Archiv für Kommentare

Die Kirche unterstützt Occupy – und das ist gut so

Die Kirche unterstützt Occupy – und das ist gut so

Evangelisches Frankfurt via facebook, 22. Mai 2012

Geld und Vermögen sind extrem ungleich verteilt – und das hat nichts mit der Arbeitsleistung zu tun. Wir müssen dringend nach Wegen suchen, den Reichtum gerecht zu verteilen. Deshalb ist es auch gut, dass die evangelische Kirche am Wochenende ihre Stimme erhoben und die Occupy-Proteste unterstützt hat.

Kurt-Helmuth Eimuth ist Leiter der Redaktion von „Evangelisches Frankfurt“. Foto: Rolf Oeser 

Solche Worte spricht in der evangelischen Kirche sonst nur noch Margot Käßmann:

„Die evangelische Kirche in Frankfurt tritt ein für die offene Auseinandersetzung über die politischen, wirtschaftlichen und sozialen Auswirkungen der Finanz- und Wirtschaftskrise. … Als Christen und Christinnen solidarisieren wir uns mit den Menschen, die unter den massiven sozialen Verwerfungen der Krise, wie z.B. der massiv zunehmenden Armut und der hohen Jugendarbeitslosigkeit in Südeuropa zu leiden haben. Vor dem Hintergrund der nach wie vor ungelösten Folgeprobleme auf nationaler wie internationaler Ebene unterstützen wir die Kritik an der ungerechten Lastenverteilung der Krise und fordern eine breite Diskussion um die Zukunft Europas.“

Seit den 1980er Jahren hat sich die Kirche nicht mehr so klar positioniert. Doch es dämmert langsam, dass der Kapitalismus nicht einfach das überlegene Gesellschaftssystem ist. Schon vor Jahren hat Alt-Kanzler Helmut Schmidt vom „Haifischkapitalismus“ gesprochen. Die einst die junge Bonner Republik prägende soziale Verantwortung hat weltweit keine Chance. Die soziale Marktwirtschaft deutscher Prägung kann und konnte sich nicht durchsetzen.

Es ist doch zu fragen, was gerecht ist. In Talkshows wird gerne darüber diskutiert, ob die Höhe der Managergehälter gerecht, zumindest gerechtfertigt ist. Sicher ist das Jahresgehalt von BMW-Chef Norbert Reithofer mit gut sechs Millionen Euro schwer nachzuvollziehen. Doch Reithofer gehört zu jenen, die für ihr Geld noch arbeiten müssen. Die Eigentümerin der Firma BMW, die Familie Quandt hat im gleichen Zeitraum mit ihrem Erbe 650 Millionen verdient. Nicht die Arbeitsleistung hat den Reichtum der Besitzenden in neuen Dimensionen katapultiert, nein, es sind die Profite aus den Kapitalgesellschaften.

In nackten Zahlen ausgedrückt: Dem reichsten einen Prozent der Deutschen gehören 35,8 Prozent des Vermögens – oder andersherum betrachtet: Den ärmeren 90 Prozent gehören gerade einmal 33,4 Prozent. Reichtum wird nur selten erarbeitet, aber oft ererbt. 80 Prozent der Reichen in Deutschland sind Erben.

Mir fällt bei all dieser Diskussion um ein gerechtes Wirtschaftssystem immer das Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg ein: Der Gutsbesitzer schließt zunächst einen üblichen Arbeitsvertrag mit Handschlag ab, nennt dabei auch die Lohnsumme. Der eine Denar, so setzt der Text stillschweigend voraus, ist so etwas wie das Existenzminimum.

Der Arbeitgeber stellt dann im Laufe des Tages weitere Tagelöhner ein, um 9, 12, 15 und 17 Uhr. Die zuletzt Angeheuerten dürften nur noch gut eine Stunde bis zum Sonnenuntergang gearbeitet haben. Der Arbeitgeber zahlt trotzdem allen den vollen Tagelohn, unabhängig wie lange sie gearbeitet haben. Er sieht, dass auch die Arbeitslosen, die nur noch eine Stunde gearbeitet haben, den einen Denar zum Überleben brauchen. Der Gutsbesitzer richtet sich bei der Auszahlung des Lohnes nicht nach der Leistung sondern nach den Bedürfnissen der Menschen. Die Langarbeiter protestieren. Sie haben kein Verständnis. Das Gleichnis endet offen mit der wortlosen Einladung des Arbeitsherrn an die Langarbeiter, ihr Herz zu öffnen und den Arbeitslosen den Überlebensdenar zu gönnen.

