Der amerikanische Präsidentschaftswahlkampf war von Niveaulosigkeit in politischen Debatten geprägt. Doch Demokratie braucht faires Streiten.
Kurt-Helmuth Eimuth. Foto: Rui Camilo
Niveauloser als der Präsidentschaftswahlkampf in den USA kann eine politische Auseinandersetzung wohl kaum werden. Und das ist ein Problem, denn: Demokratie braucht Streit. Nur in der Auseinandersetzung mit anderen Ansichten entsteht ein Ringen um die beste Lösung. Ohne Streit gibt es keine echte Entwicklung, keine Innovation.
Dass man inhaltliche Unterschiede bei den etablierten Parteien kaum noch erkennen kann, ist eine Ursache für Populismus. Und das liegt auch daran, dass nicht mehr gestritten wird. Oder gibt es tatsächlich keine Unterschiede? Mag sein, dass komplexe Sachverhalte sich nicht so gut zum öffentlichen Disput eignen. Aber das Wahlvolk einfach von der Diskussion über die verschiedenen Lösungsoptionen auszuschließen, die es bei einem bestimmten Thema gibt, ist auch kein Weg. Denn genau auf diese Weise fördert man den Zulauf zu populistischen Bewegungen.
Politiker wie der frühere Bundeskanzler Helmut Schmidt haben es ja auch geschafft, der Bevölkerung zum Beispiel die Mechanismen und Auswirkungen des internationalen Währungsgefüges zu erklären. Das Wort „floating“ (für das freie Schwanken der Wechselkurse) fand sogar Eingang in den Duden.
Zu Zeiten von Strauß, Wehner und Schmidt wurde im Bundestag jedenfalls noch heftig gestritten. Nicht ohne Grund bezeichnete man ihre Debatten auch als „Redeschlachten“. Sie haben sich nicht mit Samthandschuhen angefasst, denn engagiertes Streiten braucht Gefühl und Emotionalität. Aber im Großen wie im Kleinen gilt: Streit muss sachlich bleiben und darf nicht persönlich verletzend sein.
Der heutige Raubtierkapitalismus führt dazu, dass blanke Armut in Europa immer sichtbarer wird. Damit müssen wir leben, auch in Frankfurt. Obdachlose Menschen einfach zu vertreiben ist jedenfalls keine Lösung.
Kurt-Helmuth Eimuth. Foto: Rui Camilo
Die Situation ist für die Anwohner und Anwohnerinnen unerträglich. Jeden Abend kommen zwei bis drei Dutzend Menschen mit Sack und Pack und lagern auf dem neu gestalteten Platz vor der Diakoniekirche Weißfrauen. Morgens ziehen sie wieder ab und hinterlassen Müll, und die Notdurft musste ja auch irgendwo verrichtet werden. Die Diakonie Frankfurt hat zu einem runden Tisch geladen, sie möchte künftig ihren Tagestreff für Obdachlose auch nachts öffnen. Dort gibt es Waschgelegenheiten, Toiletten und auch Waschmaschinen. Dies könnte den Konflikt entschärfen.
Aber auch an anderen Stellen dieser reichen Stadt poppt europäische Armut auf. Die Wanderarbeiter auf der Gutleutbrache etwa oder die Familien aus Osteuropa, die in Erdhöhlen im Fechenheimer Wald leben. Sie sind Teil einer neuen Armutswanderung: Während das Durchschnittseinkommen in Deutschland 47.600 Euro im Jahr beträgt, sind es in Bulgarien gerade mal 7400 und in Rumänien 9300 Euro. Hinzu kommen Diskriminierungen gegen Roma. Es wundert also nicht, wenn sich einige auf den Weg machen und ihr Dasein hier auf der Straße fristen.
Armut ist aber hier wie dort die Folge eines enthemmten Kapitalismus. Die Idee einer sozialen Marktwirtschaft, die die Teilhabe aller Menschen am wirtschaftlichen Reichtum im Blick hatte, ist heute einem internationalen Raubtierkapitalismus gewichen. Solange sich daran nichts ändert, werden wir in Deutschland mit einer wachsenden Zahl von Menschen leben müssen, die von ihrer Arbeit keine Wohnung bezahlen können, die am Rande der Gesellschaft stehen.
Ihnen eine menschenwürdige Existenz zu ermöglichen und gleichzeitig keine Anreize zur Nachahmung zu bieten, ist die Aufgabe nicht nur der Diakonie, sondern der ganzen Stadtgesellschaft. Auch denen, die auf der Straße leben, Toiletten und Waschräume zur Verfügung zu stellen, zeigt die Richtung an. Aber solange wir an den Grundstrukturen nichts ändern, werden wir mit sichtbarer Armut in dieser so reichen Stadt leben müssen. Eine gerechte Gesellschaft sieht anders aus.
Dreißig Jahre lang hat Meinhard Schmidt-Degenhard die Sendung „Horizonte“ im Hessenfernsehen moderiert, nun lief die letzte Sendung, und Ende September geht der 59-Jährige in Altersteilzeit. Kurt-Helmuth Eimuth hat ihn zum Abschied interviewt.
Sie haben im Hessenfernsehen dreißig Jahre lang Sendungen zu religiösen Themen verantwortet und moderiert. Was hat sich in den drei Jahrzehnten verändert?
Abgenommen hat die Bedeutung von ‚Kirche‘ für das gesellschaftliche Miteinander hierzulande, aber auch für das je persönliche Leben; gewachsen ist hingegen die Bedeutung von Religion für das politische und soziale Miteinander auf diesem Planeten. Die These vom allmählichen Verschwinden der Religion, der wir in den achtziger Jahren erlegen sind, trifft nicht zu: Religion ist global nie wirklich zurückgegangen! Wir Menschen in der westlichen Welt sind spätestens durch die Ereignisse um 9/11 daran erinnert worden, dass Religion eine entscheidende und treibende Kraft ist für das menschliche Zusammenleben. Meine Grundthese nach 30 Jahren: „Du kannst die Welt nicht verstehen ohne die Religion(en) – ohne um das zu wissen, was die Menschen zu ihrem Gott erklären.“
Geht es heute nicht um das Miteinander der Religionen?
Mir geht es bei alldem zunächst darum, dem Phänomen Religion gerecht zu werden. Das, was diesen Planeten durcheinanderwirbelt, kann ich nicht begreifen, wenn ich nicht um das weiß, was den Menschen heilig ist. In einem zweiten Schritt versuche ich das Gespräch zwischen den Religionen zu verstehen: Was läuft da gerade ab? Welche Themen kristallisieren sich heraus? Wir Journalisten sind kritische Beobachter des Dialogs oder de facto des Trialogs der Religionen. Die Kernfrage lautet schlicht: Wenn’s denn einen Gott gibt, dann kann es doch eigentlich nur einen geben … oder? Wie aber dann umgehen mit den realen kulturellen Unterschiedlichkeiten? Was kann man daraus lernen, um das globale wie lokale Miteinander besser zu verstehen?
