Tag Archiv für Diallo

Die Welt im Mikrokosmos: Herkunftsgeschichten Rödelheimer Geschäftsleute

von Kurt-Helmuth Eimuth

11. Oktober 2022

Menschen, denen wir oft begegnen, von denen wir aber meist kaum etwas wissen, hat Christoph Busch als Stadtteilhistoriker in den Mittelpunkt gestellt. Der frühere Pfarrer lebt seit Jahrzehnten im Frankfurter Stadtteil Rödelheim und führte dort im Rahmen eines Projektes der Stiftung Polytechnische Gesellschaft Gespräche mit Geschäftsleuten mit Migrationshintergrund.

Christoph Busch: Herkunftsgeschichten Rödelheimer Geschäftsleute, Schreibwerkstatt Pappmarché, Alexanderstr. 27, 60489 Frankfurt, 10 Euro. Christoph Busch: Herkunftsgeschichten Rödelheimer Geschäftsleute, Schreibwerkstatt Pappmarché, Alexanderstr. 27, 60489 Frankfurt, 10 Euro.

Vierzehn Gespräche hat Christoph Busch, Pfarrer im Ruhestand, protokolliert, und das ohne technische Hilfsmittel. Keine Angaben auf Fragebögen wollte er bekommen, sondern offene Gespräche mit besonderem Interesse für das Gegenüber führen. Sie sind die Grundlage seines Buches mit Herkunftsgeschichten Rödelheimer Geschäftsleuten. Im Zentrum der Gespräche stand die Frage: „Was haben Sie von dort mitgebracht, von wo Sie nach Rödelheim gekommen sind, um hier ein Geschäft zu eröffnen?“

Busch hat seine lesenswerten Protokolle durch zwei Gespräche mit Fachleuten ergänzt und unter verschiedenen Stichworten – Arbeit, Bildung, Familie, Weggehen und Ankommen, Rassismus oder auch Religion – geordnet.

Zehn Prozent der Weltbevölkerung können nicht lesen und schreiben. und auch drei der im Buch interviewten Frauen konnten als Kinder nicht zur Schule gehen. Doch sie haben dies nicht als „lebenslanges Urteil“ akzeptiert und die Initiative ergriffen. Bemerkenswert ist der hohe Stellenwert von Familie bei Migrant:innen. Und noch ein Befund des Buches ist interessant und mehr als ein Schmunzeln wert: Einige der Rödelheimer Geschäftsleute gaben ihrer Niederlassung den Namen ihrer Kinder. So steht beim Schneider Ercan Dirik in großen Lettern der Name seines Sohnes Kalo an der Scheibe des Ladenlokals. Und das Restaurant „Milly“ ist nach der Tochter des Eigentümers benannt.

Busch weist darauf hin, dass der Ökumenische Rat der Kirchen Rassismus als Sünde gegeißelt hat. Auch Rödelheimer Geschäftsleute haben Rassismus erleben müssen, doch darüber wollen sie nicht öffentlich sprechen. Auch das ist eine Zustandsbeschreibung deutscher Wirklichkeit.

Beim Thema Religion gibt es vermutlich weniger Unterschiede zwischen Eingewanderten und Angestammten als man landläufig meint. Die Religion der von ihm interviewten Menschen, resümiert Busch, „ist keine Religion der Dogmen oder Liturgien. Die Religion, von der sie reden, ist eher eine Herzensangelegenheit. Es ist eine persönliche, eine geradezu intime Religion, die sie mit ihren Worten mehr andeuten als erklären.“ Busch sieht dies im Einklang mit Dorothee Sölles Verständnis von Religion nach „erfahrenem Sinn“, als Versuch einer unendlichen Bejahung des Lebens.

Dem Autor ist es gelungen, den globalen Mikrokosmos Rödelheim einzufangen. Dabei lässt er vor allem die Protagonist:innen selbst zu Wort kommen. Fast alle zeigen sich auch auf den außergewöhnlich gelungenen Fotografien. Die Veröffentlichung entspricht genau dem, was Busch ihr als Zitat seines verstorbenen Freundes und früheren Frankfurter Dezernenten für Integration, Jean-Claude Diallo, vorangestellt hat: „Der Zugang zu einer Kultur kann immer nur partiell und subjektiv sein. Das beinhaltet, den anderen Mann oder die andere Frau wirklich anzusehen und sich ihm oder ihr als Gleichwertigem zu nähern.“

Frankfurter aus Afrika: Ein Buch erinnert an Jean Claude Diallo

„Jean-Claude Diallo – Ein Frankfurter aus Afrika“, 264 Seiten, erschienen im Nomen Verlag

Der Buchtitel hätte nicht besser gewählt werden können. „Ein Frankfurter aus Afrika“ zeichnet ein buntes Mosaik eines ungewöhnlichen Menschen mit einer unglaublichen Biographie; fest verwurzelt in seinem Geburtsland Guinea, wo Jean Claude Diallo in einer kurzen Phase des demokratischen Aufbruchs Minister wurde, sowie in Frankfurt, wo er als erster Schwarzafrikaner die Position eines Stadtrats und Dezernenten für Integration übernahm. Im Evangelischen Regionalverband leitete er den Fachbereich für Ökumene und Ausländerarbeit. In einem von Diallos Ehefrau Barbara Gressert-Diallo herausgegebenen Buch kommen jetzt zahlreiche Weggefährt:innen des 2008 im Alter von 60 Jahren verstorbenen Psychologen zu Wort.

