Palmsonntag. Im Wohnzimmer. Versorgt mit Telefon und Gesangbuch. Die Gethsemanegemeinde lädt zum Telefon- und Online-Gottesdienst ein. Keine Glocken, keine Orgelmusik. Statt dessen Nummer wählen, Code eingeben und kurz warten. Dann begrüßt Pfarrer Thorsten Peters die, die sich gerade eingewählt haben mit Namen. Man kennt sich. Am Schluss waren es 25 Einwahlen mit 35 Gottesdienstbesuchern. Für die Gemeinde auch sonst im Jahr ein normaler durchschnittlicher Gottesdienstbesuch.
Telefongottesdienst der Gethsemanegemeinde am Palmsonntag Bild: Kurt-Helmuth Eimuth
Wie auch in der Kirchenbank, so warten wir nun am Wohnzimmertisch auf den Beginn. Gelegentlich hört man einzelne Sätze. Das mit dem Stummschalten des Mikrofons hat sich noch nicht überall herumgesprochen. Da ist dann auch laut und deutlich vernehmbar: „Die sollen doch endlich anfangen.“ Der Telefonkonferenzknigge ist noch ausbaufähig.
Überhaupt merkt man, dass der Umgang mit der Technik noch nicht recht eingeübt ist. Der Pfarrer kommt am Anfang recht hallig herüber, andere Teilnehmerinnen haben das Gefühl, sie wären während der Übertragung herausgeflogen. Es sollte sich herausstellen, dass dem nicht so war. Wieder andere bemerken nicht, dass ihr Mikrofon offen ist und sie deshalb schrille Rückkopplungen produzieren.
Thorsten Peters lädt zu einem Gottesdienst mit verkürzter Liturgie ein. Vater Unser und Glaubensbekenntnis spricht die Gemeinde gemeinsam, jedenfalls zur gleichen Zeit, aber keineswegs gleichzeitig. Eine Babylonische Sprachverwirrung ist die Folge. Und doch hat auf diese Art und Weise jede und jeder Zeit und Raum für sich und in Gemeinschaft zu beten.
Das Bild von der Gemeinschaft greift Peters in seiner Predigt auf. Es sei das Urbild des Christentums, dass man gemeinsam am Tisch sitze. Nun heute sitze man, jeder und jede für sich zuhause am Telefon oder Computer. Die Umstände in der Krisenzeit macht das erforderlich.
Die Gethsemanegemeinde will so weiter Gottesdienst feiern und damit auch den Wert der Verkündigung betonen. Bewusst hat man das Medium Telefon gewählt, um so auch Menschen zu erreichen, die über kein W-Lan verfügen. Das in diesen Tagen so wichtige Erleben von Gemeinschaft soll möglichst niedrigschwellig angeboten werden, zumindest medial. Vielleicht findet die Gemeinde auch noch einen Weg, die für den Nutzer anfallenden sehr niedrigen Telefongebühren entfallen zu lassen.
Zum nächsten Gottesdienst am Karfreitag wird man schon etwas eingeübter sein.
In Zeiten der Verunsicherung haben Verschwörungsmythen Konjunktur. Es ist die Zeit der Vereinfacher und Demagogen. Auch im religiösen Bereich gibt es viele bizarre Theorien zu den Ursachen des Coronavirus. Zum Glück gehen die etablierten Religionen verantwortungsvoll mit der Krise um.
Wer hat’s in die Welt gebracht? Verschwörungsmythen über Covid-19 verbreiten sich fast schneller als der Virus. | Foto: Fusion Medical Animation/unsplash.
Schon in den ersten Wochen nach Ausbruch des Coronavirus sollen nach einer Meldung der Washington Post sieben Prozent aller Posts auf Twitter falsche Informationen verbreitet haben. Komplizierte Sachverhalte reduzieren und möglichst einen Schuldigen benennen – so einfach ist das Muster des Verschwörungsmythos.
Islamische Geistliche aus Tunesien und Ägypten zum Beispiel haben behauptet, das Coronavirus sei eine Strafe Gottes für die Chinesen für deren Umgang mit den Uiguren. Im Irak verbreitete sich die Erklärung, bei der Epidemie handele es sich um ein amerikanisch-jüdisches Komplott. Ziel sei es, die Weltbevölkerung zu dezimieren.
Die Vorstellung von einer „jüdischen Weltverschwörung“ kursiert schon seit gut hundert Jahren. Sie geht unter anderem auf einen Roman aus dem Jahr 1868 zurück, der ein geheimes Treffen auf dem Judenfriedhof in Prag ausmalt. In den dort angeblich beschlossenen „Protokollen der Weisen von Zion“ sei beschrieben, wie das „internationale Judentum“ die Herrschaft über die Menschheit erlangen will, indem sie Wirtschaft, Finanzen, Medien und Kultur kontrollieren.