Sie gehören keiner Kirche an. Das ist ungewöhnlich für einen Kirchenredakteur.
Das hat zugegeben eine Menge frommer Geister verwirrt – kann ich sogar verstehen. Für mich war es eine persönliche Entscheidung. Das heißt aber nicht, dass Religion für mich keine Rolle spielt: Die Ebene der Transzendenz, die religiös-philosophischen Fragen sind mir für mein Leben unverzichtbar. Aber je mehr ich mich – auch beruflich bedingt – bei aller kritischen Sympathie mit dem Phänomen ‚Kirche‘ beschäftigt habe, umso mehr bin ich auf Distanz gegangen.
Die Kirchen sind privilegiert. Auch in den öffentlich-rechtlichen Anstalten, beispielsweise mit einer Kirchenredaktion. Ist das noch zeitgemäß?
Wenn wir in die Geschichte des öffentlich-rechtlichen Rundfunksystems schauen, so stellten sich die Kirchen für die Alliierten nach 1945 als wichtige Vertrauenspartner dar. Sie galten, wenn auch nicht immer zu recht, als jene Institutionen, die in den Jahren der Nazi-Diktatur Horte des Widerstands waren. In den Jahren des demokratischen Wiederaufbaus kam den Kirchen wie den öffentlich-rechtlichen Anstalten qua Gesetz eine besondere Bedeutung haben. Rundfunkpolitisch waren und sind (!) die Kirchen einflussreiche Player. Aber beide Institutionen – Kirche wie öffentlich-rechtlicher Rundfunk – müssen zugleich einen immensen Vertrauensverlust vergegenwärtigen, müssen sich selbstkritisch auf die Ursachen hin befragen. Unsere Programmarbeit hat sich in den vergangenen Jahren geöffnet, weg von explizit kirchlichen hin zu allgemein religiösen, religionspolitischen Themen, aber auch hin zu muslimischen Partnern. Aber de facto sind die Kirchen immer auch noch privilegierte Lobbyisten im Rundfunk, in diesem Land – das prägt schon die Republik. Die Kirchen tun gut daran, darüber nachzudenken, ob all diese gesellschaftlichen Privilegien noch gerechtfertigt sind, wenn die Zahl der Kirchenmitglieder eines Tages unter 50 Prozent sinkt – und dieser Tag ist absehbar. Auf der anderen Seite möchte ich als Journalist aber auch der Gesellschaft die Frage stellen: Was wird das für eine Gesellschaft sein, in der die Kirchen keine oder nur noch eine geringere Bedeutung haben? Wie steht es um die soziale Realität, um den ethisch-moralischen Diskurs in der Gesellschaft, wenn wir die Institutionen der Kirchen nicht mehr haben, egal wie auch immer wir ihre Privilegien beurteilen?
Sie haben in der Sendung im Wesentlichen den Dialog zwischen Theologie und Wissenschaft, zwischen Gesellschaft und Philosophie dargestellt und nicht die Berichterstattung über Kirche.
Die Medienforschung hat uns nüchtern gezeigt, dass die Menschen ganz selten an Themen aus dem direkten kirchlich-religiösen Leben interessiert sind. Ob und welche der großen Kirchen mal wieder einen Finanz-Fehler begangen hat, ob es in Limburg oder Nordhessen mal wieder einen Skandal gibt … oder auch nicht – das nutzt sich ab, hat kein wirkliches Erregungspotenzial mehr. Was die Menschen tief drinnen interessiert, sind die Grundfragen unseres Zusammenlebens, die Grundfragen unserer individuellen wie kollektiven Existenz. Und da kommen wir rasch an die religiösen Grundfragen heran, an das, was wirklich zählt im Leben. Die Kirchenkrisen sind nicht das Problem unserer Zeit – es geht letztlich um die Gotteskrise: Wie buchstabieren die Menschen heute die religiösen Fragen? Was stellen sie sich unter dem Synonym ‚Gott‘ vor? Wie sind Wissenschaft und tradierter Glaube vereinbar?
Was raten Sie den Kirchen angesichts des Traditionsabbruchs und einer verstärkt säkular aufwachsenden Generation?
Den Menschen auch intellektuell ernstnehmen! Es führt kein Weg vorbei an der Aufklärung – konkret das Kant’sche Quartett: Was kann ich wissen? Was soll ich tun? Was darf ich hoffen? Was ist der Mensch? Und da sind wir mitten drin in den existentiell berührenden Fragen. Und diese Fragen erst einmal nur auszuhalten statt mit frommen Phrasen daherzukommen, kann den Kirchen und somit den Menschen nutzen.
Und was machen Sie jetzt nach dem Ausscheiden aus dem Hessischen Rundfunk?
Ich habe jetzt recht früh mit 59 Jahren aufgehört, dank der Möglichkeiten, die der HR mir bot. Aber ich habe aufgehört, um Neues zu beginnen. Ich werde in den nächsten Jahren mit Stiftungen und Bildungseinrichtungen zusammenarbeiten, als Moderator, aber auch als Coach und Interviewtrainer. Und das Thema Religion bleibt in jeder Hinsicht mein Lebensthema.
Viele Menschen in Deutschland sind angesichts rascher Veränderungen verunsichert – das ist idealer Nährboden für Populismus. Deshalb müssen alle gesellschaftlichen Gruppen daran arbeiten, eine positive Zukunftsperspektive zu entwickeln. Eine Debatte darüber, wie unsere Gesellschaft in ein, zwei Generationen aussehen soll, ist überfällig.
Die enthemmte Mitte und ihr Populismus
Viele Menschen in Deutschland sind angesichts rascher Veränderungen verunsichert – das ist idealer Nährboden für Populismus. Deshalb müssen alle gesellschaftlichen Gruppen daran arbeiten, eine positive Zukunftsperspektive zu entwickeln. Eine Debatte darüber, wie unsere Gesellschaft in ein, zwei Generationen aussehen soll, ist überfällig.
Kurt-Helmuth Eimuth ist Mitglied in der Redaktion von Evangelisches Frankfurt. Foto: Rolf Oeser
Jeder Zehnte in Deutschland wünscht sich einen Führer, der das Land zum Wohle aller mit starker Hand regiert. Elf Prozent glauben, dass „Juden“ zu viel Einfluss haben. Zwölf Prozent sind der Ansicht, Deutsche seien anderen Völkern von Natur aus überlegen. Und ein Drittel hält das Land für „gefährlich überfremdet“.