Da springt die Analogie mit Griechenland geradezu ins Auge. Öffnen wir unser Herz und gönnen den Menschen in Griechenland den Überlebenseuro, möchte man sagen. Nur leider sind wir nicht mehr bei der Feldarbeit. Die Finanzmärkte funktionieren anders als der Ackerbau. Und doch hat uns das Gleichnis auch heute noch etwas zu sagen.

Luise Schottroff formuliert es so: „Das Gleichnis öffnet Raum für den Gedanken, dass Veränderung möglich ist. Der Arbeitsherr verändert seine Orientierung am Profit, und die Langarbeiter werden zur Solidarität eingeladen.“

Wir alle müssen uns einmischen, müssen nach Wegen suchen, den Reichtum gerecht zu verteilen. Gut, dass die evangelische Kirche sich wieder einmischen will. Deshalb ist es auch gut, dass die evangelische Kirche am Wochenende ihre Stimme erhoben hat.

Die Kirche kann von den Piraten lernen

Das Interessante an der Piratenpartei ist, dass sie mit neuen Formen politischer Mitbestimmung experimentiert. Davon könnte auch die Kirche lernen.

Kurt-Helmuth Eimuth ist Leiter der Redaktion von „Evangelisches Frankfurt“. Foto: Rolf Oeser 

Alle reden über sie, manche auch mit ihnen: Die Piraten sind neu, unkonventionell, sie lieben Medien und haben nicht immer eine Antwort. Das reicht zumindest für gut acht Prozent.

Warum eigentlich haben diese Bengels (Frauen sind deutlich unterrepräsentiert) eine solche Anziehungskraft? Heerscharen von Soziologen suchen derzeit eine Antwort auf diese Frage, die, so der Eindruck,  rund um die Uhr die Talkshows beschäftigt. Doch die gängigen Erklärungsversuche – Parteienverdrossenheit, Internetfans haben Gleichgesinnte gesucht – sind doch recht bemüht.

Den Rechner einschalten und politisch mitreden

Am Dienstag plauderte in der Sendung von Frank Plasberg Juli Zeh, Schriftstellerin, kein Mitglied der Piratenpartei, „hart aber fair“ über ihre Sympathie zur neuen politischen Kraft. Sie sprach über das Lebensgefühl vieler Menschen: Sie sind interessiert, auch an Politik, wollen aber keinem engen Milieu angehören. „Es gibt keinen Stall mehr“, sagte Zeh, „man versucht irgendwie, sein Set zusammenzubauen.“ Sie könne sich nicht vorstellen, jede Woche zu irgendeiner Ortsgruppe zu gehen, um an Parteiversammlungen teilzunehmen. Bei den Piraten könne sie nach eigenem Gusto den Rechner einschalten und politisch mitreden.

Die Attraktivität der Piraten liegt ganz klar in der Möglichkeit der Mitwirkung, der Partizipation. Haben das nicht auch die Achtundsechziger gewollt? Ist es jetzt nicht möglich, mittels Internet „mehr Demokratie zu wagen“?

Gremienarbeit könnte reduziert werden

Man stelle sich nur mal vor, welches Potenzial in solchen Kommunikationswegen auch für Institutionen wie die Kirche steckt: Unendliche Stunden von Gremienarbeit könnten reduziert werden. Alle könnten mitdiskutieren, ob etwa die Matthäuskirche in Frankfurt abgerissen werden soll, um mit dem Erlös andere Frankfurter Kirchen zu erhalten.

Man könnte Foren für Stadtteile gestalten, Kirchenmitglieder und Nichtmitglieder einladen zur Diskussion. Man könnte Vorschläge sammeln, wie eine Gemeinde in der Einflugschneise des Frankfurter Flughafens sich weiter verhalten soll: Klage erheben, Protestbanner an der Kirche anbringen oder das Gemeindezentrum verlagern?

Die Piraten zeigen, wie Meinungsbildungsprozesse aller Art gebündelt und moderiert werden können. Sie experimentieren mit neuen Instrumenten, wie Mitglieder von Organisationen an den Punkten, die ihnen am Herzen liegen, mitwirken können.

