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Den Stummen eine Stimme – Zum 35. Todestag der Familie Jürges

Der tragische Tod dieser Pfarrfamilie wurde Teil des kollektiven Gedächtnis der Stadt

Pfarrer Martin Jürges Foto: Kurt-Helmuth Eimuth

Sie wollen am Pfingstmontag nach dem Gottesdienst einen Familienausflug ins Grüne unternehmen. Am 22. Mai 1983 herrscht Bilderbuchwetter. Im Stadtwald am Oberforsthaus vergnügen sich die ersten schon beim Volksfest und 400.000 Menschen sind auf dem militärischen Teil des Frankfurter Flughafens, der Rhein-Main-Air-Base, fasziniert von der todbringenden Technik der Starfighter. Als sich bei der Flugschau einer der Militärjets aus der Formation löst, fährt der hellblaue Kombi der Familie Jürges auf dem Autobahnzubringer am Waldstadion. Brennende Wrackteile der abstürzenden Kampfmaschine treffen den Wagen. Die ganze Straße scheint zu brennen. Martin Jürges (40), seine Frau Irmtraud (38), sein Sohn Jan (11), seine Tochter Katharina (1) und seine Mutter Erna (77) verbrennen im Auto. Die 19jährige Nichte Gesine Wagner, Patin der kleinen Katharina, erliegt 81 Tage später in einer Offenbacher Spezialklinik ihren schweren Verletzungen.

Die erste Todesanzeige erscheint am 24. Mai 1983, unterzeichnet von „deutschen und ausländischen Bewohnern des Gutleutviertels“. Sie bescheinigt dem Pfarrer, der erst zwei Jahre in der Gemeinde tätig war: „Martin Jürges war seinen Mitmenschen ohne Ansehen des Alters, des Standes, der Religion, der Nationalität verbunden. Er gab ihnen Halt.“

Tatsächlich konnte dieser Mann in kürzester Zeit, der Gemeinde und dem Viertel etwas von seinem Lebensmut, seinem Optimismus und seinen Visionen vermitteln. Mit dem ihm eigenen Organisationsgeschick und seiner Überzeugungskraft erreichte er es, dass die Gutleutgemeinde ein neues Haus in der Gutleutstraße 131 bekam. Nach den Vorstellungen von Irmtraud und Martin Jürges wurde aus dem Bürogbäude ein Pfarrhaus, ein Gemeindestützpunkt und bot zudem noch dem Kindergarten Platz. Heute beherbergt es die Kaffeestube Gutleut. Das Kaffeestuben-Restaurant ist seit 1991 zu einer festen Einrichtung für wohnsitzlose und arme Menschen des Gutleutviertels geworden. Der Platz vor dem Behördenzentrum wurde nach der Pfarrfamilie benannt.

Martin Jürges und seine Ehefrau arbeiteten zuvor im Stadtjugendpfarramt, er als Stadtjugendpfarrer, sie als Sozialarbeiterin, zuständig für Jugendreisen. Die aktive Mitwirkung am Kirchentag, die Förderung der Gruppe „Habakuk“, die Ausrichtung der Sacro-Pop- Festivals, die Schulung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die Einmischung in die Frankfurter Kommunalpolitik mit der Initiative „PO – Politisch Obdachlose“, die Untersuchung alternativer Lebensstile, die aktive Jugendpolitik, die praktizierte Ökumene – alles Stichworte, die die Breite und den Aktionsradius dieser besonderen Pfarrfamilie andeuten.
Kurt-Helmuth Eimuth

Weitere Infos unter www.familie-jürges.de

Trotz klarer Kante Forum sein: Kirche will demokratische Kultur stärken

von Kurt-Helmuth Eimuth 11. Mai 2018

Neben großem Engagement für Geflüchtete gibt es auch bei vielen Kirchenmitgliedern Ängste vor dem Fremden. Ein Beauftragter soll die demokra­tische Kultur stärken.

Klare Kante gegen rechts hat in Frankfurt Tradition. Das Römerbergbündnis hatte sich 1978 gegrün­det, um einen breiten Widerstand gegen Versuche der NPD zu schaffen, in Frankfurt Fuß zu fassen. Dem Römerbergbündnis gehört die Jüdische Gemeinde, die Evangelische und Katholische Kirche, der Deutsche Gewerkschaftsbund und der Frankfurter Jugendring an. Das Bündnis hat es sich zum Ziel erklärt, den Römerberg in Frankfurt nicht den Nazis zu überlassen, sondern dort eigene Kund­gebungen durchzuführen, wie hier im Jahre 2013. Heute gilt es, sich mit Politikverdrossenheit und Fremdenfeindlichkeit in den eigenen Reihen auseinanderzusetzen. | Fotograf: Kurt-Helmuth Eimuth


Mit der Einrichtung einer Stelle, die den komplizierten Titel „Demokra­tische Kultur in der Gesellschaft stärken. Gegen Rechtsextremismus, Rassismus, Diskriminierung und gruppenbezogene Menschenfeind­lichkeit“ trägt, kam die Kirchenlei­tung der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau dem Wunsch vieler Gemeinden entgegen. ,,Gera­de in der Auseinandersetzung mit der Alternative für Deutschland“ (AfD) seien viele Gemeinden in Not, so EKHN-Sprecher Volker Rahn. Doch wie die Benennung der Stelle schon nahelegt, sei die Aus­richtung dieser Arbeit viel breiter angelegt. ,,Es geht um die Stärkung der Demokratie“, so Rahn. Dabei setze man sich eben auch mit der AfD auseinander, etwa wenn diese beim Kirchentag mitwirken wolle oder wenn eine Prädikantin Funk­tionärin der AfD werde. Auch die katholische Kirche reagierte auf die zunehmende Verbreitung rechtspopulistischen Gedanken­guts. Die Diözesanversammlung des Bistums Limburg hat eigens eine „Erklärung gegen den Rechtspopulismus“ abgegeben.