Diese fixe Idee wird bei jeder Krise wieder reaktiviert. Michael Blume, Antisemitismusbeauftragter der baden-württembergischen Landesregierung, sagte im Deutschlandfunk, es habe nur wenige Tage gedauert, bis das Auftreten des Coronavirus auch in Deutschland mit einer jüdischen Weltverschwörung verknüpft wurde: „Man hat gesagt: In Wuhan gibt es ein Biolabor, Bill Gates und Melinda Gates entwickeln Impfstoffe und verdienen damit Geld, und die seien ja Juden. Nichts davon stimmt.“
Vereinfachende Denkmuster finden sich bei sektenhaften Gruppierungen aller Religionen. Für Man-Hee Lee von der südkoreanischen Sekte „Shincheonji“ war klar: Das Coronavirus ist das Werk des Teufels, das die Ausweitung der Shincheonji-Kirche verhindern soll. An der Verbreitung des Virus in Südkorea hatte die christliche Sekte großen Anteil: Die Mitglieder halten sich für quasi unsterblich, weshalb ihnen Krankheiten nichts anhaben können. Dem Sektengründer droht in Südkorea jetzt ein Strafverfahren wegen Mordes. In Frankfurt hat Shincheonji 500 Mitglieder, ihr Zentrum ist geschlossen.
Die „Catedral Global do Espírito Santo“ in Brasilien hatte in einer Online-Broschüre mit der „Kraft Gottes gegen das Coronavirus“ geworben. Sie versprach ihren Gläubigen „eine Salbung mit geweihtem Öl“, das gegen Epidemien, Viren oder Krankheiten immun mache. In den USA geißelte ein evangelikaler Pastor Corona als Strafe Gottes für Homosexualität.
Doch Verschwörungsmythen sind nicht nur bizarr und abgedreht. Dies mag vielleicht für die Überzeugung gelten, dass die Mondlandung von der NASA in einem Filmstudio inszeniert wurde oder dass Elvis Presley noch lebt und von Außerirdischen entführt wurde, um die beiden beliebtesten Verschwörungsmythen zu nennen. Aber im politischen Bereich wird aus abgedrehten Ideen häufig blutiger Ernst.
Der rassistische Attentäter von Hanau fantasierte von einer angeblichen Überwachung durch ominöse Geheimdienste, von Gedankenkontrolle und Manipulation. Verschwörungsideologien sind häufig Teil eines Radikalisierungsprozesses. Durch sie fühlen sich Attentäter subjektiv berechtigt, andere zu töten. Die jeweilige Ideologie – und mag sie noch so krude sein – wirkt wie ein Durchlauferhitzer. Absurde Gedanken werden zum Kochen gebracht und entladen sich in Gewalt.
Auch der Rechtsextremist Anders Breivik, der 2011 in Norwegen 77 Menschen umgebracht hat, sah sich als Retter einer christlich-europäischen Ordnung. Er griff dabei auf Ideen sogenannter national-konservativer Intellektueller zurück, die vor einer angeblich geplanten Islamisierung Europas warnen.
Die Macht von vereinfachenden Vorstellungen, die Sehnsucht nach scheinbar leichter Erlösung überflügelt oftmals den Verstand. Auch unseren zuweilen. Ruhig und besonnen sollen wir bleiben, und doch rennen wir los und kaufen Nudeln und Toilettenpapier. Sind das die überlebenswichtigen Güter? Der Mensch ist vernunftbegabt, aber seine Gefühle stehen ihm oft im Weg. Und darum sind Verschwörungsideologien vermutlich unausrottbar. Mal sind sie nur grotesk, mal gefährlich für Leib und Seele.
1924 entmystifizierte Binjamin Segel in einem gründlich recherchierten Buch mit dem Titel „Protokolle. Eine Erledigung“ die so genannten Protokollen der Weisen von Zion, stellte aber gleichzeitig fest: „Wir sagten uns, es ist überflüssig, gegen dieses dumme Zeug anzukämpfen, das wird über kurz oder lang unter dem Hohnlachen der ganzen Welt zusammenbrechen. Wir haben uns getäuscht. Wir haben die Dummheit und Leichtgläubigkeit der Welt sehr erheblich unterschätzt. Mit diesen Protokollen hat gleichsam die Geschichte das Experiment gemacht, was man alles in einem aufgeklärten Zeitalter den Massen zumuten darf.“ Wie Recht er hatte.
Woher kommt eigentlich die Fastnacht? Die Ursprünge, so wird vermutet, liegen in Riten zur Vertreibung des Winters. Aber ihre spezifischen Formen bekamen sie dann erst durch die christliche Neuinterpretation: Fastnacht ist die „Nacht vor dem Fasten“.
Ausschweifungen vor der Fastenzeit: Die Geschichte der Fastnacht begann schon im Mittelalter. Foto: Cooper Le / Unsplash
Neulich fragte mich eine Studentin, warum wir Fastnacht feiern. Sie kommt aus Äthiopien. Ich stammelte etwas von katholisch, Winteraustreiben und Kritik an der Obrigkeit. Stimmt irgendwie, und doch animierte es mich, der Sache nochmals genau nachzugehen.