Gemeinschaft braucht Kommunikation

Vieles davon könnte man auch in der Kirche ausprobieren: Wer sich in der Gemeindeleitung engagieren möchte, müsste sich nicht für sechs Jahre in einen Kirchenvorstand wählen lassen, weil ihm die Kirchenmusik am Herzen liegt, obwohl dort immer wieder der Kindergarten auf der Tagesordnung steht.

Sicher: Glaube braucht Gemeinschaft. Aber die Gemeinschaft braucht auch Kommunikation. Paulus würde heute sicher nicht auf dem Marktplatz stehen und predigen. Er würde die Medien nutzen – eben auch das Internet.

 

Kurt-Helmuth Eimuth, Evangelisches Frankfurt via facebook am 10. Mai 2012

Nicht nachlassen, Herr Becker!

Evangelisches Frankfurt März 2012

Kurt-Helmuth Eimuth ist Leiter der Redaktion von „Evangelisches Frankfurt“. Foto: Rolf Oeser 

Der Ausbau der Kinderbetreuung geht langsamer voran als geplant. Die Gründe sind vielfältig, auch nachvollziehbar und doch kann das Eltern nicht trösten, die verzweifelt einen Betreuungsplatz für ihr Kind suchen. Besonders prekär ist die Lage in Frankfurt bei den ganz Kleinen und den Großen: Vor allem Krippen- und Hortplätze sind rar.

Grund ist der Geburtenanstieg und der Zuzug junger Familien nach Frankfurt: Jedes Jahr wächst die Zahl der Kinder um etwa 400. Frankfurt ist eben eine Kinderstadt. Und das nicht nur in den Neubaugebieten wie etwa dem Riedberg. Besonders beliebt bei jungen Familien sind auch das Nordend, das Ostend und Sachsenhausen.

In der Summe hat die Stadt seit 2003 bereits weit über 8.000 Kinderbetreuungsplätze neu geschaffen. Eine gewaltige Anstrengung und ein gewaltiges finanzielles Engagement. Jetzt hat der Kämmerer die Reißleine gezogen. Nicht mehr für jedes zweite Kind soll ein Krippenlatz zur Verfügung stehen, sondern nur noch für vierzig Prozent. Mit Recht kann Uwe Becker auf die fehlenden Immobilien, auf fehlende Fachkräfte und auf die erschöpfte Bundesförderung verweisen. Ist zwar nachvollziehbar, war aber vorhersehbar.

Es bleibt also die Frage: Wie will die Stadt den Rechtsanspruch auf eine Betreuung auch der Jüngsten ab dem 1. August 2013 erfüllen? Oder wird sich die Politik aus der Verantwortung stehlen, in dem sie schnell noch eine Übergangsregelung erlässt? Eltern und Gesellschaft haben ihre Einstellung zur Kinderbetreuung in den letzten Jahren verändert. Die hohe Akzeptanz wird dazu führen, dass selbst die jetzt nicht erfüllten Planzahlen dem tatsächlichen Bedarf hinterherhinken.

Die familiäre Planung geht heute davon aus, dass nach der Elternzeit ein Krippenplatz, dann ein Kindergartenplatz und mit der Einschulung eine entsprechende Betreuung in der Schule oder im Hort zur Verfügung steht. Nur so kann eine Berufstätigkeit beider Eltern ermöglicht werden.

Eine Gesellschaft, die demnächst unter einem dramatischen Fachkräftemangel leiden wird, kann es sich nicht leisten, Eltern hier kein attraktives Angebot zu machen. Wir brauchen mehr und wir brauchen sehr gute Kinderbetreuungseinrichtungen. Hier darf nicht gespart werden. Der Kinder wegen, aber auch aus wirtschaftlichen Gründen. Nachlassen, Herr Becker, gilt nicht.

Kurt-Helmuth Eimuth

Kirche 2030: Weiblich, kommunikativ und fromm

Kirche 2030: Weiblich, kommunikativ und fromm

Die Prognose ist einfach: Die Zahl der Kirchenmitglieder wird in den kommenden Jahren massiv zurückgehen. Vor allem die Demographie sorgt dafür – es sterben mehr Evangelische, als getauft werden. Sicher wird es in Frankfurt nicht soweit kommen wie in Mitteldeutschland, wo auf 208 Gemeindemitglieder ein Kirchengebäude kommt. Aber man wird sich strategisch etwas überlegen müssen.