Selbstkritisch fragte die Evan­gelische Kirche in Deutschland (EKD) in einem Impulspapier, ob in den Gemeinden die Fragen und Ängste aller 23 Millionen Protestan­tinnen und Protestanten Platz ha­ben. Den klaren Positionierungen der kirchenleitenden Personen und Gremien, dem Engagement vieler Gemeinden für die Aufnahme ge­flüchteter Menschen stehe bei einem beachtlichen Teil der Kirchen­mitglieder Skepsis gegenüber.

Matthias Bläser, der die neu bei der EKHN geschaffene Stelle inne­hat, setzt hier an: ,,In Gemeinden muss es eine Gesprächsbereitschaft mit denen geben, die sich von der AfD angesprochen fühlen:“ Hier gelte es, Diskussionsräume zu eröffnen. Genauso müsse man aber auch Din­ge, die dem Evangelium widerspre­chen, klar benennen. Als Beispiel führt der Politikwissenschaftler das Frauenbild oder auch die Nächsten­liebe an, die sich keineswegs nur auf die eigene Verwandtschaft beschränke. Kirchenpräsident Volker Jung for­mulierte es letzthin so: ,,Selbstver­ständlich sind weder Arbeitsvertrag noch Kirchenmitgliedschaft an ein bestimmtes Parteibuch gebunden. Aber: Das Gespräch muss gesucht werden, wo christliche Grundorien­tierungen verletzt werden.“

Warum es sinnvoll ist, für den Todesfall vorzusorgen

Bestattung ist eine Dienstleistung. Dienstleistungen müssen bezahlt werden. Doch in diesem Fall findet in den wenigsten Fällen ein Preis­vergleich statt. Nach Erhebung der Stiftung Warentest zahlen die meisten Kunden viel mehr, als sie ausgeben wollten, weil es an Bera­tung und fairen Kostenvoranschlä­gen fehlt. Wer will auch schon im Angesicht des Verlustes eines lie­ben Menschen über so etwas Pro­fanes wie Geld reden. Da ist man eher froh, wenn einem von der Ge­staltung der Traueranzeige bis zur Ausrichtung des Kaffees nach der Trauerfeier alles abgenommen wird. Nur: Auch hier muss jeder Handgriff bezahlt werden.

Wer seinen Hinterbliebenen das alles ersparen will, plant seinen Abschied. Welche Form der Beerdigung ist erwünscht: Erd­bestattung, Urne, Rasengrab oder Friedwald? Auch der Ort der Be­stattung will wohlüberlegt sein. Soll es der Geburtsort des Verstor­benen sein oder der letzte Wohn­ort? Da ein Grab, gleich in welcher Form, immer auch ein Ort des Ge­denkens ist, brauchen es vor allem die Hinterbliebenen. Deshalb ist es ratsam, diese Fragen mit den nächsten Verwandten zu bespre­chen und deren Wünsche zu hö­ren. Man kann dieses in einer Bestattungsverfügung zusammen­tragen. Diese ist für die Hinter­bliebenen genau wie ein Testa­ment bindend. Übrigens sollte man eine solche Verfügung nicht dem Testament beilegen, sondern sie gehört ins Stammbuch. Denn das benötigen die Angehörigen zuerst

Wer darüber hinaus seine An­gehörigen auch finanziell entlas­ten will, kann dies bei jedem Be­statter tun. Mit Hilfe von Treuhandgesellschaften, die das Geld verwahren, wird die eigene Beerdi­gung vorab gezahlt. Preis und Leis­tung werden beim Bestatter festgelegt und sind so vergleichbar. Es gibt also einen Vertrag über die Leistung des Bestatters und einen über die Finanzierung. Finanztest hat aktuell vier Treuhandgesell­schaften getestet (Heft 2/18). Bei dreien ist das Geld gut geschützt. Bei vorzeitiger Kündigung fallen aber teils hohe Kosten an.

In Frankfurt fungiert die Ge­nossenschaft der Friedhofsgärt­ner als Treuhandgesellschaft. Da­bei können persönliche Wünsche und Vorstellungen zu Lebzeiten mit einem Friedhofsgärtner, Be­stattungsunternehmen oder ei­nem Steinmetz vertraglich verein­bart werden, angefangen vom Ab­lauf der Beisetzung, der Gestaltung des Grabmals bis hin zur Grabbepflanzung und der an­schließenden Grabpflege. Die Ge­nossenschaft der Friedhofsgärt­ner garantiert im Todesfall die Ausführung der festgelegten Leis­tungen. Neu in Frankfurt sind die Friedfelder. Parkähnlich angelegte Areale, die über die gesamte Dau­er der Ruhefrist von den Gärtnern harmonisch gestaltet werden. Dort finden sich alle Grabarten, vom Einzelurnengrab bis zum Fa­miliengrab. Die Kosten für ein Ur­nengrab belaufen sich auf 3000 Euro, für ein Erdwahlgrab auf 7500 Euro.
Kurt-Helmuth Eimuth

Warum es sinnvoll ist, für den Todesfall vorzusorgen

von Kurt-Helmuth Eimuth 11. Mai 2018

Auch der Tod ist nicht um­sonst. Wer noch im Leben klare Anweisungen gibt, kann sicher gehen, dass der letzte Wille umgesetzt wird. Und die Hinterbliebenen sind finan­ziell entlastet.

Verkaufsgespräch in einer Pietät.  |
Verkaufsgespräch in einer Pietät. | Bild: http://www.colourbox.de

Bestattung ist eine Dienstleistung. Dienstleistungen müssen bezahlt werden. Doch in diesem Fall findet in den wenigsten Fällen ein Preis­vergleich statt. Nach Erhebung der Stiftung Warentest zahlen die meisten Kunden viel mehr, als sie ausgeben wollten, weil es an Bera­tung und fairen Kostenvoranschlä­gen fehlt. Wer will auch schon im Angesicht des Verlustes eines lie­ben Menschen über so etwas Pro­fanes wie Geld reden. Da ist man eher froh, wenn einem von der Ge­staltung der Traueranzeige bis zur Ausrichtung des Kaffees nach der Trauerfeier alles abgenommen wird. Nur: Auch hier muss jeder Handgriff bezahlt werden.

