vorstellung, dass eine höhere Macht Anspruch auf Verehrung und Anbetung aber auch auf Gehorsam habe. Die Macht über Menschen begründe sich eben nicht mit einer besonderen sittlichen Eigenschaft der Gottheit, sondern alleine dadurch,, dass die Herrschaft und damit die Macht ihr zu stehe. Wesentliches Element der autoritären Religion sei die Unterwerfung unter eine Macht jenseits des Menschen. Allerdings könne diese Macht auch von einem Führer direkt ausgeübt werden.

Die humanistische Religion beschreibt Fromm so: „Das religiöse Erlebnis innerhalb dieser Art der Religion besteht in der Empfindung des Einsseins mit dem All , gegründet auf die Beziehung zur Welt.“ Selbstverwirklichung, nicht Unterwerfung wolle der Mensch in dieser Art von Religion erreichen. „Glaube ist Sicherheit der Überzeugung, erworben durch eigene Erfahrung mittels Denkens und Fühlens, nicht Annahme einer Satzung auf Grund des Ansehens dessen, der sie gesetzt hat.“ Und Fromm fügt dieser Beschreibung noch hinzu: „Die vorwiegende Stimmung ist Freude, während sie in autoritären Religionen in Kummer und Schuldgefühl besteht.“

Für die derzeitige Diskussion um die Ursachen des religiösen Fundamentalismus und um religiös motivierten Terrorismus ist die weitere Analyse Fromms aktueller denn je: Die Unterscheidung zwischen autoritärer und humanistischer Religion ziehe sich quer durch alle Religionen. Demnach sind autoritäre oder gar totalitäre Züge von Religionen nicht einer bestimmten Religion zuzuordnen. Da unterscheiden sich die militanten Christen in Nordirland eben nicht von den islamistischen Attentätern des 11. März in Madrid.

In der Analyse kann ich Fromm folgen. Doch so wie ich Christentum verstehe, so wie Luther von der Freiheit eines Christenmenschen spricht, passt die autoritäre Form des Glaubens nicht zur Botschaft des Neuen Testaments. Es pervertiert sie.

Denn der christliche Glaube ist keine Gesetzesreligion. Er schreibt uns nicht vor, wie wir zu leben haben. Er versetzt uns in einen weiten Raum großer Freiheit. In Dankbarkeit gegenüber Gott und ausgerichtet auf unseren Mitmenschen können wir unser Leben gestalten. Wie das heute konkret aussieht, müssen wir selbst herausfinden. Das ist allerdings nicht immer einfach.

Amen.

Lied: EG 546, 1-3

Mitteilungen

Gebet

Verschone uns, Gott,

vor allen Dingen, die zu nichts führen,

aus denen in deinem Reich nichts wird

und die auf Erden nichts

und wieder nichts bedeuten –

davor verschon uns Gott.

Vor unfruchtbarem Grübeln,

vor leeren Gedanken,

vor unbedachten Zugeständnis an das böse,

vor Wahnideen und Phantastereien

vor aller Niederträchtigkeit –

verschon uns Gott

Vor Trägheit und vor unduldsamer Gesinnung,

vor aller Wichtigtuerei,

vor Selbstgefälligkeit

verschon uns Gott

Lass unseren Ehrgeiz

Und unseren Frieden darin finden:

In deinem Licht wandeln,

dass wir Kinder des Lichts werden

dass wir deinem Bilde ähnlich werden

und in deiner Liebe bleiben,

der du uns zuerst geliebt hast

und bis zum Ende liebst

ohne Ende.

Gemeinsam beten wir, wie Jesus uns gelehrt hat:

Vater unser im Himmel

geheiligt werde dein Name,

dein Reich komme,

dein Wille geschehe, wie im Himmel so auf Erden

Unser tägliches Brot gib uns heute.

Und vergib uns unsere Schuld,

wie auch wir vergeben unsern Schuldigern.

Und führe uns nicht in Versuchung,

sondern erlöse uns von dem Bösen.

Denn dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit. Amen.

Segen:

Gott segne uns und behüte uns

Gott gebe uns Liebe wo Hass ist,

Kraft wo Schwäche lähmt,

Toleranz wo Ungeduld herrscht,

Offenheit wo alles festgefahren scheint

So sei Gottes Segen mit uns allen, beflügle unsere Hoffnung und begleite uns wie ein Licht in der Nacht.