Ilse Junkermann, Landesbischöfin der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland, rät ihren Gemeinden: „Kommt zusammen, betet, singt und überlegt, wo ihr in der Welt helfen könnt“. Ob das reicht für die Zukunftsfähigkeit von Kirche? Man möchte ja und nein sagen.

Ein Symposium der Akademie der Bruderhilfe „Religion 2030“ in Erfurt suchte Antworten, und warf doch mehr Fragen auf.  Es lassen sich ein paar Entwicklungen und Hoffnungen herausfiltern. Unstrittig ist, dass der Pfarrberuf „weiblicher“ wird. Vor allem Frauen studieren heute Theologie, ihr Anteil wird daher noch deutlich größer werden als das derzeitige Drittel. Der Münchner Theologieprofessor Friedrich Wilhelm Graf stellte hier ein Auseinanderdriften der beiden großen Kirchen fest – denn das größte Problem der katholischen Kirche, bei der das Amt nur von Männern ausgeübt werden darf, ist der Mangel an Priestern.

Ein zentrales Problem beider Kirchen ist, dass sie ihre Botschaft nicht mehr vermitteln können, und zwar nicht einmal ihren eigenen Mitgliedern. Dies hat kürzlich erst wieder die Studie „Was glauben die Hessen“ von Michael Ebertz belegt, der von einer „Gottesvermittlungskrise“ spricht.

Ein Schwerpunkt einer künftigen Stadtkirche wird daher die Kommunikation sein müssen. Wenn es nach Bruder Paulus Terwitte geht, werden in Frankfurt zentral gesteuerte elektronische Schaukästen informieren und einladen. Die Kirche wird über ein Callcenter 24 Stunden erreichbar sein, und natürlich bekommt jedes Kirchenmitglied eine „Kundenzeitschrift“. „Warum soll ich als Kirchensteuerzahler schlechter gestellt sein als jedes ADAC-Mitglied?“ fragte der Frankfurter Kapuzinermönch.

Für die Kommunikation innerhalb der Theologie gibt es keine Patentrezepte. Der Theologe Graf sieht einen „Aderlass“. So würden siebzig Prozent der in München mit „Summa cum laude“ Promovierten nicht in den kirchlichen Dienst gehen. Die besten Köpfe gehen anderswo hin, weil für sie die Kirche kein attraktiver Arbeitgeber sei. „Lieber Taxifahrer als bayerische Landeskirche“, zitierte er das Fazit eines Doktoranden. Noch nicht einmal einen nationalen Stellenmarkt gibt es für Theologinnen und Theologen.

Sicher wird im Jahr 2030 der Dialog mit anderen Religionen und Weltanschauungen noch bedeutsamer sein als er heute schon ist. Es bedarf, so Graf, „einer neuen Form von Apologetik“, also der „Verteidigung“ und Erläuterung christlicher Glaubensinhalte. 2030 werden in den Gemeinden nur noch wenige Hauptamtliche tätig sein. Diese würden, so Graf, dann nicht verwalten, sondern „die Kommunikation mit dem Evangelium ausführen“. Also Gottesdienste feiern und durchaus auch kontroverse Gespräche mit und über andere Religionen und Weltanschauungen führen. Die sozialen Dienste der Kirche und die Diakonie hingegen werden sich in Zukunft wohl selbst refinanzieren müssen.

Dem Fazit „Schließlich geht es darum, wie wir unserem Auftrag gerecht werden und nicht wie wir uns selbst erhalten“ von Bischöfin Junkermann kann man nur zustimmen. Doch beides schließt sich ja nicht aus.

Kurt-Helmuth Eimuth

Evangelisches Frankfurt Februar 2012 (via facebook)

Der späte Aufstand der Millionäre

Der späte Aufstand der Millionäre

Kurt-Helmuth Eimuth ist Leiter der Redaktion von „Evangelisches Frankfurt“. Foto: Rolf Oeser 

Der Protest gegen die neue Startbahn gewinnt an Fahrt. Jetzt, da die Flieger auch über die Nobelvillen auf dem Lerchesberg einschweben, gibt es ungewöhnliche Allianzen. Da protestieren die, die schon immer dagegen waren, plötzlich neben denen, die den Wert ihrer Immobilien im Sinkflug sehen. Um dreißig Prozent seien die Immobilienpreise im Süden Frankfurts gefallen, sagen Makler.