Diese Zahlen aus der Studie „Die enthemmte Mitte“ der Universität Leipzig zeigen: Extremistisches Gedankengut findet sich nicht nur am Rand der Gesellschaft, sondern ist längst in ihrer Mitte angekommen. Der Hass auf bestimmte Menschengruppen wie Asylsuchende ist gestiegen und wird öfter und offener gezeigt. Dabei geht es nicht um rational nachzuvollziehende Argumente. Ausschlaggebend für extremistische Positionen sind Gefühle, und vor allem die gefühlte eigene Benachteiligung.
Die Menschen haben in den letzten zwei Jahrzehnten sehr wohl gespürt, dass die Gesellschaft auseinanderdriftet. Die Reichen wurden immer reicher, während der Reallohn sank. Die Bildungschancen von Kindern sind wieder eng an den sozialen Status der Eltern gekoppelt. Alle Lebensbereiche werden nur noch unter ökonomischen Aspekten betrachtet, vom Gesundheitswesen bis zur Alterssicherung. Es gibt keinen öffentlichen Diskurs darüber, wie eine gerechte Gesellschaft aussehen soll. Wie viel Solidarität wollen wir uns als Wertegemeinschaft mit Kranken, Arbeitslosen, Rentnerinnen und Rentern oder Flüchtlingen leisten?
Aus dem Gefühl der Verunsicherung heraus greifen Menschen nach einfachen Antworten, seien sie auch rational betrachtet falsch und sinnlos. In anderen Ländern ist dieser Prozess ebenfalls zu beobachten. Die Brexit-Bewegung in England lebte genau von diesem Gefühl, benachteiligt zu werden. Gegen Gefühle helfen keine Argumente. Vielmehr muss man versuchen, diesen Menschen zu vermitteln, dass sie dazugehören. Man muss sie als Person annehmen und doch ihre Position ablehnen. Wer die AfD, wie kürzlich beim Katholikentag geschehen, kategorisch auslädt, festigt nur ihr Weltbild.
Alle gesellschaftlichen Gruppen müssen daran arbeiten, angesichts der Verunsicherung eine Zukunftsperspektive zu entwickeln. Eine Debatte darüber, wie unsere Gesellschaft in ein, zwei Generationen aussehen soll, ist überfällig. Das ist Aufgabe von Parteien, aber auch von Gewerkschaften, Kirchen und Medien. Visionen sind dabei ebenso notwendig wie pragmatische Politik.
Kurt-Helmuth Eimuth ist Mitglied in der Redaktion von Evangelisches Frankfurt. Foto: Rolf Oeser
Jeder Zehnte in Deutschland wünscht sich einen Führer, der das Land zum Wohle aller mit starker Hand regiert. Elf Prozent glauben, dass „Juden“ zu viel Einfluss haben. Zwölf Prozent sind der Ansicht, Deutsche seien anderen Völkern von Natur aus überlegen. Und ein Drittel hält das Land für „gefährlich überfremdet“.
Diese Zahlen aus der Studie „Die enthemmte Mitte“ der Universität Leipzig zeigen: Extremistisches Gedankengut findet sich nicht nur am Rand der Gesellschaft, sondern ist längst in ihrer Mitte angekommen. Der Hass auf bestimmte Menschengruppen wie Asylsuchende ist gestiegen und wird öfter und offener gezeigt. Dabei geht es nicht um rational nachzuvollziehende Argumente. Ausschlaggebend für extremistische Positionen sind Gefühle, und vor allem die gefühlte eigene Benachteiligung.
Die Menschen haben in den letzten zwei Jahrzehnten sehr wohl gespürt, dass die Gesellschaft auseinanderdriftet. Die Reichen wurden immer reicher, während der Reallohn sank. Die Bildungschancen von Kindern sind wieder eng an den sozialen Status der Eltern gekoppelt. Alle Lebensbereiche werden nur noch unter ökonomischen Aspekten betrachtet, vom Gesundheitswesen bis zur Alterssicherung. Es gibt keinen öffentlichen Diskurs darüber, wie eine gerechte Gesellschaft aussehen soll. Wie viel Solidarität wollen wir uns als Wertegemeinschaft mit Kranken, Arbeitslosen, Rentnerinnen und Rentern oder Flüchtlingen leisten?
Aus dem Gefühl der Verunsicherung heraus greifen Menschen nach einfachen Antworten, seien sie auch rational betrachtet falsch und sinnlos. In anderen Ländern ist dieser Prozess ebenfalls zu beobachten. Die Brexit-Bewegung in England lebte genau von diesem Gefühl, benachteiligt zu werden. Gegen Gefühle helfen keine Argumente. Vielmehr muss man versuchen, diesen Menschen zu vermitteln, dass sie dazugehören. Man muss sie als Person annehmen und doch ihre Position ablehnen. Wer die AfD, wie kürzlich beim Katholikentag geschehen, kategorisch auslädt, festigt nur ihr Weltbild.
Alle gesellschaftlichen Gruppen müssen daran arbeiten, angesichts der Verunsicherung eine Zukunftsperspektive zu entwickeln. Eine Debatte darüber, wie unsere Gesellschaft in ein, zwei Generationen aussehen soll, ist überfällig. Das ist Aufgabe von Parteien, aber auch von Gewerkschaften, Kirchen und Medien. Visionen sind dabei ebenso notwendig wie pragmatische Politik.
90 Prozent der Menschen, die für kirchliche Anliegen und Einrichtungen Geld spenden, sind älter als 60 Jahre, sagt Spendenexperte Kai Fischer. Und rät, sich schnellstens neue Strategien zu überlegen.
Spendenexperte Kai Fischer von der Mission-Based Consulting Hamburg mahnte neue Kommunikationswege an. Foto: Kurt-Helmuth Eimuth
Die Zahl der Spenderinnen und Spender nimmt seit gut einem Jahrzehnt kontinuierlich ab, auch wenn das Spendenaufkommen leicht steigt. Pro Kopf wird im Schnitt eben mehr gespendet. Hinzu kommt, dass 90 Prozent der Spendenden über 60 Jahre alt sind. Für den Spendenexperten Kai Fischer, Hamburg, ist dies kein Wunder. Trotz der Professionalisierung des Fundraising in den letzten 20 Jahren werbe man hauptsächlich mit Briefen Spenden ein. Die Lebenswelt der mittleren Generation sei andere. Fischer forderte vor dem Fundraising-Forum in Frankfurt: „Wir brauchen andere Formen der Kommunikation“.
Fischer war einer der Referenten beim 14. Fundraising-Forum, veranstaltet von der Hessen-Diakonie und den beiden hessischen Landeskirchen. Über 150 Interessierte aus Kirche und Diakonie waren in die Räume der Frnakfurter DZ-Bank gekommen, um sich über Formen und Motive des Spendens zu informieren.
Wissenschaftliche Untersuchungen bestätigen, dass Spenden glücklich macht. Auch spenden glückliche Menschen häufiger. Allerdings wollen die Menschen angesprochen werden. Nach Aussage von Greenpeace kommen 90 Prozent der Spenden aufgrund einer Bitte. Eines der Motive ist die Solidarität. „Solidarität ist eine starke soziale Norm“, so Fischer. Das Motiv der Solidarität findet sich in allen Weltreligionen, im christlichen Kulturkreis wird es „Nächstenliebe“ oder „Barmherzigkeit“ genannt.