Lied: EG 546 4+5

Religion muss humanistisch sein

Evangelisches Frankfurt: März/April 2005 · 29. Jahrgang · Nr. 2

Religion muss humanistisch sein“

Sein bekanntestes Werk „Die Kunst des Liebens“ verirrt sich schon mal ins Sonderangebot beim Discounter. Erich Fromms Bücher wurden in zahlreiche Sprachen übersetzt und erreichten eine Gesamtauflage von 50 Millionen. Auch sein Spätwerk „Haben oder Sein“von 1976 erreichte Kultstatus. Der Frankfurter Sozialpsychologe starb vor 25 Jahren, am 18. März 1980.

(Bild: Wikimedia/Erich-Fromm.de)

Obgleich sich Erich Fromm von jeglicher Religion losgesagt hat, ist er der seinen treu geblieben. Am 23. März 1900 in Frankfurt als Sohn des jüdischen Weinhändlers Naphtali geboren, beschäftigt er sich schon als Jugendlicher intensiv mit dem Talmud. Zusammen mit Theodor W. Adorno, Walter Benjamin und Herbert Marcuse gehört er zum Kreis um Max Horkheimer am „Frankfurter Institut für Sozialforschung“, das seine Tätigkeit nach der Emigration wegen des Nationalsozialismus in New York fortsetzt.
Fromm wollte nicht an „irgendeiner Spaltung der Menschheit – ob religiös oder politisch – beteiligt sein.“ Deshalb, stellen die Biografen fest, habe er sich vom orthodoxen Juden zum dogmatischen Freudianer, zum überzeugten Marxisten und schließlich zum radikalen Moralisten entwickelt. Wie konsequent Fromms Denken ist, zeigen seine Ausführungen über die Religion allgemein.
Erich Fromm unterscheidet zwischen autoritärer und humanistischer Religion. Die autoritäre Religion sei gekennzeichnet durch die Vorstellung, dass eine höhere Macht Anspruch auf Verehrung und Anbetung, aber auch auf Gehorsam habe. Die Macht über Menschen begründe sich eben nicht mit einer besonderen sittlichen Eigenschaft der Gottheit, sondern alleine dadurch, dass die Herrschaft und damit die Macht ihr zustehe. Wesentliches Element der autoritären Religion sei die Unterwerfung unter eine Macht jenseits des Menschen. Allerdings könne diese Macht auch von einem Führer direkt ausgeübt werden.
Die humanistische Religion hingegen beschreibt Fromm so: „Das religiöse Erlebnis innerhalb dieser Art der Religion besteht in der Empfindung des Einsseins mit dem All, gegründet auf die Beziehung zur Welt.“ Selbstverwirklichung, nicht Unterwerfung wolle der Mensch in dieser Art von Religion erreichen. „Glaube ist Sicherheit der Überzeugung, erworben durch eigene Erfahrung mittels Denkens und Fühlens, nicht Annahme einer Satzung auf Grund des Ansehens dessen, der sie gesetzt hat.“ Und Fromm fügt dieser Beschreibung noch hinzu: „Die vorwiegende Stimmung ist Freude, während sie in autoritären Religionen in Kummer und Schuldgefühl besteht.“ Für die derzeitige Diskussion um die Ursachen des religiösen Extremismus, um religiös motivierten Terrorismus ist die weitere Analyse Fromms aktueller denn je: Die Unterscheidung zwischen autoritärer und humanistischer Religion, so Fromm, ziehe sich quer durch alle Religionen. Demnach sind autoritäre oder gar totalitäre Züge von Religionen nicht einer bestimmten Religion zuzuordnen. Leider wird das in überhitzten Diskussionen oft vergessen.
Kurt-Helmuth Eimuth
Evangelisches Frankfurt: März/April 2005 · 29. Jahrgang · Nr. 2

Ein unauslotbares Geheimnis

15.1.2005

Pfarrerin Marion Eimuth

Letzter Sonntag nach Epiphanias (24.1.99)

Predigttext

2. Mose 3,1-10 (11-14)

Orgelvorspiel

Gemeinde: Eingangslied: EG 70, 1+4

Zum heutigen Sonntag, begrüße ich Sie ganz herzlich mit dem  

Wochenspruch bei dem Propheten Jesaja, Kapitel 60, Vers 2:

Über dir geht auf der HERR, und seine Herrlichkeit erscheint über dir.

Wir feiern diesen Gottesdienst im Namen Gottes

Gott ist uns nahe – immer und überall,

im Namen Jesu Christi – So sind wir geliebt,

und im Namen des Heiligen Geistes

So sind wir verbunden als Schwestern und Brüder.