Zwischen Winter und Frühling wurden schon im Altertum allerlei Vorfrühlings- und Fruchtbarkeitsfeste mit Masken, Kostümen und Radau zur Vertreibung des Winters gefeiert. Doch die Wurzeln der Fastnacht, der Nacht vor dem Fasten, liegen wohl in den christlichen Klöstern. Dort wurden seit dem 12. Jahrhundert vor Beginn der Fastenzeit ausgiebige Feste gefeiert – und am Aschermittwoch war dann „alles vorbei“, denn an diesem Tag beginnt eben die Fastenzeit vor Ostern.
Schon um 1200 hieß der Vorabend des Aschermittwochs „Fastnacht“, jedenfalls in bestimmten Regionen. In anderen Regionen sprach man vom „Karneval“ vom Lateinischen „Carnem Levare“ (zu Deutsch „Fleisch wegnehmen“) abgeleitet – auch dies ein Ausdruck, der direkt auf die Fastenzeit hindeutet. Man verzichtete in der 40-tägigen Fastenzeit aber nicht nur auf Fleisch, sondern allgemein auf Fett und Milchprodukte und sollte auch sexuell enthaltsam leben. Völlerei, Maßlosigkeit, derbe Scherze und Ausschweifungen aller Art waren in der Fastenzeit tabu.
In den Kirchen wurden vom 12. bis zum Ende des 16. Jahrhunderts auch Narrenfeste gefeiert. Dabei übernahmen niedere Kleriker vorübergehend die Privilegien der höheren Geistlichkeit. Kirchliche Rituale wurden in Narren- oder Eselsmessen parodiert. Es kam sogar vor, dass ein Pseudobischof- oder -papst gekürt wurde.
Schon bald blieb das bunte Treiben nicht auf die Klöster und Kirchen beschränkt, sondern verbreitete sich auch in den Städten. Prozessionen, Musik und Spottgedichte, die wie im Süddeutschen oder am Rhein eine regionale Färbung bekamen, gehörten jetzt auch außerhalb der Kirche dazu. Schon im Spätmittelalter hatte sich der Karneval verselbstständigt. Mit seiner Völlerei, den Wettkämpfen und Spielen, den Besäufnissen und sexuellen Ausschweifungen war er geradezu zu einer „Civitas diaboli“, zu einer teuflischen Ausprägung geworden.
Die katholische Kirche versuchte, das Treiben zu kanalisieren und wieder in das Kirchenjahr zu integrieren. Die Reformatoren blieben auf Distanz und verboten den Karneval sogar. Dabei war Luther keineswegs derben Scherzen und einem guten Mahl abgeneigt. Seine Kritik bezog sich eher auf das damit einhergehende Verständnis vom Fasten: Einem Fasten, das Pluspunkte im Himmel versprach, stand Luther ablehnend gegenüber.
Der Narr ist in katholischer Vorstellung derjenige, der Gott nicht in den Werken der Schöpfung erkennt. Das Narrenzepter steht für seine Selbstbezogenheit. An seiner Mütze trägt er Eselsohren, Hahnenkamm und Schellen. Die Masken symbolisieren die sieben Todsünden. Für den Hochmut steht etwa der Pfau, für Neid der Drachen.
Im 18. und 19. Jahrhundert wurde dann aus ganz anderen Gründen versucht, das närrische Treiben zu unterbinden: Die Franzosen in den besetzten rheinischen Gebieten wollten den Karneval unterdrücken. Der Kölner Stadtkommandant verbot 1795 nicht nur das Maskieren, sondern jede Art der Verkleidung. Aber auch Preußens König Friedrich Wilhelm III. wollte seinen neuen Untertanen 1828 „Maskeraden“ nur noch in jenen größeren Städten der Rheinprovinzen erlauben, „wo sie von Alters her herkömmlich stattgefunden haben“. Man darf vermuten, dass nicht nur das wilde Treiben und die Sauferei der Grund für die Unterdrückung des Karnevals war, sondern auch die Verspottung der Obrigkeit, die schon immer auch zum Karneval gehörte.
Doch auch damals galt schon: Verbote machen eine Sache erst Recht interessant. Und so bekam der Karneval neuen Auftrieb. Heute ist das Fastnachtstreiben bunt, schrill regional gefärbt aber trotzdem international und manche Büttenrede kann es mit dem politischen Kabarett aufnehmen. Na dann: „Frankfurt Helau!“
Dass Jugendliche sich vom Glauben entfernen, liegt vor allem daran, dass in den Familien keine religiösen Traditionen mehr gepflegt werden. Die Kirche kann das nicht kompensieren.
Laut aktueller Shell-Studie sinkt die religiöse Bindung von Jugendlichen in Deutschland rapide. | Foto: Alexis Brown / unsplash.com
Laut der jüngsten Shell-Studie hat der Glaube sowohl für katholische wie auch für evangelische Jugendliche erheblich an Bedeutung verloren. Nur noch 39 Prozent der katholischen und 24 Prozent der evangelischen Jugendlichen sagen, dass ihnen der Glaube wichtig sei. Das lässt befürchten, dass sich der Trend zu immer mehr Kirchenaustritten von Menschen in der Familiengründungsphase weiter verstärken wird. Bereits jetzt tritt etwa ein Viertel aller Getauften im Alter zwischen 25 und 35 Jahren aus der Kirche aus.