Besondere Ereignisse wie Naturkatastrophen emotionalisieren. So sei es kein Wunder, dass nach Naturkatastrophen mit Fernsehbildern die Spendenaufkommen besonders hoch seien. Allerdings werde mehr gespendet, wenn das Geschehen dem eigenen Kulturkreis näher sei. So habe man in Amerika nach dem Wirbelsturm Katrina deutlich mehr gespendet als etwa zum Kampf gegen Malaria.
Nicht immer steht das konkret zu unterstützende Projekt im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit des Spenders. Oftmals wolle man einfach eine Organisation unterstützen, „die die Welt besser machen will“. Man wolle mit dem Griff in die Geldbörse „die Mission der Organisation“ unterstützen.
Im kirchlichen Bereich machte Fischer auch als Motiv den Tausch von irdischen gegen himmlische Güter aus. Allerdings stieß seine Analyse zumindest bei der Konkretion, man wolle sich damit einen Platz im Paradies sichern, auf evangelischen Widerspruch. Schließlich hatte Luther solches Ansinnen schon vor 500 Jahren angeprangert.
Der Vorgang des Spendens könne auch ein soziales Ereignis sein. Fischer nannte als Beispiel die Ice Bucket Challenge. Vor zwei Jahren schüttete sich plötzlich alle Welt einen Eimer Eiswasser über den Kopf und fimte dieses ereignis. Für die Eingeladenen war es eine Ehre mitzumachen und zu spenden.
Eine besondere Form ist die Anlass-Spende. Ein Jubilar fordert dazu auf, anstelle von Geschenken einen guten Zweck zu unterstützen. Hier besteht keine Beziehung zwischen der Organisation und den Spendenden.
Schließlich geht es beim Spenden um öffentliche Reputation. Bei Unternehmen ebenso wie bei Privatleuten. Fischer: „Stiftungen sind eine Möglichkeit seinen Reichtum zu zeigen.“
Der Spendenexterte mahnte eindringlich: Bei jungen Menschen muss man mit Aktionen Geld sammeln. „So wie wir Fundraising betreiben, erreichen wir die Generation 70 plus“.
Beitrag von Kurt-Helmuth Eimuth, veröffentlicht am 31. Mai 2016 in der Rubrik Ethik, erschienen in der Ausgabe Web.
Vergleiche mit der NS-Zeit sind immer schwierig. Aber wenn der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime in Deutschland, Aiman Mazyek, warnt, dass erstmals seit den Nazis wieder eine ganze Religionsgemeinschaft bedroht wird, so wird die Ungeheuerlichkeit der Positionen der rechtspopulistischen „Alternative für Deutschland“ zum Islam deutlich. „Eine unerträgliche Grenzüberschreitung und Provokation“ nannte der Hessische Ministerpräsident Volker Bouffier deren Forderungen. In einer einstimmigen Entschließung betonte der Hessische Landtag, „dass Fremdenhass, die Verklärung des Nationalsozialismus, Islamfeindlichkeit, Sexismus oder das Absprechen der Menschenwürde nicht akzeptabel sind“.
Formal bekennt sich die AfD im Wahlprogramm zwar zur Glaubensfreiheit, doch solle der Staat dieser Schranken setzen. Minarette und Rufe von Muezzins sollen verboten, muslimische Organisationen formal nicht den Kirchen gleichgestellt werden. Die Privilegien einer Körperschaft des öffentlichen Rechts sollen islamische Organisationen nicht erhalten. Außerdem will die AfD die Beschneidung von Kindern verbieten, was auch gegen die jüdische Religionspraxis geht. Man braucht aber nicht weiter zu betonen, dass das Grundgesetz die Religionsfreiheit garantiert. Dies gilt ohne Einschränkungen für alle Religionen, eben auch für den Islam.
Religiöse Radikalisierung gibt es in allen Religionen. Wenn man die Akteure der AfD genau anschaut, dann finden sich hier zahlreiche so genannte „bibeltreue Christen“, die zu den religiösen Scharfmachern zählen. Die FAZ schrieb 2014 sogar: „In der Alternative für Deutschland übernehmen bibeltreue Protestanten die Macht. Längst kritisieren sie nicht mehr nur den Euro, sondern auch Schwule und Muslime. Sogar die Schulpflicht stellen sie in Frage.“
Fundamentalisten, ob christlich oder muslimisch, sind tendenziell antidemokratisch. Eine offene, tolerante Gesellschaft braucht aber eine Kultur der gegenseitigen Anerkennung. Nur so kann man Gemeinsamkeiten feststellen, aber auch Unterschiede aushalten. Wer eine ganze Religionsgemeinschaft, sogar eine Weltreligion, in gehässiger Absicht diskriminiert, stellt sich gegen das Grundgesetz.
Wer Ja zu Kirchtürmen sagt, muss auch Ja sagen zu Minaretten. Unsere leidvolle deutsche Geschichte verpflichtet uns in dieser Hinsicht besonders. Nie wieder dürfen in Deutschland Menschen wegen ihres Glaubens verfolgt werden.
Unter dem Motto „Jede Familie ist anders“ macht die Evangelische Kirche in Hessen und Nassau (EKHN) in diesem Frühjahr auf die vielfältigen Möglichkeiten des Zusammenlebens aufmerksam. Mit einem Info-Brief und großen Bannern an den Kirchen weist sie auf die besondere Bedeutung der Familie hin.
„Jeder Mensch hat eine Familie. Und jede Familie fühlt sich anders an – sie ist groß, klein, traditionell, modern, zerstritten, harmonisch, kaputt oder heil – vielleicht sogar vieles davon gleichzeitig“, so schreibt Kirchenpräsident Volker Jung. Er betont in seinem Schreiben, dass für die evangelische Kirche nicht die Form des Zusammenlebens wichtig sei, sondern, „dass sich Menschen, aufmerksam über Generationen und Verwandtschaftsgrade hinweg, in ihrer Familie umeinander kümmern“.
Der Begriff „Familie“ wurde erst im 17. und zu Beginn des 18. Jahrhunderts in die deutsche Sprache aufgenommen und es gibt bis heute keine einheitliche Auffassung darüber, was man als „Familie“ bezeichnet.
Die EKHN hält nun dem klassischen Familienbild von Vater, Mutter, Kind, das Bild der verlässlichen Beziehung entgegen. Zahlreiche Beziehungen sind heute Lebensabschnittbeziehungen. Die Art der Verwandtschaft, das Alter der Personen ist eher nebensächlich. Familie ist vor allem durch die starke Bindung der Personen und die gegenseitige Verantwortung geprägt.