Wer seinen Hinterbliebenen das alles ersparen will, plant seinen Abschied. Welche Form der Beerdigung ist erwünscht: Erd­bestattung, Urne, Rasengrab oder Friedwald? Auch der Ort der Be­stattung will wohlüberlegt sein. Soll es der Geburtsort des Verstor­benen sein oder der letzte Wohn­ort? Da ein Grab, gleich in welcher Form, immer auch ein Ort des Ge­denkens ist, brauchen es vor allem die Hinterbliebenen. Deshalb ist es ratsam, diese Fragen mit den nächsten Verwandten zu bespre­chen und deren Wünsche zu hö­ren. Man kann dieses in einer Bestattungsverfügung zusammen­tragen. Diese ist für die Hinter­bliebenen genau wie ein Testa­ment bindend. Übrigens sollte man eine solche Verfügung nicht dem Testament beilegen, sondern sie gehört ins Stammbuch. Denn das benötigen die Angehörigen zuerst

Wer darüber hinaus seine An­gehörigen auch finanziell entlas­ten will, kann dies bei jedem Be­statter tun. Mit Hilfe von Treuhandgesellschaften, die das Geld verwahren, wird die eigene Beerdi­gung vorab gezahlt. Preis und Leis­tung werden beim Bestatter festgelegt und sind so vergleichbar. Es gibt also einen Vertrag über die Leistung des Bestatters und einen über die Finanzierung. Finanztest hat aktuell vier Treuhandgesell­schaften getestet (Heft 2/18). Bei dreien ist das Geld gut geschützt. Bei vorzeitiger Kündigung fallen aber teils hohe Kosten an.

In Frankfurt fungiert die Ge­nossenschaft der Friedhofsgärt­ner als Treuhandgesellschaft. Da­bei können persönliche Wünsche und Vorstellungen zu Lebzeiten mit einem Friedhofsgärtner, Be­stattungsunternehmen oder ei­nem Steinmetz vertraglich verein­bart werden, angefangen vom Ab­lauf der Beisetzung, der Gestaltung des Grabmals bis hin zur Grabbepflanzung und der an­schließenden Grabpflege. Die Ge­nossenschaft der Friedhofsgärt­ner garantiert im Todesfall die Ausführung der festgelegten Leis­tungen. Neu in Frankfurt sind die Friedfelder. Parkähnlich angelegte Areale, die über die gesamte Dau­er der Ruhefrist von den Gärtnern harmonisch gestaltet werden. Dort finden sich alle Grabarten, vom Einzelurnengrab bis zum Fa­miliengrab. Die Kosten für ein Ur­nengrab belaufen sich auf 3000 Euro, für ein Erdwahlgrab auf 7500 Euro.

Landeskirche will Diskriminierung Transsexueller beenden

von Kurt-Helmuth Eimuth
9. Mai 2018

Spätestens seit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts im Herbst des letzten Jahres zum Eintrag in das Geburtsregister wurde der Blick auf eine Gruppe von Menschen gerichtet, die für viele nicht sichtbar war. Es gibt neben der klaren geschlechtlichen Zuordnung eben auch noch mehr. Und dieses soll auch so im Geburtsregister abgebildet werden.

Noah Kretzschel, Vorsitzender der Evangelischen Jugend, Landesjugendpfarrer Gernot Bach-Leuchtl und Oberkirchenrätin Christine Noschka (von links) bei der Vorstellung der EKHN-Handreichung zur Transsexualität in der Kirche. | Foto: Kurt-Helmuth Eimuth

Noah Kretzschel, Vorsitzender der Evangelischen Jugend, Landesjugendpfarrer Gernot Bach-Leuchtl und Oberkirchenrätin Christine Noschka (von links) bei der Vorstellung der EKHN-Handreichung zur Transsexualität in der Kirche. | Foto: Kurt-Helmuth Eimuth

Erstmals hat sich eine evangelische Landeskirche mit Fragen zur Transsexualität auseinandergesetzt und auch positioniert. Die Handreichung mit dem Titel „Zum Bilde Gottes geschaffen. Transsexualität in der Kirche“ will aus christlicher Perspektive einen Beitrag dazu leisten, dass Menschen in ihrer Vielfalt wahrgenommen und Diskriminierungen aufgrund von Geschlecht und sexueller Orientierung beendet werden.

Der hessen-nassauische Kirchenpräsident Volker Jung bekräftigt im Vorwort der Handreichung, dass „geschlechtliche Vielfalt eine Herausforderung für kirchliches und kirchenleitendes Handeln“ sei. „Das bedeutet für viele ein Umdenken. Wahrnehmung geschlechtlicher Vielfalt verlangt, den Horizont zu öffnen. Es ist nötig, eigene Denkmuster zu überprüfen.“ Dazu gehöre auch, sich vor Augen zu führen, dass es Menschen gebe, „die sich zwischen oder jenseits eines zweigeschlechtlich definierten Lebens befinden“. Dies gehört nach Jung „zu der Vielfalt, in der Gott uns geschaffen hat. Wer das bejaht, kann dazu beitragen, Diskriminierung aufgrund von Geschlecht und sexueller Orientierung zu beenden.“

Pflegegeld: Es soll gar nicht in Anspruch genommen werden

Theoretisch können pflegende Angehörige 929 Euro im Monat von den Pflegekassen bekommen. Praktisch nimmt das kaum jemand komplett in Anspruch. Denn der bürokratische Dschungel der dabei durchquert werden muss, ist viel zu kompliziert. Unser Autor hat das selbst erlebt. Aber immerhin kleine Verbesserungen sind jetzt in Aussicht.