Psalm 97

Der Herr ist König: des freue sich das Erdreich und seien fröhlich die Inseln, so viel ihrer sind.

Die Himmel verkündigen seine Gerechtigkeit,

und seine Herrlichkeit sehen alle Völker.

Schämen sollen sich alle, die Bildern dienen

und sich der Götzen rühmen.

Betet ihn an, alle Götter!

Zion hört es und ist froh,

und die Töchter Juda sind fröhlich,

weil du, Herr, recht regierest.

Denn du, Herr, bist der Höchste über allen Landen,

du bist doch erhöht über alle Götter.

Die ihr den Herrn liebet, hasset das Arge!

Der Herr bewahrt die Seelen seiner Heiligen;

auder Hand des Gottlosen wird er sie erretten.

Dem Gerechten muss das Licht immer wieder aufgehen und Freude den frommen Herzen.

Der Herr ist König; des freue sich das Erdreich und seien fröhlich die Inseln, so viel ihrer sind.

Kommt, lasst uns anbeten:

Gemeinde: Ehr sei dem Vater und dem Sohn…

Pfarrerin: Sündenbekenntnis

 Gott, wie oft kommt es vor, dass wir uns überschätzen.

Wir fühlen uns stark und vergessen, wer uns mit Stärke ausgestattet hat.

Aus eigener Kraft wollen wir das Leben gestalten.

Manchmal erzwingen wir Veränderungen,

die uns und anderen nicht gut tun.

Wir bitten dich, lenke unsere Gedanken und Blicke auf dich.

Du allein bist unsere Stärke und Kraft.

Du schenkst uns Zuversicht.

Hilf uns, dass wir dir allein vertrauen.

Darum bitten wir: Erbare dich!

Gemeinde: Herre, Gott, erbarme dich, Christe, erbarme dich, Herre, Gott, erbarme dich!

Pfarrerin: Gnadenwort:

Christus spricht: „Ich bin in die Welt gekommen als ein Licht, damit, wer an mich glaubt, nicht in der Finsternis bleibe.“

Ehre sei Gott in der Höhe.

Gemeinde: Allein Gott in der Höh sei Ehr und Dank für seine Gnade, darum dass nun und nimmermehr uns rühren kann kein Schade.

Ein Wohlgefalln Gott an uns hat;

nun ist groß Fried ohn Unterlass, all Fehd hat nun ein Ende.

Pfarrerin: Gebet:

Gott, du bist Licht und Heil.

Lass uns dein Licht aufgehen und fülle unsere Herzen mit dem Feuer deiner göttlichen Liebe.

Deine wahrheit leuchte in uns und schenke uns Klarheit für unser Tun und Lassen.

Im Glauben wollen wir weitergeben, was du uns schenkst durch Jesus Christus, deinen Sohn, der mit dir lebt und regiert in Ewigkeit. Amen.

  1. Schriftlesung:

Epistel: 2. Korinther 4,6-10

Denn Gott, der sprach: Licht soll aus der Finsternis hervorleuchten, der hat einen hellen Schein in unsre Herzen gegeben, dass durch uns entstünde die Erleuchtung zur Erkenntnis der Herrlichkeit Gottes in dem Angesicht Jesu Christi.

Wir haben aber diesen Schatz in irdenen Gefäßen, damit die überschwängliche Kraft von Gott sei und nicht von uns. Wir sind von allen Seiten bedrängt, aber wir ängstigen uns nicht. Uns ist bange, aber wir verzagen nicht. Wir leiden Verfolgung, aber wir werden nicht verlassen. Wir werden unterdrückt, aber wir kommen nicht um. Wir tragen allezeit das Sterben Jesu an unserm Leibe, damit auch das Leben Jesu an unserm Leibe offenbar werde.

Halleluja

Gemeinde: Halleluja, Halleluja, Halleluja

Gemeinde: EG 72, 1-6

2. Schriftlesung:

Evangelium: Matthäus 17,1-9

Und nach sechs Tagen nahm Jesus mit sich Petrus und Jakobus und Johannes, dessen Bruder und führte sie allein auf einen hohen Berg. Und er wurde verklärt vor ihnen, und sein Angesicht leuchtete wie die Sonne, und seine Kleider wurden weiß wie das Licht. Und siehe, da erschienen ihnen Mose und Elia; die redeten mit ihm.