Muslimische Jugendliche hingegen sagen zu 73 Prozent, dass ihnen der Gottesglaube wichtig sei. Allerdings ist in ihrem Fall die Religion häufig eingebunden in die Kultur des Herkunftlandes ihrer Eltern und Großeltern und wird nicht mit einer ihnen fremd gewordenen Institution wie der Kirche in Verbindung gebracht. Eine Studie der Tübinger Universität kommt tatsächlich zu einem differenzierteren Bild. Danach beten auch drei von vier christlichen Jugendlichen, sie verstehen das aber als eine lediglich individuelle Praxis.
Frankfurts Stadtjugendpfarrer Christian Schulte sieht als zentrale Ursache für die Distanziertheit der Jugendlichen zum Glauben den Traditionsabbruch, vor allem bei jungen Familien. „Wenn es nicht mehr selbstverständlich ist, zu Hause zu beten, wird dieser Wunsch auch in den Kindern und Jugendlichen nicht Raum greifen können.“ Es fehle häufig an Sprachfähigkeit in Glaubensdingen. Deshalb will Schulte den Glauben für Jugendliche wieder erlebbar machen, zum Beispiel mit Projekten wie dem Konficamp, wo alle Konfirmandinnen und Konfirmanden aus Frankfurt für einige Tage gemeinsam wegfahren.
Das Evangelische Jugendwerk Hessen (EJW) bemängelt, dass die Angebote der Kirche für Jugendliche oft nicht relevant seien. „Jugendliche gehen nicht freiwillig in normale Gottesdienste.“ Es brauche mehr anschauliche, humorvolle und alltagstaugliche Formate sowie Personen, die Glaubensinhalte mit Inhalten vermitteln, die eine direkte Relevanz für das Leben junger Menschen haben – „sozusagen Glaubens-Influenzer“.
Das Ansehen der Kirche wird laut Shell-Studie von der Mehrheit der Jugendlichen immer noch positiv bewertet. Aber Glaube verbreitet sich nicht durch „die Kirche“, sondern vor allem durch persönliche Begegnungen. Es ist fast unmöglich, abgebrochene Familientraditionen zu ersetzen. Vor allem Großeltern spielen eine wichtige Rolle, wenn sie mit Kindern beten oder ihnen Geschichten aus der Bibel erzählen. Genau diese Tradition ist aber bereits seit zwei Generationen abgerissen. Die Kirche kann diesen Ausfall der Familie als religiöse Sozialisationsinstanz nicht kompensieren. Sie erreicht ja ohnehin nur die, die über Kindergärten oder Jugendgruppen überhaupt mit ihr in Kontakt kommen.
Ohne Zweifel ist er ein berühmter Sohn der Stadt Frankfurt: Arthur Schopenhauer wurde jetzt in das biografische Kabinett im Historischen Museum aufgenommen.
Arthur Schopenhauer zu seiner Frankfurter Zeit. Die Fotografie stammt vermutlich aus dem Jahr 1852. | Foto: Wikimedia, gemeinfrei.
Auf sechs Wänden werden im neuen Schopenhauer-Kabinett des Historischen Museums Schlaglichter von Schopenhauers Wirken am Main geworfen. Der Philosoph hatte eine sehr enge Beziehung zu Frankfurt. 1833 wählte er die Stadt aus Angst vor der in Berlin grassierenden Cholera bewusst als Wohnort aus und lobte sie in den höchsten Tönen:
„Gesundes Klima. Schöne Gegend. Abwechslung großer Städte. Besseres Lesezimmer. Das Naturhistorische Museum. Besseres Schauspiel, Oper, Conzerte. Mehr Engländer. Bessere Kaffeehäuser … Die Senckenbergische Bibliothek. Du … hast die Freiheit, dir missliebigen Umhang abzuschneiden und zu meiden. Ein geschickter Zahnarzt. … das Physikalische Kabinett“, notierte der damals 45-Jährige.
Bis zu seinem Tod im Jahr 1860 lebte Schopenhauer in Frankfurt und widmete sich hier der Ergänzung und Verbreitung seines Werks. Sein Grab findet sich auf dem Hauptfriedhof; in der Obermainanlage, nahe dem Rechneigraben, hat man ihm ein Denkmal gesetzt.
Max Horkheimer hat über Schopenhauers Denken gesagt, es sei „unendlich aktuell“. Worin diese Aktualität besteht, erschließt sich dem unbedarften Besucher im Historischen Museum allerdings nicht so ohne weiteres. Man kann aber immerhin den Blick aus seinem Arbeitszimmer nachempfinden, der rekonstruiert wurde.
Der 1788 in Danzig geborene Philosoph stand mit seinem Denken im Widerspruch zu vielen damals vorherrschenden geistigen Strömungen. Waren diese überwiegend vom Glauben an Vernunft und Fortschritt geprägt, entwarf Schopenhauer eine Lehre, die Erkenntnistheorie, Metaphysik, Ästhetik und Ethik gleichermaßen umfasst. Als einer der ersten Philosophen im deutschsprachigen Raum vertrat er die Überzeugung, dass der Welt ein irrationales Prinzip zugrunde liege. Damit sah er sich jedoch keineswegs im Widerspruch zur Rationalität Immanuel Kants, sondern als dessen Schüler und Vollender.