Ohne die Angehörigen würde das deutsche Pflegesystem zusammenbrechen: Drei von vier pflegebedürftigen Menschen werden zuhause versorgt, nur bei einem Drittel davon kommt zur Unterstützung ein professioneller Pflegedienst. Diese häusliche Pflege geschieht mit viel Einsatz, und oftmals überfordern sich die Familien.
Die Pflegekassen gewähren unterschiedliche Hilfen. Pauschal gezahlt wird nur ein grundlegendes Pflegegeld in Höhe von 545 Euro im Monat bei Pflegegrad III (ohne Inanspruchnahme eines ambulanten Pflegedienstes). Alles andere muss einzeln beantragt und nachgewiesen werden, zum Beispiel 40 Euro im Monat für Pflegemittel, 18 Euro für technische Hilfsmittel, 125 Euro „Entlastungsbetrag“ und so weiter. Manche Zuschüsse gelten monatlich, andere jährlich.
Sobald man das theoretisch zustehende Geld auch tatsächlich bekommen möchte, entfaltet sich eine aufwändige Bürokratie. Jede Windelrechnung muss belegt und der Kasse vorgelegt werden. Auch die Sachbearbeiterinnen und Sachbearbeiter dort stehen vor einem Dschungel aus Regelungen und Vorschriften, was oft zu falschen Berechnungen führt.
Kein Wunder also, dass vieles gar nicht erst beantragt wird. Nur zehn Prozent der Pflegenden nehmen die Verhinderungspflege in Anspruch. Verhinderungs- und Kurzzeitpflege springen ein, wenn die Angehörigen einmal ausfallen, zum Beispiel weil sie in Urlaub fahren oder selbst krank sind. Für eine kurzzeitige Unterbringung in einem Pflegeheim oder andere Pflegedienstleistungen können Angehörige gut 2400 Euro im Jahr bekommen, 1612 Euro für die so genannte „Verhinderungspflege“, 806 Euro für „Kurzzeitpflege“. Wie gesagt. Theoretisch. Praktisch werden diese Zuschüsse in neun von zehn Fällen nicht abgerufen.
Ähnlich ist es mit dem so genannten „Entlastungsbetrag“ von monatlich 125 Euro, der eigentlich dazu dienen soll, Hilfe im Haushalt zu finanzieren. Aber kaum jemand kann sie beanspruchen, weil dafür eine haushaltsnahe Dienstleistung bei einem Pflegedienst abgerufen werden muss. Den Pflegediensten fehlt hierfür aber schlicht das Personal, außerdem sind sie teuer: Eine Reinigungskraft kostet hier rund 30 Euro die Stunde, das heißt, der Zuschuss würde gerade mal vier Stunden im Monat refinanzieren.
„Gut gemeint, aber schlecht gemacht“, sagt der Sozialverband VdK in seiner Mitgliederzeitung vom Februar 2018 über dieses System. Denn eine solche Bürokratie bedeutet auch, dass sie Menschen bevorzugt, die mit Formularen, Ämtern und Anträgen gut zurechtkommen.
Würde man die theoretisch zur Verfügung stehende Summe pauschal an die Pflegenden zahlen, kämen 929 Euro pro Monat zusammen. Das klingt nach viel Geld, allerdings ist das relativ: Ein ambulanter Pflegedienst wird schließlich mit 1298 Euro im Monat finanziert, ein Heimplatz kostete zwischen 3000 und 4000 Euro im Monat. Häusliche Pflege kommt die Allgemeinheit also mit Abstand am günstigsten.
Es entsteht der Eindruck, dass das System schon daraufhin kalkuliert ist, dass nicht alle Berechtigten die ihnen zustehenden Leistungen in Anspruch nehmen. So antwortet das Gesundheitsministerium auf eine entsprechende Anfrage des Autors vom Juli vorigen Jahres: „Eine pauschale Auszahlung hätte zur Folge, dass der Finanzrahmen der Pflegeversicherung gesprengt würde. Um das System finanzierbar zu halten, müssten Leistungen insgesamt erheblich abgesenkt oder gar gestrichen werden oder der Beitragssatz müsste erheblich angehoben werden.“
Unmissverständlich wird darauf aufmerksam gemacht, dass die Pflegeversicherung nicht dafür gedacht ist, pflegebedürftige Menschen generell abzusichern, sondern dass diese Aufgabe den Angehörigen zufallen soll. So schreibt das Gesundheitsministerium weiter: „Es ist unverändert gesellschaftlicher Konsens – und dies spiegelt sich auch im Willen des Gesetzgebers wider – dass die Pflege vorrangig als Aufgabe der familiären Einstands- und Unterhaltspflichten erbracht werden soll. Danach sollen möglichst Angehörige für die Versorgung ihrer pflegebedürftigen Familienmitglieder sorgen. … Die Leistungen der Pflegeversicherung und die ggf. darüber hinaus zu gewährenden Leistungen der Sozialhilfe bei Pflegebedürftigkeit wirken insoweit ergänzend und sollen die Pflege durch Angehörige unterstützen.“
Klartext: Der Staat fühlt sich nicht dafür zuständig, die Pflege kranker und alter Menschen sicherzustellen, sondern sieht seine Aufgabe lediglich darin, für eine minimale Grundausstattung zu sorgen, falls die „Normalität“ – dass also Angehörige gratis und ohne große Entschädigung die Pflege übernehmen – einmal ausfällt. Konsequenterweise wendet Deutschland auch nur 1,4 Prozent seines Bruttosozialprodukts für die Pflege auf, die skandinavischen Länder hingegen fast vier Prozent.
Ob diese Einschätzung der Realität auch für die Zukunft noch realistisch ist, ist jedoch fraglich. Immerhin haben politische Debatten zu dem Thema inzwischen begonnen. So sieht zum Beispiel die CDU/CSU-Bundestagsfraktion den Grund dafür, dass so viele Leistungen nicht in Anspruch genommen werden, nicht in den komplizierten Antragsverfahren, sondern in der Unkenntnis der Betroffenen. Deshalb möchte man die Informationsmöglichkeiten verstärken.
Auf professionelle Beratung setzt auch der Frankfurter Bundestagsabgeordnete Omid Nouripour von Bündnis90/Die Grünen: „Pflegebedürftigen Menschen in schwierigen Versorgungssituationen (und was anderes wäre eine vielleicht sogar überraschende Pflegesituation) soll bei Bedarf ein individueller Case-Manager zur Seite gestellt, der ein passendes Versorgungssetting zusammenstellen kann.“ Nur: Diese Case-Manager müssten ja auch bezahlt werden – wäre es nicht besser, das Geld für die Pflege selbst auszugeben?
Die FDP hingegen stimmt dem Vorschlag der Pauschalierung zu. „Gerade im Bereich der Pflege spielt der Zeitfaktor eine große Rolle. Je mehr bürokratische Pflichten von den Pflegenden erfüllt werden müssen, umso weniger Zeit steht für den Pflegebedürftigen zur Verfügung“, sagt der Vorsitzende der hessischen Landtagsfraktion René Rock.
Eine deutlich andere Akzentuierung als ihr Parteifreund Nouripour setzt auch Elisabeth Scharfenberg, die im vorigen Bundestag Sprecherin der Grünen für Altenpolitik und Pflege war. Sie stellt sich hinter eine Stellungnahme der Bundesarbeitsgemeinschaft für Freie Wohlfahrtspflege, die gefordert hatte, „die Leistungen der Verhinderungspflege, der Kurzzeitpflege und die zusätzlichen Betreuungsleistungen … in einem so genannten Entlastungsbetrag zusammenzufassen, damit sie ganz flexibel je nach Bedarf eingesetzt und kombiniert werden können“. Damit wären die Angehörigen von vielen bürokratischen Lasten und Antragsverfahren befreit.
Dieser erste kleine Schritt der Entbürokratisierung findet sich auch im aktuellen Koalitionsvertrag von SPD und CDU/CSU im Bund. Die neue Bundesregierung will „Kurzzeit- und Verhinderungspflege sowie in der Tages-und Nachtpflege, die besonders pflegende Angehörige entlasten, zu einer guten pflegerischen Infrastruktur“ zusammenfassen. Bleibt abzuwarten, wann und wie das umgesetzt wird.