Nicht die äußere Form, die familiäre Bande ist also wichtig, sondern es kommt auf die Qualität der Beziehungen an.
Familie ist also überall dort, wo Menschen verlässlich in Liebe zusammenleben.
Diese Richtung des Denkens ist durchaus historisch angemessen.
In vorindustrieller Zeit hatten Ehe und Familie vor allem einen instrumentellen Charakter. Die Ehe wurde nicht aus Liebe geschlossen, sondern im Hinblick auf die Kinder und zwar um – je nach Schicht – Vermögen oder zumindest den Namen zu vererben und um im Falle von Krankheit und Alter die Versorgung der Familienmitglieder zu garantieren.
In der vorindustriellen Zeit waren die Familien geprägt durch ihre sozial-ökonomische Lage. Im Mittelpunkt stand der „Haushalt“, es waren Haushaltsfamilien. Bei den Besitzenden umschloss dies den Produktionsbetrieb. Der „Hausvater“ und die „Hausmutter“ hatten eine genau definierte Rolle auch im Handwerk, Bauernhof oder Gewerbe. Zum Haus gehörten auch etwa Knechte und andere Bedienstete.
Bei den ärmeren Schichten stand auch die ökonomische Funktion des Hauses im Mittelpunkt, auch wenn weit weniger Mitglieder das Haus hatte. Erwerbstätigkeit beider Eltern und der Kinder waren selbstverständlich.
Auch damals gab es sehr verschiedene Lebensformen. Vor allem Verwitwung – wegen der geringen Lebenserwartung – und ledige Mutterschaft waren oft die Ursache hierfür.
Über all die Jahrhunderte war die Erwerbstätigkeit der Mütter eine wirtschaftliche Notwendigkeit. Lediglich das Bürgertum konnte sich die nicht-erwerbstätige Mutter leisten. Die Nicht-erwerbstätige Mutter wurde im sogennten Dritten Reich dann ideologisch überhöht und durch Ehestandsdarlehen vom Arbeitsmarkt abgeworben und bei vier Kindern mit dem Mutterkreuz geschmückt. Etwas später brauchte man dann wieder die Frauen zur Kriegsproduktion, was die Nazi-Ideologen in Argumentationsnöte brachte.
Nach dem Zweiten Weltkrieg behielt die Bundesrepublik das Familienmodell bei, auch wenn die Realität der Trümmerfrauen anders aussah.
In den 60er und 70er Jahren des letzten Jahrhunderts sah es dann anders aus. In jener Zeit war die mütterliche Erwerbstätigkeit in Westdeutschland am niedrigsten.
Eine breite Vielfalt von Familienformen ist, historisch betrachtet, der Normalfall. Die bürgerliche Familie als Ideal entwickelte sich erst im 18. Jahrhundert durch die Trennung von männlicher Erwerbswelt und weiblicher Familiensphäre mit Haushalt und Kindererziehung.
Wie stellt doch die EKHN in ihrer Kampagne fest: „Auch heute entsprechen nicht alle Lebensformen der klassischen Vorstellung von Familie. Denn es werden weniger Ehen geschlossen, Familien später gegründet. Patchworkfamilien sind längst keine Ausnahme mehr und Migranten bringen unterschiedliche Familienkulturen mit.“
Das Leben war schon immer komplizierter oder einfach vielfältiger als man denkt.
In der Bibel wird eine große Vielfalt beschrieben, wie Familien zusammenleben. Der Klassiker „Vater, Mutter, Kind“ kommt weniger vor. Vor allem geht es um Nachkommen: Familie soll erhalten werden und wachsen. Dabei greifen manche auch zu unlauteren Mitteln.
Da gibt es etwa die Patchworkfamilie
Jakob, einer der Stammväter Israels, wollte eigentlich nur seine große Liebe Rahel heiraten. Doch der Verliebte hat nicht mit der Hinterlist seines künftigen Schwiegervaters Laban gerechnet: Der jubelt ihm nach sieben harten Arbeitsjahren Rahels ältere Schwester Lea unter. Jakob muss weitere sieben Jahre für Laban schuften, bis er endlich auch Rahel als seine Frau in die Arme schließen kann. Mit den beiden Schwestern und ihren zwei Mägden bekommt er schließlich zwölf Söhne und eine Tochter. Das birgt reichlich Konfliktstoff über zwei Generationen hinweg. Jakob verteilt seine Zuneigung ganz unterschiedlich auf seine Frauen und ihre Kinder. Jakobs Liebe gilt weiterhin der jüngeren Rahel. Ihre ungeliebte, aber kinderreiche Schwester Lea kämpft ein Leben lang um Jakobs Zuneigung. Nach langem Warten bekommt auch Rahel einen Sohn: Josef – Papas Liebling. Der bekommt die Eifersucht seiner Brüder zu spüren: Sie verkaufen Josef an Kaufleute, die ihn nach Ägypten bringen. Jahre später sehen sich dort die Brüder wieder. Es gelingt ihnen, Misstrauen und Feindschaft auszuräumen. Vor seinem Tod segnet ihr Vater Jakob seine Söhne. Immer noch ist deutlich spürbar, wen er besonders liebt und wen weniger: „Isaschar wird ein knochiger Esel sein … Josef wird wachsen wie ein Baum an der Quelle“ (1. Mose 49). Erst Josef gelingt es, seine Familienmitglieder endgültig zu versöhnen. Er macht ihnen klar: Gott will zum Guten wenden, was Menschen im Bösen begonnen haben. Es geht darum, das Leben zu erhalten. (1. Mose 50,18 ff)
Daran glauben sie. Danach leben sie – und vermehren sich. Die zwölf Söhne stehen für die zwölf Stämme Israels. (1. Mose 35, 22 ff)
Es gibt auch Leihmutterschaft
Sara ist hochbetagt und kinderlos. Sie stiftet ihren Mann Abraham an: Er soll mit ihrer Magd Hagar ein Kind zeugen. Gesagt, getan. Hagars Sohn Ismael soll als das Kind von Abraham und Sara gelten. Doch das Dreiecksverhältnis funktioniert nicht: Hagar wird gegenüber der kinderlosen Sara aufmüpfig. Daraufhin drängt Sara ihren Mann, Hagar in die Wüste zu schicken. Der hört auf seine Frau. Später bekommt Sara doch noch einen Sohn: Isaak. (1. Mose 16 und 1. Mose 21) Die Nachkommen Isaaks werden zum Volk Israel. Auf Ismael, den Sohn Abrahams und Hagars, beziehen sich Muslime. Darum gilt Abraham sowohl Juden wie Muslimen als Stammvater des Glaubens.
Selbst Scheidung kommt in der Bibel vor.