Petrus aber fing an und sprach zu Jesus: Herr, hier ist gut sein! Willst du, so will ich hier drei Hütten bauen, dir eine, Mose eine und Elia eine. Als er noch so redete, siehe, da überschattete sie eine lichte Wolke. Und siehe, eine Stimme aus der Wolke sprach: Dies ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe; den sollt ihr hören!

Als das die Jünger hörten, fielen sie auf ihr Angesicht und erschraken sehr. Jesus aber trat zu ihnen, rührte sie an und sprach: Steht auf und fürchtet euch nicht! Als sie aber ihre Augen aufhoben, sahen sie niemand als Jesus allein. Und als sie vom Berge hinabgingen, gebot ihnen Jesus und sprach: Ihr sollt von dieser Erscheinung niemandem sagen, bis der Menschensohn von den Toten auferstanden ist

„Ehre sei dir Herr!“

Gemeinde: Lob sei dir, o Christe!

Pfarrer und Gemeinde:
Lasst uns Gott loben und preisen mit dem Bekenntnis unseres Glaubens:

Ich glaube an Gott, den Vater,

den Allmächtigen,

den Schöpfer des Himmels und der Erde;

und an Jesus Christus,

seinen eingeborenen Sohn, unsern Herrn,

empfangen durch den Heiligen Geist,

geboren von der Jungfrau Maria,

gelitten unter Pontius Pilatus,

gekreuzigt, gestorben und begraben,

hinabgestiegen in das Reich des Todes,

am dritten Tage auferstanden von den Toten,

aufgefahren in den Himmel;

er sitzt zur Rechten Gottes,

des allmächtigen Vaters;

von dort wird er kommen,

zu richten die Lebenden und die Toten.

Ich glaube an den Heiligen Geist,

die heilige, christliche Kirche,

Gemeinschaft der Heiligen,

Vergebung der Sünden

Auferstehung der Toten

und das ewige Leben. Amen.

Gemeide: EG, 67, 1-4

Pfarrerin: Predigt:

2. Mose 3, 1-14

1 Mose hütete die Schafe Jitros, seines Schwiegervaters, des Priesters in Midian, und trieb die Schafe über die Steppe hinaus und kam an den Berg Gottes, den Horeb. 2 Und der Engel des HERRN erschien ihm in einer feurigen Flamme aus dem Dornbusch. Und er sah, daß der Busch im Feuer brannte und doch nicht verzehrt wurde. 3 Da sprach er: Ich will hingehen und die wundersame Erscheinung besehen, warum der Busch nicht verbrennt. 4 Als aber der HERR sah, daß er hinging, um zu sehen, rief Gott ihn aus dem Busch und sprach: Mose, Mose! Er antwortete: Hier bin ich. 5 Gott sprach: Tritt nicht herzu, zieh deine Schuhe von deinen Füßen; denn der Ort, darauf du stehst, ist heiliges Land!

6 Und er sprach weiter: Ich bin der Gott deines Vaters, der Gott Abrahams, der Gott Isaaks und der Gott Jakobs. Und Mose verhüllte sein Angesicht; denn er fürchtete sich, Gott anzuschauen. 7 Und der HERR sprach: Ich habe das Elend meines Volks in Ägypten gesehen und ihr Geschrei über ihre Bedränger gehört; ich habe ihre Leiden erkannt. 8 Und ich bin herniedergefahren, daß ich sie errette aus der Ägypter Hand und sie herausführe aus diesem Lande in ein gutes und weites Land, in ein Land, darin Milch und Honig fließt, in das Gebiet der Kanaaniter, Hetiter, Amoriter, Perisiter, Hiwiter und Jebusiter. 9 Weil denn nun das Geschrei der Israeliten vor mich gekommen ist und ich dazu ihre Not gesehen habe, wie die Ägypter sie bedrängen, 10 so geh nun hin, ich will dich zum Pharao senden, damit du mein Volk, die Israeliten, aus Ägypten führst.

11 Mose sprach zu Gott: Wer bin ich, daß ich zum Pharao gehe und führe die Israeliten aus Ägypten? 12 Er sprach: Ich will mit dir sein. Und das soll dir das Zeichen sein, daß ich dich gesandt habe: Wenn du mein Volk aus Ägypten geführt hast, werdet ihr Gott opfern auf diesem Berge. 13 Mose sprach zu Gott: Siehe, wenn ich zu den Israeliten komme und spreche zu ihnen: Der Gott eurer Väter hat mich zu euch gesandt! und sie mir sagen werden: Wie ist sein Name?, was soll ich ihnen sagen? 14 Gott sprach zu Mose: Ich werde sein, der ich sein werde. Und sprach: So sollst du zu den Israeliten sagen: „Ich werde sein“, der hat mich zu euch gesandt.]

