von Kurt-Helmuth Eimuth 2. Februar 2018
Die Gustav-Adolf-Kirche wird dieses Jahr zum ersten Mal bei der Luminale (18.-23. März) dabei sein. Was geplant ist und welches Konzept dahinter steckt, erklärt Pfarrer Michael Stichling im Interview.
Herr Stichling: Wie kam es zur Teilnahme der Gustav-Adolf-Kirche an der Luminale?
Ich saß mit dem Lichtkünstler Ralf Tjabben bei einem Wein zusammen, im Blick die nach der Renovierung neu eröffnete Kirche in Niederursel. Wir sprachen über Aufbruch, Mut und Vertrauen, etwa den Mut des damaligen Kirchenvorstands in den 1920er Jahren, in das Fachwerk von Niederursel eine Betonkirche im Stil des progressiven Martin Elsässer hineinzubauen. Die alten Ordnungen waren damals nicht mehr tragfähig, es gab aber noch keine neuen verbindenden Werte und Normen. Eine Stadt, ein Land, ein Kontinent war auf der Suche nach neuen tragfähigen Strukturen. In dieser Zeit wurde Aufbruch und Mut deutlich. Das drückte sich auch in den architektonischen Entwürfen aus, besonders hier in Frankfurt mit dem Stil des „Neuen Frankfurt“. Der Neubau der Kirche markierte auch einen Aufbruch für das Dorf Niederursel, hinein in die Zugehörigkeit zur Stadt Frankfurt mit ihren städtebaulich modernen und urbanen Entwicklungen, an denen das Dorf teilhaben wollte. Damals brauchte es durchaus Mut und Vertrauen, so ein Vorhaben zu realisieren. In diesem Zusammenhang fiel Ralf Tjabben ein Wort von Hilde Domin ein: „Ich setzte den Fuß in die Luft, und sie trug.“ So entstand die Idee zu einer Installation, bald kamen dann auch die Historikerin Nora Hilgert und Jörg Hartema aus unserem Kirchenvorstand zu dem Projekt.
Wie wird sich die Kirche zur Luminale verwandeln?
Wir füllen den achteckigen Kirchenraum mit Licht, Bildern, Klängen und Worten. Hilde Domins Grabspruch „Wir setzten den Fuß in die Luft und sie trug“ ist ein transzendentaler Spruch, der den Mittelpunkt des Luminale-Konzeptes bildet. Die zweite Person in der Installation ist der polnische Arzt, Pädagoge und Kinderbuchautor Janusz Korczak, der sein Leben in den Dienst von Waisenkindern im Warschauer Ghetto stellte. Er fand den Tod, als er 1942 die Kinder beim Abtransport in das SS-Vernichtungslanger Treblinka begleitete.
Diese beiden herausragenden historischen Persönlichkeiten bilden einen Teil der Installation, die auf die Wände des Kirchenbaus projiziert wird. Das wird verbunden mit Personen aus der Frankfurter Gegenwart, die aus ihrem lokalen Bezug zur Stadt heraus aufzeigen, wie sie Vertrauen leben. Auch Kinder und Jugendliche aus der Gemeinde kommen mit ihren Gedanken zu Mut und Vertrauen zu Wort. Die Installation verbindet somit eine persönliche, sozusagen weltliche Ebene und eine religiöse Ebene. Das Lichtkonzept holt zu Beginn der Installation den Zelthimmel, auch im übertragenen Sinne, in den Zuschauerraum. Es startet interaktiv. Musik leitet über in die Vorstellung der Personen, die alle für sich mit einem eigenen Licht- und Klangkonzept charakterisiert werden. Im Zusammenspiel von Bild, Licht und Ton werden die Personen und ihr Wirken fassbar. Die Besucherinnen und Besucher werden Bekanntes neu sehen, erleben, denken und bekommen am Ende Impulse für den eigenen Alltag. Zur Vernissage am Sonntag und zur Finissage am Freitag sind Live-Performances geplant. Künstlerische Verstärkung bekommen wir vom Opern-Kammerchor, vom Orfeochor, dem Pianisten und Organisten Bernd-Hans Görich, sowie einer Performance-Künstlerin. In den Tagen dazwischen wird die Kirche täglich von 20 Uhr bis 24 Uhr offen sein, dann ist die Installation automatisch, also ohne anwesende Künstler und Künstlerinnen, erlebbar.
Warum ist die Gustav-Adolf-Kirche etwas Besonderes?
Ich war immer schon sehr berührt von dem Mut des damaligen Kirchenvorstandes der Jahre 1926 bis 1928, in das wundervolle Fachwerk von Alt-Niederursel eine innen so farbig anmutende, moderne Kirche zu bauen. Damals war Niederursel noch ein kleines Dorf, die moderne Nordweststadt der Architekten Walter Schwagenscheidt und Tassilo Sittmann gab es ja noch nicht. Niederursel war umgeben von Feldern und Landstraßen. Der Entwurf von Martin Elsässer war mutig, aber passte sich wundervoll in das zur urbanen Verbindung mit der Großstadt Frankfurt am Main aufstrebende Dorf Niederursel, ein. Die Gemeinde bekam mitten zwischen den Fachwerkhäusern einen für damalige Verhältnisse sehr modernen Kirchenbau im Stil des „Neuen Frankfurt“. In dem oktogonalen System im Aufriss der Kirche steht die feiernde Gemeinde in der Mitte. Sie ist gemeinsam ausgerichtet zur religiösen Achse des Altarraumes hin. Gemeinsamkeit und Gemeinschaft im kommunikativen Rund treten in Verbindung zur theologischen religiösen Achse. Alle diese Argumente werden die damaligen Verantwortlichen wohl dazu gebracht haben, sich für diesen modernen Kirchenbau zu entscheiden. Die Kirche ist ein wahres „Kleinod des Bauhaus, des Neuen Frankfurt, wie es sonst nirgendwo zu sehen ist“, wie der Frankfurter Denkmalschützer Stefan Timpe, einmal gesagt hat. Die oktagonale Form und das Dach vermitteln den Charakter eines Zeltes, das die „mitgehende“ Begleitung Gottes symbolisiert. Dazu die kräftigen Farben die für Zeit des „Neuen Frankfurt“ charakteristisch sind. Diesen architektonischen Charakter haben wir mit der Restaurierung wieder herausgearbeitet.
Kommen seit der Renovierung mehr Menschen, die die Architektur interessiert?
Ja! Zu den Gottesdiensten am Sonntag kommen nun oft Menschen, die „einfach einmal gucken“ wollen. Am Tag des offenen Denkmals waren die Führungen sehr gut besucht, und auch zu den anderen Veranstaltungen der Gemeinde kommen immer wieder „Neue“, die unsere Kirche anschauen und mit uns ins Gespräch kommen wollen. Auch Bildungsinteressierte aus unterschiedlichen Institutionen und Gruppen besuchen unsere Kirche. Die historische Gesellschaft der Deutschen Bank hat ihre Jahrestagung bei uns abgehalten. Auch Architektengruppen aus der ganzen Welt reisen an. Unsere Kirche ist eben unter den besonderen Kirchen dieser Zeit noch einmal eine ganz besondere Kirche. Für uns als Gemeinde ist mit der Renovierung wirklich eine neue Zeit angebrochen.
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