Der Protest der Millionäre zeigt Wirkung. Plötzlich erklärt der hessische Wirtschaftsminister Dieter Posch, er möchte ein dauerhaftes Nachtflugverbot, wenn das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig mitzieht. Als sei es nicht eben diese Landesregierung gewesen, die die Nachtflüge zunächst genehmigt hatte. Erst der Hessische Verwaltungsgerichtshof stoppte den mitternächtlichen Lärm. Auch der Innenminister und Frankfurter OB-Kandidat Boris Rhein vertritt plötzlich eine neue Regierungslinie. Obgleich die Regierungspartei den Ausbau vorantrieb.

Zu Recht beklagt die Synode der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau, dass das unter anderem vom damaligen Umweltpfarrer Kurt Oeser erarbeitete Mediationspaket vom Flughafenbetreiber und der Hessischen Landesregierung nicht eingehalten worden ist. Es sei „ein aus damaliger Sicht tragbarer Kompromiss“ gewesen. Das Kirchenparlament tritt für ein striktes Flugverbot von 22 Uhr bis 6 Uhr ein und fordert, den Lärmschutz der Bevölkerung besser gesetzlich zu verankern. Einrichtungen für Kinder oder alte Menschen und Krankenhäuser bräuchten spezielle Lärmschutzmaßnahmen. Zudem fordert die Synode die Einführung einer ökologischen Kerosinsteuer und eine Flugverkehrsabgabe auf europäischer Ebene.

Das sind Forderungen und Notwendigkeiten, denen man nur zustimmen kann. Doch das alles wusste man schon vor gut einem Jahrzehnt. Warum, so fragt man sich, kommt der Aufstand erst jetzt? Die Antwort ist leider einfach: Es liegt an der menschlichen Schwäche, sich erst dann zu regen, wenn die Auswirkungen zu spüren sind. Erst wenn die Bagger anrücken, ist das Erstaunen groß. So war es auch bei Stuttgart 21.

Wir alle sind aufgerufen, uns auch mit Planungen auseinanderzusetzen, deren Auswirkungen womöglich erst die Generationen nach uns ausbaden müssen. Da fallen einem Stichworte wie Finanzkrise, Staatsverschuldung oder Generationenvertrag ein. Oder ist uns das Hemd wirklich näher als der Rock?

Kurt-Helmuth Eimuth

Evangelisches Frankfurt Februar 2012

Familie ein weltlich Ding

Familie ein weltlich Ding
Suchbewegung einer Fachtagung

Spannend: „Familien stärken in evangelischer Perspektive“ so das Tagungsthema des Sozialwissenschaftlichen Instituts der EKD vom 2. bis 3. Februar in Eisenach. Ergebnis: „Familie lebt in vielen Formen. Wir müssen uns darauf einstellen.“
Landesbischof Jochen Bohl fasste die Erhebungen zur Familie in seinem Beitrag präzise zusammen. Familie verändert sich rasant. Der Zeitpunkt der Familiengründung verschiebt sich nach hinten. Eine Frau bekommt mit 29 Jahren ihr erstes Kind (im Durchschnitt). Die Kinderzahl pro Frau beträgt zwei Kinder, allerdings nimmt der Anteil von Männern und Frauen ohne Kinder zu. Er beträgt bei den 27 bis 31jährigen 60 Prozent. In Sachsen werden 62 Prozent der Kinder nicht-ehelich geboren.

Und auch die Rahmenbedingungen scheinen für die Kinder schlechter zu werden. Ein steigender Teil der Kinder hätten bereits in den ersten Lebensjahren erhebliche Defizite. So machten 13 Prozent der Sachsen keinen Schulabschluss, die Zahl der von der Schulpflicht befreiten Kinder steige. „Dies hat auch mit der mangelnden Erziehungskompetenz der Eltern zu tun“, sagt der Bischof. Das könne man nur mit Sorge betrachten.

Für Jochen Bohl ist Ehe und Familie „ein weltlich Ding und kein Sakrament“. Doch sie seien das Leitbild für das er werbe. Heute seien die Familien zerbrechlich geworden, doch das Band der Generationen sei unzertrennlich. Deshalb sei es Aufgabe der Kirche Familien in ihrer Bindungsfähigkeit zu stärken.

Die Erhebung des Sozialwissenschaftlichen Instituts in drei Landeskirchen ergab, dass die Hilfen für Familien stark versäult und zudem in den Landeskirche sehr unterschiedlich organisiert sind. Glaubt man sofort und freut sich, dass dieses nach 18monatigem wissenschaftlichen Mühen bestätigt wurde.