Kurt-Helmuth Eimuth 12. März 2018

Wenn Glaube keinen Humor kennt, ist es eine Sekte

Woran kann man eine Religion von einer Sekte unterscheiden? Ganz einfach: Religionen können über sich selbst lachen. Humor ist auch eine Form von Selbstkritik. Wer über sich selbst Witze macht, gesteht sich ein, Schwächen zu haben. Genau das tun Sekten nicht, und deshalb kennen sie auch keinen Spaß.

Humor und Selbstkritik kommen bei Sekten nicht vor. Das hat der Theologe Lutz Lemhöfer beobachtet, der lange Zeit Weltanschauungsbeauftragter der katholischen Kirche im Bistum Limburg war. Gestern Abend sprach er bei der Mitgliederversammlung der Sekteninformations- und Selbsthilfe-Organisation Hessen (SINUS) in Frankfurt über Humor und Religion.

Lutz Lemhöfer war früher Weltanschauungsbeauftragter der katholischen Kirche. Gestern Abend sprach er in Frankfurt über Humor und Religion. Foto: Kurt-Helmuth Eimuth

„Sektenhafter Glaube lässt das Menschlich-Allzumenschliche nicht zu oder verleugnet es“, sagte Lemhöfer. Doch genau darum geht es bei Witzen, bei einem humorvollen Blick auf die Welt. Wer sich selbst und den eigenen Glauben für so unfehlbar hält, dass man darüber keine Witze machen darf, setzt sich letztlich selbst an die Stelle Gottes.

Demgegenüber spiele in der christlich-jüdischen Tradition der Spott und die humorvolle Selbstbetrachtung eine wichtige Rolle. Gelacht werde aber, anders als etwa bei vielen Atheisten, nicht über den Glauben als solchen, sondern über einen „allzu naiven Glauben“. Man traue sich, nüchtern auf die Realität zu schauen, anstatt vor ergriffener Gläubigkeit das Hingucken zu vergessen. So ähnlich wie das Kind in Hans Christian Andersens Märchen von des Kaisers neuen Kleidern: Nur wer unbefangen hinschaut, kann sehen, dass der Kaiser ja gar nichts anhat.

Der Witz sei in der christlich-jüdischen Tradition ein Mittel der Religionskritik von innen. Oft richte er sich auch gegen überzogene Vorstellungen beim religiösen Amt, das eben immer auch bloß von Menschen ausgeübt wird. Ein schönes Beispiel dafür ist der Witz von Fritzchen, das fragt, ob Priester denn auch auf Klo müssen. Fritzchens Schwester findet eine Lösung für Dilemma, indem sie antwortet: „Ja, schon – aber nicht so oft“.

Des mit de Parkplätz is föschterlisch

Also des mit de Packplätz is ja föschterlisch. Alles dicht. Ob in Sachsehause oder in Bernem. Stoßstang an Stoßstang. Klar, dass mer sich da ma schnell uff die Eck hinstelle dut. Hab isch gemacht. Bin dann schnell zum Bäcker reigeflitzt. Und wi isch da in de Schlang steh, see isch, wie en Rollifahrer ankomme dut. Für den war mei Audo förschterlisch im Wesch. Isch stand nämlisch so, dass de abgesenkte Börjersteisch versperrt war. Also daran hat isch net gedacht. Klar bin isch raus und hab die Karr schnell weggefaare. Beim nächste Mal denk isch aach an die Rollis. Versproche.

Aber wisse se, was mir gar net einleuchte dut: Wenn sich die Leut uff en Behinnertepackplatz stelle. Das sieht mer ja immer widder. Sicher, alles ist voll, nur ebbe de aane Platz is so wunnerbar frei. Und aach noch so großzügisch bemesse. Da iss die Versuchung groß. Gerade samstags uff de Packplätz von de Einkaufsmärkte. Alle wolle nur mal schnell was einkaufe. Schwubbs steht mer da, wo deutlich en Rolli uffs Pflaster gemalt is. Sin ja nur fünf Minudde, mag mansch aaner denke. Dabei, isch sach immer: Sei du nur froh, dassde net so en blaue Behindertenausweis krieje dust. Dann kannste nämlich noch selbst laafe. Die, die en habbe, däte gern mit dir tausche.

kurt-Helmuth Eimuth

Luminale diesmal auch in der Gustav-Adolf-Kirche in Niederursel

von Kurt-Helmuth Eimuth 2. Februar 2018

Die Gustav-Adolf-Kirche wird dieses Jahr zum ersten Mal bei der Luminale (18.-23. März) dabei sein. Was geplant ist und welches Konzept dahinter steckt, erklärt Pfarrer Michael Stichling im Interview. 