Liebe Gemeinde,

Wer ist Gott?

Ist das eine Frage, die einer beantworten kann? Ist das eine Frage, die Menschen überhaupt bewegt?

Wer ist Gott?

Manchmal an einem Wintertag, wenn der Rauhreif an den Ästen klebt und der Atem in der klaren Luft zu sehen ist und der blaue Himmel sich über einen wölbt, dann meine ich zu ahnen, wer Gott ist: Der alles wunderbar gemacht hat und dem ich ein dankbares Lied singen sollte, bevor ich etwas anpacke.

Oder wenn ich Musik höre, die mein Herz bewegt, die nicht laut, sondern leise mich in Schwingung bringt und ich mich bewegt fühle und geborgen zugleich, dann ahne ich: Gott liebt die Schönheit und hat mir meine Sinne geschenkt, sie wahrzunehmen.

Oder ich merke im nachhinein: Hier ist mir etwas gut gelungen, was ich gemacht habe, und eine hat mich auch dafür gelobt. Dann merke ich: Es wachsen mir manchmal Kräfte zu, die nicht von mir selber kommen, und für die ich nur danken kann.

Wer ist Gott?

Viele wissen keine Antwort auf diese Frage.

Es gibt viele, für die ist die Frage nach Gott ein abgeschlossenes Kapitel. Sie haben resigniert, sind müde, weil sie meinen: Gott ist weit weg von dem Leben, das ich führen muß, weit weg von den Problemen, die ich zu bewältigen habe vom Morgen bis zum Abend. Und gelegentlich ist auch dabei die Enttäuschung zu hören über diejenigen, die so leicht von Gott reden können, und die so wenig sich einfühlen können, wenn Menschen hadern.

Die Frage nach dem Wesen Gottes, wer er ist, wie er ist, wie und ob er Menschen erscheint, leuchtet herüber aus der Geschichte aus dem 2. Mosebuch, die wir gehört haben, und die uns heute morgen beschäftigen soll. Es ist der Bibelabschnitt, der am Ende der Epiphaniaszeit, die ja auch das Ende des Weihnachtsfestkreises ist, in allen evangelischen Kirchen gepredigt wird. Es ist die Zeit, die Gottes Erscheinen in der Welt zum Thema hat. Unser Text nun spricht von einer ganz besonderen Erscheinung Gottes, die fremd ist und doch auch faszinierend.

In drei Abschnitten verläuft diese Geschichte, und wir wollen sehen, was sie zu uns heute über unsere Frage nach Gott sagen kann. Die Geschichte erzählt von einer Erscheinung, vom Auftrag und vom Namen Gottes.

Die Erscheinung

Die Geschichte beginnt idyllisch, so daß man es sich gut vorstellen kann: Schafe kommen darin vor und Ziegen wahrscheinlich auch, ein Hirte, eine Steppe, die wenig Nahrung gibt für die Tiere, ein Berg. Eine ruhige Szene eigentlich, und doch wissen die Kenner, wieviel Mühe und Einfachheit des Lebens sich in diesen wenigen Worten unserer Geschichte widerspiegelt. Wievielmal wird der Hirte den Weg mit seinen Tieren schon gegangen sein? Wieviel Gewohnheit ist es und wieviel Sorge, die Tiere wieder heil zurückzubringen?

Nun plötzlich bemerkt Mose auf dem vielmals begangenen Weg eine ungewöhnliche Erscheinung. Er sieht einen Busch, aus dem eine Flamme schlägt. Das weckt seine Neugier. Natürlich will er sehen, was da seltsames sich tut. Und er sieht eine Flamme und einen Busch, der nicht verbrennt.

Hier ist etwas Einzigartiges geschehen, etwas, was nicht nachvollziehbar und kaum verstehbar ist. Es ist die Begegnung mit Gott selbst. Und es liegt einer nicht verkehrt, wenn er an andere Begegnungen Gottes mit Menschen denkt, die die Bibel erzählt. Von Abraham wird so schon berichtet: Er solle hinausgehen und die Sterne am Nachthimmel zählen. Und wir denken an Jakob, der in der Nacht mit einem Fremden ringt, und nachdem Jakob sich nicht von der dunklen Gestalt überwinden läßt, wird er gesegnet.