Mit der Aufnahme in die biografische Bibliothek gibt das Museum nun einen Anstoß sich mit dem Werk Schopenhauers erneut auseinanderzusetzen.
Biografische Bibliothek im Historischen Museum Foto. Kurt-Helmuth Eimuth
Der jüdische Theologe und Philosoph Martin Buber lehrte von 1924 bis 1933 an der Frankfurter Goethe-Universität. 1989 wurde dort eine nach ihm benannte Professur für Jüdische Religionsphilosophie ins Leben gerufen, gestiftet von der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau. Sie wird von wechselnden Gelehrten ausgefüllt und soll Studierenden und der interessierten Öffentlichkeit Zugänge zu Geschichte und Gegenwart des Judentums eröffnen.
Martin Buber im Jahr 1963. | Foto: Joop van Bilsen / Anefo – wikimedia.org (cc)
„Wenn sie nicht schon da wäre, müsste man sie erfinden“ sagte die gastgebende Dekanin des Fachbereichs Evangelische Theologie der Goethe-Universität, Catherina Wenzel, bei der akademischen Feier zum 30jährigen Bestehen der Martin-Buber-Stiftungsprofessur. Angesichts der aktuellen gesellschaftlichen Entwicklungen in Deutschland sei ihre Errichtung 1989 geradezu „prophetisch“ gewesen.
Der Frankfurter Bürgermeister Uwe Becker erinnerte an den antisemitischen Anschlag auf eine Synagoge und ein Dönerrestaurant in Halle und an die Wahlerfolge der AfD zuletzt in Thüringen. „Wir stehen vor gesellschaftlichen Weichenstellungen“, sagte Becker, der auch Beauftragter der Hessischen Landesregierung für Jüdisches Leben und den Kampf gegen Antisemitismus ist.
Martin Buber (1878–1965) war ein „dialogischer Denker, Theologe und Erzieher“, so die Urkunde zur Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels 1953. Von 1916 bis 1938 lebte er in Heppenheim an der Bergstraße, ab 1924 war er Professor in Frankfurt, trat aber direkt nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten in Deutschland aus Protest zurück. 1938 flüchtete er aus Deutschland und übersiedelte nach Israel, wo er den Rest seines Lebens verbrachte.
In die Frankfurter Periode seines Denkens und Schreibens fallen wesentliche Teile seines Werks, darunter die dialogische Philosophie des „Ich und Du“, seine politischen Überlegungen zum Zionismus und zu Palästina, Forschungen zur Hebräischen Bibel im Kontext der gemeinsam mit Franz Rosenzweig begonnenen „Verdeutschung“ der Schrift, sowie Überlegungen zur Gestaltung jüdischer Bildung. Buber lehrte außerdem ab 1919 am Freien Jüdischen Lehrhaus in Frankfurt.
1989 stiftete die Evangelische Kirche in Hessen und Nassau die Martin-Buber-Professur für Jüdische Religionsphilosophie an der Goethe-Universität, 2005 übernahm das Land Hessen die Finanzierung. Professor Doron Kiesel vom Zentralrat der Juden in Deutschland betonte bei der Jubiläumsfeier die Bedeutung der Begegnung mit dem Judentum. In Gesprächen mit Pfarrerinnen und Pfarrern habe er zuweilen den Eindruck gewonnen, dass man offensichtlich christliche Theologie studieren könne „ohne etwas mit dem Judentum anfangen zu können“. Das Thema sei wohl kein integraler Bestandteil des Theologiestudiums.
In seinem Festvortrag hob der derzeitige Inhaber der Professur Christian Wiese das dialogische Prinzip Bubers hervor. Dies habe er auch auf den interreligiösen Dialog angewandt und etwa 1953 geschrieben: „Ein echtes Gespräch ist eins, in dem jeder der Partner den anderen, auch wo er in einem Gegensatz zu ihm steht, als diesen wahrnimmt, bejaht und bestätigt; nur so kann der Gegensatz zwar gewiss nicht aus der Welt geschafft, aber menschlich ausgetragen und der Überwindung zugeführt werden.“
Inhaberinnen und Inhaber der Martin-Buber-Professur waren bisher Moshe Goshen-Gottstein (Jerusalem), Ithamar Gruenwald (Tel Aviv), Jacob Neusner (Tampa), Stefan Schreiner (Berlin), Susannah Heschel (Cleveland), Abraham Malamat (Jerusalem), Michael Graetz (Jerusalem), Gedaliahu G. Stroumsa (Jerusalem), Fritz A. Rothschild (New York), Eric M. Meyers (Durham), Chana Safrai (Utrecht), Albert H. Friedlander (London), Rita Thalmann (Paris), Konrad Kwiet (Sydney), Tal Ilan (Jerusalem), Michael Zank (Boston), Almut Sh. Bruckstein (Jerusalem), Yossef Schwartz (Jerusalem/Tel Aviv) und Myriam Bienenstock (Tours/Paris).