Pfarrer Michael Stichling aus Niederursel. |  Foto: Rolf Oeser
Pfarrer Michael Stichling aus Niederursel. | Foto: Rolf Oeser

Herr Stichling: Wie kam es zur Teilnahme der Gustav-Adolf-Kirche an der Luminale?

Ich saß mit dem Lichtkünstler Ralf Tjabben bei einem Wein zusammen, im Blick die nach der Renovierung neu eröffnete Kirche in Niederursel. Wir sprachen über Aufbruch, Mut und Vertrauen, etwa den Mut des damaligen Kirchenvorstands in den 1920er Jahren, in das Fachwerk von Niederursel eine Betonkirche im Stil des progressiven Martin Elsässer hineinzubauen. Die alten Ordnungen waren damals nicht mehr tragfähig, es gab aber noch keine neuen verbindenden Werte und Normen. Eine Stadt, ein Land, ein Kontinent war auf der Suche nach neuen tragfähigen Strukturen. In dieser Zeit wurde Aufbruch und Mut deutlich. Das drückte sich auch in den architektonischen Entwürfen aus, besonders hier in Frankfurt mit dem Stil des „Neuen Frankfurt“. Der Neubau der Kirche markierte auch einen Aufbruch für das Dorf Niederursel, hinein in die Zugehörigkeit zur Stadt Frankfurt mit ihren städtebaulich modernen und urbanen Entwicklungen, an denen das Dorf teilhaben wollte. Damals brauchte es durchaus Mut und Vertrauen, so ein Vorhaben zu realisieren. In diesem Zusammenhang fiel Ralf Tjabben ein Wort von Hilde Domin ein: „Ich setzte den Fuß in die Luft, und sie trug.“ So entstand die Idee zu einer Installation, bald kamen dann auch die Historikerin Nora Hilgert und Jörg Hartema aus unserem Kirchenvorstand zu dem Projekt.

Wie wird sich die Kirche zur Luminale verwandeln?

Wir füllen den achteckigen Kirchenraum mit Licht, Bildern, Klängen und Worten. Hilde Domins Grabspruch „Wir setzten den Fuß in die Luft und sie trug“ ist ein transzendentaler Spruch, der den Mittelpunkt des Luminale-Konzeptes bildet. Die zweite Person in der Installation ist der polnische Arzt, Pädagoge und Kinderbuchautor Janusz Korczak, der sein Leben in den Dienst von Waisenkindern im Warschauer Ghetto stellte. Er fand den Tod, als er 1942 die Kinder beim Abtransport in das SS-Vernichtungslanger Treblinka begleitete.

Diese beiden herausragenden historischen Persönlichkeiten bilden einen Teil der Installation, die auf die Wände des Kirchenbaus projiziert wird. Das wird verbunden mit Personen aus der Frankfurter Gegenwart, die aus ihrem lokalen Bezug zur Stadt heraus aufzeigen, wie sie Vertrauen leben. Auch Kinder und Jugendliche aus der Gemeinde kommen mit ihren Gedanken zu Mut und Vertrauen zu Wort. Die Installation verbindet somit eine persönliche, sozusagen weltliche Ebene und eine religiöse Ebene. Das Lichtkonzept holt zu Beginn der Installation den Zelthimmel, auch im übertragenen Sinne, in den Zuschauerraum. Es startet interaktiv. Musik leitet über in die Vorstellung der Personen, die alle für sich mit einem eigenen Licht- und Klangkonzept charakterisiert werden. Im Zusammenspiel von Bild, Licht und Ton werden die Personen und ihr Wirken fassbar. Die Besucherinnen und Besucher werden Bekanntes neu sehen, erleben, denken und bekommen am Ende Impulse für den eigenen Alltag. Zur Vernissage am Sonntag und zur Finissage am Freitag sind Live-Performances geplant. Künstlerische Verstärkung bekommen wir vom Opern-Kammerchor, vom Orfeochor, dem Pianisten und Organisten Bernd-Hans Görich, sowie einer Performance-Künstlerin. In den Tagen dazwischen wird die Kirche täglich von 20 Uhr bis 24 Uhr offen sein, dann ist die Installation automatisch, also ohne anwesende Künstler und Künstlerinnen, erlebbar.

Warum ist die Gustav-Adolf-Kirche etwas Besonderes?

Ich war immer schon sehr berührt von dem Mut des damaligen Kirchenvorstandes der Jahre 1926 bis 1928, in das wundervolle Fachwerk von Alt-Niederursel eine innen so farbig anmutende, moderne Kirche zu bauen. Damals war Niederursel noch ein kleines Dorf, die moderne Nordweststadt der Architekten Walter Schwagenscheidt und Tassilo Sittmann gab es ja noch nicht. Niederursel war umgeben von Feldern und Landstraßen. Der Entwurf von Martin Elsässer war mutig, aber passte sich wundervoll in das zur urbanen Verbindung mit der Großstadt Frankfurt am Main aufstrebende Dorf Niederursel, ein. Die Gemeinde bekam mitten zwischen den Fachwerkhäusern einen für damalige Verhältnisse sehr modernen Kirchenbau im Stil des „Neuen Frankfurt“. In dem oktogonalen System im Aufriss der Kirche steht die feiernde Gemeinde in der Mitte. Sie ist gemeinsam ausgerichtet zur religiösen Achse des Altarraumes hin. Gemeinsamkeit und Gemeinschaft im kommunikativen Rund treten in Verbindung zur theologischen religiösen Achse. Alle diese Argumente werden die damaligen Verantwortlichen wohl dazu gebracht haben, sich für diesen modernen Kirchenbau zu entscheiden. Die Kirche ist ein wahres „Kleinod des Bauhaus, des Neuen Frankfurt, wie es sonst nirgendwo zu sehen ist“, wie der Frankfurter Denkmalschützer Stefan Timpe, einmal gesagt hat. Die oktagonale Form und das Dach vermitteln den Charakter eines Zeltes, das die „mitgehende“ Begleitung Gottes symbolisiert. Dazu die kräftigen Farben die für Zeit des „Neuen Frankfurt“ charakteristisch sind. Diesen architektonischen Charakter haben wir mit der Restaurierung wieder herausgearbeitet.