Laut 5. Mose 24, 1 ff kann ein Mann seiner Frau einen Scheidebrief geben, wenn sie „keine Gnade vor seinen Augen findet“ oder wenn er „ihrer überdrüssig“ geworden ist. Rein patriarchal für den Mann formuliert. Jesus ist da radikal: Dieses Gebot hat Gott nur wegen „eures Herzens Härte“ geschrieben. (Markus 10, 5) Jesu Ideal heißt: „Was Gott zusammengefügt hat, das soll der Mensch nicht scheiden.“ (Markus 10, 9) Gleichzeitig weiß Jesus um die Realität, am Ideal zu scheitern. Eine aufgebrachte Menge will eine Ehebrecherin steinigen. Jesus sagt zu ihnen: „Wer unter euch ohne Sünde ist, werfe den ersten Stein auf sie.“ (Johannes 8, 7) Die Leute lassen ihre Steine fallen. Einer nach dem anderen.
Die Bibel kann also nicht für eine Lebensform vereinnahmt werden. Es kommt eben nicht auf die formale Rechtsform der Gemeinschaft an, sondern auf die Qualität des Zusammenlebens. Viel bedeutsamer ist es, dass wir uns liebevoll, und verlässlich umeinander kümmern.
Amen.
Lied: EG 623
Mitteilungen:
Gebet:
Unser Gott,
du hast unsere Welt geschaffen.
Tag für Tag sehen wir so vieles,
was du uns schenkst.
Dafür danken wir dir.
Wir denken jetzt an das,
was wir anderen Menschen wünschen.
Lieber Gott, sei du bei den Menschen,
die auf deine Hilfe warten,
dort, wo wir leben,
zuhause, bei unseren Freunden
und bei denen, die wir Tag für Tag sehen.
Lass uns selbst für die da sein,
die uns brauchen:
In unseren Familien,
in unseren Häusern und Straßen,
in unserer Welt.
In der Stille nennen wir dir die Namen von Menschen,
die wir lieb haben.
Stille
Sei und bleibe du bei ihnen,
sei und bleibe du bei uns,
guter Gott.
Und was uns noch bewegt, bringen wir vor Dich
mit den Worten, die Christus uns gelehrt hat:
Vater unser im Himmel,
geheiligt werde dein Name.
Dein Reich komme.
Dein Wille geschehe,
wie im Himmel so auf Erden.
Unser tägliches Brot gib uns heute.
Und vergib uns unsere Schuld,
wie auch wir vergeben unsern Schuldigern.
Und führe uns nicht in Versuchung,
sondern erlöse uns von dem Bösen.
Denn dein ist das Reich und die Kraft
und die Herrlichkeit in Ewigkeit. Amen.
Segen:
Geht in diesen Tag, in diese Woche mit dem Segen unseres Gottes:
Kurt-Helmuth Eimuth ist Mitglied der Redaktion von „Evangelisches Frankfurt“. Foto: Rolf Oeser
Die Polizei soll es also richten. Nach den sexualisierten Übergriffen gegen Frauen am Kölner Hauptbahnhof fordern viele mehr Polizistinnen und Polizisten. Keine Frage: Wo Menschen bedroht, beklaut oder gar Opfer sexueller Gewalt werden, muss die Polizei einschreiten. Dazu muss sie personell und materiell gut ausgestattet sein – die jetzt zu Tage tretenden Defizite sind auch das Ergebnis der Sparwut derer, die so gerne einen schlanken Staat wollten.
Aber die Ausschreitungen in Köln stehen keineswegs isoliert. Seit Jahren erleben wir einen schleichenden Prozess der Entsolidarisierung, der Ich-Bezogenheit. Die Gesellschaft scheint auseinanderzufallen. Sie ist schon lange keine Werte-Gemeinschaft mehr. Eine Branche wie die der „Security“ gab es vor vier Jahrzehnten nicht, da sind höchstens nachts einige Männer der Wach- und Schließgesellschaft durch leere Büroräume gelaufen. Heute gibt es kaum noch einen Kaufhauseingang ohne Security.
Eine funktionierende Gesellschaft benötigt Verbindlichkeit. Wenn nur ein Prozent sich nicht an Regeln hält, wird es schwierig – man muss sich nur einmal das Chaos vorstellen, wenn jedes hundertste Auto bei Rot über die Ampel fahren würde. So ähnlich ist es auch mit anderen Regeln: Sie müssen beachtet werden, auch wenn keine Polizei in der Nähe ist. Regeln lernt man vor allem in der Familie, aber auch in der Schule. Erwachsene, die in ein fremdes Land kommen, müssen sich in die dortigen Regeln erst einfinden. Vieles ist zunächst fremd, es bedarf der Erklärung und Einübung.
Vorfälle wie die in Köln zeigen, dass der Respekt vor der Würde anderer Menschen oft fehlt. Aber ein Blick in die Kriminalstatistik belegt auch, dass dies keineswegs nur ein Problem „nordafrikanischer“ Männer ist. Wir brauchen in vielerlei Hinsicht mehr selbstverständliche Rücksichtnahme im Alltag, mehr Achtsamkeit im Umgang miteinander. Sicher: Die Polizei soll und muss helfen, wenn das Kind in den Brunnen gefallen ist. Aber wir alle müssen dafür sorgen, dass es gar nicht erst hineinfällt.
„Behandle andere Menschen so, wie du von ihnen gern behandelt werden möchtest“ – diese so genannte „Goldene Regel“ gilt in allen Weltreligionen. Insofern kann die Religion helfen, eine Gesellschaft zu einer menschlichen zu machen. Sicher brauchen wir eine starke Polizei. Aber vor allem brauchen wir verbindliche Werte. Die Polizei wird Werte nicht vermitteln können.
Ich begrüße Sie gang herzlich hier zur Andacht am Heiligen Abend.
Schön, dass Ihr/Sie gekommen seid.
In Gottes Namen wollen wir beginnen
Gott ist allen Zweifelnden, Verzagten und Suchenden besonders nah.
In Jesu Namen wollen wir beginnen,
denn Jesus ließ diese Nähe Ausgestoßene, Verachtete, Verzweifelte spüren.
In der Hoffnung auf das Geschenk des Heiligen Geistes wollen wir beginnen,
um Mut und Ideen bitten, heute diese Nähe weiterzugeben.
Amen.
Psalm: 121 Nr. 749
Ich hebe meine Augen auf zu den Bergen: Woher kommt mir Hilfe?
2 Meine Hilfe kommt von dem Herrn, der Himmel und Erde gemacht hat! 3 Er wird deinen Fuß nicht wanken lassen, und der dich behütet, schläft nicht. 4 Siehe, der Hüter Israels schläft noch schlummert nicht. 5 Der Herr behütet dich; der Herr ist dein Schatten zu deiner rechten Hand, 6 daß dich am Tag die Sonne nicht steche, noch der Mond bei Nacht. 7 Der Herr behüte dich vor allem Übel,a er behüte deine Seele; 8 der Herr behüte deinen Ausgang und Eingang von nun an bis in Ewigkeit.
