Das Interessante an der Piratenpartei ist, dass sie mit neuen Formen politischer Mitbestimmung experimentiert. Davon könnte auch die Kirche lernen.
Alle reden über sie, manche auch mit ihnen: Die Piraten sind neu, unkonventionell, sie lieben Medien und haben nicht immer eine Antwort. Das reicht zumindest für gut acht Prozent.
Warum eigentlich haben diese Bengels (Frauen sind deutlich unterrepräsentiert) eine solche Anziehungskraft? Heerscharen von Soziologen suchen derzeit eine Antwort auf diese Frage, die, so der Eindruck, rund um die Uhr die Talkshows beschäftigt. Doch die gängigen Erklärungsversuche – Parteienverdrossenheit, Internetfans haben Gleichgesinnte gesucht – sind doch recht bemüht.
Den Rechner einschalten und politisch mitreden
Am Dienstag plauderte in der Sendung von Frank Plasberg Juli Zeh, Schriftstellerin, kein Mitglied der Piratenpartei, „hart aber fair“ über ihre Sympathie zur neuen politischen Kraft. Sie sprach über das Lebensgefühl vieler Menschen: Sie sind interessiert, auch an Politik, wollen aber keinem engen Milieu angehören. „Es gibt keinen Stall mehr“, sagte Zeh, „man versucht irgendwie, sein Set zusammenzubauen.“ Sie könne sich nicht vorstellen, jede Woche zu irgendeiner Ortsgruppe zu gehen, um an Parteiversammlungen teilzunehmen. Bei den Piraten könne sie nach eigenem Gusto den Rechner einschalten und politisch mitreden.
Die Attraktivität der Piraten liegt ganz klar in der Möglichkeit der Mitwirkung, der Partizipation. Haben das nicht auch die Achtundsechziger gewollt? Ist es jetzt nicht möglich, mittels Internet „mehr Demokratie zu wagen“?
Gremienarbeit könnte reduziert werden
Man stelle sich nur mal vor, welches Potenzial in solchen Kommunikationswegen auch für Institutionen wie die Kirche steckt: Unendliche Stunden von Gremienarbeit könnten reduziert werden. Alle könnten mitdiskutieren, ob etwa die Matthäuskirche in Frankfurt abgerissen werden soll, um mit dem Erlös andere Frankfurter Kirchen zu erhalten.
Man könnte Foren für Stadtteile gestalten, Kirchenmitglieder und Nichtmitglieder einladen zur Diskussion. Man könnte Vorschläge sammeln, wie eine Gemeinde in der Einflugschneise des Frankfurter Flughafens sich weiter verhalten soll: Klage erheben, Protestbanner an der Kirche anbringen oder das Gemeindezentrum verlagern?
Die Piraten zeigen, wie Meinungsbildungsprozesse aller Art gebündelt und moderiert werden können. Sie experimentieren mit neuen Instrumenten, wie Mitglieder von Organisationen an den Punkten, die ihnen am Herzen liegen, mitwirken können.
Gemeinschaft braucht Kommunikation
Vieles davon könnte man auch in der Kirche ausprobieren: Wer sich in der Gemeindeleitung engagieren möchte, müsste sich nicht für sechs Jahre in einen Kirchenvorstand wählen lassen, weil ihm die Kirchenmusik am Herzen liegt, obwohl dort immer wieder der Kindergarten auf der Tagesordnung steht.
Sicher: Glaube braucht Gemeinschaft. Aber die Gemeinschaft braucht auch Kommunikation. Paulus würde heute sicher nicht auf dem Marktplatz stehen und predigen. Er würde die Medien nutzen – eben auch das Internet.
Kurt-Helmuth Eimuth, Evangelisches Frankfurt via facebook am 10. Mai 2012