Kommen seit der Renovierung mehr Menschen, die die Architektur interessiert?

Ja! Zu den Gottesdiensten am Sonntag kommen nun oft Menschen, die „einfach einmal gucken“ wollen. Am Tag des offenen Denkmals waren die Führungen sehr gut besucht, und auch zu den anderen Veranstaltungen der Gemeinde kommen immer wieder „Neue“, die unsere Kirche anschauen und mit uns ins Gespräch kommen wollen. Auch Bildungsinteressierte aus unterschiedlichen Institutionen und Gruppen besuchen unsere Kirche. Die historische Gesellschaft der Deutschen Bank hat ihre Jahrestagung bei uns abgehalten. Auch Architektengruppen aus der ganzen Welt reisen an. Unsere Kirche ist eben unter den besonderen Kirchen dieser Zeit noch einmal eine ganz besondere Kirche. Für uns als Gemeinde ist mit der Renovierung wirklich eine neue Zeit angebrochen. 

Weiterlesen: Die Gustav-Adolf-Kirche in Niederursel sieht wieder aus wie 1927

Die Schule hat zu Ihnen gepasst

Würdigung von Marion Eimuth durch Schulamtsdirektor Jan Schäfer

Liebe Marion Eimuth,

in diesem Gottesdienst verschieden wir Sie aus Ihrem aktiven Dienst als Pfarrerin in den Ruhestand.

Vor einigen Wochen haben wir uns getroffen, um diesen Gottesdienst zusammen vorzubereiten. Ich bin dankbar für unsere Begegnung. Zusammen mit ihrem Mann und Pfarrer Thorsten Peters haben wir auf ihren Berufsweg zurückgeblickt.

Schulamtsdirektor i.K. Pfarrer Jan Schäfer in der Gethsemanekirche bei der Entpflichttung von Marion Eimuth

Wir

haben einige Male miteinander Tränen vergossen. Weil es eben ganz besondere Umstände sind. Das wissen alle. Und, dass Sie sich diesen Übergang sicher ganz anders gewünscht hätten. Aber, wir haben auch zusammen gelacht. Beides liegt eng zusammen: Das betrübt sein und die Dankbarkeit und die Freude.

Dass wir hier in der Gethsemanekirche sind, ist stimmig. Seit Jahrzehnten ist das Ihre Heimatgemeinde. Hier waren Sie lange Jahre Kirchenvorsteherin und Mitglied im Chor. Hier im Stadtteil leben Sie seit vielen Jahren.

Ihr beruflicher Weg als Pfarrerin war ganz sicher kein typischer Weg in das Pfarramt. Aber ein interessanter und spannender Weg, der Ihrer Persönlichkeit sehr entspricht.

Bei unserem Gespräch bei Ihnen zu Hause habe ich durch Sie und durch Ihren Mann vieles von Ihnen neu erfahren. Obwohl wir im Schuldienst ja einige Jahre Kollegen waren.

Sie stammen aus dem Hessischen Hinterland. Ganz genau aus dem Ort Steinperf in der Nähe von Biedenkopf. Das haben Sie mit Pfarrer Peters gemeinsam. Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass die Menschen dort eher fromm und gottesfürchtig sind.

Sie haben die Handelsschule besucht und dann zunächst etwas Richtiges gelernt. Nämlich den Beruf der Buchhalterin und in diesem Beruf dann noch ein Jahr gearbeitet.

Mit 18 Jahren sind sie von Steinperf weggegangen, nach Darmstadt. Sie sind in eine Frauen-WG gezogen und haben an der Evangelischen Fachhochschule das Studium der Gemeindepädagogik begonnen.

Ihr Anerkennungsjahr haben Sie im Frankfurter Stadtjugendpfarramt geleistet – 1976/77, da waren Sie 22 Jahre alt. Das war – vor allem der Ort „Stadtjugendpfarramt“ – eine wichtige Entscheidung, wegweisend für Ihr weiteres Leben. Denn dort sind Sie Kurt-Helmuth Eimuth begegnet. Der Beginn einer lebenslangen Liebe.

Ihre erste Stelle als Gemeindepädagogin hatten Sie in der St. Katharinengemeinde. In dieser Gemeinde haben Sie für sich das entdeckt, was wir heute neu-theologisch gern theologisieren nennen. Theologische Fragen haben Sie mehr und mehr interessiert. Vielleicht auch, weil Sie mit den Antworten der damals männlichen Pfarrkollegen oftmals eher unglücklich und unzufrieden waren.

Also haben Sie nach 2 Jahren in der Gemeinde entschieden: ‚Ich studiere Theologie!‘. Hebräisch und Griechisch haben Sie zusammen mit Ihrem Mann in Frankfurt gelernt. Dann sind Sie für 2 Semester nach Heidelberg und schließlich nach Mainz.

Dazwischen haben Sie 1981 geheiratet. 1983 kann Ihre Tochter Anne-Elisabeth zur Welt. 1989 haben Sie das erste Examen abgelegt und anschließend Ihr Vikariat in der Gemeinde Cantate Domino bei Pfarrer Hermann Düringer. Daran schloss sich ein Spezial-Vikariat im Pfarramt für Frauenarbeit an.

1994 sind Sie zum Diakonischen Werk der EKHN gegangen, als theologische Referentin. 1996 wurden Sie auf dieser Stelle als Pfarrerin ordiniert und beim DW bis 2002 tätig.

Und dann, 2002, noch einmal eine berufliche Weiterentwicklung. Jetzt in Richtung Schule. Mit Beginn des Schuljahres 2002/2003 wurden Sie Pfarrerin im Schuldienst, an der Georg-Kerchensteiner-Schule in Obertshausen.

Die Arbeit an der Schule, vor allen mit den jungen Erwachsenen im Übergang in den Beruf, bei den ersten Schritten in ein selbstständiges Leben, hat Ihnen große Freude gemacht.

Hier waren Sie als Pfarrerin und Seelsorgerin an der richtigen Stelle. Auch wenn Sie offiziell keinen Auftrag zur Seelsorge hatten, haben Sie sich immer als Seelsorgerin an der Schule verstanden.