Kain erschlug Abel – das Verbrechen gehört seit biblischen Zeiten zur menschlichen Gesellschaft dazu. Nicht zufällig ist der Kriminalroman eines der beliebtesten Genres. Doch wie viel Realität steckt da drin?
Von links: Polizeipräsident Gerhard Bereswill, Nele Neuhaus, Matthias Altenburg, Moderator Manfred Köhler (FAZ) | Foto: Kurt-Helmuth Eimuth
Kain erschlug Abel. Ein Brudermord. Im Zorn. Ein Mord, der am Anfang eines guten Krimis stehen könnte?
Krimi-Autor Matthias Altenburg orientiert sich bei seinen Büchern gerne an realen Geschehnissen. „Ich finde lieber was, als dass ich was erfinde,“ war seine zentrale Aussage beim Bürgergespräch der FAZ in der Oper. Doch er betont, dass er keine Sachbücher schreibe. „Ich brauche die Realität als Sprungbrett für meine Phantasie“, so der Erfinder des Ermittlers Marthaler. Bücher von ehemaligen Kriminalbeamten seien hingegen immer langweilig.
Nele Neuhaus arbeitet anders. Sie beschreibt keine realen Kriminalfälle. „Ich liebe es, meine Phantasie spielen zu lassen,“ sagt die Autorin der Taunus-Krimis. Sie könne die Zeit, in der das Geschehen spiele, neu aufleben lassen. Neuhaus: „Das macht mir großen Spaß. Nur der Krimi würde für mich langweilig werden.“ Zum Genre kam sie schon sehr früh. Die Kinderbuchreihe „5 Freunde“ hat sie geliebt. Und am Anfang eines jeden Krimis stehe ja nun mal ein Rätsel, das es zu lösen gelte: Wer war es?
Der Frankfurter Polizeipräsident Gerhard Bereswill hat es in der Realität hat mit Mord und Totschlag zu tun. Zum Glück weit weniger als man meint. 300 bis 400 Morde werden in Deutschland im Jahr verübt, fast alle werden aufgeklärt. Auch im Fernsehen kommt kaum ein Mörder davon. Nur werden dort jährlich rund 12.000 Menschen ermordet – Wiederholungen nicht mitgezählt. Allerdings schaue er keine Krimis mehr, und auch in gedruckter Form mag er sie nicht. Kleine handwerkliche Fehler, die er entdecke, hielten ihn dann vom Erzählstrang ab.
Vor zwei Jahren wurde im Offenbacher Martin-Luther-Park die Steinskulptur „Bücher der Weisheit“ der Künstlerin Anna-Maria Kubach-Wilmsen eingeweiht, jetzt gibt es dazu ein Buch. Unter Beteiligung jüdischer, christlicher und muslimischer Gemeinschaften wurde es am Sonntag der Öffentlichkeit vorgestellt.
Die Steinbücher im Martin-Luther-Park würdigen die Weisheit der Religionen. | Foto: Kurt-Helmuth Eimuth
Die Buchpräsentation war direkt vor Ort: Unweit der im Buch beschriebenen Steinskulptur versammelten sich jüdische, christliche und muslimische Menschen bei der Vorstellung des Buches „Heilige Schriften – Quellen der Weisheit“. Schließlich symbolisieren die Steinbücher genau diese drei Weltreligionen.
Stadtverordnetenvorsteher Stephan Färber gab seiner Hoffnung Ausdruck, dass sich in Offenbach noch in diesem Jahr ein Rat der Religionen gründen möge. „Er sollte sich genau hier konstituieren“, empfahl Färber. Die Stadtgesellschaft solle dankbar sein, dass mit diesem Kunstwerk die Frage aufgeworfen werde, „wie wir die Botschaften dieser Bücher umsetzen können.“ Für Achim Knecht, den evangelischen Stadtdekan, ist die Vielfalt der Religionen in Offenbach eine Bereicherung: „Es ist gut, dass wir so unterschiedlich sind. Wir ergänzen uns gegenseitig.“
Im Vorwort des fünfzigseitigen, reich bebilderten Buches stellen der Musiker Jürgen Blume und Pfarrerin Ulrike Schweiger fest, dass sich in Offenbach ein weitgehend friedliches Miteinander von 160 Nationen entwickele. Dies verlange aber Verständnis für die anderen. „Einen eigenen Standpunkt haben, sich bemühen, die Gedanken der anderen zu verstehen, die Vielfalt der Kulturen und Religionen zu respektieren, darüber ins Gespräch zu kommen, ohne diese übernehmen zu müssen – das bedeutet Toleranz und ist eine Bereicherung für uns alle.“
Im Buch wird sowohl die Ideenfindung als auch die Arbeit der Künstlerin beschrieben. Zum Beispiel erfährt man, dass das Material eines jeden Stein-Buches von einem anderen Kontinent kommt. Reinhold Bernhardt, Theologieprofessor in Basel, vergleicht in seinem Essay den Umgang mit den heiligen Schriften im Islam, Judentum und Christentum.
Zur Entstehungsgeschichte der Skulptur gehört auch, dass an gleicher Stelle vorher eine aufgeschlagene Bronze-Bibel stand, als Erinnerung an den Reformator Martin Luther, nach dem der Park benannt ist und der Bibel ins Deutsche übersetzt hat. Doch zuerst stahlen Diebe das Werk, und auch eine zweite Anfertigung wurde von Materialdieben entwendet.