Schade, dass die Tagung Familie nicht in ihren unterschiedlichen Milieus, wie dies etwa die SINUS-Studie macht, in den Blick genommen hat. Erst mit Kenntnis der Verhaltensmuster dieser Milieus kann Kirche ernsthaft eine Perspektive entwickeln. Vorbild könnte die Studie „Eltern unter Druck – Selbstverständnisse, Befindlichkeiten und Bedürfnisse von Eltern in verschiedenen Lebenswelten“ der Konrad Adenauer Stiftung sein. Man darf gespannt sein, ob die vom Rat der EKD eingesetzte Kommission dies leisten wird. Ein entsprechende Denkschrift wird seit gut zwei Jahren vorbereitet.
Kurt-Helmuth Eimuth

Zur Erosion des Reliunterrichts beigetragen

Zur Erosion des Reliunterrichts beigetragen

Kurt-Helmuth Eimuth ist Leiter der Redaktion von „Evangelisches Frankfurt“. Foto: Rolf Oeser 

Es war sicher gut gemeint. Und auf den ersten Blick ist es ja auch überzeugend: Wenn das Kultusministerium den Berufsschulen Unterrichtsstunden für Religionsunterricht zuteilt, dann sollte auch dieses Fach unterrichtet werden. Und nicht etwa Mathe, Englisch oder Wirtschaft. (Wir berichteten).

Die evangelische und katholische Kirche erhoffen sich von einer solchen Regelung die Stärkung des Faches Religion, das immerhin ein ordentliches Lehrfach ist. Und deshalb haben sie der Verordnung mal eben schnell zugestimmt. Aber das war voreilig, wie sich jetzt zeigt.

Denn die Welt sieht anders aus, als man sie sich in Darmstadt, Kassel, Mainz und Limburg vorstellt. Längst wird in den Schulen Religionsunterricht in vielfältigen Formen unterrichtet. Da gibt es den gemeinsamen Unterricht evangelischer und katholischer Schülerinnen und Schüler. Oder auch den Unterricht im ganzen Klassenverband, was dann oft eher ein Ethik- als ein Religionsunterricht ist. Schon aus organisatorischen Gründen. Denn die immer kleiner werdende Zahl der christlich konfessionell gebundener Schülerinnen und Schüler stellt die Unterrichtsplanung vielerorts vor kaum überwindbare Hürden. Die kirchlichen Schulverwaltungen, die für dieses Unterrichtsfach Partnerinnen des Staates sind, bewegen sich hier kaum. Sie ignorieren, dass die Welt sich geändert hat.

Und da gibt es noch ein Problem mit Reli: zu wenig Lehrerinnen und Lehrer. Die Schulleiterinnen und -leiter können den Unterricht gar nicht mit Lehrkräften abdecken. Und so wird aus „gut gemeint“ ein „voll daneben“, das den Vorbehalten gegen den Einfluss der Kirchen auf Staat und Gesellschaft Vorschub leistet.

Schließlich hatte der hessische FDP-Chef Jörg-Uwe Hahn bei der Diskussion um die Einführung eines islamischen Unterrichts bereits mächtig Öl ins Feuer gegossen. Der Landesvorsitzende der Liberalen hatte die Diskussionslage in seiner Partei so geschildert: „In meiner Partei gibt es eine Diskussion darüber, ob ein säkularer Staat weiterhin bekenntnisorientierten Religionsunterricht anbieten soll.“

Sicher hat das Kultusministerium seinen Teil zur Verwirrung beigetragen. Die Kirchen wurden benutzt, um mal schnell einen Sparbeschluss umzusetzen. Denn auch bei der Bildung soll – allen Beteuerungen zum Trotz – gespart werden. Die kirchlich Verantwortlichen jedoch haben mit ihrer Zustimmung zu dem Vorhaben die Komplexität nicht übersehen, oder konnten sie nicht übersehen.

Im Ergebnis wurde der Religionsunterricht nicht gestärkt, sondern der Erosionsprozess noch verstärkt.