Und die Mädchen und Jungen und Frauen und Männer an der Schule haben Ihren Rat und das Gespräch mit Ihnen als Seelsorgerin dankbar gesucht. Sie waren froh, dass Sie da waren.

Meistens haben Sie nicht nur die Evangelischen unterrichtet, sondern die ganze Klasse. Schülerinnen und Schüler aus unterschiedlichen sozialen Milieus, mit und ohne Glauben an Gott.

Auf einem wichtigen Lebensabschnitt haben Sie Ihnen das Angebot gemacht, über die existenziellen Fragen des Lebens zu sprechen.

Die Schule hat zu Ihnen gepasst, und Sie zur Schule. Daneben haben Sie sich im Dekanat Rodgau engagiert: Sie waren Mitglied des Dekanatssynodalvorstandes und in der Synode. Und weiter auch hier in Ihrer Gemeinde in Frankfurt aktiv, z. B. auch beim Feiern von Gottesdiensten.

Lange Jahre haben Sie junge Menschen bei Ihren existentiellen Fragen begleitet – und auf einmal – quasi aus heiterem Himmel – brach die Frage nach dem Leben, und nach dem was Leben ausmacht, in Ihr eigenes Leben. Im August 2015 traf Sie ein Schlaganfall. Ihr Leben veränderte sich von einem Tag auf den anderen. Für Sie, für Ihren Mann, Ihre Familie, Ihre Freunde war alles anders.

In den vergangenen 2 ½ Jahren haben Sie einen schweren Weg zurückgelegt. Mit Hilfe, mit Unterstützung und mit Liebe sind Sie ihn gegangen und haben sich Stück für Stück ins Leben zurückgekämpft. Und vielleicht kommt es auch Ihnen manchmal wie ein kleines Wunder vor, dass Sie bei all dem Schweren und Belastenden heute hier mit uns allen Gottesdienst feiern.

Heute werde Sie von allen dienstlichen Aufgaben entbunden. Und damit verbunden feiern wir Sie, liebe Marion Eimuth.

Und sagen – und das tue ich aus tiefstem Herzen – danke! Dank für all das, wie Sie durch Ihre Gaben und Fähigkeiten vielen, vielen anderen Menschen Freude und Lebensmut schenken konnten.

Anderen haben Sie die Gewissheit gegeben, nicht allein im Leben zu stehen, sondern sich getragen zu fühlen. Das durften auch Sie erleben – ganz besonders in den vergangenen 2 Jahren – und ganz sicher auch in der Zukunft. Liebende Menschen tragen Sie!

Ich möchte Ihnen deshalb ein Wort aus dem Alten Testament zusprechen. Es drückt diesen Gedanken der Bewahrung und des Getragen- und Gehaltenwerdens aus. Ein Wort, das Mut macht und das davon spricht, dass Gott uns nicht fallen lässt. Nicht in guten Zeiten und nicht in schweren Zeiten.

Nähme ich Flügel der Morgenröte und bliebe am äußersten Meer, so würde auch dort deine Hand mich führen und deine Rechte mich halten. (Psalm 139.9.10)

Liebe Marion Eimuth, bleiben Sie von Gott geführt und in ihm gehalten. Amen.

Verabschiedungsteil/ Ruhestandsversetzung

(Verantwortlich: Jan)

(Jan bittet Marion Eimuth nach vorn)

  • Entpflichtung

Liebe Marion Eimuth,

Du hast 21 Jahre lang den Dienst als Pfarrerin der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau geleistet – davon die letzten fast 14 Jahre als Pfarrerin im Schuldienst.

Dabei warst Du gebunden an die Ordinationsverpflichtung nach dem Bekenntnis und den Ordnungen unserer Kirche.

Wir danken Gott für deinen Dienst, für den Einsatz deiner Gaben und Kräfte, für deine Treue und Liebe.

Nicht alles im Dienst einer Pfarrerin liegt vor Augen. Vieles geschieht im Verborgenen. Und doch können Früchte deines Wirkens wahrgenommen werden. In der Begegnung mit Menschen in der Gemeinde, in der diakonischen Arbeit und in der Schule. Dafür sind wir dankbar.

Mit dem Eintritt in den Ruhestand beginnt für dich eine neue Lebensphase. Du bist nun frei von den dienstlichen Pflichten als Pfarrerin, als Pfarrerin im Schuldienst.

Auf Grund deiner Ordination bleibst du aber berufen, das Evangelium von Jesus Christus zu predigen, zu taufen und die Feier des Heiligen Abendmahls zu leiten.

Und, dass das trotz Deiner Krankheit in deinem Leben wieder möglich werden möge, wünschen wir Dir von Herzen und bleiben Dir dabei in Gebet und Fürbitte verbunden.

  • Entlastungsgebet

Lasst uns beten.

Gott, du beschenkst deine Kirche mit guten Gaben.

Und mit Menschen, die sich durch dich zum Dienst an den Menschen berufen fühlen.

Wir danken dir für alles, was du durch Marion Eimuth gewirkt hast.

Lass sie spüren, wie viel Segen ihr Dienst gebracht hat.

Wir bitten dich: Lass ihre Mühe nicht vergeblich sein.

Wandle in Segen, was nicht gelungen ist,

vergib, was sie schuldig geblieben ist.

Und vergib uns, was wir ihr gegenüber versäumt haben.

Gib Marion Eimuth Kraft und neuen Mut für das Zukünftige.

Geleite sie auf ihrem Weg und schenke ihr den Mut, Schritt für Schritt ihren Weg in das neue Leben zu gehen, auch dabei auch das alte wiederzuerlangen.

Halte deine Hand über sie, jetzt und allezeit und in Ewigkeit.

  • Segen zum Abschied (mit Handauflegen)

Gott segne dir den Blick zurück und den Schritt nach vorn.

Gott bewahre in dir die Erfahrungen an diesem Ort.

Gott begleite dich auf dem Weg, der vor dir liegt

Und lasse dein Vertrauen zu ihm wachsen.

So segne dich der barmherzige Gott,

der Vater, der Sohn und der Heilige Geist.