Deshalb entstand im evangelischen Dekanat und im Förderkreis „PraeLudium“ die Idee, an dieser Stelle die drei in Offenbach vertretenen Buchreligionen zu würdigen. Die Ausfertigung in Stein, wird hoffentlich einen weiteren Diebstahl verhindern.
Das Buch ist während der Öffnungszeiten in der Stadtkirche in Offenbach (Herrnstraße 44) für 5 Euro erhältlich.
Der Poet, Sänger und Musiker Konstantin Wecker ist der erste Preisträger der Albert-Schweitzer-Medaille, die an den Arzt, Philosophen und Theologen Albert Schweitzer (1875-1965) erinnert. Sie wurde zum 50. Jubiläum des Frankfurter Albert-Schweitzer-Zentrums gestiftet.
Marion Eimuth mit Konstatin Wecker Foto: Kurt-Helmuth Eimuth
Es war der Höhepunkt des diesjährigen Jubiläumsjahres zum 50-jährigen Bestehen des Albert-Schweitzer-Zentrums in Frankfurt: Mit einem Festakt in der Paulskirche wurde gestern am 3. September erstmals die Albert-Schweitzer-Medaille verliehen. Preisträger war der Sänger und Musiker Konstantin Wecker, der für sein politisches Engagement bekannt ist.
In seiner Laudatio bezeichnete der Neurobiologe Gerald Hüther Wecker als „Suchenden, der die Herzen der Menschen öffnet“. Wecker sei ebenso wie Albert Schweitzer jemand, für den Poesie und Widerstand, Kunst und Wissenschaft zusammen gehören, betonte der Neurobiologe, der schon einige gemeinsame Veranstaltungen mit Wecker gestaltet hat.
Die Theologin Margot Käßmann wandte sich in ihrem Festvortrag gegen eine Sprache, die „inhumane Gedanken schleichend billigt“. Wer sich der Philosophie Albert Schweitzers mit ihrer zentralen Aussage der „Ehrfurcht vor dem Leben“ verbunden fühle, müsse solchen Tendenzen widersprechen. Die frühere Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland und ehemalige Reformationsbotschafterin führte zahlreiche Beispiele für eine menschenverachtende Sprache an, zum Beispiel den Ausdruck „Kopftuchmädchen“. Es sei zwar richtig, dass die Burka nicht nach Deutschland gehöre, „aber Springer-Stiefel und Glatzköpfe auch nicht“. Deutschland könne stolz auf seine Integrationsleistung sein, betonte Käßmann, und verwies auf die Leistung in den Nachkriegsjahren. Heute brauche man eine postmigrantische Definition von Deutschland. Schließlich sei das ganze christliche Abendland das Ergebnis von Migration. Für Albert Schweitzer sei die atomare Bedrohung seine Hauptsorge gewesen: „Das verbindet ihn mit Konstantin Wecker und mir“, sagte Käßmann. Sicher hätte Albert Schweitzer an dem jugendlichen Protest der Fridays for Future-Bewegung seine Freude gehabt. Auch das könne man von Schweitzer lernen: „Nicht nachlassen. Er hat für seine Sache alles gegeben.“
Albert Schweitzer hatte für Sport zwar nichts übrig und konnte mit Fußball nichts anfangen. Trotzdem sprach zum Jubiläum und zur Preisverleihung auch der Präsident von Eintracht Frankfurt, Peter Fischer, wohl auch, weil der Club und sein Präsident für eine klare Haltung stehen. Sport, so Fischer, könne Werte schaffen und vermitteln. Sport müsse politisch sein. Der Sport stehe dafür, dass alle Menschen gleich sind. In der Kabine der Eintracht säßen Spieler aus 19 Nationen. Die 80.000 Mitglieder des Clubs kämen aus 100 Nationen. Fischer kritisierte auch die antisemitischen Rufe gegen den Schiedsrichter beim Spiel gegen Straßburg vor einigen Tagen.
Der Frankfurter evangelische Stadtdekan Achim Knecht würdigte die Bedeutung des Albert-Schweitzer-Zentrums mit Archiv, das heute in der Wolfgangstraße im Nordend untergebracht ist. „Die Evangelische Kirche in dieser Stadt sieht sich auch heute noch dem Erbe des bedeutenden Humanisten Albert Schweitzer verpflichtet“, hob Knecht hervor und wies auf die Aktualität der Ethik Albert Schweitzers hin: „Die Rettung von Menschen, die auf ihrer Flucht und Migration nach Europa auf dem Mittelmeer in Seenot geraten, ist heute ein zeitgemäßer Ausdruck einer tatkräftigen Ehrfurcht vor dem Leben. Ich bin überzeugt, auch Albert Schweitzer hätte die Seenotrettung von Geflüchteten und Migranten aus dem Mittelmeer unterstützt!“
Oberbürgermeister Peter Feldmann erinnerte in seiner Ansprache an die besondere Verbindung Albert Schweitzers mit Frankfurt. Schweitzer hat 1928 den Goethepreis der Stadt erhalten, 1951 den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels, und 1959 wurde er zum Ehrenbürger Frankfurts ernannt. „Albert Schweitzer war gerne hier. Es hat ihn immer wieder in diese Stadt gezogen“, sagte Feldmann.