Die vielen unterschiedlichen Perspektiven lassen nicht nur ein lebendiges Bild des Menschen Diallo entstehen, sie zeigen auch sein großes Netzwerk. Als Student bricht Diallo auf, um in Europa zu studieren. Doch bald wird er eingeholt von den Vorgängen in seinem Heimatland Guinea. Diktator Sékou Touré brach damals die Beziehungen zu zahlreichen westeuropäischen Ländern ab, und die Studenten mussten 1971 die BRD verlassen und sich in Rom versammeln, wie Diallos Studienfreund Ansoumane Camara berichtet. Es ist spannend nachzulesen, wie er die Zeit dort verbrachte, schließlich in der Schweiz studierte und schon damals sich eine Gruppe Guineer um ihn versammelte. Man kann sich gut vorstellen, wie die Studentenbude zum Treffpunkt wurde.

Durch Zufall hörte Jean Claude Diallo 1980 im Radio davon, dass die Evangelische Kirche in Frankfurt einen Psychologen für die Arbeit mit politisch Geflüchteten in ihrem Psychosozialen Zentrum (PSZ) suchte. So kam er nach Frankfurt und begann seine Laufbahn beim Evangelischen Regionalverband. 1984 ging er allerdings nach dem Tod von Touré, nach 15 Jahren im Exil, erst einmal zurück nach Conakry, in die Hauptstadt Guineas. Dort lernte er den neuen Staatschef Lansana Conté kennen und wurde noch im selben Jahr zum Staatssekretär, später zum Minister für Information und Kultur ernannt. Malte Rauch berichtet über ein aufregendes Filmprojekt damals mit Diallo. Nicht nur in die politische Situation wird Einblick gewährt, sondern auch in die soziale Lage eines der ärmsten Länder der Welt. Trotz Haus und Dienstwagen war die finanzielle Absicherung für die Familie damals nicht gesichert, wie Barbara Gressert-Diallo sich erinnert: „Unsere Bemühungen, ein ruhiges und normales Leben zu führen, wurden immer wieder durch nicht vorhersehbare Ereignisse unterbrochen.“ Mit 300 DM Ministergehalt kam man selbst in Guinea nicht weit.

Victor Pfaff beschreibt in dem Buch den Rücktritt vom Ministeramt und die fluchtartige Rückkehr nach Deutschland. Der Anwalt für Flüchtlingsfragen hatte Diallo damals in Afrika besucht. Er schreibt: „Jean Claude hatte zwei Eigenschaften in das Amt mitgebracht, die unter den gegebenen Bedingungen völlig fehl am Platze waren: Er war Gestalter und er war unbestechlich. Vor allem das Letztere erwies sich als lebensgefährlich.“ Nach beruflicher Tätigkeit in Düsseldorf übernahm Diallo bald die Leitung des PSZ in Frankfurt, später dann Leitung des Fachbereichs Ökumene und Ausländerarbeit des Evangelischen Regionalverbandes, zu dem zahlreiche Bildungs- und Therapieeinrichtungen gehörten. Seine damalige Stellvertreterin Angelika Berghofer-Sierra erinnert sich: „Er entschied nicht über die Köpfe der Mitarbeitenden hinweg. Häufig lagen vor Entscheidungen lange Diskussionsprozesse.“

Auch am Main mischte sich der Frankfurter aus Afrika politisch ein. Ab 1997 gehörte er als Stadtrat und Dezernent für Integration dem Magistrat der Stadt an. Jutta Ebeling, Bürgermeisterin und Bildungsdezernentin nennt Diallo „einen Glücksfall für die Stadt“. Und weiter: „Er war das intellektuelle wie sinnlich anschauliche Symbol für eine Politik der Multikulturalität.“

Einen tiefen Einblick in das Familienleben gewähren in dem Buch die vier Kinder. Ob Riten oder die ausgedehnten Urlaubsfahrten: Jean Claude Diallos Leben hatte viele Facetten, eben auch die des Familienvaters. Er legte Wert auf Rituale. So bat er kurz vor seinem Tod zu einem gemeinsamen Essen in intimer Runde. „Wenn man seinen christlichen Glauben kannte und seinen traditionellen Glauben kannte, wusste man: Da schwingt jetzt ein wenig Motivationstrainer kombiniert mit einer Prise Übersinnlichem mit.“

Die Offenheit für Neues zeigte sich auch in Diallos Mitgliedschaft bei den Freimaurern. Seinem Sohn David gegenüber begründete er sie so: „Weißt du, diese Treffen tun mir so gut. Einmal nur unter Männern zu sein ist etwas anderes, es ist für mich erholsam und entspannend.“

Neben diesen und weiteren Berichten von Menschen, die Diallo kannten, enthält das Buch auch Texte von Diallo selbst, die belegen, für welche Ideale er gekämpft hat. Besonders beeindruckend ist ein Beitrag mit dem Titel „Der Mann aus der Zelle 18“ über die Entwürdigung und Folterung eines politisch Verfolgten.

In dem Erinnerungsband wird die ganze Bandbreite von Diallos Leben ausgebreitet, ohne ihn zu glorifizieren. Diallo nahm die Herausforderungen des Lebens an und behielt seine Ideale fest im Blick. Dabei verbreitete er eine von Lebensfreude durchdrungene Atmosphäre. Wenn er freundlich lächelnd in seinen afrikanischen Gewändern über die Flure des Dominikanerklosters, dem Sitz des Evangelischen Regionalverbandes, schritt, spürte man etwas von seiner gewinnenden Persönlichkeit.

Für alle, die ihn kannten, wird beim Lesen dieses Buches vieles wieder in Erinnerung gerufen. Aber es ist auch lesenswert für die, die ihn nicht kannten. Denn nicht nur ein Leben wird hier lebendig, sondern auch gesellschaftliche Spannungen und Konflikte, die sich gar nicht so sehr von den heutigen unterscheiden.

Kurt-Helmuth Eimuth