Mose hört nun: „Dieser Gott deiner Väter bin ich.“

So ist das in der Bibel. Begegnung mit Gott, das ist immer ganz persönlich und überraschend, noch nie so dagewesen und auch wahrscheinlich nicht wiederholbar. Ich weiß nicht, ob wir daraus für uns etwas lernen können, aber es heißt doch sicher dies: Gott scheut sich nicht, dort Menschen zu begegnen, wo sie gehen und gerade leben in ihren Gewohnheiten, dort, wo ihre Sorgen sind und die Mühen des Alltages, dort, wo die Fragen sind und vor allem dort, wo einer nicht oder nicht mehr mit ihm rechnet.

Wir sind nicht Mose.

Und doch erwarten viele ja große Zeichen: Das Ende von Not und Gewalt, und daß kein Kind mehr sich ängstigen muß, weil Eltern von Waffen bedroht sind. Das alles müßte Gott tun und noch mehr.

Könnte es aber nicht sein, daß wir aufmerksamer hinhören und hinsehen könnten auf andere Signale Gottes. Wir werden keine brennenden Dornbüsche sehen und keine übernatürlichen Stimmen hören. Aber vielleicht hören wir ihn in der Stimme, die fragt, ob wir einen Moment Zeit haben, ob wir zuhören können. Vielleicht bemerkt ihn auch einer, wenn er hinsehen muß und sich mitfreuen, weil ein Kind fröhlich über den Gehsteig hüpft, weil es vielleicht eine gute Note in der Schule bekommen hat. Es müssen nicht immer die großen Zeichen sein, in denen Gott erscheint. Kleine, verletzliche übersehbare Zeichen sind wahrscheinlicher. Wie ja auch die Liebe eher verletzlich und manchmal übersehbar daherkommt und doch so viel verändern kann.

Wer nur den lieben Gott läßt walten

und hoffet auf ihn allezeit,

den wird er wunderbar erhalten

in aller Not und Traurigkeit.

Wer Gott, dem Allerhöchsten, traut,

der hat auf keinen Sand gebaut.

Ist das nur ein Liedvers aus alter Zeit, gesungen von einem, dem es gut geht, oder beschreibt er, wie einer Gott begegnen kann? Johann Neumark hat diesen Vers gedichtet, nachdem er auf einer Reise überfallen und ausgeplündert worden war.

Erscheinung Gottes: Merkwürdig eigentlich. Und doch wissen wir, in manchem Krankenzimmer und in mancher schlaflosen Nacht wird dieser Liedvers mit dem eigenen Leben nachbuchstabiert.

Der Auftrag

Unsere Geschichte bleibt nun nicht dabei stehen, daß sie erzählt, wie Gott einem einzelnen Menschen begegnet. Mose hört aus dem Dornbusch etwas von der Geschichte Gottes mit seinen Menschen. Er hört, was er selbst schmerzlich erfahren hat, wie das Volk Israel in Ägypten leiden muß und dies, daß das Elend nun ein Ende haben soll. Israel soll heraus geführt werden aus der Enge in ein Land, in dem Milch und Honig fließt. Ein Leben in Freiheit soll Israel führen. Gott sagt nun zu Mose: „So geh nun du hin, ich will dich senden.“ Und Mose sagt: „Wer bin ich?“ „Wer bin ich schon?“

Man kann das in der Bibel verfolgen. Es gibt keine Begegnung mit Gott ohne Auftrag und keinen Auftrag ohne Einwände. Kaum einer, dem Gott begegnete, willigte ein in den Weg, den Gott für ihn vorgesehen hatte. Wer unser Kapitel im 2. Mosebuch zu Ende liest, der merkt, wie Mose immer wieder neue Einfälle hat, seine Einwände gegen den Auftrag Gottes vorzubringen.

Es ist wohl so: Angesichts einer Aufgabe spürt mancher, wie klein die Kräfte sind und wie kurz der Atem durchzuhalten. Angesichts einer Aufgabe wird der, der ehrlich ist zu sich selbst, sich über seine eigene Situation klar und über seine Möglichkeiten. Wie oft scheitert auch eine an ihrer Aufgabe?

Ist es eine Frage von Qualifikation?

Heute ist es in aller Munde, wie nötig es ist, sich ständig fortzubilden, will man nicht zurückbleiben. In allen Bereichen ist es so.