Der Musiker und Sänger Konstantin Wecker (links) verbindet seit vielen Jahren Kunst und Politik. Dafür wurde er in der Paulskirche mit der Albert-Schweitzer-Medaille ausgezeichnet. | Foto: Kurt-Helmuth Eimuth
Hessenschau-Moderatorin Constanze Angermann fordert mehr Unterstützung für pflegende Angehörige. |Foto: hr
Frau Angermann, was macht man als Pflegebotschafterin der Diakonie?
Erst mal redet man über Pflege und bringt damit das Thema, das sich zu einem ganz großen Teil hinter verschlossenen Türen abspielt, in die Öffentlichkeit. Der überwiegende Teil der Pflegebedürftigen wird zuhause von Angehörigen, von Frauen und Töchtern gepflegt. Die leisten Unglaubliches und sind oft allein mit dieser schwierigen Arbeit. Sie haben gar nicht die Zeit, jedem noch zu erzählen, was sie da leisten. Da ich mich aber mit pflegenden Angehörigen unterhalte und sie mir sagen, was sie brauchen, bin ich gerne ihr Sprachrohr. Es braucht allerdings viele Sprachrohre, damit erkannt wird, was die Pflegenden an Unterstützung brauchen. Und damit ihnen ihre Arbeit nicht noch durch Bürokratie schwerer gemacht wird.
Wie kamen Sie zu dieser Aufgabe?
Ich kümmere mich selbst um eine alte Frau und Freundin, die noch vieles selbst kann, aber das ändert sich ständig. Und so wachse ich gerade in eine Pflege hinein. Ich habe großen Respekt davor und werde mir so viel Hilfe wie möglich holen, einfach, damit man auch mit der Situation nicht allein ist. Dann hat die Diakonie vor einiger Zeit starke Frauen in der Pflege vorgestellt – dafür war es höchste Zeit. Denn in der Pflege wird Zukunftsweisendes geleistet. Was davon hat Modellcharakter? Das wird für uns alle immer wichtiger. Denn wir haben immer mehr zu Pflegende, aber immer weniger, die pflegen. Wie also machen wir das, wie organisieren wir das?
Was sollte Ihrer Meinung nach zur Verbesserung der Pflege getan werden?
Erst mal müssen wir anerkennen, was die pflegenden Angehörigen machen. Die machen das in der Regel nämlich gut und können die Signale des zu Pflegenden hören und einordnen. Sie haben einen für beide Seiten passenden Modus gefunden. Also: die sollte man unterstützen und nicht noch gängeln. Man soll ihnen Hilfe anbieten, die sie auch annehmen können. Was hat denn ein Mann vom Urlaubsangebot seiner Krankenkasse, wenn er in der Zeit keine Unterbringung für seine zu pflegende Frau hat? Es wäre sicher gut, die Maßnahmen in der Pflege zu bündeln, einen Ansprechpartner zu haben und nicht noch durch bürokratischen Wust, durch den sich der Pflegende erst mal kämpfen muss, die Situation weiter zu verschärfen. Außerdem muss die Pflege möglich gemacht werden, durch mehr Personal oder durch eine Arbeitswelt, die sich darauf einstellt, dass Angehörige gepflegt werden müssen.
Welche Rolle kann die Diakonie dabei einnehmen?
Es sind zu wenige Menschen auf dem Markt der Pflege, wir brauchen mehr Pflegekräfte. Von daher bin ich um jeden froh, der sich praktisch und organisatorisch damit befasst. Aber die vielen Anbieter müssen natürlich auch einem gewissen Standard genügen, und diese Qualität muss kontrolliert werden. Die Diakonie hat viele Einrichtungen und dadurch ein aussagekräftiges Bild der Pflege vor Augen. Sie weiß, was es außerdem noch braucht und kann das in die Politik bringen. Das halte ich bei den großen profilierten Einrichtungen in der Pflege für extrem wichtig.
Welche persönliche Beziehung haben Sie zu Kirche und Diakonie?
Ich habe eine ur-evangelische Sozialisation, ich bin gewissermaßen neben meinem Vater auf der Orgelbank der evangelischen Kirche in Götzenhain groß geworden. Also ich bin evangelisch durch Musik, wenn Sie so wollen. Und die Diakonie ist mir durch die Pflege zugewachsen. Dieses Thema liegt mir einfach am Herzen, wir können uns da nicht wegducken. Das kommt auf jeden von uns zu und wir müssen uns darum kümmern. Das Schöne ist: Man hat damit auch eine Aufgabe, die sinnvoll ist. Das macht zufrieden, wenn es gut läuft. Das ist noch ein Stück Leben, das man mit dem oder der zu Pflegenden teilen kann. Wir müssen nur dran arbeiten, dass wir dafür noch bessere Rahmenbedingungen haben.
Das Gespräch führte Kurt-Helmuth Eimuth