Fundamentalismus in Familien

Evangelisches Frankfurt Mai 2010

Fachtagung: Religiös-totalitäre Minigruppen schaden Kindern

Rund hunderttausend Kinder und Jugendliche sind nach Schätzung von Kurt-Helmuth Eimuth in Deutschland „totalitären Erziehungssystemen“ ausgesetzt, die unter dem Deckmantel von Religion auftreten. Für die „Gefährdung des Kindeswohls durch Sekten und christlichen Fundamentalismus“ wollte eine von „Sinus“, der hessischen Sekteninformations- und Selbsthilfe-Initiative, organisierte Tagung in Frankfurt sensibilisieren. Eingeladen waren Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Jugendämtern, Kitas sowie Kinder- und Jugendberatungsstätten.

Waren religiös-totalitäre Erziehungsmethoden früher haupt-sächlich in klassischen Großsekten wie den Zeugen Jehovas oder Scientology zu finden, so habe man es heute mit einer Vielzahl kleiner Gruppen zu tun, berichtete Eimuth, der beim Diakonischen Werk für Frankfurt den Arbeitsbereich Kindertagesstätten leitet. In dem „fast undurchschaubaren Dickicht“ wisse man nicht, welche Gruppierung unschädlich und welche bedrohlich ist. Daher müsse jeder Einzelfall genau geprüft werden.

Wenn sich die Betroffenen unter Druck gesetzt fühlen, wanderten sie nicht selten ab, so Eimuth. Die Mutter, die mit Kind ihrem Guru ins Ausland gefolgt ist, sei kein Einzelfall. Aufsehen erregte ein Fall aus Baden-Württemberg, wo Eltern ihre fünf Kinder aus religiösen Gründen nicht in die Schule schicken wollten und in den USA Asyl erhielten.

Harald Achilles, Referent für Schulrechtsangelegenheiten im Hessischen Kultusministerium, sieht darin eine neue Wendung. Differenzen zwischen staatlichem Erziehungsauftrag und elterlichem Erziehungsrecht sind nach Erfahrung des Juristen immer eine Gratwanderung. Das schulgesetzlich verbriefte Toleranzgebot verlange schließlich, auf weltanschauliche Hintergründe Rück- sicht zu nehmen. „Wir können die Sekten nicht abschaffen“, sagte Achilles, „sollten aber für ein Bewusstsein der Problematik sorgen“.

Das gehört sozusagen zum Alltagsgeschäft von Jürgen Zillikens. Der Rechtsanwalt und Vizepräsident des Vereins „Kids“ („Kinder in destruktiven Sekten“) glaubt, dass sich der Zug zu solchen Gruppen in Zukunft noch verstärken wird. In einer Gesellschaft, die „immer kälter wird“, würden Menschen in sektenartigen Zusammenschlüssen Halt, Wärme und soziale Kontakte suchen.

Auch Frauke Zahradnik, die Leiterin des Kinderbüros der Stadt Karlsruhe, geht davon aus, dass das Thema sich nicht so schnell erledigt. Sie verfolgt, „wenn wieder eine dubiose Gruppe auf dem Markt erscheint“, und berät päda­gogische Einrichtungen. Gleichwohl warnte sie vor überzogener Angst: „Nicht jede Sektenmitgliedschaft gefährdet gleich das Kindeswohl.“ Zudem dürfe man nicht vergessen, dass auch Armut oder zerrüttete Familien Kindern erheblichen Schaden zufügen können.

Doris Stickler

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