In unserer Geschichte ist es aber eine Frage von Vertrauen. Mose hört: „Ich will mit dir sein. Ich, Gott, will mit dir sein, verlaß dich nur darauf.“

Könnte es bei einem Auftrag, wenn einer meint: „Wer bin ich schon?“ etwas Schöneres geben als dies, daß einer von Gott hört „Ich will mit dir sein.“?

Wenn einer von uns das heute morgen hörte und es dann damit wagte wäre es schon genug.

Dann könnte es sein, daß eine ihren Auftrag erkennt und in ihrer Einsamkeit sieht, wie sie die Hände falten kann, und so verbunden ist mit den Menschen, an deren Weg sie denkt.

Und es könnte sein, daß einer seinen Auftrag darin sieht dankbarer zu werden, weil er auf der Straße unterwegs schon so oft bewahrt worden ist und ganz knapp am Unfall vorbeigekommen.

Und es könnte sein, daß einer seinen Auftrag spürt darin, doch endlich auch über eigene Fehler hinweg das klärende Gespräch mit der Kollegin zu wagen und dabei merkt, wieviel Befreiung darin stecken kann und Neuanfang.

Die Aufträge sind so verschieden wie unsere Gesichter verschieden sind, und immer führen sie zum anderen, zum Menschen neben mir. Und auf diesem Weg, so weit und so schwer und so unüberwindlich er manchmal erscheinen mag darf jeder dieses unvergleichliche Wort hören: Ich bin mit dir.

Das will gewagt werden.

Der Name Gottes

„Wie ist sein Name?“, so werden die Israeliten ihn fragen, mutmaßt Mose. Wahrscheinlich zu Recht.

Offenbar genügt es Menschen nicht zu sagen: Es gibt einen Gott, an den Väter und Mütter geglaubt haben.

Offenbar reicht es nicht allein, daß sich Gott Müttern und Vätern zu erkennen gegeben hat.

Offenbar hilft es wenig zu sagen: Was den Alten gut war, wird auch für euch gut sein. Es muß wohl noch etwas mehr dazu kommen.

Mose erhält deshalb auf seine Einwände hin ohne Widerspruch diesen „Namen“ Gottes als Antwort. Ein Name, über den heute noch viel gerätselt wird: „Ich werde sein, der ich sein werde.“

Gott verweigert sich nicht und bleibt nicht nur geheimnisvoll, sondern er macht sich mit einem Namen bekannt und läßt sich so ansprechen.

Es ist ein Name, der zwar schwer deutbar ist, aber nun doch in die Zukunft weist, ein Name der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft miteinander verbindet.

Der erste Monat eines neuen Jahres ist nun schon fast wieder um. Und manchem wird es vorkommen, als sei das Weihnachtsfest schon lange vorbei. Und wir wissen auch nicht, was das Jahr noch mit sich bringen wird.

Heute morgen darf einer, den dabei die Angst befällt das hören: so wie Gott in der Vergangenheit sein Volk herausgeführt hat aus der Not in Ägypten, so wird er auch in Zukunft für Menschen da sein. Gott ist der Herr über die Zeiten. „Ich erweise mich als der Getreue“ sagt der Name in einer anderen Übersetzung.

Wer ist Gott?

Vielleicht merken wir im Blick auf die Erscheinung im Dornbusch, im Auftrag und im Namen Gottes, daß Gott nicht in irgendwelche Formeln paßt. Gott sperrt sich auch gegen die vielen Schablonen, die wir gern bereithalten. Die Geschichte vom brennenden Dornbusch läßt spüren, daß Gott immer auch ein unauslotbares Geheimnis bleibt, ein Geheimnis freilich, das sich seinem Volk zuwendet, den Menschen zuwendet, mir zuwendet. Mit diesem Versprechen können wir unsere Schritte ins Neue Jahr hinein tun wie in ein gutes und weites Land.

Amen.

Gemeinde: Kanon, Jahreslosung

Pfarrerin: Abkündigungen

Gemeinde: EG 70, 5 + 6

Pfarrerin: Fürbittengebet

Gott, Licht und Dunkel, Hoffnungen und Ängste haben wir dir genannt.

Du schenkst uns das Licht des Leben,

wir machen so selten Gebrauch davon.

Wir bitten dich für uns Frauen und Männer,

nicht nur, dass uns ein Licht aufgeht,

wir bitten, dass wir es auch nützen.

Leuchte unsere Wege aus, dass wir nicht in die Irre gehen.

Wir bitten dich für alle,

die kein Land mehr sehen,

die sich nichts zutrauen,

die es schwer mit sich selbst und mit den

Menschen um sich haben,

zeige ihnen Wege aus ihrer Dunkelheit.