Evangelisches Frankfurt via Facebook 24.11.11

Finanzkrise gefährdet die Demokratie

Finanzkrise gefährdet die Demokratie

Foto: Rolf Oeser

Geahnt haben wir es schon immer. Es gibt genügend Lebensmittel für alle. Nur die Verteilung ist zutiefst ungerecht. Der Film „Taste the waste“ hält es uns drastisch vor Augen. Doch wir sorgen uns um Aktienmärkte und Staatsverschuldung, retten eben mal mit dreistelligen Milliardenbeträgen Banken oder stützen die eigene Währung. Die Welt scheint aus den Fugen.

Hier zu Lande bereiten die hohen Staatsschulden den Bundesbürgern enormes Kopfzerbrechen. Laut dem „Sorgenbarometer“ des „Stern“ rangiert die Furcht, die Verschuldung könnte ins Immense steigen, auf Platz eins. Auf die Frage, was sie im Augenblick am meisten beunruhigt, nannten danach 63 Prozent die Angst davor, dass die Staatsschulden weiter steigen.

Die Furcht ist durchaus berechtigt. Um die Staatsverschuldung einordnen zu können, wird sie ins Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt, also zu allen Waren und Dienstleistungen, die in einem Jahr geschaffen und geleistet werden, gesetzt. In der Eurozone soll diese Quote 60 Prozent nicht übertreffen. Tatsächlich liegt Deutschland bei 83, Belgien und Irland bei 96 Italien bei 119 und Griechenland bei 142 Prozent. Getrieben von der Krise steigt die Verschuldung Deutschlands in diesem Jahr deutlich. Eine Schuldenbremse soll die Neuverschuldung deckeln. Ein erster Schritt. Denn ein Staat, der sein Budget nur durch immer mehr Schulden ausgleichen kann, treibt auf den Konkurs zu. Ratingagenturen haben die schlechte Botschaft überbracht. Doch es hilft nicht, den Überbringer der Botschaft zu köpfen.

Volkswirtschaftlich wird diese Situation zu einer steigenden Inflation führen. Die Flucht der Anleger in Gold und Immobilien sind ein Symptom für die Angst vor der Geldentwertung. Doch Inflation ist die Geißel des viel zitierten kleinen Mannes (und der weniger oft zitierten kleinen Frau). Denn ihr Erspartes, zum Beispiel die Lebensversicherung, leidet. Und alle die Transferleistungen erhalten, etwa die Rentner, werden überproportional betroffen sein.

Die politischen Folgen eines sparsamen Staates sind unkalkulierbar. Die Unruhen in Griechenland und in Großbritannien zeigen, welche Gefahren für die Demokratie in der Finanzkrise stecken. Aber auch Überbevölkerung und Unterernährung lassen viele den Glauben an ein gerechtes Wirtschaftssystem verlieren. So gesehen ist nicht nur die Währung in Gefahr. Die globalen Turbulenzen gefährden den gesellschaftlichen Konsens.

Kurt-Helmuth Eimuth
Evangelisches Frankfurt August 2011

Noch gibt es keine Alternative zur Zeitung

Evangelisches Frankfurt Juni 2011

Auch die kirchliche Medienarbeit muss in Zeiten, in denen Sparen angesagt ist, auf den Prüfstand. Die Mitgliederzeitung der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau, „Echt“, hatte nicht mehr so recht überzeugt: Sie wird eingestellt. Doch die Synode wollte nicht einfach Geld sparen, sondern ein zukunftsweisendes Konzept für die Öffentlichkeitsarbeit erarbeiten. In Zukunft werden Kirchenmitglieder dreimal im Jahr einen Impuls-Brief im Briefkasten finden, dazu gibt es Materialien für die Gemeinden.

Auch in Frankfurt hat man sich mit der medialen Zukunft beschäftigt. Die Mitgliederzeitung des Evangelischen Regionalverbandes, „Evangelisches Frankfurt“, erscheint in einer Auflage von 115 000 und informiert seit 35 Jahren über die Aktivitäten der Kirchengemeinden und anderer evangelischen Einrichtungen. In ganz Deutschland gibt es kein vergleichbares konfessionelles Blatt. Das Meinungsforschungsinstitut Allensbach bestätigte in zwei Untersuchungen, dass es auf diesem Weg gelingt, auch eher kirchendistanzierte Mitglieder zu erreichen. Doch selbstverständlich muss auch dieser Finanzaufwand, immerhin 300 000 Euro im Jahr, geprüft werden. Der Vorstand des Regionalverbandes diskutierte ausführlich Alternativen – etwa die Beilage in einer Tageszeitung oder auch das völlige Umschwenken auf das Internet. Aber schließlich setzte sich die Meinung durch, dass eine Printausgabe derzeit noch immer der beste Weg ist, um Kirchenmitglieder zu erreichen. Dafür pro Kopf im Jahr 2,40 Euro auszugeben, ist sicher angemessen.