Lied: EG 30 Es ist ein Ros entsprungen
LK 2, 7-20 Weihnachtsgeschichte
1Es begab sich aber zu der Zeit, dass ein Gebot von dem Kaiser Augustus ausging, dass alle Welt geschätzt würde.
2Und diese Schätzung war die allererste und geschah zur Zeit, da Quirinius Statthalter in Syrien war.
3Und jedermann ging, dass er sich schätzen ließe, ein jeder in seine Stadt.
4Da machte sich auf auch Josef aus Galiläa, aus der Stadt Nazareth, in das jüdische Land zur Stadt Davids, die da heißt Bethlehem, weil er aus dem Hause und Geschlechte Davids war,
5damit er sich schätzen ließe mit Maria, seinem vertrauten Weibe; die war schwanger.
6Und als sie dort waren, kam die Zeit, dass sie gebären sollte.
7Und sie gebar ihren ersten Sohn und wickelte ihn in Windeln und legte ihn in eine Krippe; denn sie hatten sonst keinen Raum in der Herberge.
8Und es waren Hirten in derselben Gegend auf dem Felde bei den Hürden, die hüteten des Nachts ihre Herde.
9Und der Engel des Herrn trat zu ihnen, und die Klarheit des Herrn leuchtete um sie; und sie fürchteten sich sehr.
10Und der Engel sprach zu ihnen: Fürchtet euch nicht! Siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird;
11denn euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus, der Herr, in der Stadt Davids.
12Und das habt zum Zeichen: Ihr werdet finden das Kind in Windeln gewickelt und in einer Krippe liegen.
13Und alsbald war da bei dem Engel die Menge der himmlischen Heerscharen, die lobten Gott und sprachen:
14Ehre sei Gott in der Höhe undFriede auf Erden bei den Menschen seines Wohlgefallens.
Text Steffensky
Wenn ein Vater mit seinem Kind spielt oder wenn er es tröstet, bleibt er nicht in seiner vollen Größe vor dem Kind stehen. Er geht in die Knie, macht sich klein, begibt sich in die Lage des Kindes, ist Auge in Auge mit ihm und nimmt seinen Horizont an. Er vergisst seine Sprache und spricht die Worte, die das Kind schon versteht.
Warum? Hat das Kind nicht mehr davon, wenn der Vater groß und in sicherer Überlegenheit vor ihm steht? Es scheint, dass das Kind, wenn es glücklich spielt oder wenn es im Unglück weint, mehr auf die Nähe des Vaters angewiesen ist.
Gott geht in die Knie, er lebt das Leben aus unserer Perspektive, spricht die Sprache unseres Stammelns. Jesus, der kleine König, hat nicht einmal eine Stelle, an der er mit Anstand geboren werden kann. Irgendeine zugige Höhle ist gut genug für ihn. Seine Huldiger sind ein paar zerlumpte Hirten. Der kleine König wird versteckt und heimlich außer Landes gebracht, die Macht trachtet ihm nach dem Leben. Er ist nicht einmal einzigartig in seinem Leiden. Er ist nicht der erste Flüchtling, und er wird nicht der letzte sein. Was ihm zustößt, ist Menschen vor ihm zugestoßen und wird Menschen nach ihm zustoßen.
Der kleine König hat seine Insignien und Zeichen, an denen man ihn erkennt. So wird es den Hirten gesagt: „Und das sei euch ein Zeichen: Ihr werdet ein Kind finden, in Windeln gewickelt und in einer Krippe liegend.“ Lächerliche Würdezeichen: Kinderwindeln und ein Futtertrog! Wenn sich einer eine blasphemische Verhöhnung von Glanz und Herrlichkeit Gottes ausdenken wollte, könnte er es nicht besser und ironischer tun, als Gott es in der Weihnachtsgeschichte selber getan hat.
Wir können Gott diese Selbstironie nur schwer verzeihen. Dem kleinen König haben die Menschen gesagt: Wenn du der Sohn Gottes bist, gib uns Zeichen deiner Macht; steig herab von der Qual deines Kreuzes; verwandle die Steine in Brot, dass du zu essen hast, und stürze dich vom Felsen, es passiert dir nichts! Welch ein Irrtum! Diesem Sohn Gottes stieß fast alles zu, was einem Menschen zustoßen kann. Es ist ein fremder und zärtlicher Gedanke, dass unser Leben und dass die Welt nicht gerettet werden durch die Macht des Mächtigen, sondern durch die Teilnahme Gottes an unseren Ohnmachten und an unseren Leiden. Dies ist keine Verherrlichung der Ohnmacht. Es bedeutet nicht, dass das Leiden in sich eine erlösende Kraft hat. Die Liebe, die sich gleich macht mit dem Geliebten, ist die erlösende Kraft. Gott duldet keine Apartheid, auch nicht zwischen sich und seinen verlorenen und gequälten Geschöpfen – das sagt uns der kleine König in seinen Windeln, in seinem Trog, auf seinen Fluchten und mit seinen Tränen. Gott geht in Jesus Christus in die Knie, wie wir in die Knie gehen, wenn uns das Leben schlägt.
Der kleine verlorene König wird umkommen, weil er sich von denen nicht trennen lässt, die umkommen. Gott hat sich verhüllt in seiner Geschichte. Er hat gelernt, was Hunger und Durst, Einsamkeit und Folter sind. Damit hat er die Wichtigkeit unseres Lebens enthüllt. Alle Schönheit und alles Elend der Welt sind zum Abglanz der Schönheit und der Wunden Gottes geworden. Gott blutet in unseren Wunden, er wird geschlagen in der Folter der Menschen, und er entbehrt des Brotes wie die Kinder in Syrien. Ob Menschen Brot haben oder nicht; ob sie geschlagen werden oder ob sie in Ruhe leben können; ob sie Arbeit haben oder nicht, das ist eine spirituelle Angelegenheit geworden, seit Gott mit unseren Wunden bedeckt ist.
Der kleine König hat gesiegt, erzählt uns die Bibel; er ist auferstanden. Schwer zu glauben! Aber wie könnten wir leben ohne die Schönheit dieser Geschichte?
Lied 44 Oh Du Fröhliche
Liebe Gemeinde.
Uns hat hier ein Schicksalsschlag zusammengeführt. Plötzlich sieht man sich mit einer Krankheit konfrontiert. Der Einschnitt ins Leben ist unübersehbar und der Kampf zurück ins Leben ist lang, bedarf großer Geduld und ebensolcher fachlichen Hilfe.
Zum Glück haben wir ein Gesundheitssystem, das die notwendige Hilfe zumal auf dem aktuellen Stand der Wissenschaft für alle bereit stellt. Hier wird geholfen. Täglich werden kleine Schritte, kleine Fortschritte gemacht.