Wir bitten für die Menschen in Not,

in Kriegen, für die Menschen auf der Flucht und in Unrechtssystemen,

lass es hell werden auf dieser Erde,

dass sie aufatmen können und endlich

Freude finden am Leben.

Gib uns allen das kostbarste Licht,

das unter uns so spärlich brennt,

gib uns Vertrauen in deine Liebe.

Lass uns spüren, dass du da bist. Amen.

Gemeinde: Abendmahlslied: EG 66, 6-8

Pfarrerin: Gebet:

Gott, du teilst aus, und wir leben davon:

Du gibst Brot, und wir werden satt;

du tränkst uns, und wir leben auf;

du kommst zu uns, und wir sind nicht allein.

Verbunden mit allen Hungrigen

in Jesus, dem Bruder, bitten wir:

Für alle, die hungern nach dem täglichen Brot,

dass unter uns gerechtes Teilen gelingt

und jeder bekommt, was er zum Leben braucht.

Für alle, die hungern nach Gerechtigkeit,

dass ihre Stimme gehört, ihre Arbeit voll bezahlt

und ihre Würde geachtet wird.

Für alle, die hungern nach Liebe,

dass jemand unter uns Zugang findet zu ihrem Herzen und sie herauskommen aus ihrer Einsamkeit.

Gott, du teilst aus, damit wir leben.

Lass uns dankbar empfangen und weitergeben.

Gemeinde: Heilig, heilig, heilig

Pfarrerin und Gemeinde

Gemeinsam beten wir, wie Christus uns gelehrt hat:

Vater unser im Himmel,

geheiligt werde dein Name.

Dein Reich komme,

dein Wille geschehe,

wie im Himmel so auf Erden.

Unser tägliches Brot gib uns heute.

Und vergib uns unsere Schuld,

wie auch wir vergeben unsern Schuldigern.

Und führe uns nicht in Versuchung,

sondern erlöse uns von dem Bösen.

Denn dein ist das Reich

und die Kraft

und die Herrlichkeit

in Ewigkeit. Amen.

Pfarrerin: Einsetzungsworte

Unser Herr Jesus Christus,

in der Nacht, da er verraten ward, nahm er das Brot,

dankte und brachs und gabs seinen Jüngern und sprach:

Nehmet hin und esset;

Das ist mein Leib, der für euch gegeben wird.

Solches tut zu meinem Gedächtnis.

Desgleichen nahm er auch den Kelch nach dem Mahl, dankte und gab ihnen den und sprach:

Nehmet hin und trinket alle daraus;

Dieser Kelch ist das neue Testament in meinem Blut, das für euch und für viele vergossen wird zur Vergebung der Sünden.

Solches tut, so oft ihrs trinket, zu meinem Gedächtnis.

Gemeinde: Christe, du Lamm Gottes

Austeilung des Mahls:

Wir sind nun eingeladen, das Brot zu essen und den Wein zu trinken und dabei Gemeinschaft zu haben durch unseren Herrn Jesus Christus.

Nimm hin und iss. So spricht der Herr: Ich bin das Brot des Lebens. Wer zu mir kommt, den wird nicht hungern.

Nimm hin und trink. So spricht der Herr: Wer an mich glaubt, den wird nimmermehr dürsten.

Worte nach der Austeilung:

Barmherzig und gnädig ist der Herr, geduldig und von großer Güte.

Und ob ich schon wanderte im finstern Tal, fürchte ich kein Unglück, denn du bist bei mir, dein Stecken und Stab trösten mich.

Ich will den Herrn loben allezeit, sein Lob soll immerdar in meinem Munde sein.

Gebet nach dem Mahl:

Du bist uns nahe gekommen in Brot und Wein. Du hast uns angenommen mit unseren Schwächen und Wunden und hast uns reich gemacht mit deiner Herrlichkeit. Das ist ein Vorgeschmack auf dein Kommen am Ende der Zeit. Dafür danken wir dir, Gott. Dir sei Ehre in Ewigkeit. Amen.

Gemeinde: EG 70, 7

Segen:

Geht in diesen Tag, in diese Woche mit dem Segen unseres Gottes.

Gott segne dich und behüte dich,

Gott lasse sein Angesicht leuchten über dir und sei dir gnädig.

Gott hebe sein Angesicht auf dich und gebe dir Frieden. Amen.

Orgelnachspiel