Womöglich ist das nur eine „Brückenlösung“, denn Facebook und Co. werden immer wichtiger. Der Auflagenrückgang der Tageszeitungen belegt das. Gerade darin sehen jedoch manche Experten auch eine Chance für kostenlose Zeitungen. Sie bekommen mehr Aufmerksamkeit und werden gerne als Informationsquelle genutzt. Viele Menschen erwarten heute eben auch von Printinformationen, dass sie – wie das Internet – kostenlos sind.

„Evangelisches Frankfurt“ soll nun, wenn auch das Kirchenparlament im Dezember zustimmt, zumindest bis 2014 weiter erscheinen. Dann wird man die Bedürfnisse und Notwendigkeiten neu einschätzen. Für die Redaktion ist das Anerkennung und Ansporn zugleich, ein interessantes Blatt zu machen, das die Meinungsvielfalt des Protestantismus in dieser Stadt widerspiegelt. Über www.facebook.com/evangelischesfrankfurt ist dieses Angebot inzwischen ebenfalls zu beziehen.

Kurt-Helmuth Eimuth

Finanzkrise gefährdet die Demokratie

Finanzkrise gefährdet die Demokratie

Foto: Rolf Oeser

Geahnt haben wir es schon immer. Es gibt genügend Lebensmittel für alle. Nur die Verteilung ist zutiefst ungerecht. Der Film „Taste the waste“ hält es uns drastisch vor Augen. Doch wir sorgen uns um Aktienmärkte und Staatsverschuldung, retten eben mal mit dreistelligen Milliardenbeträgen Banken oder stützen die eigene Währung. Die Welt scheint aus den Fugen.

Hier zu Lande bereiten die hohen Staatsschulden den Bundesbürgern enormes Kopfzerbrechen. Laut dem „Sorgenbarometer“ des „Stern“ rangiert die Furcht, die Verschuldung könnte ins Immense steigen, auf Platz eins. Auf die Frage, was sie im Augenblick am meisten beunruhigt, nannten danach 63 Prozent die Angst davor, dass die Staatsschulden weiter steigen.

Die Furcht ist durchaus berechtigt. Um die Staatsverschuldung einordnen zu können, wird sie ins Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt, also zu allen Waren und Dienstleistungen, die in einem Jahr geschaffen und geleistet werden, gesetzt. In der Eurozone soll diese Quote 60 Prozent nicht übertreffen. Tatsächlich liegt Deutschland bei 83, Belgien und Irland bei 96 Italien bei 119 und Griechenland bei 142 Prozent. Getrieben von der Krise steigt die Verschuldung Deutschlands in diesem Jahr deutlich. Eine Schuldenbremse soll die Neuverschuldung deckeln. Ein erster Schritt. Denn ein Staat, der sein Budget nur durch immer mehr Schulden ausgleichen kann, treibt auf den Konkurs zu. Ratingagenturen haben die schlechte Botschaft überbracht. Doch es hilft nicht, den Überbringer der Botschaft zu köpfen.

Volkswirtschaftlich wird diese Situation zu einer steigenden Inflation führen. Die Flucht der Anleger in Gold und Immobilien sind ein Symptom für die Angst vor der Geldentwertung. Doch Inflation ist die Geißel des viel zitierten kleinen Mannes (und der weniger oft zitierten kleinen Frau). Denn ihr Erspartes, zum Beispiel die Lebensversicherung, leidet. Und alle die Transferleistungen erhalten, etwa die Rentner, werden überproportional betroffen sein.

Die politischen Folgen eines sparsamen Staates sind unkalkulierbar. Die Unruhen in Griechenland und in Großbritannien zeigen, welche Gefahren für die Demokratie in der Finanzkrise stecken. Aber auch Überbevölkerung und Unterernährung lassen viele den Glauben an ein gerechtes Wirtschaftssystem verlieren. So gesehen ist nicht nur die Währung in Gefahr. Die globalen Turbulenzen gefährden den gesellschaftlichen Konsens.

Kurt-Helmuth Eimuth

EF August 2011