Und doch ist es etwas befremdlich, wenn jetzt Oh Du Fröhliche erklingt. Passt das zusammen? Wo war Gott als mich die Krankheit traf? Gedanken, die kommen, Gedanken, die Zweifel ausdrücken.
Doch es ist das Besondere am christlichen Glauben, dass Gott Mensch geworden ist. Nirgends ist dies so sichtbar wie in dieser Heiligen Nacht. Hier liegt Gott in einer Krippe, er ist ganz Mensch. Und weil er Mensch geworden ist, leidet er mit uns. Aber Gott gibt uns auch Kraft und schickt uns Menschen, die helfen.
Zahllose Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, Schwestern, Ärzte, Therapeutinnen und Therapeuten mühen sich Tag für Tag zum Wohle der Patienten.
Krankheit ist also nicht gottgewollt. So etwas glauben nur christliche Fundamentalisten. Krankheit ist das Ergebnis biologischer Vorgänge.
Doch durch die Geburt dieses Kindes leidet Gott mit uns und trägt uns, auch in den schweren Stunden.
Dies macht Mut. Es gibt Mut und Kraft, die wir für die Genesung benötigen.
Deshalb und nur deshalb können wir singen: Weil Gott in tiefster Nacht erschienen, kann diese Nacht nicht traurig sein.
Lied: EG 56 Weil Gott in tiefster
Gebet:
Wir beten mit den Worten Dietrich Bonhoeffers
Von guten Mächten treu und still umgeben, behütet und getröstet wunderbar,
so will ich diese Tage mit euch leben und mit euch gehen in ein neues Jahr.
Noch will das Alte unsre Herzen quälen, noch drückt uns böser Tage schwere Last. Ach Herr, gib unsern aufgeschreckten Seelen das Heil, für das du uns geschaffen hast.
Und reichst du uns den schweren Kelch, den bittern des Leids, gefüllt bis an den höchsten Rand,
so nehmen wir ihn dankbar ohne Zittern aus deiner guten und geliebten Hand.
Doch willst du uns noch einmal Freude schenken an dieser Welt und ihrer Sonne Glanz, dann wolln wir des Vergangenen gedenken, und dann gehört dir unser Leben ganz.
Laß warm und hell die Kerzen heute flammen, die du in unsre Dunkelheit gebracht, führ, wenn es sein kann, wieder uns zusammen. Wir wissen es, dein Licht scheint in der Nacht.
Wenn sich die Stille nun tief um uns breitet, so lass uns hören jenen vollen Klang der Welt, die unsichtbar sich um uns weitet, all deiner Kinder hohen Lobgesang.
Von guten Mächten wunderbar geborgen, erwarten wir getrost, was kommen mag. Gott ist bei uns am Abend und am Morgen und ganz gewiß an jedem neuen Tag.
Gemeinsam beten wir, wie Jesus uns gelehrt hat:
Vater unser im Himmel
geheiligt werde dein Name,
dein Reich komme,
dein Wille geschehe, wie im Himmel so auf Erden
Unser tägliches Brot gib uns heute.
Und vergib uns unsere Schuld,
wie auch wir vergeben unsern Schuldigern.
Und führe uns nicht in Versuchung,
sondern erlöse uns von dem Bösen.
Denn dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit. Amen.
Segen:
Der HERR segne dich und behüte dich; der HERR lasse sein Angesicht leuchten über dir und sei dir gnädig; der HERR hebe sein Angesicht über dich und gebe dir Frieden
Nicht Straßenmusiker, auch nicht Marktschreier, sondern Bach dominierte akustisch am Freitag in der B-Ebene der Hauptwache.
Kantor Michael Riedel präsentierte mit Chor und Orchester Teile des Weihnachtsoratoriums in der B-Ebene der Frankfurter Hauptwache. Foto: Rolf Oeser
Die Passanten blieben leicht irritiert stehen. Die Worte „Ehre sei dir Gott“, dargeboten von Chor und Orchester, waberte durch die B-Ebene der Frankfurter Hauptwache. Dort, wo täglich Tausende zwischen den U- und S-Bahnen hin und her hetzten, erklang diese Zeile aus Bachs Weihnachtsoratorium. „Bach in der U-Bahn“ unter diesem Motto hatte das Evangelische Stadtdekanat eingeladen. Es sollte ein theologischer wie
Für die Präses des Evangelischen Stadtdekanates Frankfurt, Irmela von Schenk, war „Bach in der U-Bahn“ ein theologischer und musikalischer Akzent. Foto: Kurt-Helmuth Eimuth
Inhaltlicher Akzent zum Jahresbeginn sein, wie die Präses und stellvertretende Vorstandsvorsitzende des Stadtdekanates, Irmela von Schenk, betonte. Für den Frankfurter Verkehrsdezernenten Stefan Majer war es ein ganz neues Hören, Bachs Weihnachtsoratorium „an diesem Ort der Mobilität“ zu erleben. Kantor Michael Riedel von der Petersgemeinde hatte die Idee zu diesem besonderen Jahresauftakt und stellte einen Chor aus 30 Sängerinnen und Sänger aus den Frankfurter Kantoreien zusammen, die von 18 Instrumentalisten begleitet wurden.
„Diese Musik ist heute dort erklungen, wo man auch die Armut in dieser Stadt antrifft, wo gelegentlich auch Menschen ohne Obdach untergekommen sind“, sagte Stadtdekan Achim Knecht beim sich anschließenden Neujahrsempfang in der Paulskirche. Diese Musik habe das Evangelium „mitten im Alltag der Welt erklingen“ lassen.
Aber an diesem Ort werde den Menschen auch ganz praktisch geholfen. So habe in der Katharinenkirche die Winterspeisung begonnen, erläuterte Knecht und führte aus: „So stellen wir uns kirchliche Arbeit vor: Hand in Hand mit vielen Menschen guten Willens, mit denen wir uns verbunden wissen in unserem Auftrag, Menschen in Not zu helfen und sie zu begleiten.“ Auch wolle die evangelische Kirche weiterhin an den kulturellen und gesellschaftlichen Debatten aktiv teilnehmen.
Der Evangelische Stadtdekan rief beim Neujahrsempfang zur Teilnahme an der Kundgebung des Römerbergbündnisses am Montag, dem 26. Januar, 18 Uhr, vor dem Römer auf. Motto: „Freiheit, Gleichheit, Geschwisterlichkeit“. Foto: Kurt-Helmuth Eimuth
Deutlich trat der evangelische Stadtdekan für die Meinungsfreiheit ein. „Wir beziehen Stellung gegen die Abschottung unserer Gesellschaft im Innern und nach Außen.“ Man verurteile, „wenn religiöse Fanatiker ihre Mitmenschen mit Gewalt und Terror bedrohen und einschüchtern, nur weil sie eine kritische Meinungsäußerung nicht meinen ertragen zu können.“